Protocol of the Session on February 19, 2010

(Gabriela König [FDP]: Das kriegen Sie aber nicht hin bei dem Wachs- tum!)

20 Jahre nach dem Fall der Mauer ist die Einheit im Schienennetz noch lange nicht vollendet. Während das Straßennetz entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze vollständig wiederhergestellt und zum Teil auch ausgebaut wurde, liegt die Bahninfrastruktur zwischen Ost und West vielerorts brach. - So stand es in vielen Zeitungen im letzten Herbst zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls.

Meine Damen und Herren, nach der Wende wurde in Niedersachsen der Personen- und Güterverkehr nur auf drei Verbindungen - Uelzen–Stendal, Vienenburg–Stapelburg und Walkenried–Ellrich - in Betrieb genommen - auf drei Verbindungen! Und schlimmer noch: Die Anschlussbahnstrecken wurden zum Teil für den Neubau von Fernstraßen demontiert. Ein Beispiel ist der Verlauf der umstrittenen A 38 Göttingen–Halle. Der Straßenverkehr und dessen kaum gemindertes Wachstum werden hier als eine Art Naturgesetz dargestellt, quasi als Verwirklichung eines Menschenrechts auf Mobilität. Das kann es doch nicht sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN - Gabriela Kö- nig [FDP]: Versuchen Sie doch mal, eine neue Bahnstrecke zu bauen!)

- Ich würde ja gerne auf Ihren Zuruf eingehen, aber der Präsident wird mir dafür leider nicht mehr Redezeit zuteilen. Von daher verzichte ich jetzt darauf.

Ich nenne einige Vergleichszahlen: 1980 umfasste das Autobahnnetz auf dem Gebiet der beiden deutschen Staaten 9 225 km, 2007 waren es bereits 12 600 km. Das ist eine Steigerung von 37 %.

Doch wie sieht es im Vergleich dazu bei den Schienenwegen aus? - 1990 hatte das vereinte Schienennetz von Bundesbahn und Reichsbahn eine Länge von 41 000 km. Bis 1994, also bis zum Beginn der sogenannten Bahnreform, blieb die Netzlänge weitgehend konstant. Danach gab es drastische Einschnitte. Bis 2008 wurden fast 8 000 Schienenkilometer - das ist knapp ein Fünftel der Netzlänge - abgebaut. Es wurden Tausende Kilometer Neben- und Ausweichgleise abgebaut,

Zehntausende Weichen wurden aus dem Netz genommen.

Meine Damen und Herren, ein Umsteuern ist nötig, und zwar sofort und umfassend.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Enno Hagenah [GRÜNE])

Das noch vorhandene Bahnnetz in Niedersachsen muss daher rasch ausgebaut werden, damit wir diese Probleme lösen können. Auch der Ausbau des bestehenden Schienennetzes der privaten Strecken der Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe könnte ein wesentlicher Beitrag zur kurzfristigen Problemlösung sein. An den Hauptstrecken reicht es oft aus, die Überholgleise, auf denen Güterzüge von schnellen ICE-Zügen überholt werden können, zu verlängern. Nach EU-Vorgaben ist eine Zuglänge von 750 m zulässig. An vielen Stellen sind die Überholgleise ganz einfach zu kurz. Man könnte in diesem Bereich auch kurzfristige Maßnahmen ergreifen.

Meine Damen und Herren, lösen Sie sich von der Y-Trasse. Sie löst nicht die Probleme der Hafenwirtschaft, sondern bindet enorme Investitionsmittel, die den Seehäfen bei anderen Infrastrukturmaßnahmen sehr fehlen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Ausbau des bestehenden Bahnnetzes muss sofort beginnen, statt noch mehr Jahre für die Planung der unnötigen Y-Trasse zu vergeuden. Wir brauchen schnelle, preiswerte und wirkungsvolle Lösungen, um den Gütertransport auf der Schiene sicherzustellen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten - die Zeit reicht leider nicht aus, um sie alle darzustellen. Aber wir werden im Ausschuss hoffentlich die Möglichkeit haben, darüber zu diskutieren. Die Probleme müssen gelöst werden, und zwar schnell und ohne ideologische Hemmschwellen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Björn Thümler [CDU]: Wir haben keine!)

In diesem Fall ist Klotzen statt Kleckern angesagt. Ich wünsche mir, dass wir im Ausschuss die Alternativen konstruktiv beraten und die Probleme fraktionsübergreifend lösen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, es liegen noch zwei Wortmeldungen von den großen Fraktionen vor.

Wenn sich beide Redner etwas beschränken, dann wären wir wieder im Zeitplan. - Zunächst Herr Heineking, bitte!

(David McAllister [CDU]: Keine Be- schränkungen hier! - Gerd Ludwig Will [SPD]: Die Kleinen dürfen reden und die Großen nicht!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für Deutschland wird eine Zunahme der Güterverkehrsleistungen zwischen 2004 und 2025 um rund 70 % vorhergesagt. Besonders stark wird der Seehafenhinterlandverkehr zunehmen. Das Aufkommen wird voraussichtlich um rund 130 % - von 195 Millionen t auf rund 450 Millionen t - steigen. Voraussetzung für die Bewältigung der Güterverkehrsaufkommen ist die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten mit hoher Angebotsqualität. Die Y-Trasse gilt neben dem JadeWeserPort als wichtigstes Verkehrsprojekt Norddeutschlands und ist integraler Bestandteil eines umfassenden Konzeptes zur Hafenhinterlandanbindung.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Sie ist Teil der mit den norddeutschen Ministerpräsidenten verabredeten Ahrensburger Liste mit 19 prioritären Projekten. Die Bedeutung der Y-Trasse und die Bewältigung des prognostizierten Personen- und Güterverkehrsaufkommens konnte bereits im Rahmen der Arbeiten zum Bundesverkehrswegeplan 2003 nachgewiesen werden. Dabei hat sich gezeigt, dass die Neubaustrecke eine wesentliche Voraussetzung für die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten für den Schienengüterverkehr ist.

(Zustimmung bei der CDU)

Auch beim Güterverkehrswachstum erwartet die CDU-Landtagsfraktion eine deutliche Zunahme. Dies gilt insbesondere für den Zu- und Ablauf zu den Seehäfen. Durch die Fertigstellung der Ausbaumaßnahmen Stelle–Lüneburg und Oldenburg– Wilhelmshaven sowie die im Sofortprogramm Seehafenhinterlandverkehr vorgesehenen Maßnahmen wird eine Basis für die Bewältigung der prognostizierten Verkehre geschaffen. Über kurzfristig realisierbare Ausbaumaßnahmen, die speziell im Bereich der nicht bundeseigenen Eisenbahnen zusätzliche Infrastrukturkapazitäten schaffen können, gibt das DLR-Gutachten Auskunft. Deshalb hat unsere Landesregierung bereits gehandelt und

Maßnahmen eingeleitet, um den Knoten Bremen zu entlasten.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Für den Knoten Hamburg erwarten wir in Kürze die Ergebnisse einer Studie, die Aufschluss über Lösungsmöglichkeiten geben soll. Und wenn ich Hamburg sage, dann meine ich damit auch die Verantwortlichen in der Hansestadt; denn das Problem der Seehafenhinterlandverkehre kann nur gemeinsam von den norddeutschen Ländern und dem Bund gelöst werden. Dabei ist auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gefordert.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Die Frage der grenzübergreifenden Güterverkehrskorridore im Rahmen der transeuropäischen Verkehrsnetze kann nur europäisch beantwortet werden. Da hilft das Europapolitische Konzept der Landesregierung vom 1. Dezember 2009.

(Björn Thümler [CDU]: Hervorragend!)

Daraus möchte ich zum aktuellen Stand zu den transeuropäischen Verkehren zitieren:

„Für Niedersachsen ist das TEN-VProjekt Nr. 20, die Eisenbahnachse Fehmarnbelt, von Bedeutung. Diese Achse verbindet das skandinavische Verkehrsnetz ‚nordisches Dreieck’ über eine erweiterte Querung über den Öresund mit Hamburg und verläuft von dort aus in Form der sogenannten Y-Trasse als Eisenbahnverbindung nach Hannover und Bremen. Sie stellt damit ein wesentliches Element zur Vollendung der zentralen Nord-Süd-Achse zwischen Mitteleuropa und den nordischen Ländern dar. Über diese Strecke ist der JadeWeserPort in die transeuropäischen Verkehrsnetze eingebunden. Weiterhin soll die in Niedersachsen verlaufende ‚Küstenautobahn’ A 22 zur Aufnahme in die TEN-V angemeldet werden. Ziel ist die Beantragung von Fördermitteln für die laufende Planungsphase.“

Eine Notwendigkeit weiterer Gutachten, die Niedersachsen in Auftrag geben sollte, sehe ich zurzeit nicht. Was uns bei den Transportverkehren erwartet, das erahnen wir. Die Lösungsmöglichkeiten liegen im Großen und Ganzen auf dem Tisch.

Für die Umsetzung allerdings benötigen wir eine Menge Geld. Da helfen Gutachten wenig.

(Zustimmung bei der CDU)

Kurz und knapp: Das Y hat eine herausragende Bedeutung und muss gebaut werden. Die Auflösung des Knotens in Bremen ist auf gutem Weg. In Hamburg sind insbesondere auch die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gefragt, entsprechende Lösungen anzubieten und sie dann gemeinsam mit uns umzusetzen. CDU und FDP, aber auch SPD und Grüne tragen in Norddeutschland Verantwortung. Es muss gelingen, in Zukunft mehr Geld für norddeutsche Infrastruktur in den Bundeshaushalt einzustellen. Denn in der Vergangenheit hat man mit den Hafenhinterlandanbindungen in Rheinland-Pfalz und südlich davon begonnen. Jetzt gibt es in Berlin andere Vorzeichen. Deshalb sollten wir gemeinsam für unsere Ziele werben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt spricht Herr Will für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entschließungsantrag der Grünen greift ein wichtiges Thema der Sanierung und des Ausbaus der Schieneninfrastruktur in Niedersachsen auf. Trotz des wirtschaftlich bedingten derzeitigen Rückgangs beim Hafenumschlag ist gerade jetzt eine vorausschauende Planung weiterhin wichtig. Es ist prognostiziert und zu erwarten, dass die Transportmengen in den nächsten Jahren wieder ansteigen werden. Daher ist keine Zeit zu verlieren. Das gilt ausdrücklich auch für den Ausbau der Strecke Oldenburg–Wilhelmshaven wenigstens in der von der Bahn nun zugesagten Zeit.

Meine Damen und Herren, schon jetzt findet ein Wettbewerb im Güter- und Personenverkehr um knappe Schienenkapazitäten statt. Wird dieser Wettbewerb in den nächsten Jahren über den Preis ausgetragen, ist zu befürchten, dass es zu einem Verdrängungswettbewerb kommen wird und die Mobilität im SPNV leidet. Knappe Kapazitäten könnten dann auch zu Preisanstiegen führen, die die Wettbewerbserträge der vergangenen Jahre bei der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen gefährden würden. Mehr Kosten bei weniger Leistungen wären die Folge.

Eine Entwicklung, die zu einem Verdrängungswettbewerb zwischen Gütern und Menschen auf der Schiene führt, dürfen wir nicht zulassen. Die Beförderung von beidem, sowohl Gütern als auch Menschen, muss auch in Zukunft sichergestellt werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es darf auch nicht dazu kommen, dass vom Personenverkehr stark ausgelastete Strecken von der Bahn trotz notwendiger Sanierung vernachlässigt werden, wie es z. B. im Fahrgebiet der NordWestBahn in diesem Winter wieder deutlich geworden ist. Wichtig sind die länderübergreifende norddeutsche Initiative und ein zwischen den norddeutschen Ländern abgestimmtes Schienenverkehrskonzept sowohl für die Verkehrsnetze mit Hamburg und Bremen als auch für die Hafenhinterlandverkehre. Wir brauchen dringend die weitere Sanierung und den Ausbau des DB-Netzes in Niedersachsen. Darüber sind wir uns wohl alle einig.

In diesem Zusammenhang brauchen wir aber auch - jetzt muss ich leider doch auf eine Schwachstelle im Antrag der Grünen hinweisen - die zügige Planung und den Ausbau der Y-Trasse für den norddeutschen Raum. Güter- und Personenverkehr erhalten dadurch einen erheblichen Kapazitätszuwachs. Ein Zuwachs in dieser Form wäre bei keinem Ausbau vorhandener Strecken auch nur ansatzweise erreichbar. Von Vertretern der Bahn wurde immer wieder deutlich gemacht, dass diese zusätzlichen Kapazitäten Ende des Jahrzehnts zur Verfügung stehen müssen.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Welches Jahrzehnts?)

Sonst verlieren die norddeutschen Häfen im Zeitwettbewerb an die Straße oder auch an die norditalienische Konkurrenz. Auch darüber muss man hier sprechen.

Ein wichtiger Aspekt des Entschließungsantrags ist, die Nutzung vorhandener Infrastruktur der NE-Bahnen mit einzuplanen, weil es bis zur Realisierung der Y-Trasse nun einmal noch so lange dauert. Dazu bedarf es des verstärkten Ausbaus der NE-Strecken in Niedersachsen - nicht nur bei der EVB, wo der Ausbau bereits begonnen hat; auch Strecken der OHE und weitere für den Güterverkehr im Hafenhinterland wichtige Strecken müssen dafür ertüchtigt werden. In diesem Zusammenhang ist wie bei der Strecke Oldenburg– Wilhelmshaven natürlich ein besonderes Augen

merk auf Lärmschutz und Verkehrssicherheit für die betroffene Bevölkerung im Umfeld dieser Strecken zu legen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, in diesem Zusammenhang will ich allerdings auch auf einen populistischen Beschluss des Harburger Kreistages eingehen, der unter aktiver Mitwirkung von zwei CDU-Landtagsabgeordneten, nämlich den Kollegen Böhlke und Schönecke, zustande gekommen ist und mit dem eine Sanierung und zukünftige Nutzung der OHE-Strecken zwischen Winsen und Lüneburg ausdrücklich verhindert werden soll.