Protocol of the Session on March 17, 2010

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frauen in dieser Situation dürfen nicht zum Spielball ungeklärter Zuständigkeitsfragen werden. Sauber und pragmatisch wäre es, die Empfängnisverhütung mit höheren Regelsätzen im SGB II und im SGB XII abzudecken oder einen Anspruch auf eine einmalige Beihilfe festzusetzen. Dies sollte Grundlage der Ausschussdiskussion sein. Niedersachsen sollte sich der Bundesratsinitiative wie Bremen und Mecklenburg-Vorpommern anschließen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Twesten. - Nun hat für die SPD-Fraktion Frau Tiemann das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland ist 2009 auf den niedrigsten Stand seit der Neuregelung im Jahr 1996 gesunken. Aber über 100 000 Frauen - ganz genau: 110 700 Frauen - brachen 2009 eine Schwangerschaft ab. Das sind 3,3 % oder, in absoluten Zahlen ausgedrückt, 3 800 Frauen weniger als 2008. Wie viele von diesen Frauen Empfängerinnen von Arbeitslosen

geld II oder Sozialhilfe sind, wird in der Bundesstatistik über Schwangerschaftsabbrüche nicht erhoben.

Nach den Aussagen der Konfliktberatungsstellen wurden in den letzten Jahren aber vermehrt ungewollt schwanger gewordene Frauen beraten, die von Arbeitslosengeld II oder von der Sozialhilfe leben. Als Grund gaben die Frauen an - das haben wir auch heute schon mehrfach gehört -, von dem knapp bemessenen Geld seien keine sicheren Verhütungsmittel zu bezahlen. Das spiegelt sich auch in der Untersuchung der Beratungsstelle pro familia in Köln wider.

Jeder Mensch - egal, ob arm oder reich - hat das Recht auf Verhütung. Das fordert der Verein Frauenwürde e. V. in Köln. Mit dieser Forderung steht der Verein nicht allein. Der Landesfrauenrat Niedersachsen und die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen in Niedersachsen fordern ebenso eine Gesetzesänderung, die die Übernahme der Kosten für Verhütungsmittel regelt. Unterstützt wird diese Forderung durch eine Pilotstudie der Universität Merseburg. In dieser Studie wird deutlich, dass die Frauen oftmals auf billigere und weniger sichere Verhütungsmethoden zurückgreifen, wenn das Geld fehlt.

Nun haben schon einige Kommunen und Städte - Herr Humke-Focks hat das bereits ausgeführt - den dringenden Handlungsbedarf gesehen und selber gehandelt, so z. B. die Stadt Bonn, die 36 000 Euro zur Verfügung gestellt hat. Diese Projekte zur Kostenübernahme wurden ins Leben gerufen, jedoch ohne verbindliche Rechtsgrundlage und damit auch ohne Rechtsanspruch der betroffenen Menschen; denn weder im SGB II noch im SGB XII gibt es eine Rechtsgrundlage zur Übernahme der Kosten.

Zurzeit zahlen die Kassen - das hat Herr HumkeFocks auch schon betont - die Kosten für verschreibungspflichtige Verhütungsmittel nur bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres. Wir halten die Nichterstattung der Kosten für Verhütungsmittel für einen tiefgreifenden Einschnitt in die Lebensbedingungen einkommensschwacher Bürgerinnen und Bürger, die bewusste Familienplanung betreiben wollen oder müssen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Schwangerschaftsabbruch ist zu Recht keine Form von Verhütung, ganz zu schweigen von den Risiken, die für die einzelne Frau damit verbunden

sind. Dass der Schwangerschaftsabbruch von der Krankenkasse bezahlt wird - er kostet bis zu 450 Euro -, ist eigentlich paradox. Die solidarische Gemeinschaft finanziert die Folgen, aber nimmt kein Geld in die Hand, damit es erst gar nicht so weit kommt.

Eines möchte ich an dieser Stelle noch einmal deutlich machen: Das von der Frauenbewegung hart erkämpfte Recht der Frauen, eigenverantwortlich über die Austragung einer Schwangerschaft entscheiden zu können, ist unantastbar, und das muss auch so bleiben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Um das Risiko ungewollter Schwangerschaften zu vermindern und Frauen unabhängig von ihrer finanziellen Situation die für sie verträglichste und passendste Verhütungsmethode anbieten zu können, sind gesetzliche Änderungen und Nachbesserungen unbedingt nötig. Frauen und Männer haben ein Recht auf die bestmögliche Versorgung im Bereich der Familienplanung, und das darf nicht vom Geldbeutel abhängen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Vom Grundsatz her befürworten wir den Antrag der Links-Fraktion. Wir werden uns allerdings im Einzelnen noch mit der Frage auseinandersetzen müssen, welcher Träger die Kosten übernehmen soll. Es ist fraglich, ob die Finanzierung über die Krankenkassen, über die Sozialhilfe oder als ausgewiesener Sonderbedarf erfolgen soll. Nach unserer Auffassung sind die Leistungsträger nach dem SGB II und dem SGB XII vorrangig leistungspflichtig und nicht die Krankenkassen. Eines kann ich schon vorausschicken: Diese Finanzierung darf nicht zulasten der ohnehin gebeutelten Kommunen gehen.

Im Übrigen gab es - auch das wurde bereits erwähnt - schon in anderen Bundesländern entsprechende Initiativen. Ziel der anstehenden Beratung über den hier vorliegenden Entschließungsantrag muss sein, das sicherzustellen, was die Vereinten Nationen bereits auf ihrer Konferenz in Kairo 1994 formuliert haben: Frauen und Männer müssen einen Zugang zu sicheren, erschwinglichen und akzeptablen Familienplanungsmethoden ihrer Wahl haben.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Tiemann. - Für die CDU-Fraktion hat Frau Pieper das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns liegt hier der Antrag der Linken zu kostenlosen Kontrazeptiva vor. Alle meine Vorredner haben dazu schon einige Ausführungen gemacht. Vom Grundsatz her teilen wir Ihre Auffassung, dass niemand mehr ungewollt schwanger werden sollte und niemand mehr ungewollt schwanger werden muss. Wir teilen auch den Grundsatz, dass ein Schwangerschaftsabbruch immer die schlechteste Form ist. Jeder Schwangerschaftsabbruch ist einer zu viel.

Wir teilen auch Ihre Auffassung, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den SGB-II-Regelsätzen nachgebessert werden muss, aber - dazu beziehe ich mich auf die Ausführungen des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Papier - eine Anhebung der Regelsätze ist damit nicht gemeint; denn die Regelleistungen sind nach dem Urteil nicht evident unzureichend. Das müssen wir im Auge behalten.

Bemängelt wurde vom Bundesverfassungsgericht auch, dass mit den bisherigen Berechnungsverfahren nicht sichergestellt werden kann, dass mit den Sozialleistungen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gesichert wird. Das Gericht sagt, das Existenzminimum müsse auch eine Mindestteilnahme von Leistungsempfängerinnen und -empfängern am gesellschaftlichen Leben berücksichtigen, und die Leistungen müssten auf Grundlage verlässlicher Zahlen und tragfähiger Berechnungen erbracht werden. Schätzungen ins Blaue hinein seien verfassungswidrig.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Hans-Henning Adler [LINKE])

Dies wird zurzeit überprüft und im Sinne einer gerechten Leistungsberechnung korrigiert.

Nun zurück zu Ihrem Antrag: In den Punkten 1 und 2 fordern Sie eine Erweiterung des § 24 a SGB V und eine grundsätzliche Kostenübernahme für alle Kontrazeptiva durch die Krankenkassen. Okay. Dazu müssen wir beraten. Aber wir müssen, bitte schön, auch berücksichtigen, dass es sich bei der Empfängnisverhütung nicht um die Behandlung

oder Verhinderung einer Krankheit handelt, sondern dass sie vielmehr dem Bereich der persönlichen Lebensführung zuzuordnen ist und damit als gesamtgesellschaftlich wünschenswerte Leistung z. B. aus Steuermitteln finanziert werden müsste. Darüber kann man ja diskutieren.

Punkt 3: Bürgerversicherung. Das Bundeskabinett hat mit Beschluss vom 24. Februar 2010 die im Koalitionsvertrag vorgesehene Regierungskommission zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung des Gesundheitswesens eingesetzt. Diese Regierungskommission wird Eckpunkte erarbeiten, und die ersten Ergebnisse sollen im Juli dieses Jahres vorliegen. Diese Ergebnisse sollten wir auf jeden Fall abwarten, um dann zu schauen, was wir länderseitig vielleicht zusätzlich leisten können.

Punkt 4: finanzielle Anreize. Grundsätzlich ist denkbar, dass die Kosten für empfängnisverhütende Mittel von den örtlichen Trägern der Sozialhilfe übernommen und als Aufwendungen im Sinne des Quotalen Systems abgewickelt werden können. Jedoch müssen wir in der Beratung auch die angespannte Haushaltslage in Betracht ziehen. Damit man einmal eine Größenordnung für Niedersachsen hat: Wir sprechen dann über zusätzliche Mittel in Höhe von 3,5 Millionen Euro für das Land Niedersachsen.

Dennoch - da möchte ich noch einmal auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurückkommen - hat das Bundesministerium nach dem Urteil bereits reagiert; denn ab sofort können SGB-II-Empfänger in Ausnahmefällen - das haben Sie schon dargestellt - einen besonderen Bedarf geltend machen, der durch die bisherigen Zahlungen nicht gedeckt wird. Es gibt dazu einen Katalog für die Grundsicherungsstellen. Dort können sie etwa folgende Aufwendungen geltend machen: nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, Putz- oder Haushaltshilfen für Rollstuhlfahrer, Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechtes, Kosten für Nachhilfe usw. Diese Aufzählung ist nicht abschließend.

Mein Plädoyer: Diesen Antrag sollten wir im Fachausschuss wirklich in Ruhe beraten.

Abschließend sei bemerkt, dass die Kosten für die Empfängnisverhütung im Monat durchschnittlich, je nach verwendetem Produkt, zwischen 4 und 16 Euro bzw. maximal 20 Euro betragen. Wir reden also über Kosten von 12 Cent bis 64 Cent pro Tag. Wir müssen aber auch bedenken, dass es im SGB II auch einen Grundbetrag gibt, der auf die

Gesundheitspflege angerechnet werden kann, in Höhe von 13,80 Euro monatlich. Auch dies müssen wir in der Abwägung berücksichtigen und generell beraten.

Auch ich finde es richtig, dass wir prüfen, wie wir unsere Frauen weiterhin schützen. Ich finde es auch richtig - auch das ist hier schon gesagt worden -, dass wir zu diesem Thema sowohl die Seite der Frauen als auch die Seite der Männer betrachten müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich gehe davon aus, dass wir im Ausschuss Antworten finden und dementsprechend auch miteinander beraten werden.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank. - Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Riese. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Antragstellerin möchte Empfängnisverhütungsmittel für Frauen und Männer in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufnehmen, wenn auch unter der Nebenbedingung, dass die Empfänger dieser besonderen Leistung ein geringes Einkommen haben sollen. Die Antragstellerin beschränkt sich dabei nicht auf die Empfänger von Grundsicherung, sondern beschreibt ausdrücklich, dass auch Empfänger vergleichbar niedriger Einkommen von dieser Leistung erfasst werden sollten. Meiner vorsichtigen Schätzung nach - verlässliche Daten liegen nicht vor, jedenfalls mir nicht - kämen dabei für Niedersachsen zweistellige Millionenbeträge und für die Bundesrepublik demzufolge dreistellige Millionenbeträge zusammen.

Meine Damen und Herren, in der Diskussion über diesen Antrag werden wir uns erneut der Frage zuwenden müssen, ob Familienplanung grundsätzlich eine private oder staatliche Aufgabe sei. Gegenwärtig jedenfalls ist die Familienplanung meiner Auffassung nach nicht vorrangige Landesaufgabe. Deswegen haben einige Kommunen - die Antragstellerin nennt Flensburg; Frau Tiemann hat hier Bonn in die Debatte eingeführt - die Kosten freiwillig übernommen. Wenn ich hier noch einmal höre, dass Frau Tiemann von gebeutelten Kommunen spricht, dann will ich Ihnen gar nicht widersprechen. Aber wenn ich in den Landeshaushalt

schaue, dann würde ich sagen: Auch das Bundesland Niedersachsen kann sich mit Fug und Recht als gebeutelt betrachten, was die finanziellen Verhältnisse angeht.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Dazu hat die FDP kräftig beigetragen!)

Zur Klärung der Frage, meine Damen und Herren, welche Bezieherinnen und Bezieher niedriger Einkommen von dieser Leistung erfasst werden sollten, werden zahlreiche Bewertungen und Abgrenzungen erforderlich, die zu umfänglicher gerichtlicher Klärung und in der Folge zur Notwendigkeit neuer, bürokratielastiger Vorschriften führen.

Ich nehme an, meine Damen und Herren, dass die Voraussetzungen in der Begründung dieses Antrags von vornherein falsch sind. Ich glaube, es war Frau Tiemann, die schon darauf hingewiesen hat, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland - auch in Niedersachsen - in den vergangenen Jahren beobachtbar zurückgeht. Für Niedersachsen nenne ich die Zahlen für 2007 und 2008; neuere liegen uns noch nicht abschließend vor. In dieser Zeit ist in Niedersachsen die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche um 263 auf immer noch 9 734 im Jahre 2008 zurückgegangen. Wenn ich das mathematisch richtig drauf habe, Frau Tiemann, dann liegen wir dabei im Lande Niedersachsen vom Anteil her unter dem Königsteiner Schlüssel; aber das können wir ja später noch einmal nachvollziehen.

Richtig erkannt hat die Antragstellerin, dass die Empfängnisverhütung nicht alleine Aufgabe der Frau sein kann, weil eine Empfängnis zumindest meiner Erkenntnis nach nur stattfinden kann, wenn zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts den Geschlechtsverkehr miteinander ausüben

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Mit einer Ausnahme! - Gegenruf von Björn Thümler [CDU]: Hier oder woanders? - Ursula Helmhold [GRÜNE]: In Beth- lehem!)

und nicht verhütet worden ist.