Protocol of the Session on May 19, 2005

Tagesordnungspunkt 26: Zweite Beratung: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Demographischer Wandel - Herausforderung an ein zukunftsfähiges Niedersachsen“ - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 15/1833 - Beschlussempfehlung des Ältestenrates - Drs. 15/1920

Die Beschlussempfehlung lautet auf Annahme in veränderter Fassung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Für die SPD-Fraktion hat sich die Abgeordnete Stief-Kreihe gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der SPD und der CDU haben sich dahin gehend geeinigt, den Fragenkatalog des ersten Antrages der Fraktionen der CDU und der FDP um mehr als die Hälfte zu reduzieren. Sicherlich ist ein solcher Fragenkatalog nicht als das Nonplusultra zu betrachten. Manches wird sich aus der Arbeit der Enquete-Kommission ergeben. So werden sich sicherlich zusätzliche Fragen ergeben, manche Fragen werden sich auch erledigen, und man wird vielleicht auch erkennen, dass vor dem Hintergrund des demografischen Wandels manches nicht beantwortet werden kann.

Wir müssen das Rad auch nicht neu erfinden. Viele Themen wurden bereits in zahlreichen Untersuchungen aufgegriffen. Das vorhandene Material wird in die Arbeit der Enquete-Kommission mit einfließen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Bereits bei der Einbringung des Entschließungsantrages wurde von uns darauf hingewiesen, dass einige Fragen keinen direkten Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung aufweisen. Diese Diskrepanz besteht durchaus auch heute noch bei einigen Fragen. Daher noch einmal die klare Forderung: Tagespolitische Themen und deren Beantwortung dürfen nicht mit der Begründung, das dies die Aufgabe der Enquete-Kommission sei, auf die lange Bank geschoben werden.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Eine entsprechende Zusage wurde auch im Ältestenrat gemacht.

Bei Anhörungen bzw. bei der Hinzuziehung von Sachverständigen sollten die jeweiligen Fachausschüsse beteiligt werden, sodass die EnqueteKommission stets die Verbindung zu den Fachausschüssen behält. Wir erwarten auch, dass die zu benennenden acht Sachverständigen durchgängig die Arbeit der Kommission begleiten.

Meine Damen und Herren, in manchen Medien und auch in einigen politischen Erklärungen werden der Bevölkerungsrückgang und die sich ver

ändernde Altersstruktur oftmals als etwas Bedrohliches hingestellt. Begriffe wie „Vergreisung“, „Methusalem-Komplott“ oder die Bezeichnung „ein dahinwelkendes und schwindendes Volk“ gehören zu diesen Schreckensszenarien.

Die demografische Entwicklung - das sollte uns auch während der Arbeit in der EnqueteKommission begleiten - eignet sich nicht zur Panikmache.

(Zustimmung von Heidrun Merk [SPD])

Die Enquete-Kommission sollte in ihrer Arbeit politische Handlungsfelder und gleichzeitig die Chancen benennen, die in der Bevölkerungs- und Altersentwicklung liegen.

Es ist unbestritten: Die Gesellschaft befindet sich im Wandel. Dieser Wandel ist jedoch steuerbar und bietet keinen Grund für Horrorszenarien oder Panik.

Viele Weichenstellungen, wie z. B. ein perspektivisch orientierter Umbau der sozialen Sicherungssysteme, sind auf der Bundesebene vorzunehmen. Es wird nicht immer ganz einfach sein, zwischen den Zuständigkeiten des Bundes, des Landes und der Kommunen eigene Lösungsansätze für Niedersachsen zu entwickeln.

Die Arbeitsplatz- und Anforderungsstrukturen der Zukunft lassen sich nicht definitiv voraussagen. Sicher ist, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und das lebenslange Lernen massiv gefördert werden müssen.

(Unruhe)

Frau Stief-Kreihe, einen Augenblick, bitte! - Ich wäre auch der Landesregierung sehr dankbar, wenn sie die Sprechstunden an der Bank schließen würde. Das ist nicht vorgesehen. Ich meine damit keinen Einzelnen, sondern ich meine das insgesamt. Das ist nicht vorgesehen. Das haben wir in der letzten Wahlperiode gut durchgezogen, und das ziehen wir auch weiter durch.

Frau Stief-Kreihe, fahren Sie bitte fort!

Danke. - Vom Prinzip wissen wir das nicht erst seit heute. Die Politik hat darauf schon zum Teil

- allerdings nur sehr unzureichend - reagiert. Die demografische Entwicklung wird allerdings die Notwendigkeit des Reagierens, des politischen Handelns beschleunigen.

Mehr als ein Drittel der privaten Haushalte bestehen schon heute aus nur einer Person. Daraus ergeben sich zentrale Fragen in Bezug auf die Raumordnung, das Wohnen und den Verkehr, auf die Ver- und Entsorgungseinrichtungen sowie auf die Bildungs- und Kulturstätten.

Wie mobil sind Junge und Alte der Zukunft, und wie intelligent werden sich die Verkehrsstrukturen so verändern, dass sie ressourcenschonend und leistungsstark sind sowie eine flächendeckende Nutzung ermöglichen? - Das sind u. a. Fragen, die sich aus der demografischen Entwicklung ergeben und für die wir in der Enquete-Kommission Lösungsansätze entwickeln müssen.

Es gibt aber durchaus auch nicht direkt steuerbare Einflussfaktoren, z. B. wie sich der technische Fortschritt oder die Arbeitsproduktivität weiterentwickeln werden, was der Markt regelt und was der Staat regeln muss. Es gibt auch Bereiche, aus denen sich der Staat ganz heraushalten sollte, z. B. bei der Lebensplanung und den Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger. Es wird kein Gesetz geben, das vorschreibt, wie viele Kinder eine Frau oder eine Familie bekommen muss. Die Politik kann nur möglichst optimale Rahmenbedingungen und ein kinder- und familienfreundliches Klima schaffen, und zwar nicht nur vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, sondern das hätten wir schon längst machen müssen bzw. wir müssen es heute tun.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, vor den Mitgliedern der Enquete-Kommission liegt ein schweres Stück Arbeit. Sicherlich werden damit zum Teil auch große Erwartungen verbunden. Der Zeitdruck ist immens; denn der Schlussbericht soll möglichst bis zum 31. Dezember 2006 vorliegen. Wir werden sehen, ob dieses Arbeitspensum zu schaffen ist.

Das Stimmungsbild in den Fraktionen ist sehr unterschiedlich. Die einen halten die Arbeit der Enquete-Kommission für notwendig. Für die anderen ist es ein Arbeitsbeschaffungsprogramm.

Ich persönlich gehöre zu der Gruppe, die das Einsetzen einer Enquete-Kommission durchaus für sinnvoll erachtet - mit aller notwendigen Distanz.

Damit berufe ich mich auf seriöse Bevölkerungswissenschaftler zu der Zuverlässigkeit von Prognosen.

Meine Damen und Herren, ich wünsche den Mitgliedern der Kommission das notwendige Durchhaltevermögen, viel Kreativität und natürlich auch gute Ergebnisse!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat nunmehr der Abgeordnete Langspecht das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag soll heute die Enquete-Kommission „Demographischer Wandel - Herausforderung an ein zukunftsfähiges Niedersachsen“ eingesetzt werden. Die Voraussetzungen des § 18 unserer Geschäftsordnung liegen vor. Die gesamte Thematik „Demografischer Wandel“ umfasst in der Tat umfangreiche Sachverhalte, die unstreitig für die Entscheidungen des Landes wesentlich sind.

Wir haben den Einsetzungsantrag gegenüber der ursprünglichen Fassung in Absprache mit den Fraktionen der FDP und der SPD erstens erheblich reduziert - Frau Stief-Kreihe hat das ausgeführt -, zweitens auf wesentliche qualitative Punkte konzentriert und drittens in drei übergreifenden Blöcken zusammengefasst, nämlich: 1. Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Infrastruktur, 2. Bildung, Wissenschaft und Forschung und 3. Soziales. Wir haben außerdem die themenübergreifenden relevanten Bereiche Migration und ländlicher Raum sozusagen vor die Klammer gezogen, sodass diese Belange bei der Behandlung eines jeden Bereiches berücksichtigt werden.

Wir sind auch der Überzeugung, dass wir uns vor allem die Handlungsfelder vornehmen müssen, die wir seitens des Landes tatsächlich gestalten und auf die wir unmittelbar einwirken können.

Die Grünen haben in der ersten Beratung vorgeschlagen, die Fragen zum demografischen Wandel in den bestehenden Ausschüssen mit einigen zusätzlichen Anhörungen zu behandeln. Unserer Ansicht nach können aber die Ausschüsse diese Aufgabe neben ihrer normalen Arbeit in keinem

Fall leisten. Zum einen würde damit der Arbeitsaufwand viel zu groß, und zum anderen könnte man dem notwendigen umfassenden ressortübergreifenden Ansatz nicht gerecht werden.

Die Enquete-Kommission kann losgelöst vom Tagesgeschäft eine breit angelegte Debatte anstoßen und führen und daraus konkrete Handlungsanleitungen erarbeiten. Wir brauchen diese Debatte vor allem aus zwei Gründen:

Erstens. Wir wollen ein Signal gegen die noch immer weit verbreitete demografische Ignoranz setzen und deutlich machen, dass der demografische Wandel eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte, wenn nicht dieses Jahrhunderts ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir müssen also zu einer Bewusstseinsschärfung in der Bevölkerung kommen. Es ist sicherlich richtig, dass derzeit in der politischen Öffentlichkeit über diese Thematik gesprochen wird. Aber dennoch ist der demografische Wandel immer noch lediglich eines von vielen Modethemen, das schnell in Vergessenheit geraten wird, wenn es keine spektakulären Meldungen mehr gibt. Die tatsächlichen Folgen der enormen Veränderungen, die auf uns zukommen werden, sind den Menschen im Land noch keineswegs in ausreichendem Maße bewusst. Hier muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Zweitens. Ziel der Kommission muss die Erarbeitung von Informationen und konkreten Handlungsempfehlungen sein. Wir wollen die Arbeit nach Möglichkeit zum 31. Dezember 2006 beenden, damit noch in dieser Wahlperiode seitens der Landesregierung oder des Landtages entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden können.

Meine Damen und Herren, demografische Entwicklungen verlaufen in langen Zeiträumen. Wenn aber einmal eine Richtung eingeschlagen ist, dann ist die zukünftige Entwicklung nachhaltig vorgegeben. In Niedersachsen wie auch im ganzen Bundesgebiet ist die künftige demografische Entwicklung durch eine niedrige Geburtenhäufigkeit und eine steigende Lebenserwartung geprägt. Bei uns in Niedersachsen sind die ersten Auswirkungen nicht zu übersehen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Während der Westen, vor allem die Landkreise Emsland, Cloppenburg und Vechta ebenso wie die Metropolregion südlich von Hamburg, trotz der gegenwärtigen Krise wirtschaftlich erstaunlich gut dasteht und einen Bevölkerungszuwachs verzeichnet, bluten andere Landstriche, zum Beispiel der Harz oder der Kreis Lüchow-Dannenberg, durch den Weggang vor allem junger Leute immer weiter aus. Auch wenn Experten prognostizieren, dass insgesamt die Einwohnerzahl Niedersachsens in den nächsten 15 Jahren noch nahezu konstant bleiben wird, altert die Bevölkerung und wird zugleich internationaler. Nach 2020 wird die Bevölkerung auch in Niedersachsen immer schneller abnehmen. Die Altersstruktur wird sich dramatisch zugunsten der Älteren verschieben.

Dass wir in der Kommissionsarbeit auch eher unpopuläre Diskussionen haben werden, liegt auf der Hand; denn die Folgen, über die wir reden werden, sind nun einmal mit Begriffen wie Schrumpfen, Altern und Alterslast verbunden, die deutlich negativ belegt sind. Auch ein Gegensteuern der Politik stößt zumeist auf weniger Akzeptanz. Wir alle spüren: Der demografische Wandel bedeutet unweigerlich auch Wohlstandsverlust, der aller Voraussicht nach nicht durch deutliche Leistungssprünge eines künftig noch besser qualifizierten Nachwuchses oder aber durch eine größere Bereitschaft, wieder mehr Kinder zu haben, zu verhindern sein wird.

Umso wichtiger ist es, nach einer umfassenden Bestandsaufnahme und einer Analyse der Ursachen langfristig angelegte Strategien zu entwickeln, die Antworten auf die drängenden Fragen der demografischen Entwicklung geben. Eine erfolgreiche Anpassung an die veränderten Bedingungen im demografischen Wandel kann schnell zu einem Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Regionen Deutschlands werden. Wer seinen Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft hier überzeugende Lösungen anbieten kann, wird an Standortattraktivität gewinnen.