Protocol of the Session on October 7, 2010

(Zuruf von Wolfgang Jüttner [SPD])

- Lesen Sie bitte den Bericht in der entsprechenden Drucksache des Landtages nach. Die Fünfzügigkeit ist damals zum einen mit pädagogischen Gründen untermauert worden. Zum Zweiten sollte sie mit Blick auf die einzurichtenden neuen Kooperativen Gesamtschulen nicht zu einer Bevorteilung des einen oder anderen Systems dienen.

Wir sollten heute, zwei Jahre nach Aufhebung des Neugründungsverbots, eine kritische Bilanz ziehen. Dazu dient dieser Bildungsgipfel. Es wird politisch zu entscheiden sein, ob es in der Frage der Fünfzügigkeit eine Veränderung geben kann. Ich will nur auf eines hinweisen: Jeder, der hier in Niedersachsen im Zusammenhang mit der IGSDiskussion den Eltern einredet, dass mit einer IGS automatisch eine gymnasiale Ausbildung ihrer Kinder verbunden wäre, der handelt nicht redlich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Hans-Henning Adler [LINKE]: „Auto- matisch“ sagt keiner!)

- Es mag sein, dass ich genauso häufig wie Sie, Herr Adler, in Niedersachsen unterwegs bin. Vielleicht bin ich nur nicht so bekannt.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das kann sein! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Ihr Name fängt doch auch mit „A“ an!)

- Ja, mein Name fängt auch mit „A“ an; das war in der Schule immer von Nachteil.

Bei den bildungspolitischen Diskussionen mit den Eltern um die IGS erlebe ich es immer wieder, dass argumentiert wird: Ja, damit ermögliche ich meinem Kind doch womöglich das Abitur.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Womög- lich!)

Diese Option ist, wenn Sie ganz genau hinschauen, in Wahrheit noch gar nicht gegeben. Keine Gesamtschule in Niedersachsen - es sind 32 an der Zahl; 28 Integrierte und 4 Kooperative Gesamtschulen - ist mit einer gymnasialen Oberstufe genehmigt worden.

(Olaf Lies [SPD]: Sie genehmigen sie doch nicht! Das ist doch absurd! - Zu- ruf von Frauke Heiligenstadt [SPD])

Ob es diese überhaupt jemals geben wird, ist angesichts eines Rückgangs der Schülerzahlen von 25 % bis 40 % völlig fraglich. Ich halte es zum Teil für einen Aberglauben, wenn man meint, dass mit einer IGS gleichzeitig immer die gymnasiale Verbindung geschaffen werden muss - in der Hoffnung, die Eltern würden am Ende diese Schulform wählen. Ich halte das nicht für ein redliches Argument. Nicht mehr und nicht weniger habe ich dazu zu sagen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Für die SPDFraktion stellt Herr Kollege Poppe die nächste Zusatzfrage.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung angesichts der Vorgeschichte des Gipfels des Landeselternrates: Welche Verbindlichkeit sollen die Ergebnisse des von Ihnen angekündigten Bildungsgipfels mit allen Verbänden und Fraktionen in der Zukunft haben?

(Zustimmung bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege Poppe. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Althusmann. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Poppe, Sie können fest davon ausgehen, dass wir, insbesondere nach den letzten sehr vertrauensvollen Gesprächen mit allen Bildungsverbänden, jedes Argument, das dort vorgetragen wird - ob vom Landeselternrat, vom Philologenverband, von der Direktorenvereinigung, von der GEW oder anderen -, sehr gut abwägen werden.

Ich bin mir durchaus der Tatsache bewusst, dass im Vorfeld des von uns geplanten Bildungsgipfels - nennen wir ihn ruhig so - eine Vorabstimmung der Positionen - jedenfalls mehrheitlich - stattgefunden hat. Diese wollen wir aufgreifen.

Es ist aber keinesfalls so, dass ein außerparlamentarisches Gremium - ein Gipfel - eine Gesetzesberatung in einem Parlament bzw. einen Mehrheitsbeschluss gegebenenfalls in einzelnen Punkten außer Kraft setzen könnte.

Nehmen Sie bitte einfach zur Kenntnis - das ist wirklich ehrlich gemeint -, dass dieser Bildungsgipfel ein Versuch ist, in Niedersachsen aus den ewigen ideologischen Schuldebatten der Vergangenheit ein wenig herauszukommen und einen Schritt weiterzukommen, damit wir uns im Kern mit den Fragen der Unterrichtsqualität, der Motivation von Lehrkräften, der besseren Organisation von Schule - unabhängig von Schulstrukturen - im Sinne unserer Kinder befassen können. Darum soll es gehen. Aber klar ist: Ein Bildungsgipfel kann kein Parlament ersetzen. Am Ende wird es eine Ent

scheidung im Parlament über notwendige gesetzliche Änderungen geben.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt Frau Kollegin Korter eine Frage.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich frage die Landesregierung: Herr Minister Althusmann, wie weit sind Sie mit den Regierungsfraktionen dieses Hauses noch in der Lage, diese fünf Eckpunkte mitzutragen, nachdem vor Kurzem auf Einladung des Landeselternrats alle drei Oppositionsfraktionen mit der großen Mehrheit der an Bildung Beteiligten im Lande Niedersachsen fünf Eckpunkte einvernehmlich und sehr kompromissbereit verabschiedet haben? Ganz konkret: Welchen dieser Eckpunkte können Sie mittragen? - Wenn Sie das nicht können, werden Sie ja offensichtlich bald in der Minderheit sein.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und der SPD - Karl-Heinz Klare [CDU]: Die nächste Wahl ist 2013! Bis dahin müsst ihr noch warten!)

Frau Kollegin Korter, herzlichen Dank. - Herr Minister Althusmann, Sie haben das Wort.

Frau Korter, Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich Ihnen im Vorfeld der abschließenden Beratung der Arbeitsgruppe Schulstruktur, die durch die Landesregierung eingesetzt wurde, und im Vorfeld eines von mir selbst einberufenen Bildungsgipfels heute nicht mitteilen kann, welche Positionen im Detail von uns mitgetragen werden können und welche nicht.

Ich will aber vielleicht eine Position herausgreifen, und zwar zur Frage der Inklusion. Ich glaube, die Forderung, die in diesem Bereich erhoben wird, ist völlig unstrittig. Dabei gibt es klugerweise keinen Zeitplan - möglicherweise hat Herr Fricke vom Verband der Sonderpädagogik oder haben andere Ihnen einmal klargemacht, dass es nicht darum gehen kann, hierbei etwas übers Knie zu brechen. Die Frage der Inklusion werden wir sorgfältig lösen müssen. Natürlich kann ich die Forderung, in den nächsten Jahren mit der Inklusion in den Grund

schulen zu beginnen, nachvollziehen. Heute kann ich auch sagen: Aus meiner Sicht macht es mehr Sinn, die Inklusion im kommenden Jahr - in 2011 - vernünftig in den Schulen vorzubereiten und unsere Lehrkräfte darauf vorzubereiten. Denn dabei sind auch Fragen mit Blick auf Lehrerfortbildung, Lehrerausbildung, Klassenobergrenzen, Klassengrößen zu beantworten. Diesen Punkt der Inklusion werden wir dann in den Folgejahren im Sekundarbereich I fortsetzen. Eine sorgfältige Vorbereitung ist wichtig. Das ist auch besser, als das mit aller Macht in allen Schulformen zum 1. August 2011 umzusetzen. In dieser Frage geht Sorgfalt vor Eile.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Deshalb möchte ich Ihnen deutlich sagen, dass wir in diesem Punkt den Forderungen des Landeselternrats mit Sicherheit folgen können. In den nächsten Jahren wollen wir Inklusion nach Möglichkeit dort, wo es Sinn macht und aus Sicht des Kindeswohls sinnvoll ist, an unseren Schulformen umsetzen.

In einem Punkt werden wir uns aber nicht verständigen, und zwar in der Frage der Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren. Wir halten das Abitur nach 12 Jahren auch mit Blick auf den Einsatz der Ressourcen im Bildungssystem bildungspolitisch für sinnvoll und notwendig, gerade vor dem Hintergrund der zurückgehenden Schülerzahlen und der verkürzten Ausbildungs- und Studienzeiten. Alle Bundesländer werden diesen Prozess bis 2016 abgeschlossen haben. Ich kenne keine Schulleitung aus dem Gymnasialbereich, die uns geschrieben und gefordert hätte, dass sie zum Abitur nach 13 Jahren zurückkehren kann oder womöglich ein Wahlrecht zwischen 12 und 13 Jahren einführen kann. So etwas würde zu Situationen führen, wie wir sie gerade in Nordrhein-Westfalen erleben, nämlich zu einer großen Orientierungslosigkeit und Unsicherheit darüber, wohin der Weg gehen muss.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Frauke Heiligenstadt [SPD]: Volksbegehren!)

Die Bildungsministerin in Nordrhein-Westfalen hat gesagt, man spreche dort jetzt von einer „Ermöglichungsstrategie“. Was soll denn bitte schön dahinterstehen? - Sie ermöglichen das jetzt, d. h., sie wollen das letztendlich ins Belieben setzen. Aber Schule ist nicht beliebig. Ich glaube, wir sollten an dem Abitur nach zwölf Jahren festhalten. Ich weiß,

dass dieses Thema strittig ist. Ich habe mit Herrn Brandt und anderen über die Frage des Abiturs nach zwölf Jahren, auch in Bezug auf das Volksbegehren, schon leidenschaftliche Debatten geführt. Ich persönlich halte das gerade mit Blick auf die Tatsache, dass um uns herum in Europa nahezu alle Länder ihre Schülerinnen und Schüler innerhalb von zwölf Jahren zu einer Hochschulreife führen können,

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Miriam Staudte [GRÜNE]: Ganztagsschulen!)

für vertretbar. Auch unsere Bildungsexperten im Ministerium sagen: Wir halten es für vertretbar. - Man muss aber auch bereit sein, anzuerkennen, dass wir bei den curricularen Vorgaben in den vergangenen Jahren - seit 2006 sind Kerncurricula eingeführt - tatsächlich in einigen Bereichen „entrümpelt“ haben. Deshalb ist das Abitur nach zwölf Jahren, auch mit Blick auf die Zeit - 260 Stunden plus zwölf Wahlstunden müssen erteilt werden - vertretbar.

Ein Beispiel ist das Fach Mathematik. Sie erinnern sich vielleicht an Ihre Schulzeit, an die Sinus- und Kosinusfunktion, an das rechtwinklige Dreieck, Ankathete und Gegenkathete. Das Verhältnis von Gegenkathete und Hypotenuse ergibt den Sinussatz in einem rechtwinkligen Dreieck.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und bei der LINKEN - Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Minister Dr. Bernd Althusmann hält ein Papier hoch - Zuruf von der SPD: Abgelesen! - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das war die erste binomische Formel!)

- Nein, nicht abgelesen, da steht Poppe und Landeselternrat drauf.

(Heiterkeit)

Ich habe das noch behalten. Ich habe mich auf Ihre Anfragen doch vorbereitet.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Auswendig gelernt!)

Ich wollte damit nur deutlich machen, dass z. B. dieser Punkt in den kerncurricularen Vorgaben für den Mathematikunterricht nicht mehr diesen Stellenwert hat. Andere Beispiele sind die Temperaturmessung im Fach Physik oder das Thema Magnetismus.

Wir haben in den einzelnen curricularen Vorgaben seit 2006, in den Kerncurricula - auch wenn ich diesen Begriff nicht mag -, die wir neu eingesetzt haben, genau das getan, was von vielen Eltern auch gefordert wird, nämlich die Stofffülle kritisch überprüft. Sehr oft entsteht diese Stofffülle aber nicht durch die tatsächlichen Inhalte der Kerncurricula, sondern wir erleben in der Schule - und das ist kein Vorwurf - aufgrund der Unsicherheit im Umgang mit etwas Neuem ein ganz normales menschlichen Verhalten: Wenn man 30 Jahre lang nach Lehrplan unterrichtet hat, dann versucht man sehr oft, dieses System so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, bevor man sich einem neuen Kerncurriculum zuwendet. Sehr oft führt das interessanterweise zu einer Verdoppelung des Stoffs. Das ist ein sehr menschlicher Vorgang. Wir versuchen das mit entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen zu begleiten, damit keine Unsicherheit mehr besteht.

(Zuruf von Frauke Heiligenstadt [SPD])

Frau Kollegin Heiligenstadt, es bringt nichts, wenn Sie permanent dazwischenrufen. Sie haben noch die Möglichkeit, hier Fragen zu stellen.

Ich versuche doch wirklich, Ihre Fragen ernsthaft zu beantworten.

Ich habe an einer Schulleitertagung teilgenommen, weil ich selbst gesagt habe: Wir können das Abitur nach zwölf Jahren sinnvollerweise nur dann offensiv nach außen vertreten, wenn es uns gelingt, die Voraussetzungen für den Erwerb des Abiturs nach zwölf Jahren zu schaffen und die Aufgaben der Schule sehr kritisch zu überprüfen.

Wir führen seit dem 30. August auf meine Bitte hin Schulleiterdienstbesprechungen mit allen Schulformen - bis auf die Grundschulen - durch und fragen die Schulen: Wie sieht bei euch der Umgang mit den Kerncurricula aus? Wo sind Probleme bei der Umsetzung? Wo seid ihr unsicher? Wie können wir euch helfen? Für einige Fächer werden wir den Lehrern weitere Handreichungen geben, so wie wir sie im Fach Englisch bereits haben, um sie in dieser Frage neben Fortbildung, Multiplikatorenfortbildung usw. noch weiter zu unterstützen.