Protocol of the Session on May 14, 2003

Herr Wenzel, bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Althusmann, als der Sonnenkönig noch König von Frankreich war, war es mit den Schuldzuweisungen sicherlich einfach. Da fand man immer ganz schnell denjenigen, der verantwortlich war. Heute, in einem föderalen Staatssystem mit einem Bundestag und einem Bundesrat, ist das nicht mehr so einfach. Da spielen Sie mit der Mehrheit im Bundesrat auch eine ganz gewichtige Rolle.

(Heinz Rolfes [CDU]: Gott sei Dank!)

Wenn Sie hier sagen, Sie wünschen Partner, die morgen noch wissen, was sie gestern gesagt haben, dann ist das sicherlich richtig. Das ist im politischen Prozess ein ganz wichtiger Punkt. Dieses Argument fällt aber auf Sie zurück. Sie kritisieren die Reform der Unternehmenssteuern. Da hat man Fehler gemacht; das ist richtig. Steinbrück und Koch haben mit ihrem Vorschlag versucht, da etwas zu korrigieren. Wer enthält sich aber im Bundesrat der Stimme? - Die Regierung Christian Wulff! Da hätte man mehr machen können. Dann hätte man genau diese Fehler korrigieren können.

Im Göttinger Tageblatt vom Samstag habe ich noch ein schönes Zitat zur Tabaksteuer gefunden, Herr Althusmann:

„Die Tabaksteuer ist deutlich zu erhöhen. Die Mehreinnahmen sollen zweckgebunden der Krankenversicherung zugeführt werden und in Präventionsmaßnahmen investiert werden.“

Das war eine Pressemitteilung der Unionsfraktion im Bundestag vom 30. April dieses Jahres.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wenige Tage später - Herr Althusmann, da sind Sie nicht der Erste - hieß es - Zitat -: „Nach Rasen für die Rente nunmehr Rauchen für die Gesundheit“ - so Angela Merkel beim Wahlauftakt in Bremen. Also bitte! Ich weiß nicht, wovon Sie reden, wenn Sie hier davon sprechen, dass Sie nicht wissen, mit welchem Partner Sie arbeiten wollen.

Wir müssen in einem föderalen System alle gemeinsam den Karren aus dem Dreck ziehen. Dazu gehören auch die Bundesratsmehrheit und auch die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion. Heute hü, morgen hott - das geht nicht, auf keiner Seite. Insofern habe ich den Wunsch: Nehmen Sie sich das zu Herzen, und lassen Sie uns auch mit diesen einseitigen Schuldzuweisungen aufhören. - Vielen Dank für’s Zuhören.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Danke, Herr Wenzel. - Jetzt hat sich Herr Minister Möllring zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da Sie den Bundesrat angesprochen haben, Herr Wenzel: Zunächst einmal muss natürlich immer die Bundesregierung ihre Hausaufgaben machen. Schon vor der Steuerschätzung, die wir morgen bzw. übermorgen erwarten, ist ja klar, dass sich die Neuverschuldung des Bundeshaushalts wahrscheinlich von 18,9 Milliarden Euro auf 37 Milliarden Euro verdoppeln wird. Bei den Steuereinnahmen wird es weitere Milliardenausfälle allein aufgrund der Entwicklung der Konjunktur geben. Dass die sozialen Sicherungssysteme inzwischen vor der Pleite stehen, ist offenkundig, weil auch hier nicht saniert wird. Das Ziel, 2006 einen close to balance, also einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen, ist inzwischen endgültig aufgegeben worden.

Ein Grund für die schlechte Konjunktur ist die ständige Steuererhöhungsdiskussion. Für den Steuerbürger ist das unerträglich. An der Tabaksteuer kann man das sehen. Die Bild-Zeitung - zu der kann man ja stehen, wie man will - macht das immer sehr schön plastisch.

(Lachen bei der SPD - Heidrun Merk [SPD]: Genauso, wie Sie reden!)

- Ja, Frau Merk, man darf sich nicht nur die Bilder in der Bild-Zeitung angucken, sondern man muss auch einmal den Text lesen.

(Beifall bei der CDU - Sigmar Gabriel [SPD]: Das entscheidet die Regie- rung!)

Der Steuerbürger muss sich doch wundern, wenn eine Steuererhöhung so angekündigt wird, wie es bei der Tabaksteuer geschehen ist. Die BildZeitung hat erklärt, dass sie um 12.37 Uhr erfahren habe, dass die Tabaksteuer erhöht werde. Um 12.45 Uhr sagt Béla Anda, sie werde nicht erhöht. Um 14 Uhr teilt Eichel mit, mit ihm sei die Steuererhöhung nicht zu machen. Um 15.30 Uhr sagt Frau Schmidt, sie wolle eine Steuererhöhung um 60 Cent. Um 17.30 Uhr tritt Herr Scholz vor die Kameras und sagt, dass Frau Schmidt noch einmal nachgerechnet habe, die Tabaksteuer werde nun um einen Euro pro Schachtel erhöht.

(Zuruf von der CDU: Chaos!)

Man kann zur Tabaksteuer stehen, wie man will, aber wer eine solche Steuerpolitik macht, der verunsichert den Bürger. Dasselbe gilt für die Diskussion über die Umsatzsteuer, die Niedersachsen klar abgelehnt hat. Dasselbe gilt auch für die ewige Diskussion über die Vermögensteuer, die Erbschaftsteuer usw.

Lassen Sie mich zum Steuervergünstigungsabbaugesetz kommen. Sie haben sich vorhin so gefreut, dass sich der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst jetzt schon Gedanken über Gesetzesüberschriften macht, obwohl das gar nicht seine Aufgabe ist.

(Widerspruch bei der SPD)

Als Sie noch Ministerpräsident waren, Herr Gabriel, haben Sie gesagt, das Steuervergünstigungsabbaugesetz sei Gift für Niedersachsen. Deshalb haben wir das Steuervergünstigungsabbaugesetz im Bundesrat zu Fall gebracht. Denn es ist in Wirklichkeit ein Steuererhöhungsgesetz gewesen und hat die niedersächsische Wirtschaft über Monate hinweg gelähmt. Schauen Sie sich allein den Auftragsrückgang bei VW wegen der Dienstwagenbesteuerung an. Das hat Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze gekostet. Ich könnte noch über die Landwirtschaft und viele andere Bereiche sprechen. Hier sollten schlicht Steuern erhöht werden. Es handelt sich nicht um eine Steuervergünstigung, wenn ich die Besteuerung von Dienstwagen von 1 % auf 1,5 % anhebe.

Es gibt aber noch anderes. Ich habe gedacht, mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz wäre die Fantasie des Bundesfinanzministers am Ende angelangt. Jetzt kommt aber noch ein Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das hat Herr Gabriel gefordert! 3 Milliarden Euro weniger!)

Das ist besonders katastrophal - es handelt sich um das Amnestiegesetz. Das ist völlig falsch gesprungen. Wir dürfen nicht damit anfangen, Schwarzgeldbesitzer zu amnestieren und noch ein Verwertungsverbot für die Staatsanwaltschaft einführen, wie es geplant ist. Denn oftmals liegt dem Besitz von Schwarzgeld ein Straftatbestand zugrunde, z. B. Waffengeschäfte, Kinderpornografie oder Menschenhandel. Wenn das auch noch straffrei gestellt werden soll, dann ist das Steuerchaos perfekt. Deshalb werden wir das ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Gabriel, bitte!

(Bernd Althusmann [CDU]: Jetzt wollen wir es wissen!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Finanzminister Möllring, ich finde den Hinweis, man solle sich in der Bild-Zeitung nicht nur die Bilder ansehen, sondern lesen, ausgesprochen hilfreich. Zum Beispiel ist am 13. Mai ein schöner Artikel mit einem Foto - das sollen wir uns ja nicht ansehen - von Herrn Böhmer und Herrn Laurenz Meyer erschienen. Es steht darunter: „SachsenAnhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) “ - -

(Bernd Althusmann [CDU]: Das habe ich doch gesagt, Herr Gabriel!)

- Nein, Sie haben gesagt: „Irgendwelche Leute aus der Partei.“ Böhmer ist Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Den loben Sie sonst sehr. Der will die Mehrwertsteuer erhöhen, um die Krankenkassenbeiträge zu senken. Zitat: „So werden Lasten gerecht verteilt.“

Dann gibt es jemanden, der bei Ihnen wahrscheinlich auch nur irgendwer ist. Es ist schön, wenn man den Text liest und nicht nur die Bilder anschaut. Es steht in der Bild-Zeitung: „Will auch an die Zuschläge für Schicht- und Nachtarbeiter heran. Wir müssen auch Vergünstigungen zurückfüh

ren.“ Das ist ein Zitat von Laurenz Meyer. Der ist Generalsekretär der CDU.

(Bernd Althusmann [CDU]: Jetzt müssen Sie noch lesen, was am linken Rand steht. Wer war denn noch auf dem Bild? Ein Herr Gabriel?)

- Da stehen u. a. Herr Eichel, Herr Wowereit und ich mit ähnlichen Vorschlägen.

Ich will Ihnen Folgendes sagen: Sie haben eben eine Rede in einer Aktuellen Stunde gehalten. Es wäre hilfreich, wenn Sie dann auch über die aktuelle Politik reden würden und nicht über das Steuervergünstigungsabbaugesetz. Das wäre ganz gut.

(Beifall bei der SPD)

Übrigens ist die Vermutung falsch, wir seien komplett dagegen gewesen. Wir haben einige Teile, die Sie zitiert haben, abgelehnt, aber wir fanden es absolut richtig, nicht zuzulassen, dass große Unternehmen überhaupt keine Steuern in Deutschland zahlen. Das haben Sie im Bundesrat abgelehnt. Wir haben das nicht gemacht. Wir waren für Mindestbesteuerung, Einbeziehung des Aktienbesitzes und anderes mehr.

(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Sie haben sich gerühmt, dass das Steuervergünstigungsabbau- gesetz Ihre Handschrift trägt!)

Erklären Sie doch einmal der geschätzten Öffentlichkeit, warum eigentlich die CDU den löblichen Vorschlag zweier Ministerpräsidenten, nämlich von Herrn Steinbrück aus Nordrhein-Westfalen und von Herrn Koch aus Hessen, gestoppt hat, steuerliche Subventionen abzubauen. Warum haben Sie diesen guten Vorschlag eigentlich kaputtgemacht? - Eine Aussage der Ökonomen, die uns bundesweit die Leviten lesen, ist doch richtig. Sie sagen, wir sollten die Steuersätze senken, was sich aber nur dadurch finanzieren lasse, dass man die Subventionen abschaffe. Das ist doch ein richtiger Vorschlag.

(Beifall bei der SPD)

Früher haben Sie das auch einmal für richtig gehalten. Jetzt stoppen Sie Herrn Koch, wenn er das versucht. Wir haben Herrn Steinbrück nicht gestoppt. Das waren Sie, meine Damen und Herren von der CDU. Sie reden über Jahre hinweg davon, dass Sie Subventionen abbauen wollen, haben es aber selber nicht gemacht.

Wenn Sie über die katastrophale Verschuldung des Landes reden - das hat der Kollege der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Recht getan -, dann müssen Sie die Gesamtverantwortung darstellen. Wir haben den dramatischen Anstieg der Schulden in den letzten Jahren und auch nicht in diesem Jahr wegen der katastrophalen wirtschaftlichen Entwicklung, sondern wir hatten ihn seit 1982. Damals hatten wir in Deutschland Schulden in Höhe von umgerechnet 180 Milliarden.

(Bernd Althusmann [CDU]: Auf Sie ist Verlass!)

- Auf mich ist Verlass. - Man kann nachlesen, dass die Verschuldung im Jahr 1998 umgerechnet 780 Milliarden Euro betragen hat. Sie haben die deutsche Einheit auf zwei Wegen finanziert: erstens auf Pump, und zweitens - das ist der Grund, warum wir so viele Probleme beim Mittelstand haben - haben Sie die nationale Aufgabe der Wiederherstellung der deutschen Einheit auf die Sozialkassen abgeschoben. Nur Arbeiter, Angestellte und Mittelständler zahlten bis 1998 Sozialversicherungsbeiträge für Ostdeutschland. Erst die jetzige Bundesregierung hat das geändert. Sie tragen für diese Politik genauso Verantwortung, wie es andere tun.

(Beifall bei der SPD)

Ich finde es richtig, wenn darauf hingewiesen wird, dass wir nicht versuchen sollten, der Öffentlichkeit ein X für ein U vorzumachen. Übrigens gibt es in Ihrer Partei Leute, die sich über die Vielzahl der Steuervorschläge, die aus der CDU kommen, genau so ärgern, wie Sie sich angeblich über unsere Steuervorschläge ärgern.

Die OECD und die Europäische Union sagen ganz klar, wo die Schwierigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland liegen. Sie sagen, dass das insbesondere mit dem jährlichen Transfer von 75 Milliarden Euro von West- nach Ostdeutschland und mit den viel zu hohen Sozialversicherungsbeiträgen wegen der deutschen Einheit zu tun hat. Frankreich, Italien und Portugal haben ähnliche Probleme wie Deutschland. Diese Länder erwirtschaften mehr als zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union. Zu behaupten, das sei ein deutsches Problem, ist relativ mutig.

Eine letzte Bemerkung: Sie wenden sich gegen die Tabaksteuer und andere Dinge. Wieso ist es eigentlich Aufgabe nur der Arbeiter und Angestellten, dafür zu sorgen, dass es Mutterschaftsgeld

gibt? Wieso muss so etwas ausschließlich über die Krankenversicherung gezahlt werden? Warum ist es richtig, dass die Implantation von im Reagenzglas gezeugten Embryos ausschließlich von der Krankenversicherung gezahlt wird?