Protocol of the Session on February 24, 2005

So die Familienministerin. Notwendig ist in den Augen der Ministerin, die Datenlage über Familien zu verbessern und effektiver zu nutzen. „Umdenken setzt Wissen voraus“, erklärte von der Leyen. Das alles ist zitiert aus den amtlichen Blättern der Statistik. - Die amtliche Statistik Niedersachsens kann und will dazu einen Beitrag leisten. So weit die Begründung des Landesamtes, warum Niedersachsen eine Sozialberichterstattung braucht.

Meine Damen und Herren, ich stelle fest, die Ministerin will die Datenlage über Familien verbessern und effektiver nutzen, das Statistische Landesamt bietet aktive Mithilfe an. Ich finde beides gut. Frau von der Leyen und wir alle bekommen so neuestes Datenmaterial. Herr Strehlen kann mit den Beschäftigten des Statistischen Landesamtes zeigen, welche enorme Kompetenz dort vorhanden ist und wie gut das Amt aufgestellt ist.

Meine Damen und Herren, geben Sie dem Wissen eine Chance. Ermöglichen Sie mit uns die Erfassung und Bewertung neuen Datenmaterials, auf dem eine Politik der sozialen Gerechtigkeit aufbauen kann. Stimmen Sie der Entschließung mit zu; denn wir alle brauchen den angeforderten Bericht als Voraussetzung für eine am Menschen orientierte Politik. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ernst Bloch formulierte einst: Wenn es für alle nicht mehr reicht, springen die Armen ein. Das möchte ich nicht; denn nichts ist teurer als die Armut. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächste hat Frau Meißner von der FDP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist hier sehr eindrücklich berichtet worden, dass es Menschen gibt, die in Armut leben und dass wir das ändern müssen. Ich meine aber, um das zu

ändern, brauchen wir nicht unbedingt einen Bericht, sondern wir müssen das Richtige tun, wir müssen handeln. Das ist das Entscheidende dabei.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es gibt ja verschiedene Zahlen, die zeigen, dass gerade Familien mit vielen Kindern häufig in Armut leben und dass Kinder ein Armutsrisiko sind. Dafür brauchen wir z. B. die richtige Familienpolitik. Ich meine, ein Bericht ist nicht erforderlich, weil wir schon viele Zahlen haben, beispielsweise von der Landesarmutskonferenz. Was wir z. B. brauchen - es ist von Nachhaltigkeit gesprochen worden -, ist Folgendes: Wir brauchen eine Haushaltskonsolidierung in Niedersachsen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von der SPD)

Das ist ein wichtiger Punkt, damit wir auch noch in Zukunft Gelder für diejenigen ausgeben können, die einkommensschwach sind und sich finanziell nicht so viel leisten können.

Hartz IV ist ja jetzt ein Versuch, mehr Menschen in Arbeit zu bringen, wozu flankierend notwendig wäre, ein passendes Steuerkonzept zu entwickeln, das wirklich Arbeitsplatzschaffung zulässt. Das wird im Moment noch nicht gemacht. Es wäre auf Bundesebene sehr wünschenswert gewesen, es nicht bei Hartz IV alleine zu belassen. Beim Steuerkonzept ist es z. B. so: Wenn man 3 % weniger Steuern zahlt, hat jeder 6 % mehr im Portmonee, und der Arbeitgeber ist entlastet. Dadurch kommt etwas in Gang. Das haben viele andere Länder vorgemacht. So kann man Armut sehr gut entgegenarbeiten.

Dann wurde gesagt, was sozial gerecht ist. Das ist ohnehin eine Sache, über die ich gerne einmal im Sozialausschuss diskutieren möchte, also über die Frage, was eigentlich sozial gerecht ist. Wenn wir von Armut bei uns und Armut in der Dritten Welt sprechen, sind das zwei verschiedene Dinge. Trotzdem ist es wichtig, zu überlegen, wer hier bei uns im Lande in Armut lebt, welche Probleme er hat und wie wir die lösen können. Ich meine, wir sollten das wirklich einmal diskutieren.

Die Menschenwürde ist angesprochen worden. Auch das ist wichtig. Karl Hermann Flach, ein Liberaler, der für mich ein großes Vorbild ist, hat einmal gesagt: Wer heute nicht weiß, wovon er morgen leben soll, ist nicht frei.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Sie wissen, wir sind für freie Menschen, die über ihr Leben entscheiden können. Dazu gehört ein gewisses Existenzminimum - völlig richtig. Mit dem Armutsbegriff ist das so eine Sache. Es wird gesagt, wer weniger als 50 % des Durchschnittseinkommens bei uns hat, lebt in Armut, und wer mehr als doppelt so viel wie der Durchschnitt hat, der ist reich. Das ist natürlich nur eine Variante, wie man Armut oder Reichtum definieren kann. Armut hat natürlich nicht nur mit dem zu tun, was man monetär hat, sondern auch mit Informationszugang - deswegen brauchen wir die passenden Bildungsinhalte und Zugang zur Bildung für alle, weil daraus auch Berufstätigkeit resultiert

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

und mit Bedürfnisbefriedigung. Das Selbstwertgefühl muss da sein und muss gestärkt werden. Das hat z. B. auch viel damit zu tun, dass Menschen in Arbeit kommen.

Wir haben also schon viele Ansätze hier in Niedersachen, die in die richtige Richtung gehen: mit dem Hauptschulprofilierungsprogramm, mit einer Familienpolitik, die mehr darauf achtet, dass auch bundesweit Entlastungen für Familien mit vielen Kindern eintreten. Das ist eine Sache - ich gucke jetzt Herrn Gabriel an -, die man auf Bundesebene sehr gut beeinflussen kann.

Wir müssen auch bei der Gesundheit ansetzen, z. B. indem wir parallel zu dem Deutschtest mit fünf Jahren ein Jahr vor der Einschulung einen Gesundheitstest durchführen, wobei gerade die Kinder, die die Eltern nicht zu Untersuchungen - zu U 8 und U 9 - schicken, untersucht werden, damit man gesundheitliche Defizite erkennt, ihnen hilft und bessere Möglichkeiten gibt, in der Schule die Chancen wahrzunehmen, weil sie gesundheitlich wirklich auf der Höhe sind.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Dazu gehört genauso, dass man vom Kindergarten an für Bewegung und Ernährung sorgt, was wir schon tun, dass man für Alterskompetenz als Schulfach sorgt, wobei man auch den Umgang mit den Finanzen lernt; denn es ist eine wichtige Frage, ob man mit Geld umgehen kann.

(Zuruf von der SPD: Das man nicht hat!)

Ich weiß, dass viele wirklich zu wenig haben. Aber auch Wissen über Finanzen kann weiterhelfen.

Als Letztes möchte ich Ihnen etwas aus dem IWDBlatt vorlesen. Darin steht - und das ist wirklich so -:

„Arbeitsplätze sind das Beste gegen Armut. Mehr Jobs sind die beste Armutsbekämpfung.“

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

„Einkommensarmut trifft vor allem Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. So lebte im Jahr 2003 nach offizieller Definition über die Hälfte der Menschen aus Arbeitslosenhaushalten in Armut. Soziale Missstände lassen sich daher am besten mit einer Politik bekämpfen, die Wachstum fördert und für neue Jobs sorgt. Die Vergangenheit hat das eindrucksvoll bewiesen. In den wirtschaftlich rosigen Zeiten zwischen 1985 und 1991 beispielsweise profitierten gerade die sozial Schwachen vom Aufschwung. So konnte damals das Fünftel der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen seinen Anteil am Gesamteinkommen in Deutschland von 7,5 % auf 7,8 % ausbauen.“

Das ist also das, was wir machen müssen. Daran müssen wir arbeiten. Handeln sollten wir, nicht Berichte machen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Frau Kollegin Kohlenberg von der CDU-Fraktion, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Vorbereitung meiner Rede habe ich festgestellt, wie viele Berichte es auf den unterschiedlichsten Ebenen bereits zum Thema Armut und Reichtum gibt. Es gibt Armutsberichte der Kirchen, der Caritas, der Gewerkschaften, der einzelnen Städte, der Länder. Die Liste ist sehr lang. Auch die Bundesregierung hat wieder einen Bericht zum Thema Armut und Reichtum erstellt. Das Ergebnis soll kein Ruhmesblatt für die Regierung

sein. Der Spiegel titelte bereits kurz und treffend: „Reiche werden reicher, Arme werden ärmer.“ Das ist soziale Gerechtigkeit unter Rot-Grün!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich kann man weitere Berichte erstellen. Ich will auch gar nicht bestreiten, dass es für die Arbeit vor Ort sinnvoll sein kann, noch weitere Details zu kennen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Antrag der Grünen vor allem nach außen wirken soll.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Denn jeder, der sich mit Sozialpolitik beschäftigt, weiß doch längst, wo Armut angesiedelt ist: Nicht unbedingt bei den alten Menschen, sondern die Armut ist jung geworden. Sie betrifft vor allem Familien und Kinder. Jedes siebente Kind und jeder siebente Jugendliche sind arm. Das sind Kinder und Jugendliche, die von vornherein schlechtere Startchancen haben, sodass für viele der Weg in die Sozialhilfeabhängigkeit bereits vorgezeichnet ist. Das sind Kinder und Jugendliche, die mit Einschränkungen in allen Bereichen des Lebens täglich fertig werden müssen: bei der Ernährung, bei der Ausbildung, dem Wohnumfeld und der sozialen Teilhabe, um nur einige Beispiele zu nennen.

Ich wiederhole: Die Fakten sind längst bekannt. Natürlich können wir einen weiteren Armutsbericht aus Niedersachsen erstellen. Aber die Frage muss doch erlaubt sein, was der nun an wirklichen Erkenntnissen für unsere Arbeit hier im Landtag bringen soll. Aus Sicht der CDU-Fraktion ist es ungleich sinnvoller, die Armut zu bekämpfen, als sie zum wiederholten Male zu beschreiben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Genau das tun wir! So steht z. B. im zweiten Armutsbericht der Caritas die Empfehlung an die Regierungen der Europäischen Union, sie sollten Gesetze und Verordnungen vor allem bei Beschäftigung, Bildung und gesundheitspolitischen Maßnahmen stets auf ihre Auswirkungen auf Familien, insbesondere auf arme Familien, prüfen. Der Bericht schlägt vor, die Qualität der Kindertagesbetreuungsstätten zu erhöhen, besonders im Vorschulbereich. Hier ist die Landesregierung u. a. bereits vorbildlich tätig: mit dem Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich, dem Hauptschulprofilierungsprogramm und der Qualitätsschule. Viele weitere gute Ansätze wie die Pro

Aktiv-Zentren, Jugendprogramme, Mehrgenerationenhäuser und vieles andere haben wir.

Aber, meine Damen und Herren, unter der rotgrünen Bundesregierung haben sich die sozialen Unterschiede in Deutschland weiter verschärft. Der Anteil derjenigen, die mit einem Einkommen unterhalb der von der EU definierten Armutsgrenze auskommen müssen, hat sich seit 1998 von damals 12,1 % auf nun 13,5 % erhöht. Von den Familien sind sogar 13,9 % von Armut betroffen. Gleichzeitig wuchs der Besitzanteil der Reichen.

Nach fünf Jahren rot-grüner Regierungspolitik hat sich die Lebenswirklichkeit für Familien mit Kindern in Deutschland dramatisch verschlechtert. Nach Angaben des Deutschen Kinderschutzbundes müssen 1 Million Kinder mit einem Sozialhilfesatz von 141 bis 267 Euro monatlich auskommen. Kinderarmut in Deutschland bedeutet vor allem soziale Ausgrenzung und schlechte Chancen. Trotzdem spart die Bundesregierung weiter zulasten von Familien und Kindern. Mit drastischen Kürzungen der Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld, der Erhöhung der Ökosteuer und den Kürzungen bei der Entfernungspauschale werden die Probleme auf dem Rücken der heute lebenden Kinder und Jugendlichen ausgetragen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Auf die Verfehlungen in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik will ich gar nicht weiter eingehen. Die Zahl von mehr als 5 Millionen Arbeitslosen spricht für sich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Probleme heißt es zu lösen und nicht weitere Berichte in die Welt zu setzen, sondern die Ärmel hochzukrempeln und etwas zu tun.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Wort hat Frau Ministerin Dr. Ursula von der Leyen.

(Werner Buß [SPD]: Nun lasst uns einmal hören, wie Niedersachsen das macht! Abschaffung der Lernmittel- freiheit usw.!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist mehrfach der gemeinsame Beschluss aus dem Niedersächsischen Landtag von 1996 zitiert worden. Allerdings ist nie gesagt worden, warum er damals zustande gekommen ist - das hätte ich von Ihnen eigentlich erwartet -, weil nämlich die Gesetzgebungskompetenz, heute wie damals, für die meisten Bereiche der Daseinsvorsorge beim Bund liegt und der Bund seinerzeit eine Sozialberichterstattung abgelehnt hatte.

(Walter Meinhold [SPD]: Das war Kohl!)