Protocol of the Session on January 19, 2012

Wir haben eben auch gehört, in welchem Umfang diese Abfragen letztendlich stattgefunden haben. Aufgrund der vielen Einwendungen, die zu verzeichnen gewesen sind, hat sich die Bundesregierung im Jahr 1976 entschlossen, diesen Erlass auf Bundesebene aufzuheben. Leider haben sich dem nicht alle Länder angeschlossen, sondern in den Ländern wurde dieser Radikalenerlass unterschiedlich behandelt. Ich bin sehr dankbar - das sage ich an dieser Stelle für unsere Fraktion und sicherlich auch für die FDP -, dass dieser Erlass im Jahr 1990 auch für Niedersachsen aufgehoben wurde. Ich glaube, das ist eine gute Entscheidung gewesen; denn im Einzelfall hat es sicherlich auch Ungerechtigkeiten gegeben, die Menschen in ihrem beruflichen Fortkommen behindert und ihnen in ihrer persönlichen Lage sicherlich auch sehr viele Schwierigkeiten bereitet haben.

Nichtsdestotrotz ist es für eine Regierung immer schwierig, Menschen im öffentlichen Dienst zu beschäftigen und nicht zu wissen, welche Gesinnung sie haben. Insofern ist es sehr kompliziert, mit dieser Materie richtig umzugehen. Aber ich bin sehr froh, dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - das haben Sie eben auch angeführt, Herr Adler - mit dieser Thematik beschäftigt und die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1995 verurteilt hat, die Repressionen gegen diese Lehrerin, Frau Vogt, zurückzunehmen. Die Bundesrepublik Deutschland ist damals zu Schadenersatz verurteilt worden. Das meinte ich, als ich eben gesagt habe, dass es im Einzelfall sicherlich auch sehr dramatische Situationen gegeben hat.

Meine Damen und Herren, ich darf aber auch daran erinnern, dass wir alle Verantwortung für dieses Land tragen und froh sein müssen, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben dürfen. Wir alle können dazu beitragen, dass es gerade

auch in Niedersachsen in Zukunft weiterhin demokratisch zugeht und dass wir persönlich positiv miteinander umgehen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass es in Ihrem Antrag verschiedene Forderungen gibt, mit denen Sie die Aufarbeitung dieser Thematik beantragen. Sie wollen Veranstaltungen durchführen, Sie wollen, dass möglichst noch am 28. Januar dieses Jahres in den Schulen oder auch in anderen Institutionen auf dieses Datum hingewiesen wird. Das ist sicherlich kurzfristig, aber wir werden im Ausschuss darüber beraten, welche Möglichkeiten es gibt, mit Ihrem Antrag und insgesamt natürlich auch mit diesem Radikalenerlass und seinen Inhalten umzugehen.

Ich möchte noch auf eines hinweisen. Das liegt mir besonders am Herzen. Zum Schluss sprechen Sie in Ihrem Antrag wieder einmal von Inlandsgeheimdiensten und meinen damit natürlich insbesondere den Verfassungsschutz. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Der Verfassungsschutz leistet in Deutschland hervorragende Arbeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dort gibt es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die entsprechend ihrem Auftrag mit den Dingen umgehen.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Gerade sind Menschen ermordet worden, und der Verfassungsschutz hatte keine Ahnung!)

Deswegen sage ich jetzt auch noch: Wenn Sie mit der Jagd auf Radikale auch die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes meinen, dann finde ich das völlig daneben. Ich bitte Sie, in Zukunft mit diesen Begriffen etwas vorsichtiger zu sein und auch die Arbeit der Menschen, die dort im öffentlichen Dienst arbeiten, zu schätzen.

In diesem Sinne freue ich mich auf eine positive Diskussion und hoffe, dass wir auch einen positiven Umgang miteinander pflegen.

Danke schön.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Jahns. - Für die SPDFraktion hat Frau Kollegin Leuschner das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir werden den Antrag im Fachausschuss intensiv beraten. Das kann ich Ihnen versprechen.

Herr Adler, ich teile im Wesentlichen Ihre historische Einschätzung. Aber man kann diesen Radikalenerlass nicht losgelöst von der damaligen historischen Entwicklung sehen.

(Frank Oesterhelweg [CDU]: So ist es!)

Sie haben das gesagt. Zuvor gab es aber auch noch die terroristischen Anschläge der RAF, es war die Zeit der Demonstrationen auch aus dem linksautonomen Spektrum, aber auch aus Teilen der Friedensbewegung. All das hat im Endeffekt dazu geführt.

Ich gebe Ihnen recht, dass zuerst der Hamburger Senat 1971 vorgeprescht ist und gesagt hat: Wir müssen die Verfassungstreue der Beschäftigen des öffentlichen Dienstes überprüfen. - Hinterher hat die Bundesregierung unter Willy Brandt diese Position auf Vorschlag des damaligen Innenministers Hans-Dietrich Genscher übernommen,

(Christian Grascha [FDP]: Guter Mann!)

und die damaligen elf Ministerpräsidenten haben das in die Länder durchgetragen.

Dieser Erlass wurde letztlich auch auf Druck der CDU in der Auslegung verschärft. Das haben Sie in Ihrer Rede nicht erwähnt, aber ich denke, das ist erwähnenswert. Das hat dazu geführt, dass viele Studierende zwar ihr Staatsexamen und ihr Referendariat absolvieren konnten, aber nicht in den Staatsdienst übernommen worden sind. Die restriktive Auslegung dieses Erlasses hat dazu geführt, dass vielfach eine Hetze auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst, ganz gleich an welcher Position sie beschäftigt waren, stattgefunden hat.

Auch innerhalb der SPD hat es starke Proteste und Auseinandersetzungen gegeben. Das wurde nicht einfach stillschweigend hingenommen, sondern viele haben sich gemeinsam dagegen gewehrt. Wir haben dann aber die Konsequenzen aus diesen Fehlern gezogen. Sie haben erwähnt, dass Willy Brand gesagt hat, das sei ein Fehler gewesen. Im Grunde genommen ist das noch weiter verschärft worden, indem gesagt wurde, man habe mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Das sagte Helmut Schmidt, meine Damen und Herren. Ich denke, das muss man auch historisch richtig einordnen. In seiner Regierungszeit wurden bereits 1979 die

wesentlichen Punkte des sogenannten Radikalenerlasses auf Bundesebene geändert und abgeschwächt. Frau Kollegin Jahns, Sie erwähnten es zwar, aber da irrten Sie sich: 1991 hat der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder den Radikalenerlass abgeschafft. Er hat natürlich seine Erfahrung als Anwalt vieler Mandantinnen und Mandanten mit einfließen lassen. Zum damaligen Zeitpunkt wurde er von den Konservativen sehr hart kritisiert. Das war also keine einfache Sache.

Ich bin sehr froh darüber, dass mittlerweile auch das letzte Land, nämlich Bremen, unterstützt durch drei Fraktionen, den Radikalenerlass abgeschafft hat, der noch seit 1983 bestand. Sie berufen sich auch dort auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs.

Ich stimme Ihnen im Wesentlichen zu, dass durch den Erlass auch eine Einschüchterung und vielfach auch eine ungerechte Behandlung junger Menschen, die in den öffentlichen Dienst wollten, stattgefunden hat und wir diese Schicksale aufarbeiten müssen. Aber ich denke, dass man das nicht pauschal tun kann. Man muss damit sehr differenziert umgehen. Das werden wir in den Ausschussberatungen versuchen.

Ich finde es viel schlimmer, dass noch jetzt eine andere sogenannte Gesinnungsschnüffelei besteht, die auf Bundesebene von der Familienministerin Schröder eingeführt wurde. Diesmal trifft es zwar nicht die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Es geht um die sogenannte Extremismusklausel, nach der bei Maßnahmen, die gegen Rechts durchgeführt werden, die Zuwendungsempfänger, um Geld zu erhalten, intern darlegen müssen, inwieweit Verfassungsfeinde in ihren Organisationen sind. Dagegen haben wir uns immer ausgesprochen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist klar, dass wir gegen extremistische Bestrebungen im öffentlichen Dienst vorgehen müssen. Aber das muss im Einzelfall nachgewiesen werden. Es müssen konkrete Verdachtsmomente vorliegen. Das kann man nicht einfach pauschal herleiten und an der Mitgliedschaft in einer Organisation oder Partei festmachen.

Ich freue mich auf die Beratungen im Fachausschuss und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich danke Ihnen, Frau Kollegin Leuschner. - Nun hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Janssen-Kucz das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Radikalenerlass war, wie bereits gesagt, ein Beschluss der Regierungschefs des Bundes und der elf Länder am 28. Januar 1972. Sein offizieller Name lautete „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“. Im Volksmund wurde das sehr schnell als „Radikalenerlass“ oder „Berufsverbot“ bezeichnet.

40 Jahre Radikalenerlass: 40 Jahre, in denen ein erkannter Fehler, der selbst von Willy Brand als solcher bezeichnet wurde, nicht ausreichend korrigiert wurde. Man hat in vielen Bundesländern, wie bereits gesagt, diesen Radikalenerlass aufgehoben. 1999 geschah das in Niedersachsen.

(Sigrid Leuschner [SPD]: 1991!)

- 1991, nicht 1999, Entschuldigung!

Aber es ist nichts weiter passiert. Die Menschen, die vom Radikalenerlass betroffen waren und fast ausnahmslos - so ist zumindest meine Erfahrung - für legale politische Aktionen kriminalisiert wurden, und zwar meist für ein ganzes Leben - Frau Jahns, das waren keine Einzelfälle, sondern es waren sehr viele, die kriminalisiert wurden -, hat man alleingelassen.

In der Anfangszeit des Radikalenerlasses gab es sogar noch die Regelanfrage beim Bundesamt für Verfassungsschutz, wenn sich jemand auf eine Stelle im öffentlichen Dienst bewarb. Nach vielen Protesten wurde das in den 70er-Jahren abgeschafft. Herr Adler, ich meine, Sie hatten es eben gesagt: Über diese Regelanfragen gab es 256 Entlassungen im öffentlichen Dienst.

Aber in der Regel genügte es - das sind die Menschen, die ich auch noch in den 90er-Jahren kennengelernt habe -, in einer Organisation aktiv zu sein, in der Kommunisten eine führende Rolle spielten. Dazu gehörten z. B. die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, der Bund der Antifaschisten, die Deutsche Friedensgesellschaft, die

Vereinigten Kriegsdienstgegner und die Vereinigung Demokratischer Juristen. Das war etwas, was ich nie verstanden habe. Über diesen Radikalenerlass hat quasi eine Sippenhaftung gegriffen.

Mich hat immer sehr erstaunt, dass ich nur sogenannte Linke getroffen habe. Ich habe nie Rechte kennengelernt. Ich habe mir die Große Anfrage der Fraktionen der CDU und der FDP noch einmal angeschaut. Vom Radikalenerlass waren in Niedersachsen und anderswo kaum Linke betroffen.

(Zuruf von der SPD: Rechte!)

- Entschuldigung! Es waren kaum Rechte betroffen. Ich bin nach dem langen Tag heute wohl langsam unkonzentriert.

Jetzt ist es wichtig, dass wir das vergiftete politische Klima, das bis weit in die 90er-Jahre hinein herrschte, gemeinsam aufarbeiten. Wir sollten auf der Grundlage des Antrags der Linken gemeinsam beraten, wie wir Veranstaltungen zur Aufarbeitung dieses in meinen Augen unrühmlichen Teils unserer Geschichte auf den Weg bringen, ob es nur Veranstaltungen an Schulen oder ob es zentrale Veranstaltungen sein sollen. Wir sollten darüber beraten, wie uns das gemeinsam gelingen kann.

Wichtig ist: Über das Berufsverbot in Deutschland darf nicht der Mantel des Schweigens und des Vergessens gebreitet werden. Ich denke, das ist wichtig. Heute ist deutlich geworden, dass wir uns darin einig sind, das jetzt auf den Weg zu bringen.

Danke für Ihren Antrag!

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Janssen-Kucz! - Für die FDPFraktion hat sich Herr Kollege Oetjen zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Geständnis anfangen,

(Ronald Schminke [SPD]: Jetzt muss alles raus!)

nämlich mit dem Geständnis, verehrter Herr Kollege Schminke, dass ich, nachdem der Antrag vorlag und klar war, dass ich dazu reden soll, mehr über die deutsche Geschichte gelernt habe.