Protocol of the Session on November 10, 2005

- Ich bin noch im Film. Keine Sorge! Ich bin noch im Film. - In der Antwort der Landesregierung - Frau Bockmann hat das ja dargestellt - scheint so ein bisschen das Prinzip „Tarnen, Tricksen, Täuschen“ zum Zuge gekommen zu sein. Man hat jetzt so ein bisschen abgewiegelt: Alles nicht so dramatisch. Was wollt Ihr? Global betrachtet, haben sich die Fallzahlen doch gar nicht so dramatisch entwickelt.

Meine Damen und Herren, man muss aber eine Gesamtschau anstellen. Erstens ist ein großes Rechtsgebiet von den Verwaltungsgerichten hin zu den Sozialgerichten verlagert worden. Der ganze Bereich der Sozialhilfe oder auch der Grundsicherung ist von den Verwaltungsgerichten hin zu den Sozialgerichten gegangen. Zweitens können wir feststellen, dass die Zahl der Asylbewerber seit den 90er-Jahren ständig abnimmt. Insofern sind bei den Gerichten auch immer weniger Asylverfahren anhängig. Manche Konservative sollten meiner Meinung nach endlich einmal zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der Asylbewerber dramatisch sinkt. Eigentlich haben wir viel weniger Verfahren - -

(David McAllister [CDU]: Das ist aber doch nicht Ihr Verdienst! Was haben Sie denn damit zu tun? - Weitere Zu- rufe)

- Ja, weil die an den Verwaltungsgerichten verhandelt werden, Herr McAllister. Vielleicht haben Sie es noch nicht gewusst. Dann nehmen Sie es aber jetzt zur Kenntnis. - Deshalb sinken an den Verwaltungsgerichten die Fallzahlen. Trotzdem nimmt die Dauer der Verfahren nicht ab.

Welches ist das zweite Problem, das wir haben? Bei den Sozialgerichten steigen die Fallzahlen dramatisch, weil die sich jetzt nämlich mit der Grundsicherung befassen müssen. Was ist jetzt die wunderbare Antwort des MJ bzw. der Justizministerin auf diese ganze Problematik? - Der Hinweis darauf, dass jetzt die Verwaltungsgerichte und gleichzeitig auch die Sozialgerichte überlastet sind, ist wirklich eine ganz kluge Antwort. Ich finde sie total lächerlich. Es heißt: Wir verschmelzen das einfach. Zwei Ertrinkende werden es dann wahrscheinlich irgendwie besser auf die Reihe kriegen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das habe ich bis heute wirklich nicht verstanden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Abordnungen, die Sie an die Sozialgerichte veranlasst haben, reichen bei weitem nicht aus. Auch der Bund der Sozialrichter schlägt jetzt Alarm. Ich sage Ihnen: Die Wertschätzung, die Sie für die kleinen Fachgerichtsbarkeiten in Niedersachsen an den Tag legen, ist meiner Meinung nach wirklich beschämend. Das muss ich wirklich einmal so sagen. Das ist beschämend.

(Beifall bei den GRÜNEN - Glocke der Präsidentin)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, effektiver Rechtsschutz und Rechtsgewährung sind ein Grundrecht. Natürlich, die Leute in Niedersachsen können auch heute noch klagen. Das stellt niemand infrage. Das Verfahren - das müssen Sie ehrlicherweise einmal so sagen - haben Sie jedoch verkompliziert. Lieber Herr Innenminister, ich will es Ihnen noch einmal erklären, weil Sie ja immer sagen, Sie hätten alles vereinfacht.

Herr Briese, die Zeit zum Erklären haben Sie jetzt - zumindest hier am Mikro - nicht mehr. Einen letzten Schlusssatz erstatte ich Ihnen aber noch.

Zwei Sätze noch, Frau Präsidentin. Genau.

Früher: Ausgangsbehörde erlässt Bescheid, Bürger ärgert sich und legt Widerspruch ein, Widerspruchsbehörde bestätigt oder ändert - schnell, billig, effizient und bürgernah. Wie aber ist es heute? - Ausgangsbehörde erlässt Bescheid, Bürger ärgert sich und klagt, Verwaltungsgericht: langsam, teuer und kompliziert.

(David McAllister [CDU]: Ist das schlimm!)

Das also versteht die Landesregierung unter Deregulierung. Ich sage Ihnen: Überlegen Sie noch einmal, was Sie da angestellt haben. Überlegen Sie wirklich noch einmal, ob die Niedersachsen das Widerspruchsverfahren nicht doch verdient haben.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - David McAllister [CDU]: Das kann man doch nicht ernst nehmen!)

Herzlichen Dank. - Für die FDP-Fraktion hat sich Herr Kollege Bode zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein lieber Herr Briese, der letzte Zweisatz war ja sehr schön zusammengeführt, in der Sache aber leider nicht zu Ende gedacht; denn das Verfahren, das Sie beschrieben haben, war ja noch nicht zu Ende. Wenn die Widerspruchsbehörde den Bescheid nur zum Teil oder aber gar nicht geändert hat, dann musste der Bürger nach diesem langen vorangegangen Verfahren, für das er einen Kostenbescheid zugestellt bekommen hat, vor Gericht gehen und unter Inkaufnahme einer gleich langen Verfahrensdauer klagen.

(Beifall bei der FDP - David McAllister [CDU]: Das weiß der doch nicht! - Weitere Zurufe)

Von daher hätten Sie die Erkenntnis, die Sie ganz bestimmt auch selbst gehabt haben, ruhig auch dem hohen Hause zugute kommen lassen können, auch wenn Ihre Redezeit bereits abgelaufen war.

Wir haben es im Gegenteil genau so gemacht, wie es der Kollege Dr. Biester hier ganz hervorragend dargestellt und beschrieben hat.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben uns überlegt: Was ist ein vernünftiger und richtiger Rechtsschutz? - Wir haben uns ferner die Frage gestellt: Wie kann man einen solchen Rechtsschutz noch weiter verbessern? - Wir sind zu folgendem Ergebnis gekommen: Ein kurzer Verfahrensweg ist das A und O. Der Bürger muss möglichst schnell zu seinem Recht kommen. Von daher haben wir uns jedes einzelne Rechtsgebiet angeschaut. Ich habe alles mitgebracht. Wie sah es denn aus? Welche Bescheide sind im Rahmen des Widerspruchsverfahrens geändert worden, welche sind zurückgewiesen worden, und welche haben zu einer im Sinne des Bürgers geänderten Lage geführt?

Dann haben wir gesagt: Erstaunlicherweise ist das Ergebnis, das Sie hier beschrieben haben, in fast allen Bereichen gar nicht feststellbar gewesen. In fast allen Bereichen war der Bürger die Gebühren für das Widerspruchsverfahren zwar los, aber keinen Schritt weitergekommen. Das heißt, er musste hinterher noch klagen. Die Zahlen haben aber erkennen lassen, dass dies in vielen Bereichen gar nicht passiert. Der mit einem Pseudorechtsschutz ausgestattete Bürger hatte also versucht, etwas zu ändern. Im Ergebnis hat dieser Versuch aber zu nichts weiter geführt, als dass er den Bürger eine Verwaltungsgebühr gekostet hat.

Wir haben daher gesagt: Wir wollen genau wie Hessen versuchen, diesen Verfahrensweg zu verkürzen und diesen Pseudorechtsschutz, dem man manchmal aufgesessen war, abzuschaffen und vernünftiges Verfahren vorzusehen. Insofern wäre es sinnvoll, auch für die Evaluation einen vernünftigen Zeitrahmen vorzusehen. Ich bin erstaunt, dass SPD und Grüne hier jetzt sagen: Jetzt müssen wir entscheiden, jetzt müssen wir das anschauen. - Ich weiß noch ganz genau, wie sie sich in den Beratungen des ModellkommunenGesetzes geäußert haben. Da konnten Ihnen drei Jahre für die Evaluation nicht genug sein. Eigentlich sollten es fünf Jahre sein. Jetzt aber wollen Sie

auf einmal schon nach neun Monaten ein Ergebnis haben. Das verstehe ich beileibe nicht.

(Beifall bei der FDP - Christian Dürr [FDP]: Wir auch nicht!)

Von daher haben wir am Anfang gesagt: Wir schauen uns in diesem Jahr auch dieses Ergebnis an. Sollten wir feststellen, dass wir handeln müssen, werden wir auch handeln. Genau das haben wir gestern hier im Landtag getan. Anhand des Musterbeispiels Braunschweig ist uns und auch den Bürgern aufgefallen - ich sage es hier gerne noch einmal -, dass dann, wenn eine Stadt im Fall von Massenbescheiden wie z. B. für Abfallgebühren einen im Interesse der Bürger liegenden Rechtsschutz sicherstellen bzw. zu Änderungen kommen oder in einem Musterverfahren eine gerichtliche Überprüfung davorschalten will, um eine Klärung herbeizuführen, der vom Gesetz bisher vorgesehene Zeitrahmen von vier Wochen in der Regel nicht ausreicht. Deshalb haben wir gestern die Zeitspanne, die den Kommunen zur Verfügung steht, um unbürokratische Lösungen zu finden, im Sinne der Bürger auf ein Jahr verlängert. Das ist im Sinne der Bürger Niedersachsens. Von daher befinden wir uns genau auf dem richtigen Weg.

Wir werden - so ist das von uns schon damals zugesagt worden, und das werden wir jetzt auch so einhalten - das Ergebnis nach einer ausreichenden Zeit in allen Fassetten evaluieren. Es geht aber nicht an, dass Sie jetzt nach neun Monaten ankommen, obwohl alle wussten, dass sich eine Verlagerung ergeben wird. All diejenigen, die sonst zuerst das Widerspruchsverfahren durchlaufen hätten und dann zum Gericht gekommen wären, gehen jetzt sofort zum Gericht. Das wurde bewusst so in Kauf genommen bzw. war so gewollt. Jetzt zu sagen, wir haben diesen ersten Schritt getan und kehren jetzt um, ist so, als wenn Sie auf den Berg gehen und an der Spitze sagen: Lasst uns lieber umdrehen und außen herumgehen, weil der Anstieg zu steil ist. - Das ist Unsinn. Das werden wir nicht machen. Wir werden es im Sinne der Bürger von Niedersachsen ausreichend evaluieren. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön, Herr Bode. - Für die SPD-Fraktion hat sich noch einmal Frau Kollegin Bockmann zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich in meinem ersten Redebeitrag vorhin dagegen gewehrt, auf welche unseriöse Art und Weise diese Große Anfrage beantwortet wurde. Es ist aus meiner Sicht eine Missachtung des Parlamentes, wenn mit den Zahlen so hin und her gespielt wird. Ich will das gerne verdeutlichen:

Erstens. Zu diesen Verfahren gehören auch die so genannten Numerus-clausus-Verfahren. Sie tauchen im letzten Quartal auf. Sie sind lediglich im Vorspann der Großen Anfrage angemerkt worden. In die Berechnungen sind sie keinesfalls einbezogen worden. Es verzehrt doch das reale Bild, wenn ganze Partien herausgelassen werden.

Zweitens. Für das Ausgangsjahr 2003 tauchen unterschiedliche Richterzahlen auf. Mal sind 106 Richter berechnet, mal sind es 139 Richter. Von den unterschiedlichen Stellenbesetzungen her kann man zu keinem realistischen Ergebnis kommen, wenn es mal so und mal so gehandhabt wird.

Die Zahlenvergleiche für 2004 und 2005 sind ebenfalls abenteuerlich. Hier wird der Umstand, dass die sozialhilferechtlichen Verfahren ab dem 1. Januar 2005 an die Sozialgerichte gegangen sind, rechnerisch nicht berücksichtigt bzw. vernachlässigt. Auch dadurch kommt natürlich eine trügerisches Bild zustande.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir fehlt leider die Zeit, um ins Detail zu gehen. Wenn hier von Friede, Freude und Eierkuchen, wenn von bürgerfreundlichen Verfahren geredet wird, dann gestatten Sie mir, zumindest einen Bereich zu vertiefen, den Herr Briese angesprochen hat. Das sind die Anträge auf Rundfunkgebührenfreiheit.

„Klagewelle überflutet Gerichtssäle - TV-Gebühren quälen Verwaltungsrichter“ - so die Hannoversche Neue Presse am 29. Oktober. Die Zahl der Prozesse um die TV- und Rundfunkgebühren hat sich nach der Abschaffung des Widerspruchverfahrens immerhin verzehnfacht. Man kann doch wahrlich nicht so tun, als ob das ein bürgerfreundliches Verfahren sei und überhaupt keine Auswirkungen da seien.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Wollen Sie die Gebühren ab- schaffen?)

Hinzu kommt, dass der NDR dazu übergegangen ist - das kann ich verstehen und nachvollziehen -, sich in den Verfahren durch Rechtsanwälte vertreten zu lassen. Dadurch erhöht sich das Kostenrisiko für die Betroffenen für den Fall, dass sie unterliegen. Die Betroffenen gehören wahrlich nicht zu den Leuten, die die Einführung einer Reichensteuer befürchten müssen. Der NDR ist wegen der Unzulänglichkeiten dieses Massenverfahrens selbst daran interessiert, das Vorverfahren wieder einzuführen. Es kann also keine Rede davon sein, den jetzigen Zustand nach dieser Abschaffung beizubehalten.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung wird sich nicht weiter wegducken können. Die Auswirkungen der Abschaffung der Widerspruchsverfahren haben längst andere Bereiche erreicht. Hier ist die Sozialgerichtsbarkeit unmittelbar betroffen; Herr Briese hat es angesprochen. Niedersachsen ist das einzige Bundesland, das der Sozialgerichtsbarkeit nach dem Hartz-IV-Strudel keinen einzigen zusätzlichen Richter zugeordnet hat. Die Sozialrichter senden Hilferufe aus. Sie machen deutlich: Wir saufen ab. Wir können nicht mehr. - Dem haben wir als SPDFraktion nichts hinzuzuführen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Heister-Neumann. Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Bockmann, diese Landesregierung hat es überhaupt nicht nötig, sich wegzuducken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie kann diese Dinge ganz aufrecht darstellen. Ich will zur Klarstellung einige der Punkte aufgreifen, die Sie dargestellt haben. Sie behaupten kontinuierlich, wir arbeiteten mit falschen Zahlen und stellten es verfälscht dar. Ich sage noch einmal: Erstens. Es sind Zahlen des Statistischen Landesamtes.

(Heike Bockmann [SPD]: Man muss auch damit umgehen können!)

Zweitens haben wir die Zahlen so aufbereitet, Frau Bockmann, wie Sie Ihre Fragen formuliert haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das sind die Antworten auf Ihre Fragen. Dann müssen Sie Ihre Fragen anders formulieren.

Drittens: der von Ihnen angesprochene NC-Bereich. Für alle diejenigen, die das nicht nachvollziehen können: der Numerus clausus. Hier geht es um nichts anderes, als dass diese NC-Verfahren in bestimmten Abständen erst bei Gericht eingehen.

Wenn Sie sagen, dass diese NC-Verfahren hinsichtlich ihrer Anzahl nicht in den Daten berücksichtigt wurden, dann muss ich Ihnen darauf hinweisen, dass das nicht stimmt. Wir haben in den Ausführungen darauf hingewiesen, dass bei der Hochrechnung für das Jahr 2005 die Zahlen für die ersten drei Quartale Berücksichtigung gefunden haben. Es sind auch NC-Verfahren dabei.