(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Sucht euch doch eines von beiden aus!)
Herzlichen Dank. - Zu einer Kurzintervention auf Sie, Herr Kollege Riese, hat sich Frau Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Anderthalb Minuten!
Lieber Herr Riese, ich wusste wirklich nicht, dass Ihre Krawallschwelle so niedrig ist, dass Sie mich eben in meiner Rede als krawallig empfunden haben. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn ich mir angucke, was Ihr Vorsitzender die letzten Tage so abgelassen hat, dann finde ich, dass das schon eher Krawall gewesen ist.
Ich habe mich aber nicht wegen Ihrer Empfindsamkeit gemeldet, sondern weil ich Sie fragen möchte, wie Sie den Menschen helfen wollen, die in Deutschland in Armut leben, beispielsweise denjenigen Menschen, für die es unerschwinglich ist, mit ihren Kindern einmal in den Zoo zu gehen oder sie auf eine eintägige Klassenfahrt zu schicken, also alle diese Dinge, die etwas mit Teilhabe an der Gesellschaft zu tun haben.
Sie können doch nicht sagen: Woanders schläft jemand unter der Brücke und erfriert. - Allerdings sind diese Menschen meistens psychisch krank. Deswegen sind sie Hilfesystemen gegenüber nicht zugänglich.
Sie können doch nicht so tun, als ob wir die Armut bei uns mit dem vergleichen könnten, was in Tahiti, in der Sahelzone oder sonst wo passiert. Wir sprechen hier von Teilhabe, von einem soziokulturellen
Existenzminimum. So gesehen stimmt das, was in Armutsstatistiken steht. Dabei geht es darum, wie im Verhältnis zu unserer Gesellschaft Menschen an dem Leben, das wir als normal empfinden, teilhaben können. Ich finde, diesen Armutsbegriff sollten Sie hier nicht wegdiskutieren.
Liebe Frau Helmhold, das war in der Tat nicht krawallig. Mir ist bislang keine gesicherte und wissenschaftlich allgemein anerkannte Definition eines soziokulturellen Existenzminimums bekannt. Es geht dabei durchaus um politische Definitionen. Es ist gar keine Frage, dass die Beispiele, die Sie anführen, uns nachdenklich machen müssen. Trotzdem ist die Diskussion, die Sie führen, schwierig, weil man sich immer wieder über Grenzen unterhalten muss. Das werden wir in aller Unaufgeregtheit und Ruhe tun. Ich glaube, dass wir uns auch mit der von Herrn Humke-Focks angesprochenen Frage der Qualität der Sozialberichterstattung wirklich sehr ernsthaft auseinandersetzen müssen. So müssen wir z. B. fragen, ob uns allein Zahlen helfen oder ob wir auch noch auf den Inhalt zu sprechen kommen müssen. Es gibt diesbezüglich sicherlich kluge Ansätze. Im Ausschuss werden wir darüber sprechen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin davon überzeugt, dass wir alle Armut nicht hinnehmen wollen und es unser aller erklärtes Ziel ist, Armut zu bekämpfen. Gerade deshalb - das haben auch die Vorreden gezeigt - ist es aber wichtig, dass wir Armut definieren, damit wir wissen, wovon wir reden. Ich zitiere:
„Weder die Wahl eines bestimmten Prozentsatzes vom Durchschnittseinkommen zur Bestimmung relativer Armut noch die Bestimmung eines
Nehmen wir ein konkretes Beispiel. Groß Schwülper mit 7 000 Einwohnern bei Braunschweig bekam einen neuen Bürger, nämlich Dr. Ferdinand Piëch. Wie wir alle wissen, ist das kein ganz armer Mann. Durch seinen Zuzug erhöhte sich das Durchschnittseinkommen in Schwülper. Damit ist, rein statistisch gesehen, die Zahl der Armen in Schwülper gewachsen, ohne dass die Schwülperaner im Übrigen einen Cent weniger in der Tasche gehabt hätten. Als der wohlhabende Mann wieder wegzog, hatte Schwülper wieder weniger arme Bürgerinnen und Bürger, also mehr reiche Bürgerinnen und Bürger. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns verständigen, worüber wir wirklich reden.
Dies vorangestellt, widerspreche ich der Behauptung, die Armutsquote stagniere oder sie sei gar gestiegen. Ich verweise auf den letzten Absatz in der Beantwortung der Kleinen Anfrage zum Thema Armut in der Drs. 16/2051. Ich zitiere:
„Das Ausmaß der Armut hat von 2005 bis 2008 nicht zugenommen, sondern ist sogar leicht zurückgegangen. So nehmen alle drei ermittelten Armutsquoten (strenge Armut …, Armut …, Armutsgefährdung …) von 2005 zu 2006 … deutlich ab … Gleichzeitig nahm von 2005 bis 2007 die Quote der Reichen ab, sodass … in diesem Zeitraum die ‚Mittelschicht’ eher gestärkt wurde.“
Leider registrieren die Linken weder diese Antwort auf ihre Anfrage, noch akzeptieren sie die Komplexität des Armutsbegriffs.
Um Armut bekämpfen zu können, fordern die Antragsteller weitere Berichte und erwarten, dass unter Einsetzung eines Expertenteams noch mehr Daten erhoben werden. Erstens wissen wir aber, dass das Landesamt für Statistik seit 1998 einen
Armuts- und Reichtumsbericht vorlegt. Mein ausdrücklicher Dank gilt Herrn Professor Eichhorn und seinen Mitarbeitern, die uns seit fast zehn Jahren verlässliche Daten liefern, und zwar nicht nur zur Entwicklung von Armut und Reichtum in Niedersachsen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, Ihre Kritik an dem vorgelegten Bericht, der ausweislich der ihm vorausgestellten Erläuterungen immer wieder den Gegebenheiten angepasst wird, und Ihr Misstrauen gegenüber diesem Bericht kann ich daher nicht nachvollziehen.
(Kreszentia Flauger [LINKE]: Nehmen Sie sich mal ein Beispiel an Herrn Riese! Er will wenigstens darüber re- den!)
Wir haben genug Berichte und Statistiken, Zahlen und Veröffentlichungen. Aus meiner Sicht kann es nur darum gehen, aus dem Vorhandenen die richtigen Schlüsse zu ziehen und in Maßnahmen umzusetzen.
Zweitens wird von der Landesregierung außerdem ein handlungsorientierter Sozialbericht erstellt, und zwar unter Einbeziehung der Kommunen, der Arbeitsgemeinschaften der freien Wohlfahrtspflege und der Familienverbände.
Drittens wird mit Unterstützung der Landesregierung in der Region Braunschweig mit der Hilfe der Diakonie sowie der Stiftung „Braunschweigischer Kulturbesitz“ ein regionaler Sozialbericht erstellt.
Alle drei Berichte werden selbstverständlich als Grundlage für Maßnahmenkataloge dienen, die eine zielgerichtete Bekämpfung von Armut ermöglichen sollen.
Statt abzuwarten und sich grundlegend mit diesen Sozialberichten zu befassen, nutzen Sie das Europäische Jahr zur Bekämpfung der Armut nur dazu, um Ihre alten Forderungen nach Mindestlohn wiederum in die Debatte einzubringen. Die Opposition sucht neue Einnahmequellen, z. B. durch Anhebung des Spitzensteuersatzes, die Erhöhung des Erbschaftsteueraufkommens, die Wiedereinführung der Vermögensteuer und anderes mehr.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Würde des Menschen ist aber nicht nur im Materiellen zu finden,
Wir müssen die Menschen in die Lage versetzen, sich selbst helfen zu können, damit sie aus der Empfängerlandschaft herauskommen. Dazu gehört, dass wir so ehrlich mit uns und unseren Sozialmaßnahmen und -leistungen umgehen, dass wir auch Ergebnisse und Wirkungen von Ausgaben hinterfragen. Wenn man das tut, weiß man, dass - um ein konkretes Beispiel herauszugreifen - 2009 in Braunschweig die Anzahl derjenigen, die HartzIV-Empfänger wurden, mit der Anzahl derjenigen, die die Hartz-IV-Förderung wieder verlassen konnten, vollkommen identisch ist. Ich finde, das ist ein gutes Signal, denn das zeigt, dass die Menschen wirklich bestrebt sind, die Empfängerlandschaft wieder zu verlassen.
Eine Studie des Roman-Herzog-Instituts belegt: Viele Bürgerinnen und Bürger glauben, die eigene Leistung würde sich gar nicht oder zumindest nicht in angemessener Weise auszahlen. Viele haben ihr Zukunftsvertrauen verloren. Ich zitiere:
Diese Aussage steht in den Diakonischen Zwischenrufen, Ausgabe 1/2009, und stammt von Herrn Dr. Becker. Ich finde, das ist es, was uns umtreiben muss. Wir müssen den Menschen helfen und ihnen Perspektiven geben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben finanziellen Zuwendungen, die die gesellschaftliche Teilhabe absichern sollen, ist Bildung ein wesentliches Element, um Arbeitsrisiken zu minimieren. Dabei kommt insbesondere der sprachlichen Förderung eine besondere Bedeutung zu, weil sie den Zugang zu unserer Gesellschaft schlechthin darstellt.
Gute Bildung eröffnet einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt. Die größte soziale Sicherheit resultiert aus Arbeit. Arbeit ermöglicht Unabhängigkeit. Zugegeben, um einer Tätigkeit nachgehen zu kön
nen, ist auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erforderlich. Wir brauchen Betreuungsplätze. Wenn man sachlich an dieses Thema herangeht, kann man feststellen, dass die Anzahl der Betreuungsplätze in Niedersachsen sowohl im Krippenbereich als auch bei den Ganztagsschulen enorm zugenommen hat. Die Behauptung der Grünen stimmt nicht, die Landesregierung würde hier zögerlich vorangehen. Diese Behauptung finde ich geradezu dreist,