Protocol of the Session on January 27, 2005

„Die OECD-Experten vermerken in ihrem Bericht irritiert, dass es in Deutschland weniger Professorenstellen für die frühkindliche Bildung gibt als für die japanische Sprache. Wissenschaftliche Fachzeitschriften fehlen völlig.“

Das ist der Hintergrund, vor dem wir diesen Antrag diskutieren müssen.

Meine Damen und Herren, die Diskussion über eine neue Ausbildung scheint mir dringend geboten zu sein. Diese wird sinnvoll aber nur dann möglich sein, wenn das Beziehungsgeflecht zwischen Land und Kommunen - da geht es in erster Linie um Geld -, zwischen dem Anspruch auf Bildung und dem Wunsch nach Betreuung, zwischen Fachpraxis, Fachausbildung und Forschung und vor allen Dingen zwischen den Beteiligten, nämlich den Kindern, Eltern und Erzieherinnen in gegenseitiger Akzeptanz zur Grundlage gemacht wird.

In welche Richtung die weitere Entwicklung gehen kann, will ich kurz skizzieren: Folgt man der Beschreibung des Erzieherberufs in den Berufsblättern des Arbeitsamtes, so erhält man ein Bild, das nur so zu beschreiben ist: die Erzieherin in der Tradition der Kindergartentante.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dies hat mit der Wirklichkeit wenig zu tun, auch nicht mit den Erfahrungen der Eltern, die die Arbeit von Erzieherinnen kennen und sie wertschätzen. Und mit dem gesetzlichen Auftrag nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz, der zitiert worden ist, hat das schon überhaupt nichts zu tun.

Es ist jedoch nicht so, dass die Ausbildung schlecht wäre, weil sich die Lehrerinnen und Lehrer keine Mühe gäben. Nein, das Niveau der Ausbildung wird den Anforderungen des Berufes nicht mehr gerecht. Niemand von uns kann sich heute noch vorstellen, dass man mit der Ausbildung und dem Berufsbild des Dorfschulmeisters sinnvolle Grundschulpädagogik machen kann.

Zu Beginn der 70er-Jahre wurden aus den pädagogischen Akademien wissenschaftliche Hochschulen. Lehrerinnen und Lehrer für Grundschulen erhalten seitdem eine wissenschaftliche Ausbildung. Dass wir heute über einen Mangel an Praxisbezug in der Ausbildung klagen, sollte ein wichtiger Hinweis für unsere weitere Diskussion sein.

Angesichts der schwieriger gewordenen Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, der Probleme der Integration der Kulturen, der Anforderungen der Wissens- und Informationsgesellschaft und - wie schon in den 60er-Jahren - der Förderung der Bildungspotenziale aller Kinder, ist es heute an der Zeit, die Ausbildung zum Beruf der Erzieherin auf wissenschaftliches Niveau zu heben. „Wissenschaftlich“ bedeutet nicht eine Überbetonung der Theorie, sondern die Befähigung zu Planung, Organisation und Reflexion ganzheitlicher Bildungsprozesse. Kindertagesstätten sind nicht mehr nur Orte, an denen Kindern behütet werden. Sie sind Lern- und Lebensräume für Kinder und müssen sich darüber hinaus auch zu Bildungsstätten für Eltern entwickeln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer ernsthaft vorhat, die Bildungspotenziale kleiner Kinder systematisch zu entfalten, kann dies nicht mit Personal tun, dem eine wissenschaftliche Ausbildung vorenthalten wird. Ohne eine wissenschaftliche Ausbildung von Erzieherinnen wird es

nicht gelingen, die universitäre Forschung im Bereich frühkindlicher Pädagogik für die Praxis zu nutzen.

(Zustimmung von Wolfgang Jüttner [SPD] und von Jacques Voigtländer [SPD])

Für einen Wissenschaftstransfer von der Universität zur Fachschule ist der Niveauunterschied zu groß.

Perspektivisch kann daran gedacht werden, Pädagoginnen und Pädagogen für Bildung und Erziehung kleiner Kinder in Kindertagesstätten und Grundschulen gemeinsam an einem Ort auszubilden. Dafür gibt es Beispiele nicht nur in anderen europäischen Ländern wie in Schweden oder in der Provinz Bozen in Italien, sondern auch in der deutschen Geschichte.

Wenn wir uns von Vorurteilen lösen, unsere eventuell anerzogene Brille bei der Betrachtung eines Frauenberufes ablegen, wenn wir Kinder in unserer Gesellschaft als kostbares Gut ansehen, dann ist der Blick für die Frage frei, wie die Zukunft der Einrichtungen aussehen kann.

Zu den Grundbedürfnissen des Menschen gehört, Kinder gut zu versorgen, sie anständig zu erziehen und ordentlich auszubilden. Das ist nicht nur der individuelle Wunsch der Mütter und Väter, sondern auch die Erwartung der Gesellschaft.

Die Bedingungen dafür, dass dieses Grundbedürfnis erfüllt werden kann, haben sich in den letzten Jahrzehnten jedoch stark verändert. Beziehungen werden instabil, Mobilität ist wichtiger als Verlässlichkeit. Die Lebensräume, in denen Kinder sich frei bewegen und die sie eigenständig gestalten können, werden immer enger. Die Ökonomie, die auf Flexibilität, Dynamik und Kommerzialisierung setzt, greift in alle Lebensbereiche ein: Was kostet es? Was habe ich davon? Auch Freizeit, Kultur, Erziehung und Bildung bleiben davon nicht verschont.

Meine Damen und Herren, Kinder brauchen mehr denn je Tageseinrichtungen, sie brauchen Bildungsinseln, auf denen sie jenseits der ökonomischen Logik der Gewinnmaximierung das lernen können, was sie für ein gutes Leben brauchen. Kinder haben ein Recht auf Bildung, und das ist mehr als ein Recht auf verwertbares Wissen und Qualifikation. Bildungseinrichtungen, ganz besonders Tageseinrichtungen für Kinder, sind auch als

Lobby für Kinder gefordert. Sie sind Interessenvertretung für Kinderrechte und müssen sich in die Gestaltung der Lebenswelt der Kinder einmischen. Vor allem die ganztägige verlässliche Präsenz und die Qualifizierung der Bildungsarbeit führen zu einer Expansion des Berufsfeldes.

Dieser qualitative Ausbau wird nicht gelingen - so schreibt Bernhard Eibeck, Mitarbeiter am Institut für Frühpädagogik von Professor Fthenakis in München -, wenn sich der Beruf nicht aus der Tradition der weiblichen Fürsorge emanzipiert und sich zu einer modernen Wirtschaftsbranche, zu einer „women economy“ entwickelt. Dazu gehören nach seiner Definition drei Elemente: ein attraktives Berufsbild mit qualifizierter Ausbildung und Karrieremöglichkeiten, eine angemessene Bezahlung mit tariflicher Absicherung sowie alle Arbeitnehmerrechte.

Herr Robbert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Vockert?

Ja, gern.

Sind Ihnen denn auch die Aussagen der Herrn Professor Dr. Dr. Fthenakis gleichrangigen Kollegin Frau Dr. Musiol bekannt, die sagt, dass in diesem Bereich eine Erzieherin mit einem Hochschulstudium reichen würde und im Übrigen ungelernte Kräfte daneben gestellt werden könnten? Was halten Sie von dieser Aussage?

Frau Vockert, erlauben Sie, dass ich gleich darauf zu sprechen komme. Um dieses Thema geht es in der nächsten Passage meiner Rede.

(Zuruf von der SPD: Gut vorbereitet!)

Eibeck sagt weiter, das Berufsbild müsse vom Leitmotiv der Kindergartentante wegkommen.

Meine Damen und Herren, die Erzieherin ist Fachfrau für Elementarpädagogik. Sie trägt Verantwortung dafür, dass Kinder in den frühen Jahren ihrer Entwicklung die entscheidenden Lernschritte gehen können. Gute frühkindliche Pädagogik bewirkt nach einer Studie von Wolfgang Tietze einen Ent

wicklungsvorsprung von bis zu einem Jahr für Kinder in der Zeit der Grundschule.

Ich muss mich jetzt beeilen, weil die rote Lampe am Rednerpult bereits leuchtet. Ich lasse einen Teil aus meinem Manuskript weg, würde aber gern noch auf den Punkt eingehen, den Sie angesprochen haben, Frau Vockert.

In Niedersachsen gibt es etwa 4 300 Einrichtungen im Elementarbereich. Selbst wenn das Angebot an Studiengängen erheblich erweitert werden könnte, wird ein doch recht langer Zeitraum benötigt werden, bis in jeder Einrichtung eine Erzieherin mit Fachhochschulausbildung arbeitet.

(Glocke der Präsidentin)

Nach meiner Auffassung spricht überhaupt nichts dagegen, dass in Kindergärten und Kindertagesstätten Erzieherinnen mit Fachschulausbildung mit Erzieherinnen mit Fachhochschulausbildung zusammenarbeiten, denn anders als etwa in Schulen wird in den Einrichtungen des Elementarbereichs schon immer in Kooperation gearbeitet. Auch heute arbeiten von der Diplomheilpädagogin bis hin zur helfenden Mutter mit einem Minijob vielfältige Kompetenzen aufeinander abgestimmt in Tageseinrichtungen.

Herr Robbert, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie müssen zum Schluss kommen.

Hier steht, dass ich noch 34 Sekunden habe.

Sie haben Ihre Redezeit schon um 36 Sekunden überzogen.

(Bernd Althusmann [CDU]: Jetzt ha- ben Sie noch eine Minute!)

Frau Präsidentin, ich würde gern noch etwas aus der Zeit zitieren, wenn Sie es mir erlauben. Das sind drei lange Sätze. Alles andere lasse ich dann weg.

Die Zeit schreibt in ihrem Bericht zu der Situation Folgendes:

„Die OECD-Experten verweisen auf internationale Studien, die den sozialen, bildungspolitischen und finanziellen Profit einer guten Bildung und Erziehung gerade für Kinder aus bedürftigen Familien belegen. So rechnete das Washingtoner Economic Policy Institute aus, dass für jeden Dollar, der in ein Bildungsprogramm für Drei- und Vierjährige investiert wird, drei Dollar zurückfließen durch Steuereinnahmen, geringere Sozialhilfeausgaben oder abnehmende Kriminalität. Leider stellen sich die Gewinne erst ein, wenn die Kinder erwachsen sind, einen Job haben oder, statt im Gefängnis zu sitzen, auf der Universität lernen - ein Zeithorizont, der den Weitblick vieler Politiker übersteigt.“

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt erteile ich Herrn Schwarz von der FDPFraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Ausführungen von Frau Vockert und Frau Janssen-Kucz sehr aufmerksam zugehört, in denen sie über ihre parlamentarischen Erfahrungen zu diesem Thema berichtet haben. Man hat sich mit dem Thema ja insgesamt beschäftigt. In der Praxis kommt es leider so herüber, dass man diesem Thema in der Vergangenheit viel zu wenig Beachtung geschenkt hat.

Zweifelsohne sind die ersten Lebensjahre für die Entwicklung eines Menschen entscheidend. Deswegen ist es umso bedauerlicher, wenn man diesem Thema in der Vergangenheit nicht sehr viel Beachtung geschenkt hat. Ich bin dankbar, dass wir heute darüber sprechen können. Ich finde, es ist insofern auch in Ordnung, wenn die Grünen hierzu einen Antrag formulieren.

Die Kindertagesstätten hatten schon immer einen Bildungsauftrag. Wenn wir die Kindertagesstätten in das Bildungssystem mit einbeziehen - das tun wir spätestens, seit die Zuständigkeit für die Kitas vom Sozialministerium auf das Kultusministerium übertragen wurde -, so zeigt das, dass wir es für

richtig halten, der frühkindlichen Erziehung erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. Ich glaube, dass gerade bei den Kindern im Alter zwischen drei und sechs Jahren bisher noch eine ganze Menge Entwicklungspotenzial brachliegt, das in der Vergangenheit nicht hinreichend abgerufen werden konnte oder nicht abgerufen worden ist.

Das hängt selbstverständlich auch mit der beruflichen Qualifikation der Erzieherinnen zusammen. Damit wir uns nicht falsch verstehen, sei allerdings gesagt, dass die Erzieherinnen derzeit eine exzellente Arbeit leisten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vor allen Dingen die Bereitschaft zur Weiterbildung ist außergewöhnlich stark ausgeprägt. Ziel der Ausbildung zur Erzieherin ist es, die Fähigkeit zu erlangen, eigenverantwortlich und zielorientiert bei Kindern und Jugendlichen Erziehungs-, Bildungsund Betreuungsprozesse zu gestalten.

In Niedersachsen werden die Anforderungen der KMK-Rahmenvereinbarung durch die vierjährige Erzieherausbildung an der Berufsfachschule und Fachschule in vollem Umfang erfüllt. Bundesweit gibt es eine Reihe von Initiativen, die sich mit der frühkindlichen Erziehung sehr konkret auseinander setzen. Der Verband der Bayerischen Wirtschaft fordert z. B. den Eintritt in die Schule bereits mit dem vierten Lebensjahr. Das kann ich mir allerdings nur äußerst schwer vorstellen. Gleichwohl gilt: Kinder wollen lernen. Sie sind neugierig. Sie sind wissbegierig. Sie greifen jede Herausforderung auf. Dieser Wissensdurst muss durch spielerisches Lernen gestillt werden. Dazu braucht man bei heute gegenüber früher veränderten Bedingungen in der Tat eine angepasste Ausbildung derjenigen, die mit den Kindern zu tun haben.

Ein besonders wichtiger Aspekt ist die Gesundheitserziehung. Motorische Fähigkeiten und Freude an der Bewegung müssen dem Kind frühzeitig genauso wie die Freude an gesunden und regelmäßigen Mahlzeiten vermittelt werden. Hier ist besonders die Kooperation von Sportvereinen und Ernährungsverbänden gefragt. Soweit mir bekannt ist, bietet auch der Deutsche Sängerbund Schulungen für die Erzieherinnen im musikalischen Bereich an. Er verleiht im Übrigen in diesem Zusammenhang auch Gütesiegel an Kindergärten.

Wie bei Lehrerinnen und Lehrern kommt der Diagnosefähigkeit eine besondere Bedeutung zu. Erzieherinnen müssen in die Lage versetzt werden,