Protocol of the Session on February 24, 2005

Es handelt sich dann um eine Zwangsehe, wenn mindestens einer der zukünftigen Ehepartner durch die Anwendung von körperlicher oder psychischer Gewalt zur Ehe gezwungen wird. Zwangsheiraten verstoßen gegen die Menschenrechte. Sie müssen öffentlich gemacht werden und dürfen nicht mehr unter dem Deckmantel der Familie verschwinden.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Betroffene junge Männer haben aufgrund ihrer Geschlechterrolle mehr Handlungsspielräume, mit dieser Situation umzugehen. Junge Mädchen dagegen haben wenige Chancen, sich zur Wehr zu setzen. Wenn sie es tun, indem sie z. B. in Mädchen- oder Frauenhäusern Schutz suchen, dann

müssen sie befürchten, mit ihrem Weggang ihre in ihrer Ehre gekränkte Familie zu verlieren, verachtet und ausgestoßen oder sogar getötet zu werden, wie es vor kurzem ein Fall in Berlin wieder gezeigt hat: Eine junge Frau wurde mit größter Wahrscheinlichkeit von ihren Brüdern ermordet, damit die Familienehre gerettet werden konnte. - Aus diesen Gründen empfinden diese Mädchen ihre Flucht aus der Familie nicht als Befreiung, sondern als Notlösung.

Meine Damen und Herren, eine Türkin - selbst eine ehemalige Betroffene -, die in Deutschland lebt und betroffenen Mädchen hilft, unterscheidet drei Arten von Zwangsheirat:

Erstens. Die Verheiratung der Tochter in die Heimat der Eltern aus Furcht, die Tochter könnte ihnen durch die westliche Freizügigkeit entgleiten. Oft wird das Mädchen mit einem Cousin verheiratet. Das festigt den Familienzusammenhalt. Gleichzeitig wird das Mädchen ein Einwanderungsticket für den zukünftigen Ehemann. Dieser erhält durch sie eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland.

Zweitens. Die so genannten Importbräute: unverdorbene, traditionsbewusste Mädchen aus dem Ursprungsland der Eltern. Laut einer WDRReportage werden jährlich rund 70 000 - oft minderjährige - Frauen nach Deutschland verheiratet.

Drittens. Heirat als Resozialisierungsmaßnahme. Junge Männer, teils schwer erziehbar, teils straffällig, sollen durch die Ehe mit einem Mädchen aus der Heimat therapiert werden.

Zwangsheirat ist jedoch nicht nur ein Phänomen des islamischen Kulturkreises. Es überschreitet die Grenzen von Schichten und Kasten. Es sind auch Fälle aus anderen religiösen und ethnischen Kreise bekannt, z. B. aus Süditalien, Griechenland oder Sri Lanka. In Deutschland sind deshalb so viele türkische Mädchen und Frauen betroffen, weil türkische Staatsangehörige die größte Gruppe unter den Migranten stellen.

Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Handlungskonzept: Zwangsheirat ächten Zwangsehen vorbeugen“ betrifft zwei Aspekte: einen juristischen und einen sozialen. Was den juristischen Part angeht, so unterstützt der Antrag die Gesetzesinitiative der Koalitionsfraktionen im Bundestag zur Verschärfung des Tatbestandes der Nötigung im Strafrecht, die inzwischen in Kraft getreten ist. Zwangsheirat muss als Straftatbestand

ins Bewusstsein gerückt werden. „Was mit Gewalt erlangt worden ist, kann man nur mit Gewalt behalten“, ist ein Ausspruch Mahatma Gandhis, der auf den Tatbestand der Zwangsehe im Besonderen zutrifft. Zwangsverheiratete Frauen müssen lebenslange Gewaltanwendung psychischer und physischer Art erdulden. Die Festschreibung eines Straftatbestands soll die betroffenen Frauen und Mädchen ermutigen, sich aus ihrer Lage zu befreien. In diesen Zusammenhang gehört auch die Überprüfung der zivilrechtlichen und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen sowohl für die Frauen als auch für etwaige Kinder.

Des Weiteren fordert der Entschließungsantrag die Landesregierung auf, ein Handlungskonzept zum Thema Zwangsehe zu entwickeln. Die SPDFraktion unterstützt diesen Antrag. Auch wir halten eine Datenerhebung für nötig, um das Ausmaß des Phänomens erst einmal festzustellen.

Präventionsmaßnahmen und Hilfsangebote für Betroffene sind zu entwickeln und auszubauen. Den allgemein bildenden und vor allem auch den berufsbildenden Schulen kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Die Menschenrechtsorganisation für Frauen Terre des Femmes hat z. B. eine Unterrichtsmappe „Zwangsheirat“ für Lehrerinnen erarbeitet. Selbstverständlich gehört das Thema auch in den Fortbildungskatalog der Schulen.

Darüber hinaus muss die Öffentlichkeit insgesamt informiert und sensibilisiert werden. Jugendämter, Polizei, Gerichte sowie die Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern und BISS-Stellen gehören zu den zu beteiligenden Institutionen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Thema eignet sich nicht für einen parteipolitischen Schlagabtausch. Es stünde dem Niedersächsischen Landtag gut an, sich in die Reihe der Bundesländer einzureihen, die sich dieses Menschenrechtsthemas annehmen. Der Fall Kameli hat gezeigt, dass es möglich ist, sich über Parteigrenzen hinweg zu verständigen, wenn es um Menschenleben geht. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung von der CDU)

Vielen Dank, Frau Weddige-Degenhard. - Das Wort hat jetzt Frau Mundlos für die CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauen wie der Deutsch-Türkin Necla Kelek ist es in besonderer Weise zu verdanken, dass wir alle mehr über Zwangsehen wissen. Sie hat es gewagt, ihre Erfahrungen öffentlich auszusprechen, und u. a. das Buch Die fremde Braut geschrieben.

Junge Frauen, oft sehr junge Frauen von weniger als 16 Jahren, werden mit fremden Männern verheiratet. Sie sprechen oft nicht deutsch, dürfen kein Wort Deutsch lernen, können sich nicht frei bewegen, kennen nur die Wohnung der Schwiegereltern und außer der Familie ihres Mannes niemanden. Damit sind sie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Die Schwiegermutter bestimmt in der Regel über die junge Frau, und diese muss gehorchen. Geht die Ehe, auf dieser fragwürdigen Basis geschlossen, schief, gibt es keinen Ausweg. Zwangsehen mitten in Deutschland im 21. Jahrhundert, in einem modernen Rechtsstaat!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in einem demokratischen Staat sollte eine demokratische Gesellschaft nicht derart auf die Einhaltung eigener Gesetze und Grundrechte verzichten. Es kann nicht sein, dass wir einer schleichenden Schariarisierung unseres Rechtsstaates zulasten der betroffenen Frauen und Mädchen Rückendeckung geben.

(Beifall bei der CDU)

Während wir uns um eine Gleichberechtigung bemühen, werden mitten unter uns Menschenrechte von Frauen mit Füßen getreten.

Ich nenne einige Fakten. Eine Zwangsheirat ist nach der Definition von amnesty international eine Ehe, die ohne eindeutige Zustimmung von beiden Partnern geschlossen wird oder bei der die Zustimmung durch Nötigung, sozialen und psychischen Druck oder emotionale Erpressung zustande gekommen ist. Hierzu gehören oft auch die genannten arrangierten Ehen, weil die betroffenen Frauen auch bei arrangierten Ehen oft keine Wahl haben, keine Alternative haben und nicht Nein sagen können.

2001 stellte die UNO fest, dass es sich dabei um einen klaren Verstoß gegen Artikel 2 des Grundgesetzes - allgemeine Handlungsfreiheit, Freiheit der Person, Recht auf Leben - handelt und die Zwangsehe eine moderne Form der Sklaverei ist.

Die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen hat für das Jahr 2002 230 zwangsverheiratete Mädchen und Frauen allein in Berlin ermittelt. Das waren Frauen, die sich aus Verzweiflung Hilfe suchend an Beratungsstellen gewandt haben; nur deshalb sind sie überhaupt erfasst worden.

In dem Bericht der Bundesbeauftragten für Ausländerfragen, Marie-Luise Beck, aus dem Jahre 2002 wurde der Tatbestand der Zwangsehe noch mit keinem Wort erwähnt. 2003 hat sich dann die Landesregierung Baden-Württemberg auf einer Fachtagung damit beschäftigt und die Ergebnisse in eine Bundesratsinitiative münden lassen. Im September 2003 hat das Bundesministerium für Familie im Rahmen einer Studie zur Lebenssituation von Frauen in Deutschland auch 150 türkische Frauen befragt. Dabei gab jede zweite Frau an, dass ihr Ehepartner von den Eltern ausgesucht wurde. Jede vierte Frau kannte den Mann vor der Ehe nicht. Ende 2004 hat der Bundestag über das Problem endlich diskutiert und strafrechtliche Maßnahmen beschlossen, und zwar einstimmig. Das war endlich ein erstes Signal.

(Beifall bei der CDU)

Das Problem ist sicherlich nicht neu. Die Dunkelziffer liegt sicherlich weitaus höher als das, was offen zutage tritt. Und so macht es durchaus Hoffnung, dass die CDU/CSU-Fraktion in Berlin demnächst eine parlamentarische Initiative ergreifen wird, um auch zivilrechtlich zu Verbesserungen zu kommen.

Ich finde es gut und richtig, dass wir uns auch in Niedersachsen mit dem Problem befassen und einen Beitrag gegen Zwangsehen leisten wollen. Ich bin der Ministerin für ihre Initiative dankbar.

(Beifall bei der CDU)

Ich sichere allen Beteiligten eine konstruktive Zusammenarbeit zu. Ein breiter Konsens, der durch einen gemeinsamen Beschluss sichtbar wird, sollte das Ergebnis sein. Als mögliche Maßnahmen sind verpflichtende Sprach- und Integrationskurse, ein Mindestalter bei der Familienzusammenführung, verbesserte Möglichkeiten der Aufhebung von Zwangsehen und sicherlich auch noch einiges andere mehr zu nennen, wobei das meiste - auch das muss man sehen - eine bundesgesetzliche Regelung erfordert.

Unseres Erachtens ist dem Bereich Kindertagesstätten und Schulen eine besondere Bedeutung beizumessen. Im Grunde genommen hat die niedersächsische Landesregierung mit der Ausweitung der BISS-Stellen und der Beratungsmöglichkeiten im Hinblick auf Gewaltschutz für Frauen selber einen ersten Beitrag geleistet.

Es wäre schön, wenn im Rahmen der Konsensfindung und der gemeinsames Bewältigung des Problems auch die Koalitionsfraktionen in Berlin im Umkehrschluss z. B. Mittel für Prävention und Beratung im Bundeshaushalt zur Verfügung stellen könnten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den letzten fünf Monaten sind in Berlin sieben Frauen im Namen der Ehre umgebracht worden. Um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen: Das ist kein rein türkisches Problem. Zwangsehen gibt es auch bei anderen ethnischen Herkünften. Wir sollten auch dies offen aussprechen: In Deutschland leben viele liberale, moderne und gebildete Muslima. Viele Muslima leben hierzulande jedoch unsichtbar wie in einem Käfig, geschweißt aus Koran, Männerherrschaft, Familienclan, Gewalt und so genannter Ehre. Tausende, wenn nicht Zehntausende fristen ein Sklavendasein mitten in Deutschland, ignoriert von ihren deutschen Mitbürgern, weggeschlossen hinter Mauern, vergessen in ihrer Gefangenschaft.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

So jedenfalls stand es im Spiegel am 15. November 2004.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das sind nicht die Frauenrechte, für die wir und auch Sie gestritten haben. Ich sage Ihnen: Auch für diese Frauen gilt Artikel 3 unseres Grundgesetzes: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Genauso gilt auch für diese Frauen Artikel 16 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: Die Ehe darf nur aufgrund der freien und vollen Willenseinigung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dafür, dass das für diese Frauen nicht auf dem Papier stehen bleibt, sondern Realität wird, sollten wir uns gemeinsam einsetzen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nächste Rednerin ist Gesine Meißner von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Mundlos hat von sieben Frauen gesprochen, die im Namen der Ehre umgebracht worden sind. Frau Weddige-Degenhard hat ebenfalls einen dramatischen Fall geschildert. Aktuelle Fälle zeigen ganz eindeutig: Zwangsverheiratungen sind ein brisantes Thema. Es besteht aktuell hoher Handlungsbedarf. Der Bundestag hat sich einstimmig für eine Gesetzesänderung entschieden. Auch hier im Landtag werden wir uns sicherlich einvernehmlich auf eine Formulierung einigen können.

Die rechts- und gesellschaftspolitische Diskussion zu diesem Thema in Deutschland hat zwar gerade erst begonnen, aber wir müssen diese Problematik aus dem Tabubereich elterlicher und häuslicher Gewalt in die Öffentlichkeit bringen. Je mehr von uns - vielleicht auch gleichlautend - darüber reden, umso besser für dieses Thema.

Zwangsheirat ist eine Menschenrechtsverletzung und muss öffentlich geächtet und verurteilt werden. Die Vereinten Nationen bezeichnen die Zwangsheirat als eine moderne Form der Sklaverei. Das ist sie eindeutig auch.

Über das Ausmaß von Zwangsheirat gibt es deutschlandweit kaum gesicherte Daten. Einige konkrete Zahlen gibt es aufgrund einer Erhebung des Berliner Senats, wonach in Berlin im Jahre 2002 230 Fälle von Zwangsverheiratungen aktenkundig geworden sind. Experten sind sich allerdings darin einig, dass die Dunkelziffer viel höher liegt. Schätzungen gehen dahin, dass jeden Tag mindestens eine Zwangsverheiratung in Deutschland stattfindet.

Das Phänomen der Zwangsehe ist - das wurde schon dargestellt - nicht allein auf den islamischen Kulturkreis beschränkt. Es betrifft bei uns nur deshalb so viele türkische Frauen, weil sie die größte Gruppe der Migrantinnen bei uns stellen. Von Zwangsheirat betroffen sind auch die Frauen, die als so genannte Importbräute durch Heiratsmigration nach Deutschland geholt werden, wobei das Wort „Braut“ aus meiner Sicht in diesem Zusammenhang der reinste Hohn ist. Das ist eindeutig Menschenhandel.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die Folgen für die Betroffenen sind drastisch. Sie dürfen ihre Schulausbildung nicht beenden, werden häufig sexuell ausgebeutet und hängen in der Regel finanziell vollständig vom Ehemann ab. Ein Leben in eigener Entscheidung ist ihnen absolut verwehrt.

Das von der FDP geleitete Justizministerium in Baden-Württemberg, damals mit der Ministerin Corinna Werwigk-Hertneck, hat die Problematik - übrigens als erste politische Institution - bereits 2003 aufgegriffen; darauf sind wir als Liberale stolz. Das Ergebnis war dann im letzten Herbst die Bundesratsinitiative für ein eigenes Zwangsheiratsbekämpfungsgesetz, wobei ein Punkt die Schaffung eines neuen Straftatbestandes „Zwangsheirat“ war. Jetzt hat sich die rot-grüne Bundesregierung dazu entschlossen, die Zwangsheirat unter „schwere Nötigung“ nach § 240 Abs. 4 StGB zu fassen. Dies war ein wichtiges Signal. Zusätzlich wäre es erforderlich, diesen Straftatbestand dem Weltrechtsprinzip nach § 6 StGB zu unterstellen, da anderenfalls die Fälle mit Auslandsbezug, also Heiratsverschleppungen außerhalb des Bundesgebietes, ins Leere laufen würden.

Das Strafrecht ist aber nur ein Aspekt. Wir brauchen auch Änderungen im Zivilrecht, damit Zwangsehen leichter annulliert werden können. Das Erfordernis der Trennungszeit von einem Jahr muss weg.

Niedersachsen will die Initiative BadenWürttembergs in diesen Punkten unterstützen.