Protocol of the Session on November 10, 2005

Vielen Dank, Herr Hagenah. - Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Hermann von der FDPFraktion.

Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Herr Hagenah, unsere Gesellschaft wird in der Tat immer älter. Die Zahl der jungen Menschen nimmt immer mehr ab. Die Zahl der Älteren nimmt zu und das bei langfristig sinkender Bevölkerungszahl.

Je nach Betrachtungsweise - das werden wir ja die nächsten drei bis vier Minuten erleben, Herr Hagenah; mehr Redezeit habe ich nicht - kann dies positive, aber auch negative Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung der Wirtschaft, des Tourismus und der Gesellschaft in unserem Land haben.

Natürlich wird es auch unsere Aufgabe sein, die aus der Altersdemografie resultierenden wirtschaftlichen Aspekte im Auge zu behalten. Allerdings kann und darf es nicht Aufgabe des Staates sein, Herr Hagenah, Wirtschaftsabläufe - egal für welche Zielgruppe - zu organisieren.

Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, scheinen das Rad im

Bereich Tourismus neu erfinden zu wollen. Unsere allen bekannte TMN, die TourismusMarketing Niedersachsen GmbH, beschäftigt sich schon seit Jahren intensiv mit dem Thema des seniorengerechten Tourismus.

Auch die von Ihnen geforderten wissenschaftlichen Markterhebungen sind bereits überholt, Herr Hagenah. In der neuesten Marktforschungsstudie der TMN „Urlaubstourismus in Niedersachsen“ wird berichtet, dass die Zielgruppe der Senioren bereits heute einen hohen Marktanteil in Niedersachsen aufweist. Von diesen Fachleuten - nicht von Politikern! - wurde durchaus erkannt, dass das Wachstumspotenzial hier besonders hoch ist. Die Rahmenbedingungen sind also erkannt, und es wird - glauben Sie mir das, Herr Hagenah - bereits verstärkt daran gearbeitet - genau dort, wo es hingehört: in der TMN, in der TourismusMarketing Niedersachsen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Ihre Forderungen - das ist ja in Ordnung - sind gut gemeint. Aber maßen wir uns bitte nicht an, der Wirtschaft die Leitlinien ihres Handelns zu diktieren.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Das Ge- genteil ist der Fall!)

Herr Hagenah, lassen Sie mich zum Schluss meiner kurzen Ausführungen noch eines deutlich machen: Ist es nicht vielleicht ein Stück diskriminierend, wenn Politiker über die Seniorenwirtschaft diskutieren? Wollen die Senioren überhaupt, dass man sie als eine „besondere Gruppe“ bezeichnet? Ist es nicht vielmehr so, dass sie - im Marketingdeutsch - ganz normal zu einer Zielgruppe gehören? - Es ist egal, ob das Junioren, ob das Männer oder Frauen über 40 Jahre oder unter 50 Jahre sind.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Wir leben in einem Zeitalter des Jugendwahns, Herr Kollege!)

Meine Damen und Herren, dieser Antrag ist typisch grün. Für alles ein Sonderprogramm - das ist Ihr Leben. - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Als Nächstes hat die Kollegin Heiligenstadt von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei einem Blick in den Saal sehe ich, dass die Senioren mitten unter uns sind. Von daher ist es gar nicht so schlecht, wenn man sich dieses Themas annimmt.

(Zustimmung bei der SPD)

Lieber Kollege Hermann, ich schätze die Zusammenarbeit sehr. Aber wenn jemand von der FDPFraktion beim ersten runden Tisch zur Seniorenwirtschaft in Wolfsburg dabei gewesen wäre, dann wüssten heute alle im Saal, über welches Thema wir reden.

(Heidrun Merk [SPD]: So ist es!)

Wir können das aber im Rahmen der Diskussion noch erläutern.

Ich bin den Grünen erst einmal dafür dankbar, dass sie das Thema aufgegriffen haben. Wir hätten dies durchaus auch gemeinsam aufgreifen können. Dieses Thema wurde beim ersten runden Tisch der Seniorenwirtschaft in Wolfsburg von den Grünen und von der IG Metall mit der Wolfsburg AG initiiert. Beim ersten runden Tisch saßen dort alle relevanten Gruppen und am Thema Interessierte zusammen und nahmen sich dieses Themas - auf niedersächsische Bedürfnisse hin betrachtet an.

Doch worum geht es in der Seniorenwirtschaft eigentlich? - Zunächst einmal muss festgestellt werden: Noch allzu häufig wird der demografische Wandel in unserer Gesellschaft mit solchen Begriffen wie „Vergreisung“, „alternde Gesellschaft“, als „Schreckgespenst“ oder „Horrorszenario“ dargestellt. In der Tat ist die demografische Entwicklung in Deutschland und auch in Niedersachsen natürlich nicht von der Hand zu weisen. Die Anzahl der älteren Personen in Niedersachsen dürfte sich von gegenwärtig 2 Millionen bis Ende 2020 um ca. 12 % und damit auf 2,25 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner erhöhen. Es muss auch davon ausgegangen werden, dass der Anteil dieser Personengruppe an der Gesamtbevölkerung von 25 % auf 28 % steigen könnte.

Auch innerhalb der Gruppe der so genannten Älteren gibt es strukturelle Veränderungen. Eine starke Zunahme wird mit plus 11 % in der Altersgruppe der 70- bis 80-Jährigen stattfinden. Besonders starke Veränderungen sind bis 2020 allerdings

bezüglich der Anzahl der Hochbetagten, d. h. der Personen, die 80 Jahre oder älter sind, zu erwarten. Die Entwicklung dieser Personengruppe ist ja von besonderem Interesse, da sie im allgemeinen aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität viel Unterstützung benötigt.

Die über 80-Jährigen waren zu Beginn des Jahres mit gut 360 000 Personen in Niedersachsen vertreten. Bis 2021 dürfte sich die Zahl der Hochbetagten um knapp 40 % auf über 500 000 und damit auf einen Anteil von 6 % an der Gesamtbevölkerung in Niedersachsen erhöhen. Das bedeutet, dass in 15 Jahren jeder 16. Einwohner in Niedersachsen 80 Jahre oder älter sein wird, während es heute noch jeder 22. ist. Diese Veränderungen sind in allen Regionen festzustellen. Wir müssen aber beachten, dass es regional sehr große Unterschiede gibt, die sich noch verstärken werden.

Meine Damen und Herren, es ist mir ein Bedürfnis, diese Situation nicht als Horror- und Schreckensszenario an die Wand zu malen. Ich bin vielmehr der Meinung, dass wir angesichts einer steigenden Zahl älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger in einem bestimmten Alterssegment nicht immer gleich an steigende Rentenkosten oder Alterskrankheiten denken dürfen. Vielmehr müssen wir uns auch mit den steigenden Chancen eines wachsenden Marktes auseinander setzen.

(Beifall bei der SPD)

Genau diesen Trend hat z. B. das Land NordrheinWestfalen bereits vor Jahren erkannt und dieses Thema als eines der ersten Bundesländer mit einer Landesinitiative Seniorenwirtschaft aufgegriffen. An die Adresse der Regierungsfraktionen sage ich: Nach dem Regierungswechsel in NordrheinWestfalen ist es bei dieser Initiative geblieben; sie hat nur einen anderen Namen bekommen.

Der Strukturwandel, der in Nordrhein-Westfalen zu meistern war, ist den Aussagen dortiger Experten zufolge letztlich nur deshalb gelungen, weil die Zahl von Beschäftigen im Dienstleistungssektor extrem gestiegen ist. Dazu zählen natürlich in erster Linie die Beschäftigten im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen im weitesten Sinne, aber auch die vielen Beschäftigten in anderen Bereichen der personenbezogenen Dienstleistungen.

Meine Damen und Herren, in Nordrhein-Westfalen ist in der Seniorenwirtschaft ein Beschäftigungspotenzial von mehr als 100 000 Menschen erkannt worden; hier reden wir also nicht mehr über kleine

Zahlen. Die zukünftige ältere Generation wird in den nächsten Jahren ausweislich wissenschaftlicher Studien pro Haushalt über ein durchschnittliches Bruttoeinkommen von 2 500 Euro und damit auch über ein entsprechendes Konsumpotenzial verfügen.

Nicht zuletzt ist der Trend, dass viele ältere Menschen Reisen ins Ausland unternehmen - Herr Hagenah hat das schon erwähnt -, ungebrochen. Auch hier gilt für Niedersachsen, dass wir diesen Menschen unser Land durch attraktive Angebote als Urlaubs- und Erholungsort empfehlen müssen, um diesen wachsenden Markt ebenfalls zu bedienen. Erste Ansätze sind hier schon gemacht.

Neben dem Tourismus und der Gesundheitswirtschaft sind aber auch Produkte für mehr Lebensqualität im Alter und sonstige personenbezogene Dienstleistungen ein großer Wachstumsmarkt. Auch hier gilt es, die beteiligten Verbände, Kammern und Betriebe weiterhin für dieses Thema zu sensibilisieren. Hier in Niedersachsen ist uns gerade das Thema "Tourismus und Mobilität" sehr wichtig. Dabei ist die Mobilität mit all ihren Facetten - ÖPNV, Autoindustrie, persönliche Mobilität etc. - darzustellen.

Hier ist die Landesregierung meines Erachtens vor allen Dingen gefordert, diesen wichtigen Prozess zwischen allen Gruppen moderierend zu begleiten und das gesamte Thema nicht nur als soziales Thema zu behandeln, sondern auch als ein wichtiges Thema für eine aktive Wirtschaftspolitik in unserem Land. Es ist daher meines Erachtens unerlässlich, dass die Landesregierung die Gestaltung des demografischen Wandels und das Thema Seniorenwirtschaft in diesem Zusammenhang als ein alle Disziplinen übergreifendes Thema begreift und dass es nicht nur im Sozialministerium behandelt wird.

Nehmen wir als Beispiel den Bereich der seniorengerechten, barrierefreien Wohnungen. Hier z. B. ist in Zukunft enormer Handlungsbedarf, vor allen Dingen bei bezahlbaren Segmenten für Ältere, festzustellen. Seniorenresidenzen gibt es landesweit genug, aber bezahlbaren Wohnraum für Ältere noch lange nicht. Wohnungen sind zu modernisieren, sodass ältere Menschen möglichst lange selbstbestimmt in ihnen leben können. Das alles hat neben dem sozialpolitischen Aspekt der Verbesserung der Lebensqualität, der Selbstbestimmung etc. auch eine große wirtschaftspolitische Bedeutung.

(Beifall bei der SPD)

Die Modernisierung von Wohnraum, die Anpassung an vielleicht durch das Alter hervorgerufene verschiedene Handicaps, aber z. B. auch die Entwicklung von Wohngemeinschaften mit kommunikativem Charakter für alle Generationen werden immer wichtiger werden. Das ist ein Zukunftsmarkt für das örtliche Handwerk, das sich den speziellen Bedürfnissen dieser zukünftigen Kundengruppen aber erst anpassen muss.

Was macht dagegen die Landesregierung? Sie streicht die Wohnungsbauförderung, anstatt sie vielleicht dem veränderten Bedarf entsprechend anzupassen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, bei allem Positiven darf man natürlich nicht vergessen: Es gibt keine homogene Gruppe älterer Menschen. Wir müssen beachten, dass diese Gruppe sehr heterogen ist und dass die zukünftige Generation der über 65Jährigen als Kunden steigende Ansprüche entwickeln und wählerischer sein wird als je zuvor.

Zusammenfassend bleibt daher festzuhalten: Seniorenwirtschaft hat natürlich in erster Linie das Ziel, die Lebensqualität von älteren Menschen zu verbessern, aber auch die Kaufkraft der älteren Menschen für das Wachstum in Niedersachsen zu mobilisieren und somit zum Wachstum des Bruttosozialprodukts des gesamten Landes zu sorgen. In diesem Sinne werden wir den Antrag der Grünen unterstützten und ihn in den Beratungen vielleicht noch um konkrete Vorschläge ergänzen. Ansonsten würde ich vorschlagen, dass wir dieses Thema auch in der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ mitbehandeln. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Hillmer von der CDU-Fraktion, Sie haben jetzt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstreicht die gute Arbeit der

Landesregierung und der Ministerin Frau Dr. von der Leyen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ist das ei- gentlich Vorschrift, dass Sie das im- mer sagen?)

Vieles von dem, was Sie fordern, ist längst auf dem Weg. Das niedersächsische Sozialministerium z. B. hat exakt zu diesem Thema in der letzten Woche eine sehr gute Veranstaltung durchgeführt. Daran haben Sie inhaltlich offensichtlich Anleihe genommen.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Wie bitte?)

- Ja, ich musste schon schmunzeln, Herr Hagenah, als ich Ihren Antrag neben das Programm dieser Veranstaltung gelegt habe; denn das war inhaltsgleich. Vielleicht ist Ihr Antrag - das war jedenfalls mein Eindruck - auch der Ausfluss der JamaikaDiskussionen, die vor wenigen Wochen geführt wurden.

Die Landesregierung ist also schon weiter und muss nicht mehr aufgefordert werden. Daher verstehe ich als Adressaten Ihres Antrages vielmehr die breite Öffentlichkeit; denn in der Tat wird der demografische Wandel häufig nur als Bedrohung wahrgenommen, vor der die Menschen kapitulieren, weil sie keine Lösungswege sehen. Die Fakten sind zwar seit 30 Jahren bekannt, aber weitgehend ignoriert worden, weil jeder für sich persönlich hofft, den Konsequenzen des demografischen Wandels noch zu entkommen. Wir werden das nicht mehr können.

Mit einer ängstlichen, defensiven Haltung werden wir die Zukunft nicht gestalten können. Deswegen ist es in der Enquete-Kommission des Landtages nicht zuletzt unsere Aufgabe, den Menschen Chancen und Lösungswege aufzuzeigen. Wir haben in der Enquete-Kommission bereits Anhörungen zu den wirtschaftlichen Chancen durchgeführt und werden weiterhin unser besonderes Augenmerk auf diese Chancen richten müssen. Der demografische Wandel ist eine Herausforderung, die wir nur mit einer positiven Einstellung meistern werden.

Meine Damen und Herren, vieles spricht dafür, dass kein Land dieser Erde im Laufe dieses Jahrhunderts von der demografischen Herausforderung verschont bleibt. Deutschland hat als Vorreiter im globalen Geleitzug die Chance, Konzepte