Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 58, das ist die Drucksache 21/16508, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Rückkehr von IS-Angehörigen nach Hamburg ermöglichen und vorbereiten.
[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Rückkehr von IS-Angehörigen nach Hamburg ermöglichen und vorbereiten – Drs 21/16508 –]
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Gäste! Die Woche begann mit sozialdemokratischer Realsatire, als Bundesaußenminister Heiko Maaß twitterte – ich zitiere –:
"Baghus ist befreit! […] IS beherrscht kein Gebiet mehr. Möglich war das nur durch eine beispiellose internationale Zusammenarbeit, zu der Deutschland beigetragen hat."
Dass Ihr Außenminister sich jetzt auf die Schulter klopft und kein Wort über die 11 000 Menschen verliert, die ihr Leben eingesetzt haben, um diesen historischen Sieg zu erreichen, ist wirklich anmaßend, das ist beleidigend und das ist selbstverliebt.
Er hat kein Wort verloren über das demokratische Militärbündnis in Syrien, angeführt von den kurdischen Volksverteidigungsund Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ. Kein Dank, obwohl es so viele europäische Staaten getan haben, und deshalb: Unser Dank und Respekt gilt den Menschen, die den mutigen und entschlossenen Kampf geführt haben. Wir danken für die Befreiung von Tausenden Frauen und Mädchen, die unvorstellbares Leid erfahren haben.
(Beifall bei der LINKEN und bei Uwe Giffei SPD – Vizepräsidentin Christiane Schneider übernimmt den Vorsitz.)
Dort, wo gestern noch schwarze Flaggen einer menschenfeindlichen Ideologie wehten, sind es jetzt die der Frauenverteidigungseinheiten und ich finde, das ist einen Applaus, und zwar fraktionsübergreifend, wert.
Kommen wir aber zum Beitrag Deutschlands in diesem Kampf. Der Beitrag Deutschlands lag eigentlich darin, Erdogan, der den Islamischen Staat auf den Beinen gehalten hat, zu unterstützen und auch weiterhin Menschen hier zu kriminalisieren, die diesen Kampf dort unterstützt und sich solidarisch gezeigt haben. Aber Sie haben jetzt als Bundesregierung und als Hamburger Senat die Möglichkeit, endlich Verantwortung zu übernehmen für Ihre eigenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die sich hier radikalisiert haben und von hier aus ausgereist sind und sich dort angeschlossen haben. Allein aus Hamburg sind es 86 Personen, die sich seit 2014 angeschlossen haben. Es gibt sogar Kinder, die von ihren Müttern oder Vätern entführt
wurden und jetzt in den Internierungslagern in Syrien feststecken. Ich finde, dass hier ein schnelles und rechtsstaatliches Handeln von deutscher Seite dringend notwendig ist.
Die Strategie, auf Zeit zu spielen, die kurdische Selbstverwaltung dort nicht anzuerkennen, zu boykottieren oder aber mit Ausbürgerung zu drohen, das zeugt nur von Verantwortungslosigkeit und auch von Rücksichtslosigkeit. Andere europäische Staaten wie Frankreich haben mit den Rückführungen schon angefangen.
Was wäre die Alternative? Man könnte die Menschen im Irak jetzt aburteilen. Aber was ist ein wichtiger Faktor? Dass wir in Deutschland die Möglichkeit haben, mit unseren deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern eine Aufarbeitung der Kriegsverbrechen, auch des Völkermords an den Jesidinnen und Jesiden zustande zu bringen. Wir könnten hier einen Beitrag leisten. Das ist eine Möglichkeit, die wir unbedingt nutzen müssen.
Deshalb hat Innenminister Herbert Reul in NRW ganz richtig festgestellt, dass es aus rechtlicher Sicht keine Alternative gebe und es viel besser sei, sie kontrolliert und überwacht zurückzuholen. Er kündigte auch an, dass er sich als Innenminister darauf vorbereiten werde. Ich habe dann im Innenausschuss unter Verschiedenes den Innensenator gefragt: Inwieweit ist Hamburg auf diese Rückführungen vorbereitet, inwieweit möchte Hamburg damit umgehen? Ich habe darauf keine Antwort bekommen, was für mich bedeutet, dass dieser Senat sich damit nicht befasst hat. Ich finde es verantwortungslos, gerade vor dem Hintergrund, dass jetzt offiziell wurde, dass sich 59 deutsche Kinder in den Internierungslagern befinden. Wir haben eine Verantwortung für diese Kinder. Es geht hier auch um Kinderschutz und nicht andere Staaten sind für sie verantwortlich, sondern wir.
Die Rückführungen könnten jederzeit beginnen. Ich finde, sie müssten sofort beginnen. Dafür sollten Sie sich bei Ihrer Bundesregierung einmal einsetzen. Aber wir fordern mit unserem Antrag vor allen Dingen Hamburg auf, seine Verantwortung für seine Bürgerinnen und Bürger, die ausgereist sind und jetzt vielleicht in den Gefängnissen oder Lagern sitzen, zu übernehmen, aber sich auch vorzubereiten in dem Sinne, dass jetzt Eckpunkte entwickelt werden. Was ist, wenn die Menschen zurückkommen? Wie werden wir mit ihnen umgehen? Wie sieht es mit strafrechtlichen Maßnahmen aus? Wie sieht es mit pädagogischen Maßnahmen, mit Deradikalisierung aus? Ich möchte jetzt von Ihnen kein Loblied auf Ihr Präventionsprogramm hören, denn das Präventionsprogramm hat die Menschen nicht daran gehindert, sich weiter zu
radikalisieren. Die Zahlen sind weiterhin gestiegen. Deshalb möchte ich heute konkrete Antworten von Ihnen bekommen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist schon überraschend, aber die Rede war dann nicht so überraschend. Es geht um Außenpolitik, es geht um Bundespolitik. Bei Ihrem letzten Satz habe ich dann noch kurz gedacht: Jetzt sollen wir auch noch schuld sein an der Radikalisierung derjenigen, die in den IS gegangen sind.
Die Rückkehr beziehungsweise Rücknahme von IS-Angehörigen ist in der Tat ein Problem, mit dem der Bund und Hamburg sich bereits intensiv auseinandersetzen. Der Umgang mit diesen Menschen ist komplex und schwierig. Das beginnt mit der Feststellung, ob ein Rückkehrer überhaupt deutscher Staatsangehöriger ist, und endet noch lange nicht bei der individuellen Gefährdungseinschätzung. Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass es sich überwiegend um Menschen handelt, von denen weiterhin Gefahr ausgehen kann. Gegen einige Personen sind Haftbefehle wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung IS erlassen. Bei den Personen, bei denen die Erkenntnisse für eine strafrechtliche Verfolgung nicht ausreichen, muss die Rücknahme so gestaltet sein, dass die Sicherheitsrisiken minimal gehalten werden.
Menschen, die sich von der IS-Ideologie losgesagt haben, und Kindern, die mit ihren Eltern zurückkehren, müssen entsprechende Hilfen angeboten werden. Wir haben die Bekämpfung islamistischer Gefahren zu einem Schwerpunkt der Sicherheitsbehörden gemacht. Seit 2015 hat der Verfassungsschutz 26 neue Stellen bekommen. Im letzten Haushalt sind noch einmal 23,5 dazugekommen. Auch im Landeskriminalamt sind elf neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Islamismusbekämpfung im Einsatz. Dadurch haben sich die Beobachtung und die Erkenntnisse der Szene, zu der Rückkehrer gegebenenfalls Kontakt aufnehmen, deutlich verbessert. Zudem besteht ein enger Austausch mit den Bundesbehörden, die die konkreten Erkenntnisse über Rückkehrer vor Ort ermitteln. Für die Betroffenen, die sich vom IS losgesagt haben, verfügen wir mit der Beratungsstelle Legato über eine gute Ausstiegsberatung. Die mit dem Justizvollzug kooperierende Beratungsstelle Legato PräJus verfügt über ein zielgruppenspezifisches
Konzept. Für die Kinder ist meiner festen Überzeugung nach die Teilhabe und Integration in den Alltag, in Kitas und Schulen die wichtigste Maßnahme zur Deradikalisierung.
(Cansu Özdemir DIE LINKE: Zum Thema! – Gegenruf von Dirk Nockemann AfD: Das müssen ausgerechnet Sie sagen!)
Ausgerechnet Sie müssen jetzt "Zum Thema!" rufen. Ich beschäftige mich hier mit dem Antrag, Sie mit Außenpolitik, die hier nicht hingehört.
Zudem kooperieren die Stellen nötigenfalls mit anderen Einrichtungen, beispielsweise mit Legato, Ankerland e. V. oder auch mit der Traumaambulanz im UKE. Schon diese knappe, nicht vollständige Übersicht verdeutlicht, wie komplex das Problem ist. Ich freue mich deshalb auch, dass die BASFI das Angebot des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge angenommen hat, eine Stelle für die Koordinierung aller Fragen mit Bezug zu Rückkehrerinnen und Rückkehrern zu fördern.
Hamburg hat alles unternommen oder stellt sich zumindest so gut auf, wie es zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist, um sich auf den schwierigen Umgang mit den IS-Rückkehrern vorzubereiten. Die Stadt verfügt über eine Vielzahl finanzieller, personell gut ausgestatteter und künftig noch besser koordinierter Maßnahmen zum Umgang mit den eventuellen Rückkehrern und ihren Kindern. Ihren Antrag lehnen wir heute ab.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist gerade einmal eine Woche her, da haben wir uns im Parlamentarischen Kontrollausschuss sehr intensiv mit dem Thema der möglichen Rückkehr von deutschen IS-Angehörigen nach Deutschland befasst. Wir haben das sehr ausführlich gemacht. Dass DIE LINKE diesen Antrag trotzdem aufrechterhält und heute sogar noch zur Debatte anmeldet, hat mich wirklich erstaunt.
Ich habe es jetzt ein bisschen mehr verstanden: Das war für Sie der Aufhänger für außenpolitische Debatten und Symbolpolitik. Ihr Antrag ist – ich begründe es Ihnen gleich – schlichtweg überflüssig. Denn Sie wissen genauso gut wie wir, dass die Rechtslage, die Verfahren und die Zuständigkeiten eindeutig geregelt sind. Erstens – da hat nicht nur Innenminister Reul recht, sondern das sagen alle –: Die deutschen Staatsbürger, auch jene mit
doppelter Staatsbürgerschaft, müssen wieder aufgenommen werden, wenn sie das wollen; ihnen kann das Recht auf Einreise nach Deutschland nicht entzogen werden. Zweitens: Die Zuständigkeit für die Rückholung dieser Staatsbürger liegt ausschließlich beim Bund und dort in der Federführung ganz konkret beim Auswärtigen Amt. Und drittens: Es wird für jeden Einzelfall eine Risikobewertung vorgenommen. Dafür wurden eigens Instrumente entwickelt, die nun auch zur Anwendung kommen. Das heißt, Ihr Vorwurf, es sei unnötig viel Zeit vergangen und der Bund sei untätig, ist völlig falsch und geht an der Realität vorbei.
Aber nicht nur das. Ich finde diesen Vorwurf auch gefährlich, denn wir reden hier – das muss man in aller Deutlichkeit sagen – über Personen, die sich einem Terrorregime angeschlossen haben und von denen in der weit überwiegenden Mehrzahl nach wie vor eine Gefahr für unser Land ausgeht.
Darum ist es auch absolut richtig, dass in jedem Einzelfall eine Risikobewertung vorgenommen wird und dass strafrechtliche Verfahren eingeleitet werden, wo immer die Möglichkeit dazu besteht. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Es darf hier nicht um Schnelligkeit gehen. Hier darf es nicht um Eile gehen, sondern hier müssen die Sorgfalt und der Schutz der Menschen in unserem Land eindeutig Vorrang haben. Ich sage es genauso deutlich – und da kann ich den von Ihnen zitierten Innenminister Reul zitieren –: Eines ist auch klar: Wo immer es möglich ist, müssen IS-Anhänger, die der Ideologie weiter anhängen, die sich nicht deradikalisieren lassen, wenn sie nach Deutschland kommen, direkt in Haft genommen und einer Justizvollzugsanstalt überstellt werden. Das ist der einzige richtige Weg.
Denn wir können nicht zulassen – das ist leider im wahrsten Sinne des Wortes richtig –, dass tickende Zeitbomben in unserem Land herumlaufen. Genau diesen Weg verfolgt die Bundesregierung. Sie kümmert sich um die Lage vor Ort im Rahmen der humanitären Hilfe, sie prüft die Rückkehr nach Sicherheitsaspekten und dafür ist der Bund auch zuständig. Und – Sie haben es gesagt – natürlich geht es um Deradikalisierung, und da ist Hamburg mit Legato tatsächlich gut aufgestellt. Das erkennen wir zweifelsohne an. Allerdings – ein bisschen Wasser muss ich in den Wein gießen – reichen die
Mittel für Legato tatsächlich nicht. Es muss deutlich nachgesteuert werden, damit dieser wichtigen Aufgabe der Deradikalisierung auch nachgekommen werden kann, zumindest bei denen, die bereit sind, nicht nur nach Deutschland zurückzukehren, sondern die auch bereit sind, in eine Demokratie und einen Rechtsstaat zurückzukehren. Denn das ist die Voraussetzung für Deradikalisierung.