Protocol of the Session on October 19, 2007

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das EU-Parlament hat beschlossen, das Briefmonopol bis Anfang 2011 zu verlängern. Damit wird das europäische Briefmonopol nicht, wie ursprünglich geplant, Anfang des Jahres 2009 aufgehoben. Die SPD-Landtagsfraktion steht hinter der europäischen Idee, gleiche Wettbewerbsbedingungen in Europa herzustellen. Voraussetzung für gleiche Wettbewerbsbedingungen sind aber einheitliche europäische Regelungen und ein echter europäischer Markt. Wenn das Briefmonopol, wie auf Druck der CDU vereinbart, in Deutschland fällt, während andere europäische Länder bis 2011 am Monopol festhalten, dann kann man nicht von einem echten europäischen Markt sprechen. Dann kommt es nämlich zu Wettbewerbsverzerrungen in Deutschland, die auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden, wenn nicht zumindest ein allgemeinverbindlicher Mindestlohn für diese Branche eingeführt wird.

Schaut man sich die Situation bei den privaten Dienstleistern an, stellt man fest, dass zwei Drittel der dort geschaffenen 42 000 Arbeitsplätze Mini- und Midijobs sind. Meine Damen und Herren der Koalition, lediglich 20 % dieser neu geschaffenen Stellen in dieser Branche sind Vollzeitstellen. Es handelt sich eindeutig um einen klaren Niedriglohnsektor, dessen Beschäftigte selbst bei Vollzeittätigkeit auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. Viele Prognosen sagen voraus, dass sich der Bereich der Postdienstleistungen zum größten

Niedriglohnsektor in Deutschland entwickeln wird. 62 % aller Beschäftigten in den Briefdienstleistungsunternehmen außerhalb der Post sind geringfügig Beschäftigte. Dieser Wirtschaftszweig steht damit heute schon an der Spitze derer, in denen geringfügig Beschäftigte tätig sind, noch vor dem Reinigungsgewerbe und der Gastronomie. Während die Stundenlöhne bei der Post AG im Briefsektor bei 11,84 Euro liegen, zahlen neue Briefdienstleister zwischen 5,90 Euro und 7,00 Euro in der Stunde. Wer eine Beschäftigung bei neuen Briefdienstleistern aufnimmt, der ist in hohem Maße und in stetig steigendem Ausmaß davon betroffen, trotz Arbeit in die Armut abzurutschen.

So viel zu der Äußerung von Minister Hirche in einer Pressemitteilung vom 16. Dezember 2004, wonach die Wettbewerber bereits mehr Arbeitsplätze geschaffen haben, als die Post abgebaut hat. Es kommt nur darauf an, welche Arbeitsplätze geschaffen werden. Festzustellen ist, dass die neuen Briefdienstleister in der Regel ihr Unternehmen darauf ausrichten, Kostenvorteile durch prekäre Beschäftigung zu erlangen. Bei nur 3 % aller betriebsratsfähigen Betriebe bestehen überhaupt Betriebsräte.

Auch die Sorge um die Postversorgung im ländlichen Raum spielt Herr Minister Hirche in einer Pressemitteilung vom 16. Dezember 2004 herunter, und zwar mit den Worten „pure Panikmache“.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Recht hat er!)

Fakt ist, Herr Minister Hirche, dass Postfilialen outgesourct werden.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Ja, genau! Postfilialen!)

Dort, wo Agenturen entstehen, bestehen diese oft nur, weil gesetzliche Regelungen dies im Sinne des Versorgungsauftrages mit Postdienstleistungen erzwingen.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Dem spie- len Sie in die Hand, Frau Kollegin!)

Man stelle sich nur vor, diese gesetzlichen Regelungen gäbe es nicht! Dann wäre der ländliche Raum völlig abgehängt und von den Einschränkungen bei Postdienstleistungen noch mehr betroffen.

Aus Sicht der SPD-Landtagsfraktion ist ein allgemein verbindlicher Mindestlohn für die Briefdienst

leistungen einzuführen, weil es aufgrund des Widerstandes der CDU auf Bundesebene nicht möglich ist, das Briefmonopol bis zur EU-weiten Öffnung des Postmarktes zu erhalten. Anderenfalls würde fahrlässig Dumpinglöhnen Tür und Tor geöffnet. Beschäftigte auf sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen würden durch Niedriglöhner ausgetauscht. Dies entspricht nicht dem europäischen Sozialmodell, dem wir uns alle verpflichtet haben. Die SPD ist für fairen Wettbewerb und für gerechte Löhne, von denen man auch leben kann. Dazu gehört auch die Debatte um Mindestlöhne in Deutschland.

Offensichtlich gibt es aber in der Koalition in Niedersachsen bei diesem Thema ein heilloses Durcheinander.

(David McAllister [CDU]: Nein! - Bernd Althusmann [CDU]: So etwas haben wir früher auch immer behauptet!)

Weiß die eine Hand nicht, was die andere tut? - Da gibt es den bemerkenswerten Vorgang, dass das Land Niedersachsen einen Antrag in den Bundesrat einbringt, um den allgemein verbindlichen Mindestlohn bei Briefdienstleistern zu verhindern, und dann distanziert sich der Ministerpräsident öffentlich von dem eigenen Antrag mit den Worten, das sei ein FDP-Vorstoß, Initiativen des FDPWirtschaftsressorts lägen in der Verantwortung des Fachministers.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Richtig! Gu- ter Minister! - Hans-Werner Schwarz [FDP]: Wo er recht hat, hat er recht!)

Die SPD-Landtagsfraktion fragt sich daher: Gibt es ein abgestimmtes Verfahren zwischen Ministerpräsident und Vizeministerpräsident in Bundesratsangelegenheiten?

(Bernd Althusmann [CDU]: Diese Fra- ge können Sie sich gerne stellen! Sie wird gleich beantwortet!)

Genießt der Wirtschaftsminister in seinem Kompetenzbereich noch das Vertrauen des Ministerpräsidenten?

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Oh!)

Wie steht es um das Koalitionsklima, Herr Rösler?

(Zurufe von der CDU und von der FDP: Sehr gut! - David McAllister [CDU]: Wir sind Kumpels! - Bernd Althusmann [CDU]: Wie ist es denn bei Ihnen mit dem Klima? Wie ist denn da die Stimmung?)

- Ich merke, meine Worte erzielen die erwartete Wirkung.

(Zustimmung bei der SPD)

Dient die FDP nur noch als Mehrheitsbeschaffer im Landtag, und hat sie inhaltlich nichts mehr zu melden? - Der Bedeutungsverlust der FDP für die Landespolitik ist nicht zu übersehen.

(Zustimmung bei der SPD - Hans- Werner Schwarz [FDP]: Das ist der der SPD! In den Umfragewerten nä- hern wir uns an! - Klaus Rickert [FDP]: Was ist da wohl Bedeutungsverlust? - Bernd Althusmann [CDU]: Wie ist das denn mit dem Schrumpfen der Zahl der Sozialdemokraten?)

Ehrlich gesagt: Das stimmt uns von der SPDFraktion nicht wirklich besorgt. Dies ist auch gut so.

Der inhaltliche Umschwung des Ministerpräsidenten in der Frage des gesetzlichen Mindestlohns bei den Zustellerdiensten ist nur allzu klar als Wahlkampfmanöver zu entlarven.

(Zustimmung bei der SPD)

Über das Thema der Mindestlöhne wird seit Monaten diskutiert, im Übrigen auch hier im Landtag. Zustimmung zu unseren Initiativen haben wir selbst im Juli-Plenum in diesem Hause von keiner Seite der Koalition erhalten - ganz im Gegenteil.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Da war Wulff wahrscheinlich gerade mal wie- der unterwegs!)

Wir erwarten daher von der Landesregierung, hier und heute ein klares Statement zum Thema Mindestlöhne für Briefdienstleister abzugeben - keine Wackelei, sondern eine eindeutige Positionierung.

(Zustimmung bei der SPD)

Was ist denn die Position der Landesregierung bei diesem Thema? - Viele Tausende Beschäftigte bei der Post und bei privaten Dienstleistern in Niedriglohnbereichen können zu Recht von ihrer Landesregierung in Niedersachsen erwarten, dass sie hierzu eine eindeutige Aussage tätigt.

(Vizepräsidentin Ulrike Kuhlo über- nimmt den Vorsitz)

Eine Enthaltung bei diesem Thema ist nicht nur blamabel, sondern vor allem wird sie der Lebenssituation vieler Menschen auch in unserem Bundesland nicht gerecht. Ich fordere daher die Landesregierung auf, vor dem Parlament Stellung zu beziehen. Der Ministerpräsident ist gefordert, seinen Wirtschaftsminister in die Schranken zu weisen. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Wir zittern schon!)

Der nächste Redner ist Herr Jörg Hillmer von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Vorsicht mit Kritik! Es könnte morgen Ihr Vor- schlag sein!)

- Ja, Herr Jüttner. Ich komme gleich dazu.

Der Wettbewerb auf dem Markt für Postdienstleistungen soll nach dem Wegfall des Briefmonopols 2008 zu fairen Bedingungen stattfinden. Das heißt, dass jeder Marktteilnehmer über die Qualität seiner Leistungen ins Geschäft kommen soll und nicht über die geringere Entlohnung seiner Mitarbeiter.

Für uns war und bleibt klar, dass Lohnfindung und Festsetzung von Arbeitsbedingungen Sache der Tarifparteien sind. Wir stehen zu den Vereinbarungen der Großen Koalition in Meseberg. Mit der Bezugnahme auf eine relevante Tarifeinigung stärken wir damit die Gewerkschaften und auch die Arbeitgeberverbände.

Im aktuellen Konflikt im Postmarkt sind unsere Ziele: erstens die Sicherung der Arbeitsplätze und der Gehälter der Postmitarbeiter. Wir wollen zweitens nicht durch neue Monopolstrukturen die milliardenschweren Monopolgewinne, die die Post bisher zweifelsfrei gezogen hat, für die Zukunft fortschreiben. Denn dabei handelt es sich schließlich um das Geld aller Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen drittens die schon geschaffenen Arbeitsplätze bei den Mitbewerbern nicht gefährden und alle Möglichkeiten ausschöpfen, zusätzliche Ar

beitsplätze in diesem dynamisch wachsenden Markt zu schaffen.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Für 4,50 Eu- ro!)

Unsere besondere Sorge gilt dabei immer der Problemgruppe auf dem Arbeitsmarkt, den Geringqualifizierten. Herr Will, auch daran sollten Sie einmal denken.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Daran den- ken wir ständig!)

Gerade im Zustellbereich könnten wir diesen Menschen Perspektiven eröffnen. Auch das hat etwas mit Mindestlohnhöhen zu tun.

Vielleicht betrachten wir einmal den Einfluss von Mindestlöhnen im Vergleich. Der Tarifabschluss bezieht sich nur auf Briefdienstleistungen. Alle Beförderungen von Sendungen über 1 000 g sind nicht einbezogen. Dafür wird sich das anders entwickeln. Das verspricht doch interessant zu werden. Warum ist das so? - Die Post hat sich ein Marktsegment herausgesucht, in dem vielleicht gerade noch die 50-%-Anforderung für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung erfüllt wird. Das muss sie auch; denn im Paketbereich führt die Post ihre eigene Argumentation bereits ad absurdum. Im Paketversand hat sie nämlich längst Arbeit an Subunternehmer, die geringere Löhne als der Konzern zahlen, ausgelagert. Die Trennung von Briefdienstleistung und Paketdienstleistung ist aber überhaupt nicht praxistauglich. Der Paketzusteller, der Zeitungsausträger oder der Kurierdienst dürfte nicht ohne Weiteres einen Brief mitnehmen. Das heißt, der Mindestlohn müsste am Ende sozusagen mit der Briefwaage kontrolliert werden.