Protocol of the Session on February 19, 2004

Das gilt in diesem Zusammenhang auch für die niedersächsischen Gesamtschulen. Es ist ein Gebot der Fairness, dass sie die gleiche Lehrerstundengrundausstattung wie andere allgemein bildende Schulen erhalten. Sie bekommen einen gesamtschulspezifischen Zusatzbedarf für äußere Fachleistungsdifferenzierung, für die Bildung einer Schnellläuferklasse für das Abitur nach Klasse 12, für sozialpädagogische Unterstützungsmaßnahmen für Hauptschülerinnen und Hauptschüler. Sie erhalten den gleichen Stundenpool von zwei Lehrerwochenstunden pro Klasse. Sie erhalten den gleichen Ganztagszuschlag wie alle anderen vergleichbaren Schulen in Niedersachsen. Ich weiß, dass an vielen Gesamtschulen eine hervorragende pädagogische Arbeit zum Wohle unserer Schülerinnen und Schüler geleistet wird. Dafür erhalten sie über eine gute Lehrerstundenausstattung mit den neuen Erlassen weitest gehenden Gestaltungsspielraum im Sinne der Eigenverantwortung von Schulen und können damit ihr gesamtschulspezifisches Profil erhalten, schärfen und weiterentwickeln, wie sie es für richtig halten.

Nicht umsonst hat der Landeselternrat die Grundsatzerlasse für Gesamtschulen ausdrücklich gebilligt. Gesamtschulen können sich durch eine gymnasiale Oberstufe erweitern, sofern ein entsprechendes Bedürfnis nachgewiesen und die Existenz bestehender Schulen des gegliederten Schulwesens nicht gefährdet wird. Sie können auch Außenstellen einrichten - das war ja auch keine einfache Diskussion -, wenn die Höchstzügigkeit nicht überschritten und das Errichtungsverbot nicht umgangen werden. Sie können damit gelungene Konzepte fortschreiben, neue Entwicklungen aufgreifen und selbständig umsetzen. Was will man da eigentlich mehr? Ich wäre dankbar, wenn von der Oppositionsseite vielleicht auch manchen Gesamtschulprotagonisten das einmal erklärt und darauf hingewiesen werden würde, dass 2006 mit dem Zentralabitur der Tag der Wahrheit kommt. Bis dahin muss jeder an Ort und Stelle das Beste tun, was für ihn in der Schule möglich ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

In Bezug auf die Frage der Anrechnungsstunden befinden wir uns noch in der Anhörung. Auch hier heißt das Prinzip Gleichbehandlung und Gleichberechtigung, sodass ich mir durchaus noch Verbesserungen vorstellen kann. Wir entlasten damit nachdrücklich die Schulleitungen kleiner Grundschulen. Das Ergebnis der Anhörungen möchte ich jetzt aber nicht vorwegnehmen.

Auch die Vollen Halbtagsschulen werden künftig trotz der bekannten Veränderungen - Thema Vertretungsreserve - immer noch ein wenig besser dastehen als andere und erhalten auch künftig mehr Lehrerstunden als die anderen Grundschulen. Der Unterschied ist jetzt aber maßvoll und geht nicht zulasten der anderen Grundschülerinnen und Grundschüler. Ich darf daran erinnern, dass die SPD-geführte Vorgängerregierung - wir wollen ja nicht vergesslich werden - die Vollen Halbtagsschulen zum 31. Juli 2006 ersatzlos abschaffen wollte. Das gehört auch zur Wahrheit dazu.

Auch bei Ganztagsschulen muss sich diese Landesregierung nicht verstecken. Die Zahl der Ganztagsschulen ist in nur einem halben Jahr von 155 auf 242 gesteigert worden - eine Steigerung von über 50 %. Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen wollen mehr Ganztagsschulen und freiwillige Nachmittagsprogramme, insbesondere an unseren Hauptschulen. Wir wissen allerdings auch, dass eine Schule nicht allein dadurch besser wird, dass sie länger geöffnet ist. Das Förderprogramm des Bundes bringt dafür einen schönen Batzen Geld. Wir sorgen selbstverständlich dafür, dass diese Mittel sinnvoll eingesetzt werden. Alle Mittel des Jahres 2003 konnten ohne Überzeichnung jetzt restlos vergeben werden. Für 2004 endet die Antragsfrist demnächst, am 30. April.

Wenn dieser Geldbetrag jedoch aufgebraucht ist, trägt auf Dauer nicht der Bund die Kostenlast. Diese Last kommt auf die Länder oder die Kommunen in Form der Personalkosten und der Folgekosten für Betrieb und Unterhaltung zu. Eine rot-grüne Bundesregierung - das sage ich dann auch einmal in einem solchen Zusammenhang -, die es sich leisten kann, durch die Lkw-Maut-Pleite insgesamt 6 Milliarden Euro Einnahmen in den Sand zu setzen, hätte diese Gelder besser den Bundesländern und den Kommunen für die Abdeckung der Folgekosten gegeben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir haben einen Bedarf an Geld für das Bildungswesen. Wenn man in Berlin zu viel Geld hat - wir wüssten schon etwas damit anzufangen, um es gerade für die Kinder und die Bildung einzusetzen.

Vor dem Hintergrund der miserablen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der chaotischen Berliner Politik stehen alle Verantwortlichen des Landes und der Kommunen vor der Frage, in welchem Umfang und in welchem Tempo wir Fortschritte bei Ganztagsschulen machen können. Die Fraktionen von SPD und auch von den Grünen machen zu diesem Thema dicke Backen, haben aber für 2004 nur Pläne, jedoch keine Stellen hinterlassen.

Aber, meine Damen und Herren, keine Sorge - ich habe es eingangs schon gesagt -: Not macht kreativ und erfinderisch. Wenn wir zurzeit 100 Anträge vorliegen haben, diese sorgfältig sichten und gewichten - ich bin sicher, da sind auch ein paar taktische Anträge dabei und ein paar, die von einem auf das andere Jahr verlagert werden können -, dann bin ich eigentlich optimistisch - vor einigen Wochen habe ich als vorsichtiger Mensch gesagt, dass wir mindestens 30 bedienen können- , dass wir 50 plus x bedienen können. Mit dieser Ankündigung will ich der Fläche etwas Beruhigung verschaffen. Ich meine, dass das schon ein ganz guter Wert ist. Es ist in diesen Zeiten sicherlich nicht selbstverständlich, dass wir auch das noch ermöglichen. Wenn wir dieses Ziel erreichen sollten, hätten wir in unserer kurzen Amtszeit, in kaum mehr als einem Jahr, die Zahl der Ganztagsschulstandorte schon verdoppelt. Das haben andere vor uns nicht geschafft.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mit unserem Modell der Kapitalisierung von Lehrerstunden, der Öffnung ins gesellschaftliche Umfeld und der Zusammenarbeit mit Dritten wie Vereinen, Verbänden und der Jugendhilfe befinden wir uns in Bezug auf die Ganztagsschule eigentlich mitten in einem bundesweiten Trend. Lassen Sie uns doch einmal ehrlich sein: Wir haben soeben etwas über diese angeblichen brutalen Grausamkeiten rund um Gesamtschule und Ganztagsschule gehört. Warum hat eigentlich noch kein Träger seinen Antrag zurückgezogen, wenn die Erlasslage zur Ganztagsschule angeblich so grausam ist, dass sie nicht zumutbar ist? Kann mir das jemand erklären? Insofern scheinen wir hier noch im zumutbaren Bereich zu liegen. Jedenfalls wird es mehr Ganztagsschulstandorte geben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Oppositionsfraktionen blicken immer nur zurück, anstatt den Blick nach vorne zu richten. Ich habe in diesen Tagen ein wenig Bedenken, ob wir überhaupt noch dialogfähig sind.

(Lachen bei den GRÜNEN)

- Frau Korter, Sie lachen. Sie schmeißen sich in Debatten ja ständig hinter den Zug.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meinen Sie denn wirklich, mit Kalauern oder Überlegungen, durch den Verzicht auf das Sitzenbleiben Schulreform zu finanzieren, oder Aussagen, in denen Sie zum Ausdruck bringen, dass Hausarbeiten in Ihrer Betrachtung sozusagen ein Folterinstrument sind und gar nicht gemacht werden sollten, können wir uns unterhalten? So werden wir aus dem PISA-Tal nicht herauskommen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Wir wollen aber auch keine 40-Stunden-Woche für die Schülerinnen und Schüler!)

Gerade die Forderung der Grünen, die Verkürzung der Schulzeit - zwölf Jahre bis zum Abitur - auszusetzen, ist ein weltfremdes, ja geradezu absurdes Ansinnen, meine Damen und Herren.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Ich bin froh und dankbar darüber, dass wir mit dem Abitur nach zwölf Schuljahren an Gymnasien und an Gesamtschulen eine überfällige Entscheidung getroffen haben. Mit der Verkürzung der gymnasialen Schulzeit werden wertvolle Lebens- und Lernzeit gewonnen, aber auch ein Jahr im Berufsleben und damit mehr Beitragssicherheit und sogar Beitragsgerechtigkeit für unsere sozialen Sicherungssysteme. Der bundesweite Trend, jetzt sogar in Bayern, geht in Richtung Abitur nach zwölf Jahren. Wir müssen ständig am Ball bleiben, das umzusetzen. Ich verfolge, wie sich andere Bundesländer manchmal schwer damit tun, sich mit Verbänden auseinander zu setzen, und meine, dass wir, weil wir das Vorhaben schon auf den Weg gebracht haben, so schlecht nicht zu sein scheinen.

Meine Damen und Herren, die Gymnasien sind mit dem neuen Grundsatzerlass hoch zufrieden, weil er ihnen Möglichkeiten der Profilierung eröffnet. Sie werden im Gegensatz zu allen Unkenrufen wie

alle Schulformen den einmaligen Zuwachs dreier Schuljahrgänge bewältigen. Sie von Rot-Grün aber haben schlichtweg einmal mehr den Anschluss verpasst.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Herr Minis- ter, die Zeit läuft!)

Wir trauen den Schulen in Zusammenarbeit mit den Schulträgern und den Eltern zu, die Herausforderungen der Schulreform zu meistern, und zwar nicht zulasten, sondern zum Wohl der ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler. Ich sage es noch einmal: Wir sind gerne die Spitze der Bewegung.

Aber - das sage ich Ihnen jetzt auch zum Schluss gedanklich sind wir natürlich schon beim 19. August und bei der Frage, ob das alles beim Schuljahresbeginn funktioniert. Ich persönlich schaue - jedenfalls mit dieser Seite des Hauses - gedanklich schon über den 19. August hinaus. Wir stellen uns jetzt der nächsten und wichtigsten Aufgabe, nämlich der inhaltlichen, der inneren Schulreform,

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

der Umsetzung der Grundsatzerlasse, der Einführung verbindlicher Bildungsstandards, der Umsetzung von Leistungstests und verbindlicher Abschlussprüfungen zur Qualitätsentwicklung, der Stärkung der Eigenverantwortlichkeit im Rahmen des staatlichen Bildungsauftrages, dem wichtigen Thema der Verbesserung der frühkindlichen Bildung usw. Insofern haben wir noch eine ganze Menge zu tun. Wir sind eigentlich gut aufgestellt und haben noch einiges vor. Vielleicht können Sie wirklich einmal eine Klausurtagung abhalten und dabei darüber nachdenken, ob Sie mitmachen wollen. - Danke schön.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAl- lister [CDU]: Sehr gut! Das ist ein Mi- nister!)

Meine Damen und Herren, der SPD-Fraktion steht noch eine offizielle Redezeit von einer Minute und 31 Sekunden zu. Aufgrund der erheblichen Redezeitüberschreitung durch die Landesregierung, sprich des Ministers, erlaube ich zusätzlich fünf Minuten Redezeit, sodass insgesamt sechseinhalb Minuten zur Verfügung stehen. Herr Poppe von der SPD-Fraktion, Sie haben das Wort.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Darf unter- schritten werden! - Wolfgang Her- mann [FDP]: Das ist ein faires Ange- bot!)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So unterschiedlich kann man das sehen. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen. Sie können sogar Fakten verdrehen wie Frau Körtner.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Was? So was macht Frau Körtner nicht!)

Diese Debatte zeigt es erneut: Der Lack hat nicht nur Risse, der Lack ist ab von diesem Schulgesetz und seinen Folgeverordnungen und Erlassen, schon bevor sie wirksam werden sollten.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE])

Denn die mit dem Schulgesetz verknüpften großen Versprechen sind alle schon jetzt gebrochen worden. Dieser Antrag „Gebrochene Versprechen“ ist mehrfach angesprochen worden. Sie haben sich an den eigenen großen Ansprüchen verhoben.

(Heinz Rolfes [CDU]: Kommen Sie mal zum Inhaltlichen! Was ist denn das für ein Getöse? - Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Schon im Dezember standen demonstrierende Eltern von Kindern aus Gesamtschulen und Vollen Halbtagsschulen vor dem Landtag. Der Landeselternrat hat Ihnen den Klassenbildungserlass um die Ohren gehauen.

(Lachen bei der CDU)

Die ersten Zahlen zu den Schulformentscheidungen belegen, dass der angeblich so gestärkten Hauptschule die Eltern und damit die Schülerinnen und Schüler weglaufen. Sie laufen ja nicht vor den Lehrern weg. Sie haben gute Gründe. Sie laufen vor Ihren Plänen, vor den Plänen dieser Koalition, weg. Sie laufen vor einer Bildungspolitik weg, die man unter dem Nenner zusammenfassen kann: versprochen, gebrochen.

In Ergänzung zu dem, was Frau Seeler ausgeführt hat, will ich das an drei Beispielen erläutern.

Versprechen eins: Erhalt von Schulstandorten. Das steht in der Gesetzesüberschrift. Sie wissen, eine Gesetzesüberschrift ist Programm.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU)

Dieses Programm, dieses Versprechen können Sie trotz aller Klimmzüge nicht einhalten; denn es bleibt dabei: Durch Ihre Trennung in verschiedene Schulformen ab Klassenstufe 5 sind kleine Schulstandorte, vor allem kleine Hauptschulen auf dem Land, massiv gefährdet. Ich habe die Beispiele in ländlichen Gegenden täglich vor Augen. Außenstellen sind nicht Schulstandorte und können jederzeit geschlossen werden. Versprochen, gebrochen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Lachen bei der CDU und bei der FDP - Heinz Rolfes [CDU]: Was reden Sie denn da?)

Versprechen zwei, Frau Körtner: Sie wollen die Durchlässigkeit. In dieser Zielsetzung sind wir uns durchaus einig. Es geht immer darum, unser Schulsystem durchlässiger zu gestalten, jeder und jedem die Chance zu geben, sich auch zu einem späteren Zeitpunkt weiterzuqualifizieren. Das Problem ist, dass Sie Durchlässigkeit nur behaupten, in Wirklichkeit aber alles dafür tun, sie zu verhindern. Ich habe in der letzten Debatte amüsiert verfolgt, wie Herr Klare etwas krampfhaft versucht hat zu erklären, dass zusätzliche Versetzungen nichts mit Durchlässigkeit zu tun hätten, obwohl die Überschrift der Verordnung lautet: Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung. - Das hätten Sie wohl gerne so. Die CDU sorgt in ihrer Propaganda für die Durchlässigkeit nach oben,

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Propa- ganda machen wir nicht, das macht nur die SPD!)

und die Schulen müssen durch Nichtversetzungen und Überweisungen die Durchlässigkeit nach unten organisieren, und beides hat dann nichts miteinander zu tun.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE])