Protocol of the Session on March 30, 2000

Zu den inhaltlichen Zielen des Landes für die Regierungskonferenz haben wir schon einiges gesagt. Wir können das in den Diskussionen in den Ausschüssen des Landtags noch entsprechend erweitern.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns die Frage stellen, wie wir als Land unsere Forderungen gegenüber dem Bund und gegenüber der Europäischen Union durchsetzen können. Anders als wir das in manchen Sonntagsreden im Hinblick auf den Protest der Bevölkerung zum Ausdruck bringen, haben sich die Bundesländer nämlich bei Europaangelegenheiten weitgehende Mitwirkungsrechte gegenüber dem Bund erstritten. Das heißt aber auch: Wer Mitbestimmungsmöglichkeiten hat, der trägt auch Mitverantwortung. Dieser Mitverantwortung müssen wir uns in der Zukunft deutlicher stellen. In vielen Bereichen ist über die informelle Mitwirkung und die formale Mitwirkung hinaus nämlich sehr viel im Sinne der Bundesländer geschehen. Was gefehlt hat, ist Folgendes: Wir haben diese informellen und formalen Mitwirkungsrechte nicht, wenn man so will, spiegelbildlich auf die Mitbeteiligungsebene in unserem Parlament heruntergezont. Hier gilt es nachzuarbeiten. Das können wir, wenn wir es wollen, gemeinsam organisieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wer über die Kommission redet, wer über den Ministerrat redet, wer über die Mitbeteiligungsrechte der Länderparlamente redet, der muss auch über die Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeit des Europäischen Parlaments reden. Es geht nicht an, dass die Macht bei der Exekutive liegt und ihr keine unmittelbare Kontrolle, jedenfalls keine zureichende Kontrolle, durch ein Parlament gegenübersteht. Deswegen treten wir mit Nachdruck dafür ein, die Rechte und insbesondere die Kontrollrechte des Europäischen Parlaments gegenüber der Kommission, gegenüber dem Ministerrat zu verbessern. Diese Kontrollrechte wollen wir gern auch selbst in die Hand nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt hinzufügen. - Ich meine, dass die Entscheidungen der Europäischen Union auch unter einer mangelhaften Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und einer mangelhaften Beteiligung der Öffentlichkeit leiden. Während unsere Arbeit von der veröffentlichten Meinung sehr konsequent kontrolliert wird und schon die Entstehungsgeschichte von politischen Prozessen so begleitet wird, geschieht dies auf europäischer Ebene leider nicht zureichend. Wir kommen immer erst dann zur Diskussion - das ist, wenn man so will, auch ein Vorhalt an uns -, wenn bereits die entsprechenden Papiere auf europäischer Ebene formuliert sind, und setzen uns dann mit den Folgen auseinander. Wir müssen dazu kommen, dass wir bereits in der Entstehungsgeschichte solcher europäischer Verfahren unsere Meinung zum Ausdruck bringen und auf die Entstehung solcher Erlasse und Normen, die aus Europa kommen, Einfluss zu nehmen versuchen.

(Beifall bei der SPD)

Ich meine, dass es vernünftig ist, die Europäische Union auch deshalb zu unterstützen, weil dort nicht nur die politische Zukunft, sondern insbesondere auch die Förderpolitik der Zukunft maßgebend mitgestaltet werden. Wenn man sich einmal anschaut, dass wir in Niedersachsen in den Jahren 2000 bis 2006 mehr als 3,2 Milliarden DM an Fördermitteln von der EU erhalten, dann wird deutlich, dass hier ein wichtiger Teil der Mitfinanzierung und damit der Finanzierung staatlicher Aufgaben - denen sind wir als Landesparlament ja verpflichtet - liegt. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, sage ich auch hier noch einmal ganz deutlich: Es ist eine richtige und vernünftige Entscheidung gewesen, den Europaminister mit Kabinettsrang zu installieren. Ich danke an dieser Stelle Wolfgang Senff ausdrücklich dafür, dass er in dem Vierteljahr seiner Amtstätigkeit eine Reihe von Initiativen auf den Weg gebracht hat mit dem Ziel, diesen Politikbereich neu zu organisieren und für Europa und für das Land Niedersachsen voranzukommen.

(Beifall bei der SPD - Glocke des Prä- sidenten)

- Ich will dann nur noch eine Bemerkung machen; ich sehe, dass die rote Lampe leuchtet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Frage, wie wir für die Landespolitik Unterstützung

durch europäische Fördertöpfe bekommen können, dürfen wir einen Fehler nicht machen. Wir dürfen nicht den Fehler machen, diese Fördertöpfe dazu zu benutzen, finanzschwache Länder auszubremsen. Wir als Bundesland sind nicht in der Lage, das zu erreichen, was reiche Bundesländer plus EUFörderung auf den Weg bringen können; wir können das nicht mit entsprechenden Komplementärmitteln gegenfinanzieren. Deshalb ist es richtig und vernünftig, dass es für solche Förderungsinstrumente Obergrenzen gibt für reiche, für mittelreiche und für arme Länder. Lassen Sie uns jedenfalls die Chancen nutzen, die Europa uns bietet, und lassen Sie uns Europa aus Ländersicht fortentwickeln. „Europa der Regionen“ bedeutet aus deutscher Sicht „Europa der Bundesländer“, und dazu kann der Landtag einen guten Beitrag leisten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Herr Kollege Wenzel hat das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! In der Presse von heute wird der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zitiert. Er sagt, er habe Zweifel, ob die EUOsterweiterung finanzierbar sei. Ich frage: Können wir uns die Osterweiterung nicht leisten? - Meine Damen und Herren, ich meine, dass wir uns eine Teilung Europas auf Dauer nicht leisten können, weil dauerhafte wirtschaftliche Stabilität und Frieden, der auf Ewigkeit anhält, nur sichergestellt werden können, wenn die Wohlstandsgrenzen in Europa abgebaut werden. Insofern kann es hierbei nicht um das Ob gehen, sondern muss es um das Wie gehen.

(Eveslage [CDU]: Und das Wann!)

Vor diesem Hintergrund bin ich froh darüber, dass die SPD-Landtagsfraktion hier heute sagt, sie wolle das Gewicht des Landes stärker in die Waagschale werfen, auch wenn ich noch nicht ganz erkannt habe, ob die Ankündigung nachher auch wirklich in die Realität umgesetzt wird. Ich erinnere mich, dass der ehemalige Ministerpräsident Glogowski schon einmal eine ähnliche Ankündigung gemacht hatte. Das heißt: Die Nagelprobe kommt noch.

Wenn es denn so ist, dann, so meine ich, wird es einige interessante Dinge geben, die man hier zusammen auf den Weg bringen kann, beispielsweise die Fragen: Wie kann die Legislative, der Landtag, stärker in die Meinungsbildung im Bundesrat eingebunden werden? Wie kann die Legislative stärker und frühzeitiger in eine Meinungsbildung auch auf der europäischen Ebene - Herr Plaue, Sie haben das schon angesprochen - eingebunden werden? - Heute ist es ja leider so, dass in der Regel die Lektüre einer guten Tageszeitung besser informiert als die Teilnahme an den Sitzungen des zuständigen Ausschusses hier im Landtag. Das, so meine ich, müssen wir ändern.

(Plaue [SPD]: Das gilt aber nicht für den Europaausschuss!)

- Ich weiß, das gilt für alle Fachausschüsse. Wenn die Vorlagen kommen, kann man auf das Datum schauen, zu dem die abschließende Entscheidung in Brüssel ansteht. Manches Mal hat man noch drei Tage Zeit. Das reicht, um vielleicht noch ein Telefonat zu führen, die Zeit reicht dann aber nicht mehr, um noch eine Entscheidung hier im Plenum des Landtages herbeizuführen. Von daher freue ich mich, dass wir hier voranschreiten wollen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mientus?

Nein. Ich möchte das zunächst einmal im Zusammenhang ausführen. Am Ende werde ich dann gern auf die Frage zurückkommen.

Was die Vorschläge angeht, die Sie im Einzelnen gemacht haben – Größe und Zusammensetzung der Europäischen Kommission –, so waren Sie in Ihrem Antrag sehr vorsichtig. In Ihrer Rede sind Sie deutlicher geworden, Herr Plaue. Angesichts der Gesamtzahl der Kommissare wird es, so meine ich, nicht möglich sein, dass Deutschland auf zwei Kommissaren beharrt. Deshalb ist es richtig, das Gewicht auf die Stimmenwägung zu legen und deutlich zu machen, dass sich die Bevölkerungszahl am Ende auch bei der Abstimmung widerspiegeln muss.

Was die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit angeht, so sehe ich keine andere Möglichkeit als diese, weil eine Union der angestrebten Größe

letztlich handlungsunfähig wäre, wenn jedes einzelne Land ein Vetorecht hätte.

Ich komme nun zu Punkt II.4 Ihres Antrages, in dem es um grundlegende Reformen geht. Sie sprechen insbesondere das Weißbuch des Kommissionspräsidenten zum Thema „Neue Entscheidungsstrukturen in Europa“ an. Sie schreiben: Der Landtag nimmt mit Interesse die Ankündigung des Kommissionspräsidenten zur Kenntnis, ein solches Weißbuch vorzulegen. Weiter führen Sie aus, dass sichergestellt werden müsse, dass die Kompetenzen der Länder nicht über den Löffel balbiert werden. Das, meine Damen und Herren, ist aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit.

(Glocke des Präsidenten)

Die Verfassungsstrukturen, die den Stellenwert der Länder im Bund festlegen, dürfen nicht ausgehebelt werden. Nach der Lektüre dieses Antrages und des Antrages, den wir nach der Mittagspause diskutieren werden, habe ich mich doch gefragt, ob es innerhalb der SPD-Landtagsfraktion zwei verschiedene europapolitische Konzepte gibt. In dem Antrag in der Drucksache 1483 taucht nämlich die Formulierung auf: Die Bestrebungen der Kommission, Aufgaben und Zuständigkeiten neu zu definieren – das ist dieselbe Frage, die in dem Antrag, den wir jetzt diskutieren, angesprochen wird –, stellen das föderalistische System der Bundesrepublik Deutschland infrage. Sind das zwei verschiedene Ansätze, oder wie kommt das? Vielleicht können wir diese Frage intensiver unter dem Tagesordnungspunkt 22 diskutieren.

Ich meine, es kommt darauf an, zu schauen, wo bezüglich der angesprochenen Fragen die Schnittmengen in unseren Auffassungen sind, um dann gemeinsam dieses Konzept zu einem in sich konsistenten Antrag zu führen. Wir werden das im Prinzip unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Kethorn hat jetzt das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um einer Legendenbildung gleich von Anfang an entgegenzuwirken, Herr Plaue, möchte ich Folgendes feststellen: Die CDU war in der

Vergangenheit die Europa-Partei, sie ist die Europa-Partei und wird dies auch in Zukunft bleiben.

(Beifall bei der CDU – Plaue [SPD]: Da bin ich aber gespannt!)

Was Sie mit Ihrer Einbringungsrede geliefert haben, war nicht nur, aber viel Lyrik und war vor allem der Versuch, Ihre Defizite in der Europapolitik abzubauen.

(Plaue [SPD]: Meine?)

- Ihre persönlichen Defizite kenne ich nicht, aber die Ihrer Partei. – Erst mittelfristig wird sich zeigen, ob Sie diese Defizite abbauen können. Nur mit diesem Antrag und nur mit dieser Einbringungsrede werden Sie nicht die Chance dazu haben und auch nicht erfolgreich sein.

(Plaue [SPD]: Jetzt machen Sie mir richtig Angst! – Mientus [SPD]: Wer den Mund spitzt, muss auch pfeifen können! Das wollen wir jetzt hören!)

- Angst haben wir überhaupt nicht, Herr Plaue. Wir wollen uns aber ernsthaft mit dem Antrag auseinander setzen.

Die Regierungskonferenz 2000 hat vor einigen Wochen mit ihrer Arbeit begonnen. Die Ergebnisse werden bekanntlich Ende des Jahres vorliegen. Die Motive für die Einsetzung der Regierungskonferenz 2000 sind hinlänglich bekannt. Die Europäische Union steht vor neuen, vor gewaltigen Herausforderungen. Insbesondere geht es um die Erweiterung um die mittel- und die osteuropäischen Staaten. Hier ist sicherlich berechtigterweise die Frage zu stellen, ob die Institutionen der Europäischen Union auf die Erweiterung eingestellt sind, ob sie handlungsfähig sind, da doch die Grundkonzeption der Europäischen Kommission nach wie vor auf dem ursprünglichen Konzept der SechserGemeinschaft basiert. Insofern ist eine Reform der Institutionen unausweichlich und auch konsequent. Denn die Erweiterung der Union wird eine wachsende Bedeutung für Niedersachsen haben. Die Reform der Institutionen wird sicherlich Auswirkungen auch auf Niedersachsen haben, wie es in dem Entschließungsantrag richtig beschrieben worden ist. Daher muss heute die Diskussion hier im Landtag und auch in den Fachausschüssen stattfinden. Am Ende geht es um die Interessen Niedersachsens, um die Zukunft Europas und auch um ein Stück Zukunft Niedersachsens.

(Zustimmung von Eveslage [CDU])

Wenn es um die Zukunft geht, dann denke ich automatisch auch an das Ergebnis der ShellJugendstudie 2000, die zwar erfreuliche, sicherlich aber auch unerfreuliche Ansätze aufzeigt. Wenn dort steht „Jugendliche pfeifen auf Europa“, dann muss uns dies hier im Parlament nachdenklich stimmen. Jugendliche in Deutschland zeigen wenig Interesse an der europäischen Einigung, an der Einführung des Euro. Verbunden damit werden im Zusammenhang mit dem Zusammenwachsen Europas Ängste gestreut. Hoffnungen sind gegeben, aber auch Ängste sind damit verbunden, meine Damen und Herren.

Die Studie kommt zu der Überschrift: „Europa lässt die Jugend kalt“. Darüber hinaus können wir allgemein einen Akzeptanzverlust der Europäischen Union bei den Bürgerinnen und Bürgern auch hier in Niedersachsen feststellen, und zwar nicht nur bei Wahlen. Diese Haltung muss uns umtreiben; denn Europa kann nur Erfolg haben, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger für Europa und auch für die Reform der Institutionen gewinnen. Daher müssen wir bei der Reform der Institutionen genauestens darauf achten, dass wir damit einhergehend auch die Akzeptanz und Zustimmung durch die Bürgerinnen und Bürger erfahren.

Entscheidend für die Regierungskonferenz wird sein, dass ein Vierklang erreicht wird: die Handlungsfähigkeit, die demokratische Legitimation, die Transparenz und, was in dem Erschließungsantrag der SPD-Fraktion weniger zum Ausdruck kommt, auch die klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Ebenen der Europäischen Union. Ich meine, nur so können wir eine Akzeptanz seitens der Bürgerinnen und Bürger erreichen.

Die Tagesordnung für die Regierungskonferenz 2000 ist vorgegeben, nämlich eine handlungsfähige und leistungsfähige Kommission zu strukturieren, bei der Zusammensetzung des Ministerrates die Größe und Einwohnerzahl der verschiedenen Länder angemessen zu berücksichtigen und die Beschlussfassungsverfahren übersichtlich, effektiv und auch konsensorientiert neu zu regeln.

Wenn ich mir allerdings die Tagesordnung der Regierungskonferenz anschaue, komme ich zu der Erkenntnis, dass hier der zweite Schritt vor dem ersten getan worden ist. Müssen wir nicht eine stärkere, eine klarere Aufgabenabgrenzung vor

nehmen? - Der Präsident der Kommission, Herr Prodi, hat angekündigt, er werde im Jahre 2001 ein Weißbuch mit dem Titel „Neue Entscheidungsstrukturen in Europa“ vorlegen. Dieses Weißbuch soll die Zuständigkeiten im Einzelnen behandeln. Ich meine, bevor wir an eine Reform der Institutionen herangehen, müssen wir eine klarere Abgrenzung zwischen Union, den Mitgliedstaaten und deren Ländern, Regionen und Kommunen herbeiführen, entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip. Die Angelegenheiten, die in der Kommune geregelt werden können, müssen auch in der Kommune entschieden werden.

(Beifall bei der CDU)

Die Angelegenheiten, die in den Ländern geregelt werden können, müssen in den Ländern entschieden werden. Die Angelegenheiten, die in den Mitgliedstaaten geregelt werden können, müssen dort entschieden werden. Die Angelegenheiten der EU müssen am Ende auch durch die EU entschieden werden. Es kann und es darf nicht sein, meine Damen und Herren, dass Brüssel sozusagen durch die Hintertür den Bau einer Umgehungsstraße in Y-Stadt blockiert oder verhindert oder dass die Pflege in einem Naturschutzgebiet von Brüssel aus angeordnet wird, nur weil es als FFH-Gebiet ausgewiesen worden ist. Diese Einmischung wollen wir nicht! Daher sind klare Zuständigkeitsstrukturen zu formulieren.

(Zustimmung von Evelslage [CDU])

Wir müssen die Formeln für ein bürgernahes Europa entwickeln und uns auch daran orientieren. Formeln müssen aufgebaut werden mit der Fragestellung: Darf die Union tätig werden, und – wenn ja – soll sie tätig werden, und – wenn diese Frage bejaht wird – in welchem Umfang und auf welche Weise soll sie tätig werden? Ich finde, diese Fragen müssen gleichberechtigt mit den Reformen der EU formuliert und beantwortet werden.