Protocol of the Session on March 15, 2000

Zu dem Zwischenbericht ist schon daher aus unserer Sicht nicht allzu viel zu sagen. Aber wir waren auch ganz Ohr und ganz gespannt, welches Haar in der Suppe die Opposition finden würde. Und es war erstaunlich, wie viele Haare Herr Thomas gefunden hat. Ich komme noch mal darauf zurück.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Bleiben Sie gespannt, Herr Thomas, bleiben Sie gespannt! Denn wir haben ja noch den Theaterdonner und die moralische Scheinentrüstung in Erinnerung, die die CDU angesichts des Entweichens von drei Gefangenen in Ueckermünde vom Stapel ließ.

Meine Damen und Herren, ohne Zweifel ist es das Recht der Opposition, zu ausnahmslos jedem Ereignis, das Gegenstand der Landespolitik ist, Aufklärung zu verlangen. Wir haben das ja auch immer getan, als wir Opposition waren. Das gilt insbesondere, wenn Missstände zu beseitigen oder zu beklagen sind, kurzum, wenn es irgendwo stinkt.

Nur macht es sich die jetzige Opposition nach unserer Auffassung dennoch ein bisschen zu einfach, wenn sie aus diesen ganzen zwei Entweichungsfällen mit drei Personen der Regierung recht forsch und fundamentalistisch Fehlleistungen vorwirft, wie wir es hier im Hause gehört und in der Presse dann auch gelesen haben. Sogar eine Revision der Linie des Strafvollzuges fordert man. Man will bekanntlich in der CDU seit langem eine härtere Linie im Strafvollzug – und der Vorsänger

(Heiterkeit bei Heike Lorenz, PDS)

Herr Thomas hat das heute ja auch wieder gesagt: höhere und stärkere Mauern, doppelte und dreifache Schlösser und Riegel. Und genau diesen Gefallen wird Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, diese Koalition nicht tun. Wir haben ein anderes Menschenbild.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Im Zwischenbericht haben Sie dieses schwarz auf weiß. Und da bin ich wieder bei Ihnen, Herr Kollege Thomas, bei allem Respekt, Sie haben endlos lange philosophiert darüber, dass dieser Zwischenbericht nichts über den Schutz der Allgemeinheit vor Straftätern aussagen würde, zumindest haben Sie das nicht gelesen. Ich darf Ihnen mal ein bisschen auf die Sprünge helfen

(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Du bist aber ein Optimist.)

und Sie auf die Seite 3 dieses Zwischenberichtes auf Drucksache 3/1129 verweisen. Unter der Kursivschrift „Aufgaben des Vollzuges“ steht im zweiten Satz: „Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.“

(Jörg Vierkant, CDU: Dient auch! Auch!)

Die“ – jetzt nicht mehr kursiv – „in dieser Bestimmung ausformulierten Ziele haben Verfassungsrang. Das Bundesverfassungsgericht... hat hierzu ausgeführt, nicht nur

der Täter habe einen aus Artikel 1 des Grundgesetzes (Schutz der Menschenwürde) hergeleiteten Anspruch auf Resozialisierung, vielmehr habe auch die Gesellschaft um des eigenen Schutzes willen ein unmittelbares Interesse daran, dass der Täter nicht wieder rückfällig wird und seine Mitbürger oder die Gesellschaft schädigt... Die Landesregierung sieht zu dieser mittlerweile auch in die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze des Europarates von 1987 übernommenen verfassungsrechtlichen und gesetzgeberischen Grundentscheidung keine Alternative, vielmehr einen wirksamen Beitrag zur Kriminalprävention.“ Soweit das Zitat aus dem Bericht, Seite 3.

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Also ich habe es gelesen,

(Jürgen Seidel, CDU: Wir auch.)

was Sie nicht gelesen haben. Ich schlussfolgere daraus, sehr geehrter Herr Kollege Thomas, Sie haben endlos über die Defizite eines Berichtes philosophiert, den Sie gar nicht gelesen haben.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Im Bericht ist weiter gesagt worden, was im Fall des Entweichens des Bützower Gefangenen zu tun war, nämlich, es erfolgte eine Einzelfallreaktion. Als weitergehende Maßnahme wird ferner die Überprüfung der Vollzugsplanung bei Inhaftierten durchgeführt, die länger als fünf Jahre einzusitzen haben. Beim Maßregelvollzug wird der Landtag auf Vorschlag der Regierung eine bestehende Gesetzeslücke beheben, die allerdings schon da war, als die damalige CDU/F.D.P.-Koalition das Gesetz beschloss. Hier wird somit eine CDU/F.D.P.-Altlast beseitigt.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Im Übrigen sagt der Bericht, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Strafvollzugsgesetzes mit dem Ziel der Resozialisierung bei gleichzeitigem Schutz der Allgemeinheit für die Koalition unverrückbar sind und keine Veränderung in der Gewichtung erfolgen wird. Es gibt zu einem humanitären Strafvollzug, der sich das Ziel setzt, den Straftäter schließlich in die Gesellschaft zu integrieren, keine Alternative.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Annegrit Koburger, PDS)

Ich wiederhole das, was ich Ihnen vor einem Vierteljahr gesagt habe: Irgendwann ist jeder Straftäter, auch der, den der Herr Kollege Thomas in die letzte, finsterste Ecke sperren will, wieder so weit, dass er in die Gesellschaft integriert wird.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Und darauf muss der Straftäter und darauf muss die Gesellschaft vorbereitet sein. Herr Thomas, Sie werden nicht alle Leute in allen dunklen Ecken Zeit ihres Lebens verstecken und behalten können.

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Das geht nicht, das wollen wir auch nicht. Es mag im konkreten Einzelfall bei schwerwiegenden Verbrechen umstritten, schwierig oder gar auch mal praktisch nicht machbar sein, wenn beispielsweise Sicherheitsverwahrung angezeigt ist. Dennoch ist an dieser Linie grundsätzlich nicht zu rütteln.

Und auch die Liberalisierung des Strafvollzugs – der offene oder teiloffene Vollzug sowie der Behandlungsvollzug, Haftlockerungen – macht Sinn. Das zeigt im Übrigen das im Bericht vorgelegte statistische Material. Nun weiß ich nicht, Kollege Thomas, ob Sie das auch nicht gelesen haben. Das steht alles auf Seite 5. Das könnten Sie eigentlich alles verfolgen, aber für Sie will ich das jetzt mal ein bisschen herausziehen und kolportieren.

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Die Zahl der Entweichungen ist verschwindend gering, wenngleich jeder Einzelfall immer ein Problem für sich darstellt. Sie liegt zwischen 0,15 Prozent für 1999 als niedrigstem Wert und 0,76 Prozent 1995 als Spitzenwert. Kaum anders sieht es in puncto Fehlschlägen bei den Haftlockerungen aus. Wir haben 3,3 Prozent als Höchstwert 1993 – da lag das Justizministerium noch bei der CDU und Herr Helmrich war noch Justizminister – und 0,56 Prozent als niedrigsten Wert 1996. 1998 hatten wir mit 0,71 Prozent eben noch weniger als 1 Prozent. Das heißt, aus diesen Zahlen ist eigentlich keinerlei politisches Kapital zu schlagen, so, wie Sie versuchen, aus Staub Honig zu saugen. Entweichungen und Fehlschläge bei Lockerungen richten sich überhaupt nicht danach, zu welcher politischen Couleur die Minister jeweils zählen. Sonst stünde nämlich Herr Helmrich (CDU) am schlechtesten da. Dann hätte er die verfehlteste Sicherheitspolitik beim Strafvollzug betrieben.

Nein, meine Damen und Herren, die Problemlagen sind real anders, als sie die CDU sieht. Und dies wird dann der schließliche Bericht auch mit einiger Sicherheit deutlich machen. Ich will nur in Kürze einmal folgende Probleme benennen:

Da ist erstens die chronische Überbelegung der Haftanstalten mit allen daraus folgenden Problemen im Inneren der Anstalten. 1.500 Gefangene auf steigendem beziehungsweise stagnierendem Niveau sind für dieses Land einfach viel zu viel. Aber es gibt gerade in Kreisen der CDU genügend Leute, die froh darüber sind, dass Mecklenburg-Vorpommern unter allen Bundesländern die härtesten Strafurteile spricht und dass man bei uns schneller in Untersuchungshaft kommt als anderswo. Dabei ist logisch, wer an der Strafenschraube dreht, hat überbelegte Haftanstalten. Wir müssen uns also den Kopf darum machen, wie wir die Haftanstalten möglichst leer anstatt voll bekommen. Das ist doch die Aufgabe Nummer eins.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Annegrit Koburger, PDS: Prävention!)

Täter-Opfer-Ausgleich und die Diversifizierung greifen noch nicht genügend. Es ist ferner ein Unding, dass etwa ein Viertel der Einsitzenden eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzt. Auch das habe ich bereits vor einem Vierteljahr gesagt. Und vielleicht werden es nach der Verschärfung des Eierdieberlasses sogar noch mehr, wenn diese Täter es nämlich auch noch vorziehen sollten, statt einer saftigen Geldstrafe lieber einzusitzen.

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Ferner sind wir gerade hierzulande noch weit davon entfernt, dass der offene Vollzug der Regelvollzug ist, obwohl das im Strafvollzugsgesetz steht. Zugleich sind die wenigen Haftplätze im offenen Vollzug noch gar nicht ausgelastet. Hier wirkt also der Reinhardt-Thomas-Effekt – leider. Was den offenen Vollzug betrifft, liegen wir zwar

im statistischen Mittel der Bundesländer, aber andere tun in dieser Hinsicht eben weit mehr, zum Beispiel das Land Berlin. Ich weise immer wieder darauf hin.

Und dass wir bei allem, was sich politisch verändert hat, nach wie vor große Probleme haben in der baulichen und sonstigen Ausstattung, dass Arbeits- und Ausbildungsplätze nach wie vor nicht üppig sind und wir herzlich wenig Therapiemöglichkeiten haben, ist auch hinlänglich bekannt. Diese Probleme sind nicht sofort zu lösen, aber der Herr Justizminister hat uns ja ausführlich dargestellt, dass wir auf einem materiellen, organisatorischen und finanziellen Wege dahin sind.

Auch beim Personal des Strafvollzuges liegen die Probleme auf der Hand. Hier sind wir, denke ich jedenfalls, auch auf einem Weg, diese Probleme so gut, wie es geht, zu lösen. Ich will hier nur nennen das Fachpersonal, Psychologen und Sozialtherapeuten. Ich muss allerdings auch den nach wie vor unbefriedigenden Zustand in der Entlohnung benennen.

Aber, wie gesagt, ich denke, dass wir uns, wenn der Bericht Ende des Jahres vorliegt, näher damit befassen sollten, sachlich, kritisch und optimistisch.

(Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Es ist wirklich nicht an der Zeit, jetzt Klamauk zu schlagen, um des Klamauks willen. Dieser Zwischenbericht gibt das einfach nicht her – er soll es auch noch nicht hergeben – und ich denke, dass er mit der Kenntnisnahme dieses Berichtes auch erledigt ist. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Heike Polzin, SPD)

Herr Kreuzer, gestatten Sie eine Anfrage der Abgeordneten Frau Mahr?

Jawohl.

Bitte sehr, Frau Mahr.

Danke schön.

Herr Kreuzer, als Vorsitzender des Rechtsausschusses ist Ihnen sicher bekannt, über wie viele Schwimmbecken oder Schwimmhallen unsere Gefängnisse verfügen? Herr Thomas erwähnte das vorhin.

Frau Mahr, bleiben Sie bitte bis zur Beantwortung der Frage stehen.

Damit treffen Sie mich an einem wunden Punkt. Ich kann mir vorstellen, dass das überall wünschenswert wäre. Allerdings hat Herr Thomas ein Bild gezeichnet, was er möglicherweise vom Strafvollzug dieser Koalition verlangt, was er selbst aber, hätte er noch was zu sagen, niemals tun würde.