Protocol of the Session on August 18, 2010

Die vorgelegten fünf Trassenvarianten der Firma Transpower GmbH bzw. seit 1. Januar dieses Jahres TenneT bestätigen - und nach meiner Auffassung übertreffen sie - alle damaligen Befürchtungen der betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Das auf Konsens angelegte EnLAG sowie das Niedersächsische Erdkabelgesetz werden durch Transpower bewusst ignoriert.

In einer von fünf Trassenvarianten werden die im EnLAG vorgegebenen Mindestabstände an vier Stellen unterschritten. Eine Erdverkabelung könnte also vorgeschlagen werden. Obwohl nach eigenen Angaben des Netzbetreibers auch der Anteil an Neutrassierungen und die ökologischen Eingriffe bei dieser Streckenvariante am niedrigsten wären, werden die Vorgaben des EnLAG als Ausschlussgrund für die Weiterverfolgung dieser Variante durch Transpower genannt. Das heißt, der Wille des Gesetzgebers wird durch den Netzbetreiber ins Gegenteil verkehrt.

Meine Damen und Herren, das macht nicht nur Bürgerinnen und Bürger zu Recht wütend, sondern ich finde, das ist ein massiver Anschlag gegen das demokratische Selbstverständnis dieses Parlaments.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich finde, dass sich niemand in diesem Haus ein solches Verhalten von Energiebetreibern bieten lassen kann, egal in welcher Funktion er ist.

Die Niedersächsische Landesregierung ist mit dem Landwirtschaftsministerium für das laufende Raumordnungsverfahren zuständig. Am 27. August 2010 endet das öffentliche Beteiligungsverfahren. Allein aus unserer Region liegen zwischenzeitlich annähernd 1 000 Einzeleinwendungen vor. Ich habe vorhin gehört, in Baddeckenstedt liegt die Zahl zurzeit bei 1 400. Wir werden an dieser Strecke also mit Zehntausenden von Einzeleinwendungen zu rechnen haben.

Die Bundesregierung geht in der Beantwortung einer Anfrage vom 22. Juli dieses Jahres davon aus, dass Vorhabenträger und Planungs- und Genehmigungsbehörde bei der Festlegung von Erdkabelabschnitten kooperativ zusammenarbeiten. Wir erleben aktuell genau das Gegenteil. Lassen Sie uns deshalb das Raumordnungsverfahren gemeinsam aussetzen, bis der Netzbetreiber bereit ist, mindestens den konsensualen Verpflichtungen des EnLAG Rechnung zu tragen, und bis weitere Trassen entlang der A 7 bzw. der ICE-Trassen untersucht wurden. Lassen Sie uns prüfen, ob unser Landesgesetz noch trägt oder gegebenenfalls nachgebessert werden muss. Dies wird von Juristen sehr unterschiedlich beurteilt. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Stromübertragung mit moderner HGÜ-Gleichstromtechnik erfolgt.

Wenn es weiter so geht, dass bei all diesen Vorgaben der Netzbetreiber gesetzliche Vorgaben bewusst ignoriert, schlimmer noch konterkariert, müssen wir versuchen, eine Novellierung des EnLAG zu erreichen. Meine Damen und Herren, wir gemeinsam sind nicht der Büttel dieser Energiewirtschaft.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

An einer öffentlich hochrangig besetzten Veranstaltung am 3. August in Bad Gandersheim haben fast 1 000 Menschen aus unserer Region teilgenommen. Politikerinnen und Politiker, Wissenschaftler, das niedersächsische Landwirtschaftsministerium und das Bundeswirtschaftsministerium waren zugegen. Es war ausgesprochen schlechtes Wetter, was dazu geführt hat, dass die evangelische Kirche ihren Dom für diese Veranstaltung geöffnet hat, der mit 1 000 Leuten richtig voll war. Ich sage das nur deshalb, weil es deutlich macht, wie die Region und welche gesellschaftlichen Gruppen hinter den Forderungen der Bürgerinitiativen stehen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Nur einer hat gefehlt, nämlich Transpower, die trotz mehrfacher Bitte dieser Einladung nicht gefolgt sind.

Da stellt sich für uns die Frage, welche Strategie da eigentlich gefahren wird. Die Akzeptanz der regenerativen Energien ist in unserer Gesellschaft bekanntlich sehr hoch. Warum werden den Bürgerinnen und Bürgern jetzt bewusst unzumutbare Fernleitungstrassen vorgestellt? Warum wird dem Bündelungsgebot im Sinne der Raumordnung nicht Rechnung getragen und zur Minimierung von Landschaftseingriffen keine Variante entlang der A 7 oder der DB-Schnellbahnstrecke vorgeschlagen? Warum wird der Widerstand der Bevölkerung angeheizt und die Ausnutzung aller juristischen Einspruchsmöglichkeiten provoziert? Warum werden so die Planungszeiträume wissentlich in die Länge gezogen, sodass der Zeitpunkt der Umsetzung für die Energieunternehmen unkalkulierbar wird? - Die Bundesregierung weist schon jetzt darauf hin, dass bei der Mehrzahl der Leitungen des EnLAG-Bedarfsplans das jeweilige Zieljahr nicht mehr erreicht wird. Geht es Teilen der Energiewirtschaft unter Umständen darum, regenerative Energien zu diskreditieren und so doch noch längere Laufzeiten für Atomkraftwerke zu erzwingen?

Die Bürgerinnen und Bürger, die jetzt zu Tausenden protestieren, sind keine Berufsdemonstranten, sondern Landwirte, die in Ihrer Existenz bedroht sind.

(Marianne König [LINKE]: Was heißt denn „Berufsdemonstranten“!)

Es sind Familien, die Angst vor nachhaltigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen haben, Menschen, die Entwicklungsperspektiven unserer Region insbesondere im Erholungs- und Tourismusbereich bedroht sehen, das Landschaftsbild nachhaltig zerstört und die Lebensqualität beeinträchtigt sehen und die den Wertverlust ihres Eigentums befürchten. Es sind Menschen, die aus den vorab genannten Gründen keine Monstermasten mit einer Höhe von mehr als 70 m in der Landschaft wollen. Ich will Ihnen das mal exemplarisch zeigen, weil die Proportionen stimmen.

Sie sehen hier ein Bild aus unserer Region. Viele von Ihnen kennen den Bad Gandersheimer Dom mit seinem Westwerk. Dieses Bauwerk ist 36 m hoch. Die in das Bild eingefügten Masten entsprechen den 70 m bzw. 72 m. Wer den Protest vor Ort erlebt hat, Herr Grascha, Herr Schostok, der weiß, welche Ängste da bestehen. Diese Ängste, meine

Damen und Herren, sind nicht unbegründet, und wir sollten sie zusammen außerordentlich ernst nehmen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich sage das ganz klar: Hier geht es für uns nicht um das Spielchen „Regierung und Opposition“. Bei uns im Landkreis - das gilt für fast alle anderen Bereiche entlang der Strecke - unterstützen alle Parteien durch Beschlüsse und Resolutionen in den Kreistagen und in den Gemeindegremien die von uns hier eingebrachten Punkte und damit die Bemühungen der Bürgerinitiativen. Dort sammeln sich immer mehr Bürgerinnen und Bürger aus allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen, aus den Verbänden und aus den Kirchen.

Der für das christliche Besinnungswort am Wochenende bei uns zuständige Pfarrer schrieb in der Ausgabe der Samstagszeitung - ich zitiere -:

„Arme Politik, die sich und uns alle so den Stromnetzbetreibern und Profiteuren ausliefert. Das Gesetz soll dem Menschen dienen und nicht der Mensch dem Gesetz.“

Meine Damen und Herren, das ist das Stimmungsbild einer Region, das hier durch den Pfarrer wiedergegeben wird.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN sowie Zustimmung bei den GRÜNEN - Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, 24 Fernleitungen sind im „vordringlichen Bedarf“ bis 2015 geplant. Niedersachsen ist mit 400 km schon am Anfang außerordentlich stark betroffen. Deshalb müssen wir bei diesem Verfahrensstand auch für die Zukunft ein deutliches Signal setzen, und zwar gemeinsam. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten dies zu Recht von uns.

Weil nächste Woche die Einspruchsfrist abläuft, beantrage ich sofortige Abstimmung über unseren Antrag. Ich hoffe, wir kriegen es hin klarzumachen: Wir machen nicht „Regierung und Opposition“, wir versuchen, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger mit unseren Möglichkeiten so schnell wie möglich zu unterstützen und das Verfahren an dieser Stelle so richtig auf den Weg zu bringen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und bei der LINKEN sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Schwarz. - Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau König zu Wort gemeldet. - Die Besucherinnen und Besucher haben es eben durch den Saaldiener schon gehört - dafür ein Dankeschön - und wissen es jetzt, Beifallsbekundungen oder Buhrufe sind nicht gestattet. Darauf wollte ich nur noch einmal hinweisen.

Frau König, bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE begrüßt die Energiegewinnung aus Windkraftanlagen. Der Antrag der SPD-Fraktion zeigt aber nicht auf, dass es nur zum Teil um Weiterleitung der gewonnenen Energie aus den Offshore-Parks in der Nordsee geht, die zum Verbraucher fließen soll. Die Hochleistungstrasse wird für den gesamten Energiemix benötigt.

(Heinz Rolfes [CDU]: Muss es ja auch! Geht ja gar nicht anders!)

Niedersachsen ist das Bundesland, das große Lasten der Energieversorgung trägt. Wir haben die Atommülllagerung im Wendland und müssen nun einen Weg finden, wie die Energie aus Niedersachsen weitergeleitet wird, ohne Menschen, Umwelt, Landwirtschaft und Tourismus zu schaden. Das ist ein Problem, das angegangen werden muss. Darin sind sich alle einig. Aber über den Weg - Erdverkabelung oder Freiluftleitung - wird noch gestritten.

Das Thema Erdverkabelung war am Ende der 15. Legislaturperiode hier im Haus Thema, angeheizt durch Wahlkampfstimmung. Zum Glück sind wir ja nun mitten in der Legislaturperiode, und diese Debatte kann hoffentlich sachlich geführt werden. Das verlangen die Bürgerinnen und Bürger vor Ort von uns.

Das Gesetz, das damals mit der Mehrheit von FDP und CDU beschlossen wurde, hat einen denkbar schmalen Rechtskorridor, und die Möglichkeiten, die Erdverkabelung durchzusetzen, sind gering. Ob diese nun durch das Energieleitungsausbaugesetz des Bundes ausgehebelt sind, muss geprüft werden.

Für die Trasse von Wahle nach Mecklar wurde im Mai das Raumordnungsverfahren eingeleitet. Die Trasse soll entlang der A7 entstehen. Die Abstandsregelungen zu den Ansiedelungen werden eingehalten, aber die Belange von Umwelt, Landwirtschaft und Tourismus bleiben außer Acht. Die Möglichkeit, das Pilotprojekt Erdverkabelung anzugehen, so wie es im Bundesgesetz vorgesehen ist, kommt in der Antragstellung überhaupt nicht zum Tragen.

Hier müssen auch einmal Ross und Reiter genannt werden. Welche Gründe gibt es, die Freiluftleitung anzustreben? Wie hoch sind die Kosten der Erdverkabelung, wie hoch sind die Kosten der Freiluftleitungen? Darf nicht nur auf die Herstellungskosten geguckt werden, sondern muss nicht vielmehr auch die Wirtschaftlichkeit auf lange Jahre eingerechnet werden?

Das sind die Knackpunkte. Zudem darf der Kostenfaktor nicht zulasten von Natur, Umwelt und Menschen gehen. Hier rächt es sich wieder einmal, dass öffentliche Daseinsfürsorge - dazu gehört die Energie - in Händen von Konzernen liegt und mit den Netzen Gewinne gemacht werden sollen.

Am 3. August dieses Jahres hat dazu - das wurde eben schon von Herrn Schwarz erwähnt - in Bad Gandersheim eine Podiumsdiskussion stattgefunden. Ich zitiere dazu Herrn Grascha: Wir sind auf ein ordentliches Landschaftsbild angewiesen. Das muss berücksichtigt werden.

(Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Es ist nicht einzusehen, warum der Vorhabenträger von der Möglichkeit des Pilotprojekts keinen Gebrauch macht. - Herr Grascha, da nehmen wir Sie beim Wort.

(Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE] - Zuruf von der SPD: Seid ihr nun dafür oder dagegen?)

Auch das Landvolk, vertreten durch den Geschäftsführer, äußerte sich enttäuscht darüber, dass man sich über die Gesetze hinwegsetzt und die Erdverkabelung als zusätzliche Variante überhaupt nicht in Betracht kommt.

Ich war vor Ort im Landkreis Northeim und habe mich informiert.

Herr Schwarz, das ist auch noch eine interessante Frage an Sie: Wenn die Trasse entlang der A7 entsteht, was wird dann mit der unberührten Landschaft, mit der anliegenden Seenplatte? - Dort ist

der Bau eines Krankenhauses von Helios geplant. Wenn ich schadenfroh wäre, würde ich jetzt sagen: Hier beißen sich die Interessen der Konzerne. Denn wer will schon in einem Krankenhaus genesen, das so dicht an dieser Trasse liegt?

(Zuruf von der SPD)

Betrachten wir uns den Ort Bad Gandersheim. - Leerstehende Geschäfte, rückläufige Übernachtungszahlen. Attraktion ist der Dom. Sollen hier wirklich Masten zweimal so hoch wie die Stiftskirche gen Himmel ragen? - Die Stadt ist auf Tourismus angewiesen, und auch mancher Kurgast möchte dort nicht genesen.

Hier gilt die Sorge dem ländlichen Raum. Wir können es nicht hinnehmen, dass diese Region weiterhin so belastet wird. Deshalb haben sich auch alle Ratsmitglieder der Stadt Bad Gandersheim letzte Woche wieder gegen diese Erdverkabelung ausgesprochen - auch unsere Fraktion.

Kommunalpolitiker werden durch diesen Privatisierungswahnsinn in ihren Entscheidungen ausgehebelt. Deshalb ist es für uns, meine Damen und Herren, selbstverständlich: Wir werden dem Antrag der SPD heute zustimmen. Es wird Zeit, Handeln ist geboten.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank. - Herr Kollege Schwarz erhält für eineinhalb Minuten das Wort für eine Kurzintervention. Bitte schön.