Protocol of the Session on November 17, 2004

Ich glaube, auch wenn wir im Hinblick auf das gewählte Verfahren nicht einer Meinung sind, so ist die Frage, was überhaupt ein Härtefall ist, das eigentliche Problem. Es handelt sich hier nicht, wie beispielsweise auch von der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag angesprochen, um eine Altfallregelung. Es handelt sich hier um Härtefälle im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Dies, meine Damen und Herren, sind ausschließlich Einzelfälle.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Der Bundesinnenminister hat diese Zahl auf etwa 100 pro Jahr geschätzt; das hieße für Niedersachsen etwa zehn Fälle pro Jahr. Angesichts der aktuellen Diskussion habe ich allerdings den Eindruck, dass sich viele zur Ausreise verpflichtete Asylbewerber im Hinblick auf die Härtefallkommission falsche Hoffnungen machen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ein aufgrund langer Verfahrensdauer entstandener mehrjähriger Aufenthalt in Deutschland ist für sich allein genommen noch kein Härtefall. Allerdings muss zukünftig der lange Instanzenweg abgekürzt werden. Das sieht das Zuwanderungsgesetz auch vor.

(Unruhe)

Herr Kollege, einen Augenblick. - Fahren Sie bitte fort.

Häufig ist es so, dass, wenn man alle Stellen, die im Asylbewerberverfahren involviert sind, wenn man die einzelnen, unter Umständen für jedes Familienmitglied eingereichten Anträge und deren Verlauf betrachtet, durchaus ein halbes Dutzend Stellen und mehr zustande kommen können.

Ich bin mir übrigens sicher, dass der Petitionsausschuss vor schwierigen Beratungen steht. Aber ich bin auch überzeugt: Er wird diese Herausforderungen bestehen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Gabriel für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nichts zu der Frage Härtefallkommission/Petitionsausschuss sagen. Ich gebe zu, dass man für beide Seiten gute Argumente vortragen kann. Ich möchte Ihnen gerne noch etwas zum Thema Bleiberechtsregelung sagen und will die FDP-Fraktion konkret ansprechen. Es gibt diese Position der FDPBundestagsfraktion für ein Bleiberecht. Ich würde bei Ihnen gerne erreichen, dass wir in den kommenden Monaten in aller Ruhe noch einmal über das Thema Bleiberecht reden.

Ich möchte Ihnen einen Fall schildern, der sich vor Jahren ereignete und der mir als bestes Beispiel dafür in Erinnerung blieb, dass wir so etwas brauchen. Ein junges Mädchen - ihr Vater ist Rumäne wächst in Deutschland auf, wird von ihrem Vater mehrfach sexuell missbraucht. Der Vater kommt auch wegen anderer Straftaten in Haft wird in der Folge nach Rumänien abgeschoben. Das Mäd

chen bleibt hier, bis es 16 Jahre alt ist. Das deutsche Ausländerrecht sah vor - jedenfalls damals; ich glaube, heute ist das immer noch so -, dass dem Mädchen zuzumuten sei, mit dem Tag, an dem es 16 wurde, alleine zu Hause zu leben. Das Mädchen, das weder rumänisch spricht, noch irgend jemanden in Rumänien kennt, sondern bei uns drauf und dran war, eine Ausbildung zu machen, bekommt eine Ausweisungsverfügung, es soll abgeschoben werden. Wir bekommen das als Eingabe in den Landtag, und uns wird mitgeteilt, dass das alles nach Recht und Gesetz in Ordnung sei und dass wir nichts machen können. „Sachund Rechtslage“ wird empfohlen. Wir haben damals nur deshalb erreichen können, dass das Mädchen hier bleiben konnte, weil wir nachweisen konnten, dass es suizidgefährdet war. Dieser Nachweis wurde mehrfach wiederholt über Jahre geführt, bis das Mädchen - dann war sie über 18 einen Deutschen geheiratet hat und damit die Möglichkeit hatte, hier zu bleiben. Ich finde das ein entsetzliches Beispiel.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen, nicht nur weil der Kollege nicht mehr im Landtag ist, sondern auch, weil ich klar sagen will, wer daran mitgewirkt hat: Das war damals Ernst-Henning Jahn, der mitgeholfen hat, weil wir uns einig waren, dass das nicht sein kann, dass das Gesetz, so gut und richtig es auch ist, im Einzelfall Härten mit sich bringt, die absolut unvertretbar sind. Übrigens hätte das Mädchen - das hat eben der Kollege von der FDP deutlich gemacht nach den jetzigen Regelungen der Härtefallkommission immer noch kein Bleiberecht gehabt. Sie haben völlig Recht. Die Härtefallregelung wird in Teilen überschätzt. Trotzdem müssten wir so jemanden abschieben. Meine Bitte ist, über die Frage zu reden, wie wir mit Menschen umgehen, die hier lange leben, die integriert sind, die die deutsche Sprache sprechen, die die Heimatsprache manchmal überhaupt nicht mehr sprechen, die hier Arbeit haben und niemandem auf der Tasche liegen und bei denen es absolut unvertretbar ist, sie zurückzuschicken, bei denen jeder, der ein Herz im Leibe hat, sagt: Das kann ich nicht machen. - Sie haben einen Fraktionsvorsitzenden in der FDP, der biografisch nachvollziehen kann, wie wichtig es ist, dass in einem solchen Land im Zweifel Gnade vor Recht ergeht, dass in dem Land Intelligenz und Kreativität existieren und der Gesetzgeber den Mut hat zu sagen: Ich will dafür eintreten, dass so et

was in Deutschland und in Niedersachsen nicht passiert.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Ur- sula Körtner [CDU])

Ich kenne keinen Kollegen aus der CDU-Fraktion - das gilt mit Sicherheit auch für die FDP-Fraktion, aber Sie kenne ich nicht so lange, weil Sie nicht so lange hier sind -, der in den 14 Jahren, in denen ich im Landtag bin, in einem solchen Fall nicht gesagt hätte: Die muss hier bleiben. - Ernst Albrecht war übrigens der Erste, der in diesem Land eine Bleiberechts- und eine Altfallregelung durchgesetzt hat - das ist eine kluge Entscheidung gewesen -, mit den gleichen Argumenten, die Frau Rübke eben vorgetragen hat. Aus diesen Gründen bitte ich Sie: Lassen Sie uns eine Möglichkeit finden, überfraktionell über dieses Thema zu reden. Ich will das dem Innenminister nicht unter der Tür durch zuschieben, denn er hat, wenn wir das nicht gemeinsam verabreden, keine Chance. Ich weiß, wir alle haben genug Menschlichkeit in uns, damit wir eine Lösung finden können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

Für die Landesregierung hat der Innenminister Schünemann ums Wort gebeten.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war Mitglied in der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses zum Zuwanderungsgesetz. Wir waren uns zwischen CDU und SPD sehr einig darüber, dass wir nicht erneut eine Bleiberechtsregelung vereinbaren wollen. Der innenpolitische Sprecher, Herr Wiefelspütz, und auch der Bundesinnenminister, Herr Otto Schily, haben klar gesagt, dass dies auch immer zu Ungerechtigkeiten führt und dass dies ein falsches Signal ist. Meine Damen und Herren, wer illegal nach Deutschland gekommen ist, erfolglos ein Asylverfahren betrieben hat, danach noch Folgeanträge stellte oder vorübergehende Abschiebungshindernisse geltend machte, sich dadurch langjährig in Deutschland aufhält, soll jetzt belohnt werden und

dann endgültig bleiben dürfen? - Ich meine, dass das auch wirklich nicht das richtige Signal ist.

Ich höre jetzt, dass Herr Wiefelspütz und auch Teile der SPD sich anders äußern - das ist allerdings schon sehr verwunderlich -, nachdem es auf der einen oder anderen Seite Gegenwind gibt.

Der von Ihnen geschilderte Fall ist damals - das haben Sie selbst gesagt - gelöst worden. Ich habe mich gerade noch einmal erkundigt, wie er gelöst worden ist. Meine Damen und Herren, dann, wenn es um Einzelfälle geht, auf die Notwendigkeit einer allgemeinen Bleiberechtsregelung zu schließen, ist eben genau das falsche Signal. Deshalb haben wir auch eine Möglichkeit gefunden, eine Härtefallregelung vorzusehen. Sie können sicher sein, dass ein solcher Fall in dem dann zuständigen Petitionsausschuss mit großer Intensität und Seriosität von den Mitgliedern des Parlamentes beraten und dann meiner Meinung nach auch von einer breiten Mehrheit im Parlament entschieden wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie können sicher sein, dass ich als Innenminister und die jeweilige Ausländerbehörde in der Regel dann einem solchen Votum stattgeben werden.

Meine Damen und Herren, generelle Bleiberechtsregelungen sind nicht gerecht. Härtefälle sollen über das Parlament geregelt werden. Deshalb ist das, was hier beschlossen wird, nicht nur in meinem Sinn, sondern bei der Bevölkerung meiner Ansicht nach sehr akzeptiert. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die SPD-Fraktion hat nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung um zusätzliche Redezeit gebeten. Ich erteile Herrn Gabriel drei Minuten Redezeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, um es klar zu sagen: Damals ist der Fall abseits der rechtlichen Regelungen gelöst worden, durch nichts anderes. Das wird Ihnen Herr Middelbeck mit Sicherheit bestätigen. Wir mussten ärztliche und psychologische Gutachten mehrfach beibringen, aus denen hervorging, dass das Mädchen suizidgefährdet war. Nur deshalb ging es.

Mir ging es um diese Kinder. Keines dieser Kinder reist bewusst illegal nach Deutschland ein. Keines dieser Kinder kann übrigens etwas dafür, wenn z. B. im Bereich Einbeck der Vater oder die Mutter über Jahre keine Arbeitstätigkeit aufnehmen können. Die Kinder werden groß und durchlaufen hier eine Ausbildung, sie arbeiten hier, leben nicht von der Sozialhilfe, ein paar haben sogar ein eigenes Unternehmen aufgemacht. Und dann bestrafen wir sie durch Ausweisung, obwohl sie hier groß geworden sind und hier integriert sind. Um solche Fälle geht es mir im Wesentlichen.

Deswegen bitte ich - auch weil heute über eine Initiative der FDP-Bundestagsfraktion berichtet wurde -, dass wir darüber reden, Herr Innenminister. Für mich ist absolut unbestritten, dass man in Ihrem Hause engagierte Leute findet, die bereit sind, Einzelfälle zu klären. Ihr Haus, Sie und Ihre Mitarbeiter sind über jeden Zweifel erhaben; das weiß ich aus vielen Jahren der Zusammenarbeit. Ich weiß aber auch, dass es Grenzen gibt. Wir hatten hier im Landtag vor einigen Monaten übrigens eine Debatte über einen solchen Fall, bei dem wir keine Chance hatten und bei dem wir nur dann eine Chance hätten, wenn es die Möglichkeit gäbe, eine so genannte Altfallregelung insbesondere für Kinder durchzusetzen. Nur darum geht es mir.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung noch einmal Herr Minister Schünemann!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gabriel, ich möchte Ihnen noch einmal die Härtefallmöglichkeit darstellen: Wenn alle rechtlichen Instanzen und Wege ausgeschöpft worden sind, dann gibt es die Möglichkeit, über diese Härtefallregelung außerhalb der bisherigen rechtlichen Möglichkeiten etwas Neues herbeizuführen. Das ist genau das, was die Härtefallregelung vorsieht. Es gibt im Ausländergesetz eine Regelung, wonach man eben eine bestimmte Situation als eine besondere Härte ansieht und deshalb außerhalb der „normalen“ rechtlichen Regelungen eine Entscheidung treffen kann. Genau das ist es! Ansonsten bräuchten wir keine Härtefallregelung. Deshalb bleibe ich dabei: Ihr Beispiel ist nicht ge

eignet, eine allgemeine Bleiberechtsregelung zu fordern, sondern das ist etwas, was dem Parlament und dem Petitionsausschuss obliegt. Danach werden wir entscheiden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es liegen nun keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 11. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD ab. Falls dieser abgelehnt wird, stimmen wir über die Beschlussempfehlung des Ausschusses ab.

Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Das Letzte war die Mehrheit.

Wer der Nr. 1 der Beschlussempfehlung des Ausschusses - Annahme des Antrages der Fraktionen der CDU und der FDP in geänderter Fassung - zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Das Erste war die Mehrheit.

Wer der Nr. 2 der Beschlussempfehlung des Ausschusses - Ablehnung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? Das Erste war die Mehrheit.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Sie haben die Stimmenthaltungen vergessen! Wir möchten uns der Stimme enthal- ten!)

- Gut.

Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 12. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses entfernt sich inhaltlich am weitesten vom Antrag in seiner ursprünglichen Fassung. Daher ist zuerst über die Beschlussempfehlung abzustimmen. Nur bei ihrer Ablehnung wäre dann über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion abzustimmen.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will und damit den Antrag der Fraktion der SPD ablehnen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Ich sehe, dass das nicht der Fall ist. Das Erste war die Mehrheit. Damit ist nach

§ 39 in Verbindung mit § 31 Abs. 3 und 4 unserer Geschäftsordnung gleichzeitig der Änderungsantrag der Fraktion der SPD abgelehnt.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 13. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses entfernt sich inhaltlich am weitesten von dem Antrag in seiner ursprünglichen Fassung. Daher ist zunächst über die Beschlussempfehlung abzustimmen. Nur bei ihrer Ablehnung wäre dann über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzustimmen.