- Gibt es an meiner Äußerung etwas zu kritisieren? Wäre dem so, würde ich Ihnen empfehlen, öfter einmal eine Kirche aufzusuchen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, dass Sie zu Recht die Erwartung haben, dass der für den Denkmalschutz zuständige Ressortminister einige wenige Ausführungen macht.
Erstens. Mir hat die Debatte der letzten 45 Minuten ausgesprochen gut gefallen. Hier sind sehr gute und auch weniger gute Argumente ausgetauscht worden. Ich sage dies, weil der obersten Denkmalschutzbehörde, also dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur, nach § 10 Abs. 5 des Denkmalschutzgesetzes das geplante Projekt lediglich angezeigt werden muss. Dies bedeutet gleichwohl, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für einen solchen Eingriff selbstverständlich vorliegen müssen, die sich wiederum in § 7 Abs. 7 Nr. 2 des Denkmalschutzgesetzes finden. Danach sind die Voraussetzungen für einen Eingriff in ein Denkmal dann gegeben, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse am Eingriff zwingend vorliegt. Ein Eingriff, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, ist nicht ausschließlich der Abriss. Auch eine Sanierungsmaßnahme ist ein solcher Eingriff, der den von mir eben genannten gesetzlichen Vorschriften Rechnung tragen muss. Das heißt, dieser Landtag, also Sie, hat nach einem Abwägungsprozess die Entscheidung zu treffen, ob der Eingriff gerechtfertigt ist oder nicht. Mein Eindruck ist, dass das, was der Landtagspräsident in den letzten Wochen und Monaten getan hat, und dass auch diese Debatte und viele andere Debatten, die dazu stattfinden, einen Abwägungsprozess darstellen, der nach meinem Eindruck nicht besser verlaufen könnte, als er es zurzeit tut.
Noch einmal: Sie machen derzeit exakt das, was der Gesetzgeber, also Sie selbst, ins Gesetz geschrieben haben. Damit gibt es seitens der Lan
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir sind damit am Ende der Beratung dieses Tagesordnungspunktes.
Zuständig ist der Ältestenrat. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Das ist offensichtlich einstimmig der Fall. Vielen Dank, Sie haben so beschlossen.
Die Fraktionen sind überein gekommen, nun den Tagesordnungspunkt 19 zu behandeln und im Anschluss in die Mittagspause zu gehen.
Erste Beratung: Endlich Verantwortung für das Schicksal früherer Heimkinder übernehmen: aufklären, unterstützen, entschädigen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/896
Ich bitte ihn, noch einen Moment zu verweilen, bis wir Ruhe im Plenarsaal bekommen haben. - Vielen Dank. Herr Schwarz, bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis 1958 gab es das gesetzlich normierte väterliche Züchtigungsrecht. Frauen spielten in der Erziehung rechtlich keine Rolle. Die Prügelstrafe war eine in Deutschland jahrzehntelang praktizierte, wenn auch sehr fragwürdige Erziehungsmethode. Erst 1980 wurde der Begriff „elterliche Gewalt“ durch „elterliche Sorge“ ersetzt.
Darum aber, meine Damen und Herren, geht es nicht, wenn wir über die Aufarbeitung der Heimerziehung in den westdeutschen Bundesländern von 1949 bis 1975 reden. Vielmehr reden wir über sogenannte Schwererziehbare, Vollwaisen, Halb
waisen und uneheliche Kinder. Für alleinerziehende Mütter war es kaum denkbar, ihre Kinder allein erziehen zu können. Sie brauchten mindestens einen männlichen Vormund für ihre Kinder, um das Heim zu verhindern.
„Wenn du nicht brav bist, kommst du ins Heim.“ Diese Drohung haben auch viele von uns mittelbar oder unmittelbar in ihrer Kindheit gehört. Erst heute lässt sich erahnen, was das offensichtlich wirklich bedeutete. Im Namen des Staates und im Namen des Herrn wurden Hunderttausende von Kindern und Jugendlichen in Fürsorgeheimen und Fürsorgeanstalten zu lebenslang traumatisierten Menschen gemacht. Menschen, die heute zwischen 45 und 75 Jahre alt sind. Manche von ihnen verbrachten die ganze Kindheit und Jugend bis zur Erreichung der Volljährigkeit mit dem 21. Lebensjahr in oft hermetisch abgeschlossenen Häusern.
Für mich ist es unfassbar, dass es Einrichtungsträgern, Justiz und staatlichen Aufsichtsbehörden fast 50 Jahre lang immer wieder gelungen ist, eines der dunkelsten Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte zu tabuisieren und zu vertuschen. Hier geht es nicht um bedauernswerte Einzelfälle, sondern um 800 000 bis zu 1 Million betroffene ehemalige Heiminsassen, davon mindestens 50 000 aus Niedersachsen. Es geht bundesweit um mindestens 3 000 Heime mit mehr als 200 000 Plätzen mit pädagogisch kaum ausgebildetem Personal. 80 % dieser Einrichtungen waren in kirchlicher Trägerschaft. Es soll also niemand behaupten, von diesen Vorkommnissen habe keiner etwas geahnt oder gewusst. Solche Versuche sind zum Glück in Deutschland schon einmal gescheitert.
Meine Damen und Herren, erst mit seinem Buch „Schläge im Namen des Herrn“ ist es dem Journalisten Peter Wensierski im Februar 2006 endlich gelungen, die unfassbaren und unvorstellbaren Gräueltaten in deutschen Kinder- und Jugendheimen öffentlich unauslöschbar zu platzieren. Dafür wurde er auf dem Jugendhilfetag 2008 zu Recht ausgezeichnet.
„Es waren keine Kriminellen, sondern oft nur Kinder von alleinerziehenden Müttern, die nicht in die konservative Gesellschaft der 50er- und 60er-Jahre passten. Sie haben in den nicht kontrollierten Heimen drakonische Strafen erlitten, körperliche und psychische Gewalt, die an Folter grenzte. Ihnen wurde Bildung und medizinische Ver
sorgung vorenthalten, und oft auch die Briefe ihrer Eltern. Größere Kinder und Jugendliche mussten schwer arbeiten. Es kam sehr häufig zu bis heute nicht geahndetem sexuellen Missbrauch von Mädchen und Jungen. Aus Bequemlichkeit verabreichten Erzieher heimlich Medikamente. Fast alle Heimkinder berichten über Demütigungen, Misshandlungen und Erniedrigungen. Sie wurden weggesperrt, ausgegrenzt, ihrer Lebenschancen beraubt.“
„Katholische Orden haben in dieser Zeit die Heimerziehung mit ihren Vorstellungen entscheidend geprägt. Uneheliche Kinder … galten damals als Kinder der Sünde, als ‚wertlose Geschöpfe’. Richter und Jugendämter haben die Kinder leichtfertig eingewiesen und die Häuser schlecht kontrolliert.“
Meine Damen und Herren, wer tiefer in dieses Thema einsteigt, wer die Petition beim Deutschen Bundestag oder Schilderungen von Betroffenen hört oder liest, der wird ernsthaft um Fassung ringen müssen. Es geht um Schläge und Gewalt in allen Perversionen. Kinder, die erst wieder etwas zu essen bekamen, wenn sie ihr Erbrochenes vollständig aufgegessen hatten. Bettnässer, die nackt vor allen mit dem nassen Laken verprügelt wurden. Kleine Mädchen, die an ihren Zöpfen durch das ganze Heim gezerrt wurden. Mädchen, die stundenlang mit der Schlinge um den Hals vor dem Haus am Fensterkreuz angebunden waren, denen Zähne ohne Betäubung gezogen wurden, nur weil sie gelacht hatten. Kinder, die nachts aus dem Zimmer geholt wurden und zur Abschreckung ihr eigenes Grab schaufeln mussten. Oder sogenannter Besinnungsarrest, wo Kinder nach vorausgegangenen massiven Prügeln Tage bis Wochen in muffigen, feuchten Kellern ohne Außenlicht bei Wasser und Brot eingesperrt waren.
Meine Damen und Herren, es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um die sadistischen Erziehungsmethoden ganzer Einrichtungen. Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich die ZDF-Dokumentation „In den Fängen der Fürsorge“ aus dem Juni des vergangenen Jahres. Sie können Sie sich im Internet ansehen. Betroffene sprechen dort von Kinder-KZ, von vielfachen Selbstmorden von Kin
dern und Jugendlichen als einzigem Ausweg. Und sie sprechen von schwerster Zwangsarbeit, z. B. in der Diakonie Freistatt bei Diepholz. Wenn nicht Choräle gesungen wurden, mussten 14- bis 21Jährige im Sommer und im Winter u. a. im Moor Torf stechen und pressen. Bereits 1960 beanstandete das Landesjugendamt Hannover die Verwendung von Forkenstielen, Torflatten, Pantoffeln und Besenstielen als Züchtigungsmittel. Aber noch 1970 waren 300 Jugendliche im Moor. Kurz darauf wurde dann dort das 75-jährige Bestehen gefeiert.
92 716 Jugendliche sollen die sogenannte Moorburg durchlaufen haben. Ein Betroffener schreibt - ich zitiere -:
„Freistatt war der Moorhof zur Hölle. Verzweifelt versuchte ich 1959 zu entkommen. Ich schluckte Glassplitter, um den Blinddarm kaputtzukriegen und so über das Krankenhaus … eine bessere Fluchtchance zu bekommen.“
Grund für seinen Aufenthalt in Freistatt war: Mit 19 war er mit der 16-jährigen Elke, seiner späteren Ehefrau, durchgebrannt.
Auch den Mädchen ging es bei anderen Arbeiten nicht besser. „Arbeite und bete!“ war das Motto. Wer beim Arbeiten redete, bekam Besinnungsarrest.
Meine Damen und Herren, es ist für mich völlig unbegreiflich, dass es selbst in den Zeiten der Studentenbewegung und der APO gelang, dieses Thema unter den Teppich zu kehren und weiter totzuschweigen. Unter anderem hatte sich Ulrike Meinhoff vor ihrer RAF-Karriere in dem Buch „Bambule“ mit diesen Ereignissen auseinandergesetzt. Es wollte aber niemand wissen.
Es geht uns mit unserem Antrag ausdrücklich nicht um Schuldzuweisungen an die heute politisch Verantwortlichen. Vielmehr haben fast 50 Jahre lang Einrichtungsträger, Staat und Gesellschaft kollektiv versagt - ein für mich nicht entschuldbarer Vorgang in einer Demokratie.
Es war umso überfälliger, dass diese kriminellen Machenschaften endlich an die Öffentlichkeit gekommen sind. Ich bedanke mich dafür vor allem bei den Opfern, die nicht resigniert haben, sondern immer wieder bereit waren, ihr eigenes Schicksal öffentlich zu machen, auch wenn es ihnen persönlich sehr schwer fällt, darüber zu reden. Für unser aller Glaubwürdigkeit ist es jetzt aber zwingend, dass entschieden gehandelt wird. Noch immer gibt
Der Deutsche Bundestag hat mit seinem einstimmigen Beschluss vom 4. Dezember vergangenen Jahres u. a. Bundesregierung, Bundesländer und Landesparlamente aufgefordert, im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeiten die damaligen Ereignisse aufzuarbeiten. Der runde Tisch auf Bundesebene hat sich vorgestern konstituiert. Der Landtag und die Landesregierung von Schleswig-Holstein haben am 17. Juli vergangenen Jahres einstimmig Beschlüsse gefasst. Am 15. November 2008 fand bereits die zweite Sitzung des dortigen runden Tisches statt.
Im Auftrag der Hannoverschen Landeskirche führt Herr Hans Bauer Gespräche mit Betroffenen. Auch unsere Sozialministerin hat im vergangenen Jahr auf der Grundlage des damaligen Erkenntnisstands schnell und angemessen reagiert. Für uns geht es ausdrücklich nicht um Vorwürfe gegen die Landesregierung.
Meine Damen und Herren, wir können die schreckliche Kindheit und Jugend für die Betroffenen nicht ungeschehen machen. Wir können uns allenfalls stellvertretend entschuldigen. Aber vor allem müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass den Betroffenen nach Jahrzehnten endlich Gerechtigkeit widerfährt. Deshalb schlagen wir einen runden Tisch auch in Niedersachsen vor - nicht, um den runden Tisch auf Bundesebene zu doppeln, sondern um die damalige originäre Landeszuständigkeit zu durchleuchten. Der Bund ist zweifelsfrei für die Fragen der Opferentschädigung und der entgangenen Rentenansprüche zuständig, aber wir als Land sind zuständig für die Abläufe und Vorkommnisse in den Heimen, für das völlige Versagen der Heimaufsicht, für das Versagen der Justiz, insbesondere der Vormundschaftsgerichte.
Wir müssen unter allen Umständen die Sicherung der noch vorhandenen Akten gewährleisten einschließlich eines Akteneinsichtsrechtes für die Betroffenen. Wir sollten uns für ein Forschungsbegleitprojekt auf Landesebene entscheiden. Und wir bitten kurzfristig um Vorlage eines Landesberichtes über die bisher bekannten Einrichtungen und Träger.
Meine und Damen und Herren, ich wünsche mir, dass wir das Thema genauso einmütig und zielstrebig anpacken wie die Kolleginnen und Kollegen im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Das ist das Mindeste, was die Betroffenen von uns erwarten können, wenn bei diesen Menschen nicht der letz