Protocol of the Session on July 12, 2006

Damals ist versucht worden, die Aufenthaltszeiten erst gar nicht so lang werden zu lassen, um der Riesenwelle von Asylbewerbern begegnen zu können. Sie aber schieben Menschen ab, die zum Teil seit Jahrzehnten hier leben. Das kann man, wie gesagt, nicht vergleichen. Deswegen sage ich: Unterlassen Sie es, Herr McAllister, Äpfel mit Birnen zu vergleichen,

(David McAllister [CDU]: Es geht um Menschen, nicht um Obst! Das ist ja unglaublich!)

und unterlassen Sie die Verunglimpfung von Kolleginnen und Kollegen auf unserer Seite, die sich seit Jahrzehnten für Menschenrechte und Humanität einsetzen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

Ich möchte abschließend einige wenige Bemerkungen zu den vorliegenden Anträgen machen. Sie begrüßen in Ihrem Entschließungsantrag, dass es beim Bund Evaluierungsüberlegungen gibt. Sie sagen, dass diese Überlegungen zu einem Ergebnis führen müssen. Wir hingegen wollen Ihnen, Herr Schünemann, für diese Debatte etwas Konkretes mit auf den Weg geben. Das ist schließlich die Aufgabe dieses Parlaments: Es hat nicht Abstinenz zu üben, sondern für die Debatte im Bund, im Bundesrat, in der Innenministerkonferenz Position zu beziehen.

Deswegen sage ich: Lieber Herr McAllister, wenn Sie an die neuen Überlegungen der SPD einen Haken gemacht haben,

(David McAllister [CDU]: Fast!)

- an fast jede! -, dann haben Sie auch einen Haken an die Forderung gemacht, dass langjährig geduldete Menschen endlich einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland erhalten müssen. Das steht in unserem Papier. Sie haben diesen Punkt abgehakt. Stimmen Sie unserem Kriterienkatalog zu!

(Starker Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat der Kollege Dr. Rösler, FDPFraktion, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal freue ich mich darüber, dass das Thema Integration in einem Landesparlament diskutiert wird. Für uns ist Integrationspolitik immer auch Politik vor Ort, und deswegen ist dieses Thema auf Landesebene auch besser aufgehoben als auf Bundesebene.

Am besten aufgehoben wäre es allerdings auf der kommunalen Ebene.

(Beifall bei der FDP)

Mit bundesweiten Integrationsgipfeln jedenfalls erreicht man vielleicht die Verbände und die Medien, aber leider nicht die Menschen, die Integration überhaupt erst leben müssen.

(Beifall bei der FDP)

Es wurde schon gesagt, und ich unterstreiche das auch voll und ganz: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Davor darf die Politik nicht die Augen verschließen. Ebenso wenig darf die Politik die Augen aber davor verschließen, dass sie politische Vorgaben für die Integration geben muss. Für uns ist der Ordnungsrahmen das Grundgesetz mit seinen Grundwerten: allen voran der Unantastbarkeit der Würde des Einzelnen, unabhängig von seiner Herkunft, seiner Religion, seines Geschlechts oder seiner Hautfarbe.

Gleichzeitig gilt es, den Rechtsstaat, der die Grundlage für diese Grundrechte bildet, erstens zu achten, zweitens zu schützen und drittens gegebenenfalls auch zu verteidigen. Das sind die wesentlichen rechtlichen Grundlagen für eine freie und offene Gesellschaft. Aus unserer Sicht gehört dazu auch noch die Toleranz, die letztlich das wesentliche Prinzip menschlichen Miteinanders darstellt. Für uns bildet die Toleranz die beste Grundlage für eine erfolgreiche Integration.

(Beifall bei der FDP)

Aber Toleranz darf man nicht mit Ignoranz verwechseln. Zwangsehen, so genannte Ehrenmorde - die aber gar nichts mit Ehre zu tun haben, sondern schlicht Mord sind -, aber auch Gettoisierungen in deutschen Großstädten sind Schlagwörter, die zeigen, dass es in der heutigen Zeit Integrationsprobleme gibt. Für uns gehört zu einer ehrlichen Integrationspolitik eben auch, offen zuzugeben, dass es diese Integrationsprobleme gibt. Zum Glück ist unsere Gesellschaft heute wesentlich weiter, als sie es noch vor einigen Jahren war. Heute wird niemand ernsthaft bezweifeln, dass es solche Integrationsprobleme gibt. Der - aus unserer Sicht - naive Traum einer harmonischen Multikulti-Gesellschaft ist endlich ausgeträumt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nun erst haben wir eine reelle Chance, Ignoranz, Dummheit und Unwissenheit vorzubeugen; denn

Ignoranz, Dummheit und Unwissenheit sind der Nährboden für Vorurteile und schaden somit immer der Integration. Deswegen ist eine gute Bildungspolitik für uns die beste Integrationspolitik. Damit meine ich u. a. das Gesetz zur Einführung der Eigenverantwortlichen Schule, das wir gestern fast gemeinsam beschlossen haben. Damit meine ich aber auch die Sprachtests und die verpflichtenden Sprachkurse vor der Einschulung. Damit meine ich ferner die Sozialpädagogen an unseren Hauptschulen, und damit meine ich vor allem das Projekt, in Niedersachsen islamischen Religionsunterricht zu erteilen.

(Beifall bei der FDP)

Diese Beispiele zeigen: Bei dem Versuch, die Integrationsleistung durch eine bessere Bildungspolitik noch zu steigern, ist Niedersachsen bundesweit Vorreiter.

Wir sagen auch: So wichtig die Schule und die Bildungspolitik sind, so wenig dürfen wir uns allein darauf beschränken. Jeder von uns weiß, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund wesentlich schlechtere Chancen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt haben als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Da aber gerade diese Chancen auf dem Arbeitsmarkt wesentlich für die wirtschaftliche Teilhabe und damit auch für die gesellschaftliche Integration sind, bin ich sehr froh, dass die Mehrheitsfraktionen hier im Landtag vor einiger Zeit die Grundlagen für niedrigschwellige Angebote gerade für jugendliche Ausbildungssuchende mit Migrationshintergrund geschaffen haben. Ich kann mich noch daran erinnern, dass Begriffe wie „Pizzabäcker“ und „Dönermacher“ zu Beginn verlacht wurden. Am Ende können wir aber heute wohl feststellen, dass diese Angebote beste und sehr praktische Beispiele für gelungene Integrationen sind.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Es geht uns aber auch um die gesellschaftliche Integration. Die WM wurde ja von allen meinen Vorrednern schon angesprochen. Für uns kann ich festhalten, dass diese WM bewiesen hat: Je unverkrampfter das Verhältnis der Menschen zu ihrem eigenen Land und zu sich selbst ist, desto einfacher und desto lockerer können sie auf Fremde zugehen und ihnen freundlich begegnen,

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

auf Fremde, die, vielleicht im Rahmen einer Fußballweltmeisterschaft, als Gäste zu uns kommen, aber auch auf Fremde, die sich vielleicht entscheiden, als Nachbarn dauerhaft bei uns zu bleiben.

Nachdem man sich neuerdings nicht mehr dafür entschuldigen muss, dass man Schwarz-Rot-Gold trägt, würde ich es mir wünschen, dass man sich nicht ständig erklären muss, wenn man womöglich ein etwas fremdländisches Aussehen hat. Das wäre vielleicht sogar das beste Zeichen für die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das dürfte auch im Interesse der in dritter und vierter Generation hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund sein; denn oft trifft solch eine Frage gerade junge Menschen, die sich erst in ihrer so genannten Findungsphase befinden, und verhindert, dass sie ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln. Wir meinen, ein gesundes Selbstbewusstsein - nicht ein überhebliches, sondern ein ganz natürliches Selbstbewusstsein - ist die beste Voraussetzung für Integrationen, und zwar ein gesundes Selbstbewusstsein auf beiden Seiten: aufseiten derer, die integrieren müssen, aber auch aufseiten derer, die integriert werden müssen.

(Beifall bei der FDP)

Wer den Satz „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ wirklich leben will, der muss auch akzeptieren, dass es schon längst Deutsche gibt, die vielleicht eher wie Türken, wie Afrikaner oder wie Asiaten aussehen oder die vielleicht einen schottischen Nachnamen tragen. Wenn man nämlich das Gefühl hat, nicht als Deutscher angesehen zu werden - obwohl man hier aufgewachsen ist, obwohl man die deutsche Sprache spricht, und obwohl man die Staatsbürgerschaft hat -, dann wird man sich unabhängig von der Staatsbürgerschaft hier niemals heimisch fühlen. Damit zwingt man gerade diese Menschen in eine neue Gettokultur. Aber genau das wollen wir alle gemeinsam nicht.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Deswegen: Bei aller Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen, die wir gemeinsam tragen, hat es jeder von uns letztlich ein Stück weit selber in der Hand, seinen Teil dazu beizutragen.

Aus unserer Sicht gehört zu dem Satz „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ auch, dass man diejenigen, die bei uns gesellschaftlich längst in

tegriert sind, juristisch anerkennt. In Niedersachsen leben 22 000 Menschen in Duldung ohne ein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Es sind teilweise Familien, die hier seit mehreren Jahren wohnen. Für sie ist eine Ausweisung natürlich immer ein dramatisches Einzelschicksal.

Das gilt gerade für Kinder. Diese sind meist hier geboren, sind hier aufgewachsen, sprechen nur unsere Sprache. Sie sind hier tatsächlich integriert - was wir immer fordern. Sie fühlen sich auch als Deutsche. Für sie sind solche Abschiebungen meist extrem dramatisch.

Deswegen brauchen wir gerade auch an dieser Stelle ein Umdenken, was die Frage von Bleiberechtslösungen anbelangt.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Gerade Kinder kommen, wenn man sie abschiebt, in eine völlig fremde Umgebung. Sie sprechen nicht die Sprache. Sie sind Fremde in einem anderen Land. Wir müssen anerkennen, dass sie eher zu uns gehören. Das gleiche Schicksal trifft übrigens auch Frauen, die in ihrem Heimatland eher verfolgt und unterdrückt werden, von Gewalt bedroht werden und sich letztlich nicht frei entfalten können.

Wir alle wissen, dass es natürlich im Interesse einer humanitären Flüchtlingspolitik wäre, solche Einzelschicksale im Vorfeld zu vermeiden. Aber die Realität der letzten 10, 15 Jahre sah eben nun einmal anders aus. Deswegen stehen wir alle gemeinsam auch in der Verantwortung, mit den Fällen umzugehen, die dauerhaft immer wieder Duldung bekommen haben, die aber jetzt noch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht besitzen.

(Zustimmung von Dorothea Steiner [GRÜNE])

Ich würde mich freuen - das ist auch eine Bitte an unseren Koalitionspartner -, wenn man die Frage der Bleiberechtsregelung noch einmal neu diskutieren würde. Wir sagen sehr klar: Wenn man das Gefühl hat, dass die bestehende Rechtslage nicht mit den eigenen ethischen oder moralischen Vorstellungen übereinstimmt, dann stehen wir alle gemeinsam in der Verantwortung, genau diese Rechtslage gemeinsam zu ändern.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Zuwanderungsgesetz hat übrigens auch anerkannt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Die FDP-Bundestagsfraktion hätte sich 2003 und 2004 sehr gefreut, wenn es gelungen wäre, eine Altfallregelung oder eine Bleiberechtsregelung einzufügen. Stattdessen aber wurde eine Härtefallregelung ersonnen.

Die Praxis hat gezeigt, auch hier im Parlament, dass diese Härtefallregelung nicht ausreicht. Einmal ist die Praxis bei der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigung von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Niedersachsen ist da eher kein positiver Vorreiter. Zum anderen wurden teilweise sehr private Details von Einzelschicksalen hier im Parlament diskutiert. Die große Anzahl der Fälle zeigt, dass wir mit der reinen Härtefalllösung nicht werden zurecht kommen können.

Deswegen fordern wir, dass sehr schnell eine pragmatische Bleiberechtslösung gefunden wird, die sich an einigen wenigen Punkten der Integration orientieren muss: Sind die Menschen straffrei? Sprechen sie unsere Sprache? Gehen womöglich Kinder auf unsere Schulen? Möglichst muss auch der eigene Lebensunterhalt verdient werden. Aber zur Ehrlichkeit gehört dann auch dazu, dass die Menschen, die sich hier in Duldung befinden, keine Möglichkeit haben, eine Arbeit aufzunehmen.

(Beifall bei der FDP, bei den GRÜ- NEN und bei der SPD)

Aus unserer Sicht wäre es der erste Schritt - auch im Interesse eines echten Einwanderungslandes -, wenn man schnellstmöglich eine Arbeitserlaubnis erteilen könnte. Arbeit ist nämlich ein wesentlicher Integrationsfaktor.