- Oh ja, zur Einbringung Herr Kollege Dehde. Das hatte ich jetzt wirklich vergessen. Ich bitte um Entschuldigung.
Herr Präsident! Vielen Dank. Ich werde meine Schüchternheit überwinden, gar keine Frage. Meine Damen und Herren! Wir haben zum Thema „Energiepolitik“ heute Morgen schon wirklich eine Menge gehört, und ich danke dem Kollegen Meihsies ausdrücklich dafür, dass er auf die Abläufe im Jahre 1986 noch einmal ein bisschen genauer eingegangen ist und sie ausführlich geschildert hat. Insofern kann ich mir ersparen, hier auf die Einzelheiten intensiver einzugehen. Ich möchte diejenigen, die das bewusst können, wirklich einmal bitten, sich zu erinnern und sich einmal zu fragen: Wie ging es mir eigentlich am 26. April 1986?
- Genau das ist der Punkt. Da ging es uns allen eigentlich ganz gut. Wer sich noch einmal ein bisschen vor Augen hält, wie es damals gelaufen ist, erinnert sich: Erst nach zwei oder drei Tagen ging es los. Plötzlich gab es überall in Europa Warnmeldungen, und die Gerüchteküche kam immer mehr in Gang. Damals war der Eiserne Vorhang noch ziemlich undurchdringlich. Wenn man darüber nachdenkt, wird einem wieder bewusst, wie bei bestimmten Fragen in dieser Zeit tatsächlich die Sorgen der Menschen allmählich hochgekommen sind. Wenn man sich mit Kollegen unterhält, hat man auch das eigene Erleben wieder vor Augen. Man hat sich damals die Frage gestellt: Wie geht es einem eigentlich mit Kindern? Ich kann Ihnen sagen: Mein ältester Sohn wird im Juni 20 Jahre alt. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie schlecht es mir in dieser Zeit ging. Ich kann mich erinnern, dass ich mich als werdender Vater mit allen dazu gehörenden Aufregungen und Überraschungen angesichts einer solchen Katast
rophe sehr um das ungeborene Leben gesorgt habe. Die Menschen haben sich in dieser Zeit die Frage gestellt: Dürfen wir unsere Kinder draußen spielen lassen?
Wenn Sie sich das alles vor Augen halten, wird Ihnen wieder bewusst, wie es den Menschen damals ging und wie es noch heute den Menschen geht, die immer noch dort leben. Kollege Meihsies hat einiges in Zahlen gefasst und ausgedrückt, aber man muss sich immer auch vor Augen halten, dass dahinter menschliche Schicksale stehen. Ich persönlich kann immer nur sagen: Zum Glück spüren wir die Auswirkungen hier bei uns nicht so durchschlagend, aber ich empfehle Ihnen wirklich, einmal nach Gomel zu fahren. Gucken Sie sich vor Ort an, wie es dort aussieht. Reden Sie mit den Menschen dort. Oder unterhalten Sie sich einmal mit denen, die in unserer Landesstiftung „Kinder von Tschernobyl“ arbeiten und regelmäßig, mehrfach im Jahr, dorthin fahren. Dann bekommen Sie heraus, was da eigentlich läuft.
Uns wird oft - jetzt schaue ich bewusst in Ihre Richtung, Herr Runkel - erklärt: Na gut, das sind die osteuropäischen Schrottreaktoren. Wir müssen deshalb besonders stark sein, weil das bei uns ja nicht passieren kann. - Dazu kann ich nur sagen: Die Pannenliste im Westen ist unheimlich lang. Sie hat vor Tschernobyl begonnen und ist auch in diesen Tagen immer noch aktuell. Oder kann mir jemand von Ihnen die derzeitige Situation in Sellafield beschreiben? Erinnern Sie sich doch einmal an den schweren Unfall in Sellafield. Dort weiß man, jedenfalls nach meinem Kenntnisstand, bis heute noch gar nicht, wie man die Anlage überhaupt wieder in Gang bekommt, weil ein Raum mit radioaktiven Abfällen voll gelaufen ist, sodass es nicht heilbar ist.
Meine Damen und Herren, schauen wir nach Harrisburg und Sellafield, nach Tokaimura und nach Südafrika, und erlauben Sie mir vielleicht auch den Hinweis auf Gorleben. Auch in Gorleben gab es immer wieder Vorfälle. Ich erinnere an die Blähfässer, und ich erinnere an die wirklich kriminellen Handlungen der falschen Deklaration von atomaren Abfällen. Ich glaube, es ist nicht an der Zeit, zu verniedlichen und so zu tun, als sei bei uns alles in Ordnung. Heute Morgen ist ja auch der Begriff „Vernunft“ gefallen. Ich frage mich, ob diejenigen, die meinen, die Atomkraft voranreden zu müssen, es wirklich brauchen, dass ein westliches AKW in die Luft fliegt, bevor sie zur Vernunft kommen.
Ich glaube, man darf in diese Richtung nicht denken. Wir haben heute Morgen wieder einige Beispiele gehört.
Meine Damen und Herren, Sprache. Der Kollege Meihsies hat hier einen Begriff eingeführt: Liquidatoren. Das ist ein Terminus aus der Atomwirtschaft, der die Leute beschreibt, die in der Anfangsphase tatsächlich mit bloßen Händen und mit Stofftaschentüchern vor dem Gesicht dort hineingeschickt worden sind, um den Schaden zu beheben.
Ich weiß nicht, ob Sie mit dem Begriff „Wegwerfsizilianer“ etwas anfangen können. Das ist ein sehr böses Wort, Frau Zachow. Auch der Kollege Meihsies scheint das nicht zu kennen. Daher will ich es Ihnen einmal sagen: In den deutschen Atomkraftwerken wurden als „Wegwerfsizilianer“ diejenigen Leute bezeichnet, die für eine halbe Stunde an irgendeiner Stelle Aufräum-, Reinigungs- und andere Arbeiten durchgeführt haben. Dann haben sie für ihr Leben eine solche Strahlendosis weggehabt, dass sie nie wieder ein Atomkraftwerk betreten dürfen. Das bedeutet im Slang „Wegwerfsizilianer“. Sprache kann verräterisch sein, meine ich jedenfalls. Ich will hier „kerngesund“ gar nicht anführen. Meine Damen und Herren, „kerngesund“ ist hier heute genug gewürdigt worden; das ist gar keine Frage. Aber wie verräterisch Sprache an einigen Stellen sein kann, haben wir heute Morgen gehört. Ich zitiere wörtlich:
„Ein breiter technologieoffener Energiemix ist und bleibt die richtige Antwort zur Erfüllung der energiepolitischen Ziele.“
Originalzitat von Herrn Sander. Dann sagt er, worum es ihm eigentlich geht. Es geht ihm darum, Laufzeiten von Kernkraftwerken zu verlängern. In Finnland werde ein neues Kernkraftwerk gebaut, und wir seien - so sagt er weiter - in ideologischen Erstarrungen.
- Frau Zachow, wenn Sie hier „richtig“ sagen, dann fordere ich Sie und Herrn Sander auf: Kommen Sie nach vorne und sagen Sie, wo konkret in Niedersachsen oder in Deutschland Sie ein neues Atomkraftwerk hinstellen wollen.
Es scheint Ihnen offensichtlich nur um diese Fragen zu gehen. Bekennen Sie Farbe, und tun Sie nicht immer so, als hätten Sie andere Ziele.
In unserem Antrag - ich will zumindest auf den Forderungskatalog eingehen - fordern wir Sie, insbesondere die Damen und Herren von der CDU, zur Vertragstreue auf, nämlich zur Einhaltung des Energiekonsenses, der vereinbart worden ist. Schaffen Sie tatsächlich Planungssicherheit auch für die Energiewirtschaft, und führen Sie nicht immer wieder die gleichen Debatten. Wir fordern Sie mit diesem Antrag auf, endlich eine deutschlandweite Endlagersuche voranzubringen und nicht immer nur den Müll nach Niedersachsen zu reden.
Ich werde es Ihnen jedes Mal wieder sagen, meine Damen und Herren, dass Sie endlich niedersächsische Interessen berücksichtigen sollen. Herr Meihsies, Herr Töpfer ist heute schon mehrfach genannt worden. Sein Satz an der Stelle ist richtig. Die Überschrift des Artikels „Das hält der Planet auf Dauer nicht aus“ muss man möglicherweise auch noch anführen. Ich habe die Sorge, Niedersachsen hält diesen Umweltminister und diese Regierungskoalition erst recht auf Dauer nicht aus. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Herr Dehde, ich weiß nicht, wie oft wir hier schon erklärt haben: Die Politik wird kein Kernkraftwerk bauen. Das macht nämlich die Wirtschaft.
Die Politik ist der Meinung, dass wir für die zukünftigen Generationen Optionen offen halten müssen. Dafür allerdings ist Politik mit zuständig. Wir sind als Politiker auch der Meinung - da sind Sie hoffentlich mit im Boot -, dass wir keine Denkverbote aussprechen sollten. Denkverbote sind das Aller
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, als ich mich auf diese Rede vorbereitet habe, stieß ich auf einen Zeitungsartikel, in dem Herr Dehde unterstellte, dass sich CDU und FDP bemühten, die Katastrophe von Tschernobyl klein zu reden. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, als ich das gelesen habe, habe ich mich gefragt, wie man eigentlich weiter mit jemandem diskutieren kann, der so etwas Unglaubliches unterstellt.
Gegen diese Unterstellung wehren wir uns auf das Heftigste. Wir alle kennen das Ausmaß dieses Unglücks noch nicht. Die Zahlen, die von IAEO, WHO und UNDP vorgelegt worden sind, werden von der SPD ohne jegliche Selbstzweifel in das Reich der Legende verwiesen. Auch die Zahlen, die die Grünen in ihrem Antrag nennen, sind nirgendwo belegt. Aber, meine Damen, meine Herren, ich will hier keinen Zahlenstreit beginnen. Ich will nur deutlich machen, wie unlauter es ist, mit solchen Zahlen zu arbeiten.
Ein Zahlenstreit bringt uns nicht weiter; denn eines ist auch ganz klar: Jedes Todesopfer ist eines zu viel.
Jedes erkrankte Kind ist eines zu viel. Das Gleiche gilt für jeden erkrankten Erwachsenen und auch für jeden Menschen, der aus diesen Gründen seine Heimat verlassen muss.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Hans-Dieter Haase [SPD]: Die Kon- sequenz heißt: Finger weg von der Atomenergie!)
Meine Damen, meine Herren, in dem UN-Bericht wird aber auch deutlich - das, finde ich, muss uns Sorge bereiten -, wie unsicher es nach wie vor in Tschernobyl ist. Der Sarkophag hält an den Stützstreben nicht mehr. Dort wird nachgebessert. Es steht in Rede, dass wir eine neue Hülle, also einen zweiten Sarkophag brauchen. Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, das wird aber ohne westliches Know-how nicht funktionieren. Ich frage mich: Ist es verantwortbar, dass wir unser Knowhow immer mehr verschwinden lassen, da wir aus dieser Technologie völlig aussteigen wollen? Wol
len Sie wirklich jedes Know-how hier in Deutschland verschwinden lassen? Das frage ich Sie ernsthaft.
In beiden Anträgen geht es jedoch um etwas ganz anderes. Sie verknüpfen, und zwar unzulässigerweise, den Unfall von Tschernobyl mit Sicherheitsfragen der deutschen Kernkraftwerke.
Sie wissen selber ganz genau, dass die RBMKReaktoren, die ursprünglich entwickelt wurden, um nicht nur Strom, sondern auch Plutonium für militärische Zwecke herzustellen, mit unseren Kernkraftwerken nicht zu vergleichen sind. Die Kernkraftwerke in der ehemaligen Sowjetunion hatten enorme Mängel. Es gab keine druck- und gasdichten Hüllen. Es gab riesige Probleme bei den Notkühlsystemen. Vor allem gab es nirgendwo redundante Sicherheitssysteme. Das Verwerflichste dabei ist: Diese Mängel waren in der damaligen Sowjetunion Fachleuten bekannt.
Das entscheidende Problem bei diesen Reaktoren ist, dass in dem Moment, in dem es zu einem schnellen Leistungs- und Temperaturanstieg kommt, die Kettenreaktionen immer rasanter werden und absolut nicht mehr aufzuhalten sind. Das ist ein Fehler in dem technischen System.
Hinzu kam das menschliche Versagen. Herr Meihsies hat das dankenswerterweise sehr neutral dargestellt. Hinzu kam aber auch die völlig falsche Einschätzung eines Tests, der gemacht wurde.
Meine Damen, meine Herren, mit diesem Reaktortyp vergleichen die Grünen in ihrem Antrag die niedersächsischen Kernkraftwerke. Sie schreiben dort:
„Die Katastrophe von Tschernobyl hat uns gezeigt, welches Gefährdungspotenzial in der Nutzung von Atomenergie liegt.“
„In Niedersachsen ist die Bevölkerung an den AKW-Standorten in Grohnde, Lingen und Esenshamm betroffen.“
Meine Damen, meine Herren, Tschernobyl und niedersächsische Kernkraftwerke in einem Atemzug zu nennen, halte ich für unverantwortlich.
Im Grunde genommen glauben Sie das selber nicht. Das ist das, was mich geradezu wütend macht. Wenn Ihr Umweltminister Trittin - das ist heute Morgen schon gesagt worden - die Ansicht gehabt hätte, die Sie hier schriftlich von sich geben, dann hätte er abschalten müssen.