Protocol of the Session on August 18, 2010

Meine Damen und Herren, für die FDP-Fraktion hat sich der Kollege Dr. Hocker zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich bin der Grünen-Fraktion für ihre Große Anfrage sehr dankbar; denn sie gibt nicht nur der Landesregierung, sondern auch den sie tragenden Fraktionen die Chance darzustellen, welche Erfolge unser liberal geführtes Ministerium bei dem Schutz unserer Nordsee in den vergangenen Jahren erreicht hat.

Ich möchte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums ausdrücklich dafür danken, dass sie so umfassend und so dezidiert geantwortet haben.

Nur zur Erinnerung: Noch im Jahre 1988, also kurz vor der Wende, haben jährlich etwa 160 000 t Stickstoff, knapp 10 000 t Phosphor, 124 t Blei, 112 t Arsen und zusätzlich 23 t Quecksilber die ehemalige deutsch-deutsche Grenze über die Elbe westwärts passiert und haben sich dann in der Nordsee als damaliger Schwermetallsenke abgelagert. Das ist in der Spiegel-Ausgabe 12/1988 nachzulesen.

Nach den jahrzehntelangen Umweltsünden des real praktizierten Sozialismus und der Bitterfeld’schen DDR hat sich die Wasserqualität der Elbe in den vergangenen zwei Jahrzehnten nach der Wende dramatisch verbessert, was natürlich unweigerlich zur Verbesserung der Wasserqualität in der Nordsee geführt hat.

Heutzutage sind ein wichtiger Aspekt - das ist richtig - der Schadstoffbelastung in der Nordsee die Schadstoffeinträge, aber auch die Schadstofffracht der drei großen niedersächsischen Flüsse Ems, Weser und Elbe. Die Stickstofffrachten von Elbe und Weser konnten während der vergangenen 20 Jahre ebenfalls drastisch gesenkt werden, und zwar um ganze 80 % bei der Elbe, und bei der Weser beläuft sich die Reduktion auf etwa 40 %. Ähnliches gilt für die Phosphorfrachten dieser Flüsse.

Darüber hinaus hat sich die Wasserqualität von Elbe und Weser insbesondere durch mehr und effizientere industrielle und kommunale Kläranlagen innerhalb und außerhalb Niedersachsens nachhaltig verbessert. Ich glaube, dass wir vor diesem Hintergrund in Niedersachsen mit Fug und Recht behaupten können, unsere Hausaufgaben hinsichtlich einer nachhaltigen Qualitätsverbesserung unserer Flüsse tatsächlich gemacht zu haben.

Aber alleine werden wir in Niedersachsen die weitere Qualitätsverbesserung des Nordseewassers nicht erreichen können. Das soll unsere auch künftige Verantwortung nicht schmälern. Aber bei den größten Zuflüssen der Nordsee handelt es sich eben nicht um unsere drei großen niedersächsischen Flüsse. Der Rhein und die Maas transportieren doppelt so viel Wasser in die Nordsee wie die drei niedersächsischen Flüsse Elbe, Weser und Ems zusammen, sodass die Qualität des Nordseewassers von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist. Auch die Strömungen und der Wasseraustausch mit Nordatlantik einerseits und Ostsee andererseits sind entscheidend für die Qualität des Nordseewassers, ebenso wie die Zuflüsse aus Großbritannien und Osteuropa.

Aber ich kann mich, lieber Herr Kollege Wenzel, nicht ganz des Eindrucks erwehren, dass es sich bei Ihrer Anfrage auch um ein kleines grünes Feigenblättchen handelt. Nachdem sich Ihre Fraktion in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder dafür stark gemacht hat, dass K+S endlich ihre Pipeline erhalten soll, mittels der sie ihre Rückstände aus der Kaliproduktion direkt und unmittelbar in unsere Nordsee einleiten kann, scheint die grüne Basis in Niedersachsen ein Placebo zu benötigen, um das ramponierte Image als Ökopartei wieder aufzupolieren.

(Zustimmung bei der FDP - Stefan Wenzel [GRÜNE] lacht)

Was liegt für Sie da näher, als sich einmal ganz ausführlich und öffentlich um den Zustand der Nordsee zu sorgen und eine solche Anfrage zu stellen? - Ich habe allerdings meine Zweifel, ob es tatsächlich ausreicht, eine Anfrage zu stellen, um in Ihren Kreis- und Ortsverbänden das Image als oberster Bewahrer unserer Nordsee zu erzeugen. Hierfür müssten Sie sich endlich von Ihrer Forderung nach einer Nordseepipeline verabschieden, die in unserem Weltnaturerbe Wattenmeer nichts, aber auch gar nichts verloren hat.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Lieber Herr Kollege Wenzel, nochmals herzlichen Dank für Ihre wohl ungewollte Steilvorlage, die es uns ermöglicht, die Erfolge unseres praxisorientierten Umweltschutzes vorstellen zu können,

(Dr. Manfred Sohn [LINKE] lacht)

frei nach dem Motto: Tue Gutes und sprich darüber!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die umfassende Antwort der Landesregierung und die Zahlen über sinkende Schadstoffeinträge in unsere Flüsse belegen, dass unser Umweltministerium unter Hans-Heinrich Sander maßgeblich zur Verbesserung der Wasserqualität unserer Flüsse beigetragen hat. Der Schutz der Nordsee und der Schutz unserer Flüsse sind bei uns in guten Händen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, nun werden wir hören, wie die Fraktion DIE LINKE die Situation beurteilt. Herr Kollege Herzog!

(Christian Dürr [FDP]: Herr Herzog sieht das doch ähnlich, so wie ich ihn kenne!)

Ich muss Sie leider enttäuschen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle zunächst einmal fest: Viele hier im Landtag scheint das Thema Meeresschutz nicht zu interessieren.

In der Antwort der Landesregierung wird einmal mehr eines überdeutlich: Es gibt eine theoretische Ebene, auf der Notwendigkeiten klar benannt werden, und es gibt eine praktische.

(Zuruf von Heinz Rolfes [CDU])

Die praktische Ebene, Herr Rolfes, besteht aus dieser fatalen Mischung aus einem Leugnen von Fakten, Verdrängen, Gesundbeten und sich Verstecken hinter nicht vorhandenen Normen. Eine Vielzahl von Gremien, Arbeitsgruppen und Kommissionen verzögert die dringend gebotene energische Umsetzung von Zielen. Die werden vielleicht noch formuliert, wie das Ein-GenerationenPrinzip. Eine Verordnung jagt die andere. Trotzdem einigt man sich nicht auf eine Bezugsgröße,

was denn nun eigentlich guter Zustand ist. Das alles erinnert mich fatal an den gescheiterten Klimagipfel von Kopenhagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Richtig schreibt die Landesregierung, die Nordsee ist eine Schadstoffsenke mit massenhaft toxischen Algen. Oder: Die Belastung liegt erheblich über dem natürlichen und verträglichen Zustand. Sie bekennt sich zum Verursacherprinzip und bezeichnet die Landwirtschaft als den wesentlichen Nährstoffemittenten. Sie fordert selbst eine integrierte Meerespolitik und benennt sogar notwendige Maßnahmen in der Landwirtschaft, um den stagnierenden Minderungsprozess der Schadstoffe voranzutreiben: Begrünung, Verzicht auf Bodenbearbeitung, ökologische Anbauverfahren, Renaturierung, Wiedervernässung oder extensive Grünlandbewirtschaftung. Sie gibt auf Seite 21 unumwunden zu, dass alle Verordnungen und Fördervoraussetzungen nicht ausreichen, um die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie zu erfüllen.

Aber dann: Trotz der Feststellung einer schweren Eutrophierung, also der Überdüngung der Küstengewässer und der damit einhergehenden Algenbildung, dem Sauerstoffmangel und der Verdunklung, was dann zu einem Massensterben der Bodenorganismen führen kann, trotz der wissenschaftlichen Feststellung, dass die bisherige Abnahme von Stickstoff um 39 % keinerlei Rückgang des Algenwachstums erbrachte, trotz dieses Resümees des Scheiterns bekennt sich die Landesregierung zigfach zum Prinzip der Freiwilligkeit, zu einem Maßnahmenprogramm mit dem Charakter eines Angebots.

Zielgerichtet ist etwas anderes. Dies hier ist das Eingeständnis Ihrer gescheiterten Umweltpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Kein Wort gegen intensivste Massentierhaltung! Der gekippte Gewässerrandstreifen wird hoch gelobt. Der vorher propagierten naturnahen Gewässergestaltung zur Steigerung der Selbstreinigungskraft wird in der Praxis an Elbe, Weser und Ems diametral entgegengearbeitet, anstatt endlich zu einem flächendeckenden systematischen Stoffstrommanagement überzugehen, wie wir es in unserem Antrag fordern.

Oft bleiben Sie in Ihren Ausführungen geforderte Antworten komplett schuldig. Sie vermeiden unpopuläre Bewertungen. Eine niedersächsische Klimaschutzstrategie fehlt völlig.

Da, wo Überschreitungen von Normwerten zugegeben werden müssen, muss dann jahrelang verifiziert und bestätigt werden, bevor man träge an Überlegungen für die Ursachenforschung herangeht. Dabei liegen die Ursachen klar auf der Hand: Von 1990 bis 2002 haben die Nordseeanrainer die Stickstoffeinleitung auf 1,2 Millionen t pro Jahr um satte 16 % gesteigert. Da gab es die Empfehlung der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser für einen Stickstoffoberwert. Aber der war dann - wie es so schön heißt - nicht mehrheitsfähig. - Kopenhagen, ich höre dich grüßen!

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Die niedersächsische Position wird an dieser Stelle schamhaft verschwiegen. Da, wo gar nichts mehr hilft, bezeichnet die Landesregierung der ruhigen Hand kurzerhand die Normwerte für unangemessen hoch, wie z. B. beim Quecksilber. Meine Damen und Herren, die Pufferkapazitäten der Flüsse, der Sedimente, des Grundwassers sind erschöpft. Was jahrzehntelang gedankenlos in sie hineingepumpt wurde, kann nicht in 20 Jahren verschwinden. Mich macht es wütend, weil dieses Prinzip des Verdünnens, Aufschiebens, Ignorierens immer dasselbe ist. Das ist beim Meeresschutz genauso wie bei der atomaren Endlagerung.

(Martin Bäumer [CDU]: Jetzt kommt das wieder!)

Sie handeln so, Herr Bäumer, wie es der zuständige Dezernent in meiner Kreisverwaltung bezüglich des zunehmenden Nitratgehalts im Grundwasser einmal ausdrückte: Ja, das Phänomen ist da, aber wir halten uns doch an das Wassergesetz!

Wärmeeinleitung bewerten Sie schnell als unproblematisch - Feuer frei für die Kohlekraft an Niedersachsens Küsten und Flüssen mit all ihren schädlichen Emissionen und Einträgen trotz naturunverträglicher Wärmelastpläne, die jedes Jahr an ihre Grenzen stoßen.

Dabei benennen Sie die wesentlichen Verursacher nicht, wie Müllverbrennung, Massentierhaltung, schiffsbedingte Bauwerke und Flussvertiefungen. Ebenso wenig beziehen Sie verstärkende Wechselwirkungen mit ein.

Es werden Jahrzehnte gebraucht, um einen Stoff zu verbieten. In dieser Zeit werden Tausende Stoffe neu in Umlauf gebracht. Den zweifelhaften Errungenschaften der westlich-industriellen Lebensweise laufen Sie morgen in zig Gremien erfolglos

hinterher. Der Hydra wachsen die Köpfe immer schneller nach.

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Bit- terfeld lässt grüßen!)

Bunter, weiter, höherer Ertrag, Herr Langspecht, und vor allem immer mehr Wachstum. „Wir wissen nicht, was es bringt, aber wir setzen auf Freiwilligkeit“, sagt die Landesregierung, und auf Stellenabbau beim NLWKN - niedersächsisch erdverwachsen.

Das trägeste System bei der Schadstoffbekämpfung ist nicht die Natur. Es ist die zögerliche klientelschonende Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Nahrungsketten sind geduldig, aber unerbittlich. Aber der Mensch wird ja sowieso zu alt, und es bleibt dabei: Ihr Vorgehen entspricht immer noch dem Motto „Nach uns die Sintflut“.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Rakow das Wort. Bitte, Frau Rakow, Sie haben das Wort.