Aber die Regierung Wulff hat mit völlig überholten Rezepten und Konzepten auf PISA reagiert, mit denen sie sich bundesweit isoliert hat und über die man nur noch den Kopf schütteln kann.
Sie haben die Selektion an das Ende der vierten Klasse vorverlegt, und Sie haben den Druck auf die Gymnasien verstärkt. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie haben sich mit unnachahmlicher schulpolitischer Inkompetenz um einige Schulformen besonders gekümmert: um die Hauptschulen so sehr, dass keiner mehr hin will, um die Gymnasien mit dem Turboabitur so, dass die Schülerinnen und Schüler in der Mittelstufe zum Teil mehr arbeiten müssen als ihre berufstätigen Eltern, und um die Gesamtschulen, die Sie fünf Jahre lang verboten haben, mit dem Ergebnis, dass die Nachfrage in Niedersachsen noch nie so groß war wie jetzt.
(Dr. Bernd Althusmann [CDU] begibt sich zu Abgeordneten der Fraktion der Grünen und spricht mit ihnen)
Ich wollte Sie nur fragen, Frau Kollegin Korter, ob Sie es nicht merkwürdig finden, dass die Landesregierung immer sagt, die Schulpolitik sei eigentlich das wichtigste Thema, und dann bei einer solchen Debatte weder der Ministerpräsident noch große Teile vom Rest der Landesregierung anwesend sind.
- Ich weiß nicht, welche Termine Sie da unten verabredet haben, Herr Althusmann. Aber die Plenarsitzung findet hier oben statt.
Herr Kollege Wenzel, vielen Dank. Ich finde das in der Tat merkwürdig, vor allem im Hinblick darauf, dass der neue Wirtschaftsminister eigentlich wissen sollte, wie viel Bildung mit Wirtschaft und wirtschaftlicher Entwicklung zu tun hat. Auch der Ministerpräsident hat sich heute in der Presse zur Schulpolitik geäußert. Dann erwarte ich eigentlich, dass sie auch hier sind.
Zurück zu Ihrer Schulpolitik, meine Damen und Herren von CDU und FDP. Frau Heister-Neumann, Sie haben in Niedersachsen in der Schulpolitik das wahre Chaos angerichtet. Bei der Lesekompetenz hat es in Niedersachsen bei PISA in der Zeit von 2000 bis 2006 keine Verbesserungen gegeben. An den Gymnasien sind die Leistungen in Niedersachsen sogar gesunken. An den Hauptschulen erreichen nach wie vor 50 % bestenfalls die unterste Stufe der Lesekompetenz. Es gibt Unterrichtsausfälle allerorten, über 1 500 fehlende Lehrerinnen und Lehrer, Mangelfächer ohne Nachwuchs. Die Aufzählung könnte ich noch fortsetzen. Jetzt dämmert Ihnen auch noch die Erkenntnis, dass die Hauptschulen wohl tatsächlich nicht länger zu halten sind.
Am 24. Februar will die Landesregierung ein Konzept dazu beschließen, wie sie ihre Blockade lösen und die Schulstruktur weiterentwickeln will. Man darf gespannt darauf sein, was da wohl kommt. Ich frage mich: Weshalb wissen Sie das eigentlich heute noch nicht?
Zu befürchten ist, dass die Regierung Wulff genauso mutlos bleibt und mit unzureichenden Korrekturen bei einer Struktur bleibt, die schon heute überholt ist. Dann wären wieder Jahre für eine echte Schulreform verloren. Aber vielleicht zaubert Herr Wulff ja auch wieder eine neue Personalie aus dem Hut und tauscht seine Kultusministerin aus. Wir sind gespannt.
Meine Damen und Herren, wir sind mehr denn je davon überzeugt: Das richtige Konzept ist eine gemeinsame Schule nach finnischem Vorbild, die
jedes Kind mit seinen Begabungen individuell fördert und nicht aussortiert. Einen solchen Schritt zu gehen, werden sich Herr Wulff und Herr Rösler wahrscheinlich noch nicht trauen. Aber zumindest sollte die CDU in Niedersachsen endlich ihren Schwesterparteien in den nördlichen Bundesländern folgen. In Hamburg wird es ab 2010 neben den Gymnasien nur noch die Stadtteilschule geben, in der Schülerinnen und Schüler aller Begabungen bis zum Abitur gelangen können.
In Bremen haben die CDU und sogar die FDP einen Konsens zur Schulentwicklung unterzeichnet. Auch dieser sieht neben dem Gymnasium nur eine Oberschule vor, die ebenfalls das Abitur im Angebot hat. In Schleswig-Holstein haben CDU und SPD vereinbart, dass es neben dem Gymnasium eine Gemeinschaftsschule und eine Regionalschule gibt. Aus Schleswig-Holstein sollten Sie lernen, damit Sie hier nichts falsch machen.
Diese Regionalschulen, die aus Haupt- und Realschulen bestehen, werden dort weit weniger angenommen als die Gemeinschaftsschulen. Daraus lernen wir und lernen vielleicht auch Sie: Eine Schule, die nicht von Anfang an zum Abitur weiterführen kann, wird von den Eltern nicht gewollt. Die wählen die Eltern nicht an, weil sie in eine Bildungssackgasse führt. Vor allem aber sind solche Schulen nicht in der Lage, alle Talente voll auszuschöpfen und alle Kinder richtig zu fördern. Auch die deutschen PISA-Forscher haben das längst erklärt. Die haben - darunter auch Herr Baumert - gesagt, dass eine Schulform wie die Hauptschule, in der benachteiligte Schülerinnen und Schüler gesammelt werden, kein anregendes Lernklima schaffen kann. Oder können Sie mir erklären, weshalb ein schwacher Schüler unter genauso schwachen Schülern weiter kommen soll, als wenn er mit leistungsstärkeren Schülern gemeinsam unterrichtet wird? - Das erschließt sich mir nicht, und das können Sie auch niemandem erklären.
Befürworter des gegliederten Schulsystems - sie werden ja gleich noch sprechen - werden sicherlich wieder sagen: Es hat keinen Sinn, Frau Korter, die Hauptschulen abzuschaffen, damit werden ja nicht die Hauptschüler abgeschafft. - Meine Damen und
sondern zum Hauptschüler wird man durch soziale Benachteiligung, durch Bildungsarmut im Elternhaus und vor allem durch schulische Ausgrenzung. Oder wollen Sie behaupten - das müssten Sie aufgrund von PISA dann konsequenterweise tun -, dass die Deutschen von Geburt an dümmer sind als die Finnen, die Kanadier, die Iren oder die Polen, die alle beim PISA-Lesetest besser abschneiden? - Meine Damen und Herren, was in diesen Ländern eindeutig klüger ist, ist die dortige Schulpolitik.
Es ist an der Zeit, endlich von der Ausleseschule wegzukommen zu einer Schule, in der jedes Kind gefördert wird - zu einer Schule, in der jedes Kind Leistung bringt, weil Leistung Spaß macht und weil es Anerkennung findet.
Auch eine wie auch immer fusionierte Haupt- und Realschule - ich bin gespannt, was Sie sich da ausdenken - wird auf die Dauer keinen Bestand haben und zur Restschule werden. Das zeigt die Entwicklung in Schleswig-Holstein ganz klar. Immer mehr befragte Eltern wollen eine gemeinsame Schule, wollen eine Gesamtschule: 53 % im Landkreis Schaumburg, über 60 % im Landkreis Hildesheim. Wenn man davon ausgeht, dass der Rest überwiegend sein Kind auf das Gymnasium schicken will, dann bleibt doch für die Haupt- und die Realschule fast nichts mehr übrig! Deshalb brauchen wir einen mutigen Schritt in der Schulpolitik und nicht wieder solch ein hasenfüßiges WulffModell.
Ersetzen Sie die Haupt- und Realschulen durch Integrierte Gesamtschulen! Das ist die Schulform, die in Deutschland Zukunft hat.
Es wird nicht ausreichen, nur die Türschilder an den Schulen auszuwechseln; denn wir brauchen nicht nur eine Reform der Schulstruktur, sondern
Aber was ganz entscheidend ist: Die Hürden, die die Landesregierung jetzt noch der Neugründung von Gesamtschulen in den Weg stellt, müssen schleunigst beiseite. Selbstverständlich müssen Gesamtschulen auch mit weniger als fünf Zügen genehmigt werden. Es gibt dafür überhaupt keine pädagogischen Gründe. Mit guten Konzepten müssen auch kleinere Gesamtschulen genehmigt werden. Sie müssen nicht unbedingt eine eigene Oberstufe haben, aber es muss eine in erreichbarer Nähe sein.
Das ist die Flexibilität, die Schulträger angesichts des demografischen Wandels vor allem im ländlichen Raum dringend brauchen, damit sie alle Bildungsgänge wohnortnah anbieten können. Deshalb ist die Nachfrage in Schleswig-Holstein nach den Gemeinschaftsschulen so unglaublich groß, auch in den CDU-regierten Kommunen. So macht es auch Finnland. In Finnland sind übrigens über 40 % aller Schulen kleiner als 50 Schülerinnen und Schüler und umfassen die Jahrgänge 1 bis 9.
(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Das hat aber irgendwie eine regionaltypi- sche Ursache, Frau Kollegin!)
Meine Damen und Herren, Sie müssen die Hürden, die Sie der Neugründung von Gesamtschulen in den Weg stellen, endlich abbauen!
Hürden aufzubauen passt zwar zum Pferdeland Niedersachsen, aber irgendetwas haben Sie da wohl nicht ganz richtig mitbekommen.
Frau Korter, ich habe bereits geklingelt. Einen letzten Satz gestatte ich Ihnen noch. Die Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich habe mich versehen, weil die Antwort auf die Zwischenfrage offensichtlich nicht von meiner Redezeit abgezogen worden ist.