Protocol of the Session on March 10, 2004

Das Wort hat jetzt Frau Meißner für die FDPFraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! So ist es, wenn man nicht als Erster redet. Jetzt wurde mir der Anfang meiner Rede vom Kollegen Böhlke geklaut. Ich wollte sagen: Sie rennen mit Ihrem Antrag bei uns offene Türen ein; denn vieles, was bürgerschaftliches Engagement angeht, gibt es in Niedersachsen schon. Fakt ist: Ein Drittel aller Menschen in Niedersachsen engagiert sich bereits im Ehrenamt. Natürlich könnte man hier noch mehr tun. Es ist aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, was ehrenamtliches Engagement volkswirtschaftlich einbringt. Im Jahr 2001 sind in Deutschland allein durch ehrenamtlich Tätige etwa 17 Milliarden Euro erwirtschaftet worden.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

- Danke schön. - Wir können noch viele Menschen hinzugewinnen und müssen dies auch. Zum Teil gibt es heute die Erwartungshaltung: Jeder sollte seine persönliche Freiheit haben, und der Staat soll die Verantwortung tragen. - Obwohl ich eben den Begriff „Freiheit“ verwendet habe, ist das in keiner Weise ein FDP-Grundsatz. Der FDPGrundsatz lautet im Gegenteil: Wir wollen nicht die Freiheit von, sondern die Freiheit zur Verantwortung.

(Beifall bei der FDP)

Dementsprechend haben wir uns in der Vergangenheit immer wieder für eine Freiwilligenkultur ausgesprochen, die wir auch in Niedersachsen gern umsetzen wollen. Das muss aber selbstorganisiert sein. Man kann ehrenamtliches Engagement nicht staatlich verordnen. Es ist ein Irrglaube, dass man Mitmenschlichkeit staatlich organisieren kann. Deshalb habe ich auch einige Probleme mit dem, was in Baden-Württemberg läuft. Dort gibt es eine mit einem hauptamtlichen Leiter und drei Mitarbeitern besetzte Stabsstelle, die das ehrenamtliche Engagement organisiert. Diese Struktur greift aus meiner Sicht zu stark von oben her ein und lässt Entwicklungen zu wenig Raum. Genauso sind wir gegen ein Pflichtjahr, weil das bedeuten würde, dass Mitmenschlichkeit staatlich verordnet wird.

Im gleichen Atemzug kann ich auch sagen: Wenn wir im Zuge der Verwaltungsreform frei werdende

Beamte für ehrenamtliches Engagement einsetzen, dann könnte der Fall eintreten, dass die in irgendeiner Stabsstelle sitzen und dort nicht mehr wegzudenken sind. Das darf auf keinen Fall passieren. Ehrenamt muss Ehrenamt bleiben. Wir brauchen keine hauptamtlichen Ehrenamtlichen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir brauchen drei Dinge: Erstens brauchen wir geeignete Rahmenbedingungen, damit sich Ehrenamt entfalten kann. Wir sollten nur wenige Vorschriften und keine Behinderungen haben. Nicht so, wie es mir früher passiert ist: Ich habe gemeinsam mit mehreren Frauen einen Vermittlungsservice für Tagesmütter organisiert. Als alles lief, kam der damalige Landkreis Hannover und fragte, ob wir überhaupt die erforderlichen Kompetenzen und auch eine Erlaubnis hätten. So darf es nun wirklich nicht sein.

Zweitens brauchen wir Aufklärung. Wir müssen auf die positiven Seiten hinweisen, die ein Ehrenamt haben kann. Das kann vom Kindergarten an über Bücher oder auch über Rollenspiele erfolgen. Ehrenamt bringt nämlich Kompetenz, Erfahrung und auch Freude, wenn man von den Leuten gelobt wird, die davon profitiert haben, dass man sich für sie engagiert hat. Vor allem aber sind das ehrenamtliche Engagement und die im Zusammenhang damit erworbenen Kompetenzen beruflich verwertbar. Heutzutage ist es so, dass bei Einstellungen gar nicht mehr so sehr darauf geachtet wird, was der Bewerber oder die Bewerberin fachlich kann, sondern vielmehr darauf, was der Bewerber oder die Bewerberin sonst noch als Mensch zu bieten hat und über welche persönlichen und sozialen Kompetenzen und Erfahrungen er oder sie verfügt. Das ist wichtig. Wir brauchen also eine Imagekampagne, die zeigt: Ehrenamt lohnt sich.

Drittens brauchen wir - das ist immer so ein schöner Punkt - Belohnungen und Anreize, damit wirklich jeder - Alte und Junge - motiviert ist, ehrenamtlich tätig zu werden. Hierbei ist NordrheinWestfalen sicherlich gut als Vorreiter; denn dort haben die Kirchen, die Verbände und auch die Kammern in der Öffentlichkeit klar gesagt: Wir werden ehrenamtlichen Einsatz honorieren. Wer ihn vorweisen kann, der wird bei uns bevorzugt eingestellt. - Wenn so etwas kommt - dazu kann die Landesregierung oder das Parlament auffordern -, dann wird das auch etwas sein, was die Menschen annehmen, weil es sich aus ihrer Sicht lohnt, ein Ehrenamt auszuüben.

Eines möchte ich noch sagen: Das, was derzeit in Nordrhein-Westfalen praktiziert wird, geht zurück auf die Katholischen Frauen Deutschlands, also auf Frauen. Das macht mich als Frau stolz. Frauen engagieren sich stark im Ehrenamt und haben auch hier die Initiative ergriffen.

Fazit: Niedersachsen ist schon auf einem sehr guten Weg. Einiges wurde schon erwähnt: die Versicherung durch die VGH, wir haben Familienpreise, wir haben den Freiwilligenserver, vielfach werden Lob ausgesprochen und Preise vergeben. Meine Damen und Herren, die Sie vielleicht gerade nicht zuhören: Wir alle können auch als Abgeordnete entscheidend dazu beitragen, diese Kultur zu pflegen, indem wir z. B. zu Veranstaltungen von Ehrenamtlichen gehen. Wenn wir diese für ihr Engagement loben und Präsenz zeigen, dann freut und stärkt sie das.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Abschließend: Niedersachsen ist auf einem guten Weg. Es passiert schon vieles. Wir können aber noch mehr erreichen. Ich freue mich auf die Beratungen im Sozialausschuss.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Frau Ministerin von der Leyen hat das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zielrichtung des Antrags ist gut. Ich begrüße es sehr, dass Niedersachsen zum Musterland für bürgerschaftliches Engagement entwickelt werden soll. In diesem Zusammenhang sollte auch noch einmal unterstrichen werden, dass in Niedersachsen zurzeit weit mehr als 2 Millionen Menschen ehrenamtlich tätig sind. Fast jeder dritte Niedersachse hat ein Ehrenamt inne und engagiert sich damit für die Gesellschaft, im Sportverein, im Feuerwehrverein, im Jugendchor, in einer sozialen Einrichtung, und, und, und. Ich möchte an dieser Stelle auch einmal die Gelegenheit nutzen, den vielen, vielen Menschen in unserem Land, die sich für andere und die Gemeinschaft einsetzen, zu danken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich gebe Ihnen Recht, wenn Sie feststellen, dass die notwendige Auseinandersetzung um eine Aufgabenund Verantwortungsverteilung zwischen Staat und Bürgern lange Zeit vernachlässigt wurde. Ein Gemeinwesen lebt davon, dass die Menschen sich für etwas einsetzen, dass sie nicht nur darauf warten, dass der Staat alles regelt, sondern dass sie sich selbst dafür engagieren, Aufgaben zu erfüllen und Probleme zu lösen. Die Landesregierung hat deshalb schon in ihrem ersten Jahr gezeigt, dass sie ehrenamtliche Arbeit nach Kräften fördert. Der Kollege Böhlke hat drei Themen bereits ausführlich dargestellt: den FreiwilligenServer, den Versicherungsschutz und die Mehrgenerationenhäuser. Lassen Sie mich dem noch hinzufügen, dass wir zurzeit ein Ausbildungs- und Fortbildungskonzept für Ehrenamtliche entwickeln, und zwar mit den Bildungsträgern, FreiwilligenAgenturen und Verbänden.

(Zustimmung von Heidemarie Mund- los [CDU])

Wir haben weiterhin den „Niedersächsischen Familienpreis“ ausgeschrieben - damit wollen wir ehrenamtliche Leistungen für Familien prämieren -, und in Kürze wird der „Niedersachsenpreis für Bürgerengagement“ verliehen, den die Landesregierung nachhaltig unterstützt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Schließlich haben wir Ihren Punkt IV bereits aufgegriffen. Kapazitäten, die im Zuge der Verwaltungsreform freigesetzt werden, können als Betreuer eingesetzt werden - ein Aufgabenbereich, in dem heute bereits viele Ehrenamtliche tätig sind. Das zeigt, das Ehrenamt hat für uns einen sehr hohen Stellenwert. Ich bin sehr gespannt auf die Beiträge der Fraktionen in den Ausschusssitzungen. - Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir kommen damit zur Ausschussüberweisung. Federführend soll der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit sein, mitberatend der Kultusausschuss, der Ausschuss für Inneres und Sport sowie der Ausschuss für Haushalt und Finanzen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Keine. Stimmenthaltungen? - Auch keine. Damit ist so beschlossen.

Die beiden folgenden Tagesordnungspunkte rufe ich jetzt vereinbarungsgemäß zusammen auf

Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung: Keine Bereicherung des Landes an Hartz IV - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/841

und

Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung: Keine Sanierung des Landeshaushalts zulasten der Kommunen - Das Land darf den Kommunen nicht 250 Millionen Euro vorenthalten! - Antrag der Fraktion der SPD Drs. 15/850

Zur Einbringung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Helmhold das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nach den Ergebnissen des Vermittlungsausschusses sollen die Kommunen neben der Entlastung aus der Absenkung der Gewerbesteuerumlage und anderen Beschlüssen zur Stärkung der kommunalen Finanzkraft in Höhe von 2,5 Milliarden Euro aus den Be- und Entlastungen im Zusammenhang mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe weitere 2,5 Millionen Euro im Saldo erhalten. Voraussetzung für diese Entlastung ist aber, dass die Länder, die bislang mit dem Bund hälftig die Kosten des pauschalierten Wohngeldes bezahlt haben, ihre ersparten Wohngeldmittel an die Kommunen weitergeben.

Diejenigen, die sich jetzt klammheimlich aus den gemeinsam geschlossenen Vereinbarungen des Kompromisses davonstehlen wollen, möchte ich daran erinnern, dass bezeichnenderweise die Bundesländer in der Bundesratssitzung am 19. Dezember, deren Protokoll nur so von Anhängen und zu Protokoll gegebenen Erklärungen strotzt, keine Erklärungen zu Protokoll gegeben haben, in denen sie sich verpflichten, dies auch tatsächlich zu tun. Die Folgen werden jetzt sichtbar.

Vor diesem Hintergrund haben wir unseren Antrag in die Beratung eingebracht, um die Niedersächsische Landesregierung jetzt zum Jagen zu tragen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Heiner Bartling [SPD]: Das ist auch nötig!)

Angesichts des benötigten Vorlaufs für die Umsetzung müssen die Kommunen Planungssicherheit haben, mit welcher Finanzausstattung sie ihren Haushalt planen können und vor allem, ob sie dem erklärten Wunsch der Bundesregierung gerecht werden können, die Betreuung der unter Dreijährigen, kurz „U 3-Programm“ genannt, vorantreiben zu können. Es war erfreulich, dass die Sozialministerin heute Morgen ein klares Zeichen im Sinne unseres Antrages gesetzt hat. Hoffen wir, dass damit die Einlassung ihres Staatssekretärs, der sich im heutigen rundblick eher kryptisch geäußert hat, hinfällig wird.

Meine Damen und Herren, zurzeit wird in allen Rat- und Kreishäusern gerechnet. Angesichts einer völlig neuen Gesetzeslage, die nur zum Teil schon in Kraft ist, ist es sicherlich nicht einfach, zu belastbaren Einschätzungen der Kosten aus der Zusammenlegung zu kommen. Daher ist es verständlich, wenn sich die Kommunen, aber auch die Länder nun reihenweise arm rechnen, um dem Bund wieder den schwarzen Peter zuschieben zu können und zu behaupten, er habe die Zahlen getürkt und das Blaue vom Himmel versprochen. Das gleicht teilweise dem permanenten, meines Erachtens wenig seriösen Herausgeben von Hiobsbotschaften in diesem Zusammenhang.

Fakt ist, dass alle Hochrechnungen auf Schätzungen und Annahmen beruhen müssen, weil hierbei Neuland betreten wird. Der Landkreistag hat in seinem eigenen Berechnungstableau eine Entlastung des Landes Niedersachsen und seiner Kommunen von insgesamt 272 Millionen Euro errechnet, wovon 158 Millionen Euro u. a. die Ersparnisse aus der Wohngeldreform darstellen. Die Landesregierung rechnet - darauf bezieht sich wohl auch der SPD-Antrag - mit einer faktischen Entlastung in Höhe von 150 bis 155 Millionen Euro. Abgezogen sind in dieser Rechnung bereits die ca. 95 Millionen Euro, die an die östlichen Bundesländer transferiert werden sollen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen kleinen Exkurs machen: Es kann nicht angehen, dem Osten zu helfen und dann vom CDU

geführten Land Sachsen zu hören, es wolle diese Mittel selbst behalten und nicht an die Not leidenden Kommunen mit hohen Arbeitslosenzahlen weitergeben. So kann die Ost/West-Solidarität oder, besser gesagt, die West/Ost-Solidarität nicht aussehen, meine Damen und Herren. So war das jedenfalls nicht verabredet.

Wenn das Land, wie wir es fordern, bereit ist, seine ersparten Wohngeldmittel an die Kommunen weiterzureichen, muss dabei natürlich berücksichtigt werden, dass die künftige Kostenbelastung der Kommunen mit den Beziehern und Bezieherinnen der ALG II-Leistungen höchst unterschiedlich sein wird. Wer jetzt viele Sozialhilfebezieher und -bezieherinnen hat, wird von den neuen Bestimmungen eher profitieren. Wer sich engagiert hat und viele frühere Sozialhilfebezieher und -bezieherinnen über „Hilfe zur Arbeit“-Programme in die Leistungen des AFG befördert hat, wird jetzt eher belastet werden, weil die daraus resultierende höhere Zahl von Arbeitslosenhilfebeziehern und -bezieherinnen jetzt auf ihn zurückschlagen wird.

Das heißt, die Weitergabe der Wohngeld-Millionen muss angesichts der verschiedenartigen Kostenbelastungen mit einem differenzierten Finanzausgleich verbunden werden. Sonst hätte sie ungerechte Verteilungswirkungen. Das müssen wir unbedingt vermeiden. Vom Land muss auch klipp und klar gesagt werden, welche Form der Heranziehung der Kommunen im weiteren Umsetzungsprozess von Hartz IV vorgesehen ist. Hier bedeckt sich die Landesregierung bislang mit Schweigen.

Unabhängig davon muss in den weiteren Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen über die Höhe der Eingliederungs- oder auch Integrationspauschalen gesprochen werden.

Meine Damen und Herren, wir wollen die Entlastung der Kommunen in dem Umfang, wie er im Vermittlungsausschuss besprochen und abgesegnet wurde. Wir wollen diese Entlastung aber auch nutzen, um die dringend notwendige Betreuung der unter Dreijährigen voranzutreiben. Gerade weil für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch viel zu tun ist - diese Meinung vertritt ja auch die Sozialministerin in zahlreichen Interviews - müssen hier Zeichen gesetzt werden. Dafür hat die Bundesregierung einen Betrag von 1,5 Millionen Euro veranschlagt, um stufenweise - ohne vorgeschriebene Quote - in einem sechsjährigen Ausbauprogramm bedarfsorientiert Kinderbetreuungseinrichtungen aufzubauen. Ich meine, das ist ein sinn

volles Ziel, das wir alle verfolgen sollten. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und schenke Ihnen meine Restredezeit von drei Minuten und 18 Sekunden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau Modder das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese beiden Tagesordnungspunkte könnten eigentlich schnell abgehandelt werden, wenn die Landesregierung heute hier erklären würde, dass sie sich an den Kompromiss aus dem Vermittlungsausschuss halten will, die Einsparungen des Landes ungekürzt an die Kommunen weiterzugeben.

(Beifall bei der SPD)

Meiner Meinung nach würde dies die Diskussion über Hartz IV zumindest in dem Punkt, in dem das Land gegenüber den Kommunen die Verantwortung trägt, erleichtern. Aber leider müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit mit Schreiben vom 10. Februar 2004 an den Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund eine Ausgleichsverpflichtung gegenüber den Kommunen ausdrücklich abgelehnt hat.