Protocol of the Session on September 16, 2008

Ich möchte an zwei Beispielen verdeutlichen, warum auch diese Verordnung zum Scheitern verurteilt ist:

Erstens. Die geforderte einfache Mehrheit für die Anerkennung eines Härtefalls haben Sie nicht umgesetzt.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Die gibt es auch in ganz Deutschland nicht!)

Was haben Sie stattdessen geändert? - Sie haben scheinbar die Dreiviertelmehrheit abgeschafft - damit war Niedersachsen unter allen Bundesländern einzigartig - und diese durch eine Zweidrittelmehrheit ersetzt - scheinbar, meine Damen und Herren; denn abhängig von der Zahl der anwesenden Mitglieder bleibt es bei der notwendigen Dreiviertelmehrheit. Das ist doch der blanke Hohn, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zweitens. Elemente der Sippenhaft sind auch aus dieser Verordnung nicht herausgenommen worden. Auch weiterhin werden gerade die besonders Hilfsbedürftigen, wie z. B. die Alten, die Kranken, die Alleinerziehenden und die Menschen mit Behinderungen, durch die Anforderung der selbstständigen Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen bleiben. Gerade diese Menschen - das möchte ich an dieser Stelle betonen - sind aber diejenigen, die faktisch auch von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen sind und werden. Gerade diese Menschen brauchen die Härtefallkommission. Das muss Ihnen doch klar sein.

Wir brauchen eine Flüchtlingspolitik, die diesen Menschen gerecht wird. Oder wollen Sie in der Flüchtlingspolitik so weitermachen wie in der Vergangenheit und in immer kürzer werdenden Abständen Ihre Fehler scheinbar korrigieren?

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Aber auch nur scheinbar!)

Sie machen sich mit dieser Politik wirklich unglaubwürdig. Sie arbeiten hier in Trippelschritten. Ständig korrigieren Sie Ihre Fehler. Stimmen Sie bitte unserem Antrag zu! Denn die Kommission - das betone ich bei jeder Diskussion über das Thema Härtefallkommission - braucht Luft zum Atmen, und ihre Mitglieder brauchen Raum zum Handeln.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächster Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Herr Biallas von der CDU-Fraktion. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte versuchen, diesen Antrag zum Anlass zu nehmen, noch einmal darauf hinzuweisen, wie es überhaupt zu der Härtefallkommission gekommen ist, die es nunmehr - wie Sie richtig gesagt haben - seit zwei Jahren gibt. Die Entscheidung, die Kommission einzurichten, war ja Folge der Tatsache, dass sich die bis dahin geübte Praxis, über eventuelle Härtefälle im Petitionsausschuss des Landtages zu entscheiden, aus unterschiedlichen Gründen nicht bewährt hat. Leider wurden einzelne Fälle - ich habe das auch schon in der ersten Beratung gesagt - immer wieder gerade von der SPD und den Grünen parteipolitisch instrumentalisiert und emotionalisiert. Eine sachliche, dem Einzelfall gerecht werdende Besprechung von persönlichen Schicksalen war dann am Ende nur noch schwer möglich. Ich möchte es noch einmal deutlich sagen: Es hat sich herausgestellt, dass sich Härtefallersuchen für politischen Krawall schlichtweg nicht eignen. - So war die Situation.

Ich habe einmal durchgezählt und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die Grünen im Laufe meines politischen Lebens hier im Landtag schon fünf Anträge zum Thema Härtefallkommission eingebracht haben. Sie haben eine solche Kommission im Unterschied zur SPD schon immer gefordert. Mit der Einrichtung der Härtefallkommission hat der Landtag natürlich auch seine Zuständigkeit, die er bis zum September 2006 hatte, der Landesregierung übertragen. Damit ist der Landtag - auch das will ich deutlich sagen - rein formal gar nicht mehr für die Anerkennung von Härtefällen zuständig. Die Arbeit der Härtefallkommission gehört jetzt zum Regierungshandeln. Darüber dürfen Sie sich nicht wundern, sondern das ist auch Ihnen schon vorher gesagt und verraten worden. Das heißt, darüber, wie die Härtefallkommission arbeitet, wer ihr angehört und welche Regeln dort gelten, entscheidet jetzt nicht mehr der Landtag, sondern die Landesregierung durch Verordnung. Deshalb, liebe Frau Polat, kann ich Sie hier auch beruhigen. Das ist nicht das Resultat von Hardlinern, die sich irgendwo durchgesetzt haben. Ich kenne im Übrigen auch in unserer Fraktion überhaupt keinen einzigen Hardliner. Der Einzige, der dafür infrage

käme, wäre Herr Coenen. Aber das glaubt doch keiner.

(Lachen bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass das so ist, ist ja darauf zurückzuführen, dass Sie die Einrichtung einer Härtefallkommission verlangt haben. Sie haben im Übrigen auch gefordert, dem Landtag die Zuständigkeit für Härtefälle zu entziehen.

Jetzt möchte ich noch etwas zu Ihrem Antrag sagen. Das, was Sie fordern, kann der Landtag im Prinzip gar nicht beschließen, weil der Landtag gar nicht zuständig ist. Das mag Sie betrüben. Aber in dem Moment, in dem Sie diese Kommission so vehement gefordert haben, war das die logische Konsequenz.

Schön an Ihrem Antrag ist immerhin, dass sich nach Ihrer Auffassung, die Sie in Ihrem Antrag ja auch schriftlich dokumentieren - ich zitiere -, „das Instrument der Härtefallkommission grundsätzlich bewährt hat“. Das ist ja schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung.

Das Kabinett hat nun analog zu den Übereinkünften im Rahmen der Koalitionsverhandlungen und -vereinbarungen von CDU und FDP die Verordnung der Härtefallkommission verändert und - Sie haben die zwei Punkte aus der Koalitionsvereinbarung ja schon selbst zitiert; ich möchte das jetzt nicht wiederholen - auch umgesetzt.

Sie haben gesagt, scheinbar sei das Quorum von Dreiviertelmehrheit auf Zweidrittelmehrheit geändert worden. Das ist nicht scheinbar so - Sie können das in der Verordnung entsprechend nachlesen -, sondern es ist tatsächlich so.

Ich möchte hier noch etwas zur Erläuterung des Quorums sagen. Wenn Sie fordern, dass die Härtefallkommission mit einfacher Mehrheit entscheiden können soll, dann wäre Niedersachsen das einzige Land, in dem eine solche Regelung für die Härtefallkommission gilt.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Wäre das denn so schlimm?)

- Das wäre überhaupt nicht schlimm. Aber warum sollen wir wie Sie dauernd über das Ziel hinausschießen? Dafür gibt es doch gar keinen Grund!

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Seien Sie doch einmal mutig!)

Also: In den meisten Ländern gibt es aus gutem Grunde das Zweidrittelerfordernis.

(Zuruf von Filiz Polat [GRÜNE])

- Frau Polat, ich habe schon in der ersten Beratung sehr zu Ihrem Entsetzen darauf hingewiesen, dass in Hamburg, wo Ihre Partei neuerdings ja auch im Senat vertreten ist, weiterhin das Erfordernis der Einstimmigkeit gilt. Dort haben die Grünen gesagt, dass sie es zunächst einmal so lassen wollten, weil sich das angeblich bewährt hat. Ich will das ganz deutlich sagen: Wir haben hier im Parlament schon Zeiten erlebt, in denen es über alle Fraktionsgrenzen hinweg in einzelnen Fällen eine Übereinstimmung gegeben hat und wir hier im Landtag einstimmig beschlossen haben, Menschen ein dauerhaftes Bleiberecht zu gewähren. Es hat sich bewährt, dass wir alle dafür waren. Das war auch sehr viel erfolgreicher, als wenn sich hier Einzelne als Pressure Group hervorgetan haben und meinten, sie müssten Einzelfälle instrumentalisieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das andere ist das, was Sie hier unter „Sippenhaft“ angemerkt haben. Sippenhaft hat es in der Verordnung übrigens gar nicht gegeben. Vielmehr gab es eine Regelung, die zur Konsequenz hatte, dass dann, wenn aus einer Familie jemand straffällig wurde, dies für die ganze Familie ein Ausschlusskriterium für die Behandlung in der Härtefallkommission war.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das ist keine Sippenhaft? Was ist das denn?)

Das ist jetzt geändert worden. Nun können zur Beratung in der Härtefallkommission solche Familien zugelassen werden. Aber man muss eines deutlich hinzufügen: Wer aus einer solchen Familie in Deutschland straffällig geworden ist, wird auch in Zukunft damit rechnen müssen, dass er rechtskräftig zur Ausreise verpflichtet bleibt. Unter Umständen wird es einzelne Familienmitglieder geben, die trotzdem anerkannt werden und denen ein dauerhaftes Bleiberecht gewährt wird. Das hat sich verändert.

(Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE])

- Sie wollen ja, dass Straffälligkeit sozusagen überhaupt keine Rolle spielt.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Das ist doch Blödsinn, was Sie da reden!)

- Herr Bachmann, ich habe Sie doch gar nicht angeguckt. Dass Sie sich immer angesprochen fühlen, wenn ich die Grünen anrede, spricht ja für sich. Aber Sie sind gleich dran. Wir erwarten schon eine flotte Rede.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Das ist hier immer wieder dieselbe Leier!)

Zum Schluss möchte ich noch anmerken, dass sich die Arbeit der Härtefallkommission bewährt hat. Sie ist bei der Landesregierung in guten Händen. Deswegen sehen wir überhaupt keinen Anlass, Ihrem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Exzellent!)

Zu einer Kurzintervention hat sich Herr HumkeFocks von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm für anderthalb Minuten.

Herr Biallas, in Ihrem Redebeitrag sprachen Sie u. a. davon, dass mit dem Antrag, über den hier heute diskutiert wird, Personen vereinnahmt würden, dass man politischen Nutzen aus ihrer Situation ziehen und sie instrumentalisieren wolle. Ich halte es, gelinde gesagt, für eine Unverschämtheit, dass Sie hier so etwas unterstellen; denn es geht hier um Menschen, um konkrete Schicksale und um das Nutzen eventuell existierender Spielräume. Darüber soll in einer Härtefallkommission gesprochen werden. Wenn Sie behaupten, bei Ihnen hätten sich die Hardliner nicht durchgesetzt, dann kann ich Ihnen nur sagen: Es haben sich nicht diejenigen in Ihrer Fraktion durchgesetzt, die ihre Motivation für ihr politisches Engagement auf christliche Nächstenliebe und Barmherzigkeit gründen. Ich mag es gar nicht glauben, dass Sie einmal evangelischer Pfarrer waren.

(Zuruf von der CDU: Das bleibt man sein Leben lang, das ist wie eine Be- rufung!)

Nächster Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Herr Bachmann von der SPD-Fraktion. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Biallas, seien Sie froh, dass der Kollege Humke-Focks diese Kurzintervention gemacht hat. Dadurch habe ich mich jetzt schon wieder ein bisschen abgeregt. Ansonsten hätte Sie die volle Breitseite getroffen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Lachen bei der CDU und bei der FDP)

Ich bleibe, auch wenn ich mich damit möglicherweise am Rande des parlamentarisch Üblichen befinde, bei meinem Vorwurf, den ich schon per Zuruf erhoben habe: Das ist doch Blödsinn, was Sie da reden. Denn Sie arbeiten immer wieder mit Unterstellungen in Bezug darauf, welche Motive der Antragstellung zugrunde liegen.

(David McAllister [CDU]: Mach mei- nen Kumpel nicht an! - Heiterkeit bei der CDU)

Lieber Herr Kollege Biallas, Sie lernen nicht dazu. Wir haben ja im Innenausschuss des Öfteren ein Geplänkel darüber, woran es wohl liegt, dass Sie etwas nicht verstehen. Die Gründe dafür will ich jetzt hier nicht untersuchen. Aber oft verstehen Sie die Dinge, die vorgetragen werden, wirklich nicht,

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Gott sei Dank!)

weil Sie sie so interpretieren wollen, wie Sie sie interpretieren. Deswegen müssen Sie es auch ertragen, dass man dann, wenn Sie dieselbe Leier wiederholen, auch einmal ruft: Das ist doch Blödsinn, was Sie da reden!

Zunächst einmal zwei grundsätzliche Anmerkungen: Reisen hilft manchmal. Der Innenausschuss dieses Hauses war vor Kurzem in Berlin - Sie waren dabei - und hat in Gesprächen auch mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im BMI, Peter Altmeier, mit großer Freude zur Kenntnis genommen, dass die Große Koalition eine Entfristung der befristeten Rechtsgrundlage für die Möglichkeit schafft, dass Länder Härtefallkommissionen einrichten können. Das ist ein Erfolg. Wir haben damit auf Dauer eine Rechtsgrundlage. Die Befristung wird aus dem Aufnahmegesetz getilgt. Deswegen haben wir auch in Niedersachsen die Chance, die Härtefallkommission auf Dauer beizubehalten. Wir fordern Sie, solange die jetzige Landesregierung im Amt ist, nachdrücklich auf, dies auch zu tun. Wir versprechen: Sobald wir die Möglichkeit haben, dies verantwortlich zu gestalten, wird es eine echte Härtefallkommission nach humanitären Grundsätzen geben.