Ich finde, bei diesem Thema muss man von einer wichtigen Grundlage ausgehen. Aus unserer Sicht ist es unstreitig Aufgabe des Staates, im Rahmen der Daseinsvorsorge dafür zu sorgen, dass alle Menschen Zugang zu Strom und Wärme haben. Das muss so geschehen, dass nicht einige Menschen davon ausgeschlossen werden, weil sie Strom und Wärme nicht mehr bezahlen können, und so, dass Unternehmen nicht in den Ruin oder ins Ausland getrieben werden.
So allgemein wird das jeder hier im Saal sicherlich unterschreiben. Damit ist es aber natürlich nicht getan. Politik findet in der Realität und nicht im Lehrbuch statt, und in der Realität gibt es nun einmal Unternehmen, deren Interesse in erster Linie darin besteht, Gewinne zu maximieren und alte Strukturen zu erhalten, und die am liebsten ohne
jeden Eingriff des Staates agieren möchten. Aber spätestens seit Fukushima ist uns allen klar, dass diese Form von Wirtschaftsliberalismus endgültig zu den Akten gelegt werden muss. Nicht mehr ein Oligopol aus vier Konzernen darf die Zukunft bestimmen, sondern es müssen wieder die Interessen der Bürger, die Interessen des Gemeinwohls im Mittelpunkt stehen.
Ökologie und nachhaltige Effizienzsteigerung sind Bestandteil des Gemeinwohls. Deshalb müssen sie Vorrang haben.
In der Praxis ist die Umsteuerung dahin kein leichter Weg. Das wissen wir alle. Sowohl technische als auch rechtliche und ökonomische Fragen sind zu lösen. Die Antworten dafür zu organisieren, ist nicht ganz einfach. In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde die kommunale Seite viel zu häufig ausgeschaltet oder an die Wand gedrückt.
Von welchem energiepolitischen Rahmen ist dabei auszugehen? - Wir gehen davon aus, dass die Kernenergie endlich definitiv am Ende ist und wir sehr viel stärker auf dezentrale Produktion von Energie setzen. Erneuerbare Energien können viel stärker als Kernenergie und Kohle dezentral produziert werden. Weil sie dezentral produziert werden können, können sie auch dezentral verteilt werden. Deshalb brauchen wir ganz neue Netzverteilungsstrukturen. Das bedeutet auch neue Netzzugangs- und Netzentgeltverordnungen. Das sind hochkomplexe Fragestellungen, die geregelt werden müssen. Das kann eine kleine Gemeinde nicht einfach eben einmal so machen. Da braucht es sehr viel Unterstützung. Wir brauchen endlich verstärkte Anreize für die Investitionen in Smart Grids und für Investitionen in die Energieeffizienz.
Mehr Demokratie, mehr Selbstbestimmung und mehr Wettbewerb. Rekommunalisierung kann regionale Wertschöpfung generieren. Unsere Kommunen brauchen stetige und höhere Einnahmen. Sie brauchen Arbeitsplätze. Mit dieser Rekommunalisierung können wir die Voraussetzung dafür schaffen, dass Stadt- und Gemeindewerke, Genossenschaften und einzelne Bürger eine demokratisch kontrollierte und dezentral organisierte Energieversorgung auf- und ausbauen können.
Keine andere Ebene kann z. B. die Organisation von Fernwärmenetzen in städtischen Bereichen so effektiv durchführen, wie Stadtwerke dies können. Wer sich das angucken will, kann einmal bei enercity in Hannover nachsehen. In einigen Regionen Niedersachsens gibt es Mischformen von Anbietern. Ich habe das eingangs gesagt. Es gibt auch Unternehmen, in denen eine Zusammenarbeit zwischen einem der vier großen Konzerne und der kommunalen Beteiligung stattfindet. Es wird darauf ankommen, wie die Anpassung konkret umgesetzt wird.
Aus meiner Sicht muss sichergestellt werden, dass die kommunale Seite nicht nur eine Feigenblattfunktion erfüllt, sondern dass sie in einem solchen Unternehmen mitreden und mitentscheiden kann. Überhöhte Preise, Wettbewerbsverhinderung oder Blockade der Energiewende sind nicht mehr akzeptabel.
Unser Entschließungsantrag richtet seine Forderung einerseits an den Bundesgesetzgeber. Das kann man unschwer herauslesen. Andererseits richtet er sich an den Landesgesetzgeber. Wir dürfen nicht nur nach Berlin schielen. Wir können auch in Niedersachsen eine Menge tun, um die dringend notwendige Wende in die Praxis umzusetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ich bin sehr gespannt, ob Sie zu einer solchen Energiewende bereit sind. Wer wissen möchte, wie schwer das möglicherweise ausfällt, der möge nachlesen, was in der Drs. 16/1425 geschrieben wurde. Das war die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage von CDU und FDP unter der Überschrift „Energieversorgung in Niedersachsen“ aus dem Februar 2009. Es ist also zwei Jahre her. Einige Antworten sind aus heutiger Sicht schlichtweg grotesk. Ich bin mir sicher, dass Sie sich heute eher die Zunge abbeißen würden als so etwas noch einmal aufzuschreiben oder auszusprechen.
Ich nenne ein Beispiel. Lesen Sie einmal die Antwort der Landesregierung auf die Frage 41 nach. Dort heißt es wörtlich:
„Kernkraftwerke vorzeitig abzuschalten, die unter Wahrung der musterhaften deutschen Sicherheitsstandards noch viele Jahre am Netz bleiben
(Wolfgang Jüttner [SPD]: Was ein echter Gesinnungstäter ist, der lässt sich durch nichts erschrecken!)
- Ja, er hat aber ein bisschen Pech. Auf dem FDPBundesparteitag hat die Landesabteilung der FDP gerade eine richtige Klatsche gekriegt, weil Herr Kauch ihre Idee mit den Klimageschichten einfach mit der Bemerkung zu den Akten gelegt hat, für Randwissenschaften müsse man sich nicht unbedingt einsetzen.
- Herr Dr. Hocker, wir werden bei Gelegenheit darauf zurückkommen. Ich freue mich schon darauf, wenn wir diesen Tagesordnungspunkt wieder haben. Das war eine Abfuhr allererster Granate.
In der Antwort auf Frage 39 macht die Landesregierung deutlich, dass sie mehrere neue Kohlekraftwerke an der Nordseeküste bauen lassen will, um den Strom dann über ein 380-kV-Höchstspannungsnetz nach Süddeutschland zu transportieren. Mit dieser Konzentrierung der Stromproduktion wollen Sie nebenbei auch noch Klimaschutzziele erreichen. - Abstruser geht es wirklich überhaupt nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, wenn Sie das Sechspunkteprogramm der Bundesregierung ernsthaft zur Kenntnis nehmen würden, würden Sie feststellen, dass darin eine Menge Dinge enthalten sind, die sich in der Tat lohnen, umgesetzt zu werden. Ich zitiere nur einige davon. Es geht z. B. um eine gemeinsame Offensive von Bund und Ländern zur Ausweisung von neuen Eignungsflächen für Windkraftanlagen, z. B. Repowering. Es geht um ein besseres Einspeisemanagement und die Netzintegration der erneuerbaren Energien. Es geht um Anreize für bedarfsgerechte Stromerzeugung und die Zulassungsvoraussetzungen für den Regel- und Ausgleichsmarkt. - All das sind auch Länderaufgaben. Ich sehe nur nicht, dass irgendjemand von Ihnen das hier im Land Niedersachsen anpackt.
Unter Punkt 2 d steht z. B., dass die Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um intelligente Netze wie Smart Meters zu schaffen, damit man
In Punkt 4 geht es um hocheffiziente und flexible Kraftwerke. Gaskraftwerken, schreibt die Bundesregierung, kommt eine besondere Rolle zu. Werden diese an den richtigen Standorten errichtet, könnten damit auch Netzengpässe vermieden werden.
(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Wissen Sie, wie sich die Gasprodukti- on in den letzten Jahren entwickelt hat? Jedes Jahr 2 % weniger!)
- Ja, aber was reden Sie so, wenn Sie draußen reden? - Sie wollen 3 600 km neue Höchstspannungsnetze bauen, wie dena II es gesagt hat. Das ist alles längst erledigt. Verabschieden Sie sich einmal von solchen Ideen!
Wenn Sie unterstützen, was Ihre Bundesregierung an dieser Stelle aufgeschrieben hat, dann müssten Sie diese Dinge aufgreifen, unterstützen und umsetzen. Wir sollten alle in dieser Situation daran interessiert sein, in der Energiepolitik einen Konsens zu finden, wenn es irgendwie geht. Sie müssten sich allerdings auch von Ihrem Kernenergie- und Kohledenken in dieser Form verabschieden. Sie müssten sich für diese dezentralen Lösungen öffnen, die wir dringend brauchen.
Sie müssten dafür sorgen, dass das auch schnellstmöglich passiert. Wir haben nicht mehr ewig Zeit. Das ist doch völlig klar. Wir reden davon, dass wir spätestens bis 2017 oder 2020 vollkommen aus der Kernenergie ausgestiegen sind. Da gibt es unterschiedliche Perspektiven. Die CSU will es bis 2022 machen. In dieser Zeit müssen wir die entsprechenden Regelungen umgesteuert haben.
Anfang Mai hat der Präsident des Verbandes kommunaler Unternehmen, der hannoversche Oberbürgermeister Stephan Weil, in einer Pressemeldung darauf hingewiesen, dass über 700 existierende Stadtwerke sofort in der Lage sind, 6 Milliarden Euro zu investieren, um ihren Anteil am beschleunigten Umbau der Energieerzeugung in Deutschland zu leisten. Bereits heute werden nur durch die VKU-Betriebe 8 Milliarden Euro in den Bau neuer Erzeugungskapazitäten investiert. Das ist ein riesiges Potenzial, das endlich wieder eingesetzt werden kann, weil Sie mit den Laufzeitverlängerungen gnadenlos gescheitert sind. Das müssten Sie auch einmal sagen.
In einem Satz zusammengefasst: Es geht der SPD-Fraktion mit diesem Antrag auf zunehmende Dezentralisierung darum, eine andere Form der Koordinierung und Steuerung von Erzeugung, Verbrauch und Vernetzung herbeizuführen. Wer das will, muss das auch tun. Er muss es so entscheiden.
Herr Minister Sander, im Übrigen schätzen wir beide den Vorsitzenden der Regierungskommission, Herrn Schneidewind, außerordentlich. Wissen Sie, welche Meldung das Wuppertal Institut heute herausgegeben hat? - Wenn die Energiewende schnell durchgeführt wird, dann wird es bei Strom zu einer Verteuerung von maximal 25 Euro jährlich kommen, schrieb das Wuppertal Institut.
Das Wuppertal Institut mit Herrn Schneidewind an der Spitze sagt, dass es mittelfristig zu einer Senkung der Stromkosten kommen wird. Herr Sander, wenn wir Herrn Schneidewind an dieser Stelle überzeugend finden, können wir uns da doch treffen.
- - - es muss aufhören, dass man bei diesem Thema Angst macht. Es muss wirklich angepackt werden, damit man es umsetzen kann.
(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD und Zustimmung von Kurt Herzog [LINKE] - Zuruf von der CDU: Das tun wir doch!)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von den Grundsätzen her spricht sich die SPD-Fraktion in ihrem Antrag zutreffend dafür
aus, Energienetze zu kommunalisieren und das Auslaufen der bestehenden Konzessionsverträge dafür zu nutzen.
„Niedersachsen hat herausragende Voraussetzungen und Entwicklungspotenziale, um sich als erstes AKWBundesland ganz bewusst von der Atomkraft zu befreien. Neben der grundsätzlichen Einsparung von Energie ist der tiefgreifende energiewirtschaftliche Umbau hin zu 100 % erneuerbarer Energieversorgung daher dringend geboten“.
So weit, so gut. Aber jetzt kommt das Aber an die Adresse der SPD-Fraktion: Schaut man auf die Einzelheiten Ihres Antrages, dann stellen sich ein paar Fragen.
Erstens. Die Landesregierung soll sich auf Bundesebene für eine Reform des Energiewirtschaftsgesetzes einsetzen, um den kommunalen Unternehmen dieselben Ausgangsbedingungen wie den großen Energieversorgern zu geben. Die gleichen Ausgangsbedingungen sind aber bereits in § 46 des Energiewirtschaftsgesetzes garantiert. Dort ist nämlich von einem diskriminierungsfreien Interessenbekundungsverfahren die Rede. Danach darf ein kommunaler Mitbewerber überhaupt nicht benachteiligt werden. Deshalb geht Ihr Antrag an dieser Stelle eigentlich am Ziel vorbei.