Protocol of the Session on January 23, 2002

Frau Seeler, möchten Sie eine Frage von Frau Litfin beantworten?

Nein. - Denn nur, wenn frühzeitig darauf reagiert wird, dass Kinder Schule schwänzen, kann verhindert werden, dass aus einem harmlosen einmaligen Schulschwänzen ein gravierendes Problem wird, bis hin zur Schulverweigerung. Darauf, was es heißt, wenn Kinder Schule verweigern und ständig schwänzen, ist in vielen Äußerungen der letzten Monate hingewiesen worden, u. a. durch unseren Justizminister Herrn Pfeiffer.

In der Beschlussempfehlung, die wir - darüber bin ich sehr froh - gemeinsam mit der CDU-Fraktion im Ausschuss beschlossen haben, werden die unterschiedlichsten Möglichkeiten aufgezeigt. Am allerwichtigsten ist, dass sich die Schule insgesamt mit diesem Problem beschäftigt und Lösungsmöglichkeiten sowie Reaktionen im Schulprogramm festlegt. Aber auch die Präventionsräte müssen sich dieses Themas annehmen. Es muss Gespräche zwischen der Schule, den Eltern und den Kindern geben, um die Ursachen aufzudecken und um Vereinbarungen darüber zu treffen, wie man solch ein Problem gemeinsam lösen kann.

Diese pädagogische Reaktion auf Schulschwänzen von Kindern muss unserer Ansicht nach auf jeden Fall Vorrang vor irgendwelchen ordnungspolitischen Maßnahmen haben, seien es Zwangsgelder, Bußgelder oder Sonstiges. Manchmal ist es allerdings auch wichtig, dass die Jugendhilfe und sogar die Polizei die Themen mit aufgreifen bzw. eingreifen.

Ich möchte es noch einmal betonen: Das Allerwichtigste ist, dass die individuelle Situation der Kinder betrachtet wird und dass darauf reagiert wird. Ich bin der Meinung, dass der vorliegende Antrag dies sehr deutlich macht, und bitte Sie deshalb, ihm zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Frau Kollegin Vockert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Litfin, ich will kurz auf den von Ihnen genannten Aspekt eingehen, dass der Antrag zum Thema Schulschwänzen, den die CDU-Fraktion schon im November 2000 eingebracht hat, mit Prävention so gut wie gar nichts zu tun habe. In diesem Fall muss ich sagen, dass man unseren Antrag nicht richtig gelesen hat und sich auch im Rahmen der Ausschussberatung nicht konsequent mit dieser Thematik auseinander gesetzt hat.

Wie Frau Seeler deutlich gemacht hat, sind sich die großen Fraktionen einig, dass Prävention an erster Stelle steht. Wir wollen uns auch um die bundesweit 70 000 Schülerinnen und Schüler - prozentual sind es im Lande Niedersachsen weniger - kümmern, die sich schon jetzt der Schule verweigern

bzw. die Schule schwänzen. Unsere Zielsetzung besteht darin, mit den Programmen und mit den Konzepten, mit denen wir fordern, dass Schulprogramme eingeführt werden müssen und dass eine Erziehungspartnerschaft stattfinden muss, den präventiven Gedanken in den Vordergrund zu stellen. Das hat auf jeden Fall Vorrang. Ich glaube, dass Frau Litfin zu Unrecht dieses Urteil zu dem Antrag abgegeben hat.

Insofern ist es wichtig, noch einmal hervorzuheben, dass die Prävention für uns an erster Stelle steht. An zweiter Stelle steht unsere Absicht, uns um die Schulverweigerer und um die Schulschwänzer zu kümmern, die es jetzt schon gibt und die man mit präventiven Maßnahmen mit den bestehenden Konzepten, wie wir sie einfordern, nicht erreichen kann.

Es gibt einige gute Projekte, aber leider viel zu wenige. Im gesamten Land Niedersachsen werden insgesamt 18 verschiedene Projekte zum Thema Schulschwänzen durchgeführt. Pro Projekt sind höchstens sechs bis zehn Jugendliche beispielsweise in einzelnen Werkstattklassen. Dabei handelt es sich um Schüler, die sich von der Schule verabschiedet haben, die mit der Schule nichts mehr zu tun haben wollen, aus welchen Gründen auch immer. Es gibt die inneren Verweigerer, es gibt die äußeren Verweigerer, es gibt die aggressiven Verweigerer, die sich überhaupt nicht mehr mit Schule auseinander setzen. Für diese Schüler gibt es einige wenige Programme. Wir haben gefordert, dass diese Programme ausgebaut werden.

(Beifall bei der CDU)

Folgendes ist festzuhalten - der Justizminister des Landes Niedersachsen hat es bereits gesagt -: 14 % der Schüler schwänzen fünf bis zehn Tage im gesamten Schuljahr den Unterricht, 6 % sogar mehr als 20 Tage. Da können wir doch nicht einfach wegsehen!

Ich war bei der Einbringung des Antrags ein bisschen erschüttert, weil ich den Eindruck hatte, dass die SPD-Fraktion dagegen sprechen würde. Ich bin sehr froh darüber, dass Sie den Kurs gewechselt haben und dass wir uns gemeinsam auf diesen Entschließungsantrag haben verständigen können; denn das Thema "Null Bock auf Schule" ist ein soziales Problem, mit dem wir uns auseinander zu setzen haben. Deswegen brauchen wir entsprechende Projekte.

Es gibt zahlreiche Programme, die allerdings nicht greifen. Einzelne Schulen haben diese Projekte in ihren Schulprogrammen vorgesehen, setzen sie in der Praxis aber nicht um. Das hat im Übrigen auch damit etwas zu tun, dass Lehrkräften nicht die dafür notwendige Zeit zur Verfügung gestellt wird. Lehrer brauchen eben auch Zeit für die Erziehungspartnerschaft. Sie brauchen Zeit, um sich mit Eltern in Verbindung zu setzen und um sich tatsächlich mit den Problemen der Schülerinnen und Schüler auseinander zu setzen. Deswegen glaube ich, dass wir gemeinsam etwas Sinnvolles auf den Weg bringen.

Wir setzen uns dafür ein, dass die Schulen mehr Zeit bekommen und dass die Erziehungsberechtigten eine Chance haben, sich in die Erziehungspartnerschaft einzubringen. Ebenso setzen wir uns dafür ein, dass die dafür notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Ich glaube, wir sind uns in Bezug auf das Thema Wertekonsens insgesamt einig. Es gilt, Werte wieder gemeinsam in den Vordergrund zu stellen, und es gilt, die Erziehungspartnerschaft gemeinsam auf den Weg zu bringen; denn in diesem Moment lässt sich der präventive Aspekt sehr gut durchsetzen.

Lassen Sie also durch Zustimmung zu unserem Antrag zu, dass das Programm Schulschwänzer landesweit Thema wird. Schülerinnen und Schüler haben ein Recht und einen Anspruch auf Bildung, auf Ausbildung und auf Beruf, und sie haben auch einen Anspruch darauf, dass wir es ihnen ermöglichen, nicht sozial abhängig zu werden. Wir wollen sie sozial unabhängig werden lassen. Dazu tragen diese Programme bei.

Herzlichen Dank dafür, dass die SPD-Fraktion und die CDU-Fraktion dies gemeinsam so gut auf den Weg gebracht haben.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich schließe die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Kultusausschusses zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich frage nach den Gegenstimmen. - Ich frage nach Stimmenthaltungen. - Ich stelle fest, dass der Antrag mit großer Mehrheit angenommen worden ist.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 14: Zweite Beratung: Gemeinsame Verantwortung für die Integration jugendlicher Aussiedler durch schulische und berufliche Qualifikation Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/2552 Beschlussempfehlung des Kultusausschusses Drs. 14/3014

Die Berichterstattung hat Frau Kollegin Wiegel übernommen, der ich das Wort erteile.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuss hat mehrheitlich beschlossen, den Antrag abzulehnen. Ich möchte den Bericht im Übrigen zu Protokoll geben.

(Beifall bei der SPD)

(Zu Protokoll:)

Mit seiner Beschlussempfehlung in der Drucksache 3014 empfiehlt Ihnen der Kultusausschuss mit den Stimmen der Vertreterinnen und Vertreter der Fraktion der SPD, den Antrag abzulehnen. Die Ausschussmitglieder der CDU-Fraktion stimmten gegen diese Empfehlung. Das Ausschussmitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen enthielt sich der Stimme.

Das Land Niedersachsen ist Träger der Förderschule für jugendliche Aussiedlerinnen und Aussiedler in Celle. Im Verbundsystem mit dem CJD Jugenddorf Celle bietet diese Schule Kindern von Spätaussiedlern aus dem russisch- und polnischsprachigen Raum eine intensive sprachliche Schulung an.

Im Zuge der Beratungen wurde im federführenden Kultusausschuss durch ein Mitglied der antragstellenden Fraktion eingeräumt, dass der Erhalt der Förderschule in ihrer derzeitigen Form gewährleistet sei. Jedoch müsse weiterhin das Internat des CJD Jugenddorfes Celle aufgrund rückläufiger Schülerzahlen in seinem Bestand als gefährdet bezeichnet werden.

Hierzu legten Vertreter der Landesregierung dar, dass die Kriterien für die Aufnahme an der Schule nicht geändert worden seien. Das Internat des CJD

sei gleichwohl in immer geringerem Umfange ausgelastet. Es habe aber bisher nicht schließen müssen, da der Bund auf entsprechende Anträge hin immer wieder einen höheren Tagessatz als in anderen Bundesländern sonst üblich gewährt habe. Im Jahr 2001 habe der Bund erstmals einen solchen Antrag abgelehnt mit der Folge, dass dem CJD nur noch ein Tagessatz von 50 DM pro Tag und Schüler gezahlt wurde. Mit einem solchen Tagessatz seien die laufenden Kosten aber bei weitem nicht zu decken. In einem gemeinsamen Gespräch aller Beteiligten sei daraufhin der Beschluss gefasst worden, das Internat zum 31. Juli 2002 zu schließen.

Ein Ausschussmitglied der SPD-Fraktion trug vor, dass sich der Ministerpräsident persönlich bei der Bundesfamilienministerin dafür eingesetzt habe, dass seitens des Bundes im Haushaltsjahr 2001 noch einmal die erhöhten Tagessätze gezahlt würden. Das Bundesfamilienministerium habe diesem Anliegen allerdings nicht entsprochen. Wenn das Internat geschlossen werde, so das Ausschussmitglied, werde die Kompetenz des Jugenddorfes jedoch nicht verloren gehen. Vielmehr solle nur die Struktur der Förderung und der Integrationsarbeit im Jugenddorf geändert werden.

Das Ausschussmitglied der Fraktion der Grünen vertrat den Standpunkt, dass auch die Förderschule selbst in absehbarer Zeit schließen müsse. Es solle geprüft werden, ob die Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen der Förderschule nicht zur Betreuung von straffällig gewordenen jugendlichen Migranten genutzt werden könne. Diese Jugendlichen sollten dann nicht in Haftanstalten untergebracht werden, sondern im Jugenddorf. Die erforderlichen Gebäude und das personelle Know-how stünden zur Verfügung.

Die mitberatenden Ausschüsse für innere Verwaltung sowie für Bundes- und Europaangelegenheiten schlossen sich dem Votum des federführenden Kultusausschusses bei gleichem Abstimmungsverhalten an.

Der Kultusausschuss bittet Sie, der Beschlussempfehlung in der Drucksache 3014 zuzustimmen.

Wir kommen zur Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Stumpf.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben bei der ersten Beratung dieses Antrages im Juli des letzten Jahres erklärt, dass Sie einen Konsens suchen würden. Sie haben vorgegeben, dass die in der Förderschule vorhandene Kompetenz genutzt werden sollte und die gezielten Angebote zur Sprachförderung und die finanziellen Anstrengungen in diesem Bereich weiterhin dringend erforderlich seien. Das waren damals Signale, die eine problembewusste Handhabung dieses Themas und Ihr Interesse an der Fortführung des außerordentlich erfolgreichen pädagogischen Verbundsystems - Förderschule CJD Celle, Internat - erkennen ließen.

Leider soll unser Antrag nun gänzlich abgelehnt werden. Die Planung dieses Hauses sieht die Schließung der Förderschule zum Ende dieses Jahres vor. Mir ist nicht klar, wie man aufseiten der SPD-Fraktion diesen abrupten Meinungswandel von Juni bis heute begründen will.

Damals wurden die Kompetenz und das dringende Erfordernis dieser Förderschule von Ihnen, Frau Ministerin, beschworen. Jetzt soll das alles nicht mehr gelten, obwohl es eindeutige Erkenntnisse gibt, die die Fortführung dieses Verbundsystems aus pädagogischen Gründen und aus Gründen der Integration fordern. Im Kultusausschuss war sogar von einem neuen niedersächsischen Integrationsrahmenkonzept die Rede, in dem die Förderschule des Landes im Jugenddorf Celle Modellfunktion übernehmen sollte.

Im Spätherbst des letzten Jahres gab es plötzlich eine Kehrtwendung in der Argumentation. Die Förderschule schien nicht mehr erforderlich zu sein, weil man die Integration von jungen Aussiedlern in Niedersachsen - wie angeblich in ganz Deutschland - dezentral betreiben wollte.

Die dislozierte Beschulung, die Sie angesprochen haben, erfolgt gerade nicht in ganz Deutschland. Denn zumindest in Bayern und NordrheinWestfalen hat die Spracherziehung der jungen Aussiedler in Internatseinrichtungen einen sehr hohen Stellenwert.

In einem Schriftwechsel zwischen dem Ministerpräsidenten und mir hat dieser mir erklärt, dass er den örtlichen Regelschulen bezüglich des Förderangebotes eine hohe Priorität beimisst. Das mag vielleicht richtig sein, aber nur für Personen unter 15 Jahren. In unserem Fall geht es aber um 15- bis

18-Jährige, also um junge Menschen, die an der Schwelle von der allgemein bildenden Schule zum Beruf stehen.

Ohne Sprachkenntnisse finden sie bei uns keine Orientierung. Sie sind demotiviert und desillusioniert. Es kann keiner wirklich daran glauben, diese sprachlose Migrantengruppe durch wenige Stunden Deutschförderunterricht pro Woche in einer Regelschule in einem Umfeld, in dem man sie nicht versteht, in dem man sich über sie lustig macht, erfolgreich zum Schulabschluss zu führen und auf den Beruf vorbereiten zu können.

Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, erkennen Sie denn nicht, wo diese sprachlosen jungen Menschen landen? - Der Leiter der Jugendvollzugsanstalt in Hameln kann es Ihnen sagen. Allein in Hameln gibt es 120 inhaftierte junge Aussiedler aus diesem Betroffenenkreis. Wenn man diese jungen Menschen nicht in eine alltags-, sprachstands- und begabungsgerechte Fördermaßnahme aufnimmt, verlassen sie unsere gesellschaftliche Normalität. Das Ergebnis ist Kriminalität.

Viele Menschen im Land klagen über das Verhalten jugendlicher Aussiedler. Das ist kaum verwunderlich, wenn ein 15-jähriger Aussiedler in eine rein deutschsprachige 8. Klasse kommt und wegen fehlender Sprachkenntnisse und fremder Lebensgewohnheiten kaum mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern kommunizieren kann. Die völlige Frustration ist die unausweichliche Folge. Der Lernerfolg geht gegen Null, und die Gefährdung ist vorprogrammiert.

Die Regelschule kann unter ihren Voraussetzungen einfach nicht das bieten, was die Förderschule für die jungen Migranten leisten kann. Deshalb ist es unerlässlich, dass in einem Flächenland wie Niedersachsen auch zukünftig eine zentrale Internatsförderschule zur Integration von sprachlichen Seiteneinsteigern vorgehalten wird. Damit reduzieren wir Fehlentwicklungen, vermitteln echte Integrationschancen, wirken präventiv und entlasten Regelschulen, die mit den jungen Aussiedlern ohnehin überfordert sind.

Meine Damen und Herren, bedenken Sie bitte auch, dass wir mitten in der Diskussion um ein Einwanderungsgesetz stehen. Wir verschleudern jetzt unsere Ressourcen, wie z. B. die Internatsförderschule, die wir wahrscheinlich im Jahr 2003 dringend benötigen. Der Schock der PISA-Studie