Protocol of the Session on November 10, 2005

(Beifall bei der SPD)

Bei der Kollegin Meta Janssen-Kucz habe ich da auch sehr große Hoffnung.

(Zuruf von Meta Janssen-Kucz [GRÜNE])

- Danke schön. - Allerdings reichen Lob und gute Wünsche allein nicht aus. Es müssen konkrete Schritte für eine Weiterarbeit aufgezeigt und umgesetzt werden. Die bisherige Arbeit kann nicht ersatzlos gestrichen werden.

Bereits im 11. Kinder- und Jugendbericht des Bundesministeriums für Soziales, Familie und Jugend

ist zu lesen, dass bei allen Maßnahmen Ziel der Politik sein muss, künftig die Grundlagen einer geschlechterübergreifenden und vom Geschlecht unabhängigen Chancengleichheit zu schaffen, die zur nachhaltigen Gleichstellung von Mädchen und Jungen, von jungen Frauen und jungen Männern beiträgt. Die Bundesregierung hat deshalb das Gender Mainstreaming in den Richtlinien des Kinder- und Jugendplanes des Bundes verankert. Hier heißt es wörtlich:

„Der Kinder- und Jugendplan soll darauf hinwirken, dass Gleichstellung von Mädchen und Jungen als durchgängiges Leitprinzip gefördert wird. In allen Programmen der Kinderund Jugendhilfe sollen daher geschlechterspezifische Lebenssituationen und zu erwartende Auswirkungen von jugendpolitischen Entscheidungen mit dem Ziel der Chancengleichheit für Mädchen und Jungen berücksichtigt werden.“

Es ist unstrittig, dass konkrete emanzipatorische Handlungskonzepte zur Überwindung von Ungleichheiten entwickelt werden müssen. Die Förderung und die Evaluation geschlechtergerechter Ansätze in Projekten, Maßnahmen und Einrichtungen der Mädchen- und Jungenarbeit in allen Handlungsfeldern sind nötig, auch um die gesellschaftliche Wirkung überprüfen zu können. Die Verpflichtung ergibt sich aus § 9 Abs. 3 SGB VIII, nach dem die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern sind.

Erziehung muss Mädchen und Jungen für einen partnerschaftlichen Umgang sensibilisieren und ihnen die Auseinandersetzung mit ihrer Rolle ermöglichen. Geschlechterpolitik und Pädagogik in der Kinder- und Jugendhilfe waren über zwei Jahrzehnte von Mitte der 70er-Jahre bis Mitte der 90er-Jahre faktisch gleichzusetzen mit parteilicher Mädchenarbeit. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass ich der Meinung bin, für Mädchen wurde genug getan, jetzt sind die Jungen dran. Ich stehe mit Sicherheit außerhalb jeden Verdachts, Mädcheninteressen vernachlässigen zu wollen.

Seit etwa Mitte der 90er-Jahre entwickelte sich parallel und ansetzend an den Grundsätzen und Erfahrungen parteilicher Mädchenarbeit eine Jungenarbeit, die sich äquivalent mit männlichen Le

benslagen, der gesellschaftlichen Situation von Jungen und ihren Problemen und Wünschen auseinander setzte. Geschlechtsbewusste Jungenarbeit hat sich zu einem anerkannten Arbeitsansatz und Qualitätsmerkmal in der Jugendhilfe entwickelt. So verstandene Jungenarbeit hat gewaltpräventive Wirkungen. Jungenarbeit sucht die Kooperation zur Mädchenarbeit und wirkt auf eine geschlechtsbewusste Koedukation hin.

Über diese beiden geschlechtsspezifischen Ansätze hinaus agiert die Jugendhilfe insbesondere in ihrem Hauptaktionsfeld weiterhin weitgehend geschlechtsunspezifisch. Dadurch wurden, wie neuere Forschungen immer wieder belegen, die tatsächlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern negiert und damit Entwicklungschancen und Unterstützungsleistungen geschwächt. Mädchen- und Jungenarbeit sind wesentliche Elemente einer geschlechtergerechten Kinder- und Jugendhilfe und müssen erhalten und ausgebaut werden. Sie müssen aber auch eingepasst werden in ein Gesamtsystem der Gleichstellungsförderung. Dieses System gilt es, unterstützt durch die Kompetenzen der Mädchen- und Jungenarbeit, perspektivisch zu entwickeln. Dabei sollten insbesondere die Leistungsbereiche entwickelt werden, die bislang kaum von geschlechtergerechten Ansätzen erreicht wurden. Insbesondere zu nennen sind hier die Kindertagesstätten und die erzieherischen Hilfen.

Zunehmend problematisch erscheint heute auch, dass Mädchen- und Jungenarbeit jeweils nachträglich und punktuell versuchen muss, Jugendhilfe geschlechtergerecht auszurichten. Diese Nachbesserungsstrategie war bislang notwendig, zeigt aber deutliche Erfolgsgrenzen, die politisch und strukturell bedingt sind. Am Montag stand in der Neuen Osnabrücker Zeitung ein Artikel, der diese Tatsache unterstützt:

„Aus dem am Montag in Dortmund vorgestellten dritten Band der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) geht hervor: Jungen werden leicht benachteiligt, erhalten schlechtere Noten, sagt der wissenschaftliche Leiter der IGLU-Studie. Ursache für die besseren Noten der Mädchen sei möglicherweise deren Wohlverhalten.“

Sehr geehrte Damen und Herren, wir leben in einer Gesellschaft, in der sich die Lebensbedingungen

für Frauen und Männer, Jungen und Mädchen stark verändern. Die Erwartungen an die Geschlechterrolle und deren Ausgestaltung sind differenzierter und flexibler geworden. Zur Umsetzung des § 9 Abs. 3 KJHG ist eine geschlechtsbewusste Jugendhilfe auf Landesebene notwendig. Hier ist das Land in der Pflicht. Wir fordern die Landesregierung auf, das Ihre dafür zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Es besteht ein erheblicher Bedarf in der Jugendhilfe, Impulse zur Umsetzung der Geschlechtergerechtigkeit zu setzen. Das Fachwissen der Mädchenarbeit sowie der Jungenarbeit ist unverzichtbar im Prozess von Gender Mainstreaming.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Erfahrungen unterschiedlichster Träger der Jugendhilfe machen deutlich, dass eine übergeordnete fachliche Begleitung von Vernetzung und Kooperation notwendig ist. Die Entwicklung eines geschlechtsbewussten Jugendhilfesystems nach einem DreiSäulen-Modell hält die SPD für innovativ und wegweisend.

(Zustimmung bei der SPD)

Geschlechtsbewusste Arbeit mit Mädchen und Jungen muss als Querschnittsaufgabe in allen Bereichen der Jugendhilfe verankert werden. Gleichzeitig gilt es, geschlechtsbezogene Angebote für Mädchen und Jungen auch weiterhin als eigenen Förderbereich der Jugendhilfe gesetzlich abzusichern, ohne einzelnen Bereichen eine Existenzberechtigung abzusprechen. Wir fordern, dass von Landesseite eine Struktur geschaffen wird, die einen solchen Prozess herstellt und unterstützt. In der Analyse bestehender Maßnahmen für Jugendliche ist die Notwendigkeit einer gezielten Jungenarbeit als komplementäre Ergänzung von Mädchenarbeit deutlich geworden.

„Kinder- und Jugendhilfe muss jungen Menschen Zukunft geben, sie in ihrer sich rasch wandelnden Lebenswelt unterstützen und vor Gewalt, Kriminalität und Ausgrenzung schützen, Benachteiligungen abbauen, Eigenverantwortung und Engagement fördern. Die Landesregierung fördert innovati

ve Projekte und Modelle, um Impulse für neue, zukunftsfähige Wege in der Kinder- und Jugendhilfe zu geben. Dazu gehören Kooperationen von Bildung und Erziehung, die Förderung von Mädchen und die Partizipation von Kindern und Jugendlichen in den Kommunen.“

Wenn diese Aussagen ernst gemeint und zuverlässig sind, können Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, uns auf unserem Weg folgen, dessen Ziel ist: Kinder müssen Vorrang in unserem Land haben. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen dafür sorgen, dass Mädchen und Jungen unter den bestmöglichen Bedingungen aufwachsen können.

(Beifall bei der SPD)

Die vier Punkte unseres Antrags sind Qualitätsmerkmale für künftige Jugendhilfearbeit.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin überzeugt: Wenn wir diese Punkte beachten, kommen wir dahin, dass Frauen die Männer verstehen und Männer die Frauen verstehen,

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das wäre mal was Neues!)

weil nämlich, wenn wir unserem Antrag folgen, Jungen und Mädchen das von klein auf mit qualifizierter und kompetenter Begleitung geübt und auch gelebt haben.

(Zuruf von der CDU: Das muss man aber vorleben!)

- Das habe ich doch gerade gesagt: und das auch gelebt haben. - Davon können wir dann auch im Parlament profitieren.

(Zustimmung bei der SPD - Zurufe: Oho!)

Tragen Sie also bitte alle in Ihrem eigenen Interesse dazu bei, dass unser Antrag in dieser Form demnächst verabschiedet werden kann. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Jetzt erteile ich Frau Jakob von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Wenn Sie in eine Buchhandlung gehen, werden Sie feststellen, dass es dort eine Fülle von Büchern gibt mit Titeln wie „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen“. Diese Bücher verkaufen sich gut, man glaubt es kaum. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen und die Frage, warum der eine so tickt, wie er tickt, sind auch im 21. Jahrhundert ein wichtiges und spannendes Thema.

Fakt ist: Es gibt keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit. Seit vielen Jahren werden Strategien entwickelt, um die Gleichstellung von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen umzusetzen. Spezielle Förderprogramme auf allen Ebenen tragen dazu bei, Benachteiligungen von Frauen und Mädchen abzubauen. Vieles ist erreicht, aber ein langer Weg liegt noch vor uns.

Wir wissen, dass wichtige Impulse für die Mädchenarbeit aus der Frauenbewegung gekommen sind. Um die Benachteiligung der Mädchenarbeit aufzuheben, entwickelte sich ein vielfältiges Angebot. Das Land Niedersachsen unterstützt seit 14 Jahren die Förderung der Mädchenarbeit. Das Förderprogramm „Lebensweltbezogene Mädchenarbeit“ hat gezeigt, wie wichtig der Dialog zwischen den Beteiligten auf allen Ebenen ist. Man kann davon ausgehen, dass viele Anstöße ohne das Förderprogramm nicht zustande gekommen wären.

Durch den Dialog mit den zahlreichen Trägern der Jugendhilfe wurde aber auch deutlich, dass Mädchenarbeit ebenso wie die Arbeit mit Jungen innerhalb der Jugendhilfe strukturell kaum verankert ist. Im KJHG werden die Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und der Abbau bzw. die Vermeidung von Benachteiligungen als zentrale Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe bezeichnet. Gerade als Frauenpolitikerin sage ich Ihnen: Dazu gehört auch der Abbau von Benachteiligungen bei den Jungen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir müssen feststellen, dass es für Jungen besonders schwierig geworden

ist, ihren eigenen Weg zu finden, um den Anforderungen in Schule und Arbeitswelt zu entsprechen. Wir haben hier im Plenum schon mehrfach darüber gesprochen. Erst vor wenigen Tagen hat auch die Presse darüber berichtet. Die Folge dieser Entwicklung können wir an der Statistik ablesen: Jungen werden häufiger auffällig, reagieren oft aggressiv, greifen schneller zu Drogen, erzielen schlechtere Schulabschlüsse als Mädchen. Hier muss eine moderne Jungenarbeit ansetzen. Deshalb begrüßt und unterstützt die CDU-Fraktion, dass auch für die nächsten drei Jahre Haushaltsmittel für diesen wichtigen Bereich zur Verfügung stehen.

Mit dem Konzept Gender Mainstreaming in der niedersächsischen Jugendpflege- und Jugendhilfeplanung wird die Chancengerechtigkeit für Jungen und Mädchen weiter verbessert. Gender Mainstreaming geht von der Voraussetzung aus, dass sich die Lebenswirklichkeit von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen in vielen Bereichen unterscheidet. Nicht erkannte Unterschiede führen doch dazu, dass scheinbar neutrale Maßnahmen bestehende Unterschiede noch verstärken. Unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit müssen wir in der Kinder- und Jugendhilfe grundsätzlich danach fragen, wie sich die Maßnahmen auf Jungen und Mädchen auswirken. Auf dieser Grundlage sind die Maßnahmen und Vorgaben langfristig entsprechend zu steuern.

Damit dieses Ziel nicht nur Theorie bleibt, sondern in der praktischen Jugendarbeit umgesetzt werden kann, müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für dieses Thema besonders sensibilisiert werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Alle Verantwortlichen müssen schon im Vorfeld in die Lage versetzt werden, die gleichstellungsrelevanten Aspekte zu erkennen, und diese in der Praxis umsetzen. Hier setzt das Landeskonzept an. Die Verankerung von Gender Mainstreaming ist vergleichbar mit dem Einsetzen von Frauenund Gleichstellungsbeauftragten in den Kommunen. Wir müssen - das ist uns allen klar - mit ähnlichen Akzeptanzproblemen rechnen. Deshalb ist es wichtig und notwendig, dass die Landespolitik diesen wichtigen Prozess begleitet und unterstützt.

Männer sind anders, Frauen auch. Bezogen auf unser Thema heißt das: Es ist wichtig, ein solides Fundament für Gender Mainstreaming zu legen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, Chancengleichheit statt Geschlechterkampf! Die Zeit ist reif für die Entwicklung einer Gesamtstrategie und für geschlechterbewusste Ansätze in der niedersächsischen Kinder- und Jugendhilfe. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen, dass das Gender-Konzept natürlich nur eine Ergänzung zur Mädchen- und Jungenarbeit darstellt. Um Benachteiligung von Mädchen abzubauen, ist Mädchenförderung auch weiterhin dringend erforderlich. Zur Geschlechtergerechtigkeit gehört aber auch, dass Frauen und Männer, Mädchen und Jungen gleichermaßen auf die Gestaltung auf allen Ebenen Einfluss nehmen können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

- Jetzt hätten eigentlich alle klopfen müssen, Frau Helmhold. Das hätte ich jetzt erwartet.