[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl eines stellvertretenden Mitglieds für die Härtefallkommission – Drs 21/11564 –]
Die Fraktionen haben vereinbart, dass die beiden Wahlen in einem Wahlgang durchgeführt werden können. Die zwei Stimmzettel sind eben ausgeteilt worden. Sie enthalten bei den Namen jeweils Felder für Zustimmung, Ablehnung und Enthaltung. Sie dürfen auf jedem Stimmzettel ein Kreuz machen, aber nur eines. Stimmzettel, die den Willen des Mitglieds nicht zweifelsfrei erkennen lassen oder Zusätze enthalten, sind ungültig. Auch unausgefüllte Stimmzettel gelten als ungültig.
Nehmen Sie nun bitte Ihre Wahlentscheidung vor, und ich bitte das Präsidium, beim Auszählen der Stimmzettel zu helfen.
Sind alle Stimmzettel abgegeben worden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann schließe ich den Wahlgang und die Ergebnisse werden gleich ermittelt und im Laufe der Sitzung bekannt gegeben.
Ich rufe auf Punkt 58 der Tagesordnung, Antrag der SPD- und der GRÜNEN Fraktion: Hamburg – Stadt der guten Arbeit: 12 Euro Mindestlohn nach Tarif.
[Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN: Hamburg – Stadt der guten Arbeit: 12 Euro Mindestlohn nach Tarif
[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Mindestlohn auch im Vergabegesetz verankern – Drs 21/13031 (Neufassung) –]
Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 21/13031 ein Antrag der Fraktion DIE LINKE in einer Neufassung vor.
Vonseiten der CDU-Fraktion liegt ein Antrag auf Überweisung des Hauptantrags an den Haushaltsausschuss vor. Beide Drucksachen möchte die Fraktion DIE LINKE federführend an den Haushaltsausschuss und mitberatend an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration überweisen. Die FDP-Fraktion möchte nur die Drucksache 21/12916 an diese beiden Ausschüsse überweisen.
Wird hierzu das Wort gewünscht? – Ich sehe, das ist der Fall. Wolfgang Rose für die SPD erhält das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem heutigen Antrag auf tarifliche Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro wollen wir vorrangig die Lohnuntergrenze bei der Stadt und ihren öffentlichen Unternehmen anheben.
Betroffen davon sind hauptsächlich die Dienstleistungsbetriebe der öffentlichen Unternehmen wie der Reinigungsbetrieb der Hochbahn, der Servicebereich der Elbkinder, die Schwimmhallen, die Bodenverkehrsdienste am Flughafen und viele andere mehr.
Und wir wollen zugleich ein bundesweites Signal setzen: Die Mindestlohnkommission auf Bundesebene aus Wissenschaftlern, Arbeitgebern und Gewerkschaften soll den Mindestlohn nicht nur alle zwei Jahre an die Tarif- und Preissteigerungen anpassen, sondern ihn parallel dazu mit einem strukturellen Schritt auf das Niveau von 12 Euro anheben. Dieser Betrag ist nicht beliebig. Alle wissenschaftlichen Berechnungen über eine Lohnuntergrenze, die heute die soziale Existenz sichert, die gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und auch im Rentenalter vor Armut schützt, gehen von dieser Höhe aus, und angesichts der sozialen Polarisierung in unserer Gesellschaft und auch in unserer Stadt sagen wir: Die Zeit dafür ist reif, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Allen, die bei unserem Antrag von Wahlgeschenken faseln oder so tun, als ob die linke Opposition wirkt, denen möchte ich sagen: Wir haben hier in Hamburg als erster Landesverband der SPD im März 2005, übrigens unter dem Landesvorsitzen
den Mathias Petersen, den Harburger Antrag für einen bundesweiten Mindestlohn beschlossen – kontrovers damals zu den Industriegewerkschaften und zur SPD-Parteispitze. Da gab es DIE LINKE noch gar nicht. Ich habe den Antrag damals mit begründet. Heute haben wir ihn und gehen jetzt als rot-grüne Koalition in Hamburg erneut voran mit einer tarifpolitischen Initiative für 12 Euro. Wenn also eine Partei und ihre Fraktion beim Mindestlohn eine klare Haltung für soziale Gerechtigkeit hat und nicht nur darüber reden, sondern sie auch umsetzen kann, dann ist das die SPD – jetzt in der rotgrünen Koalition hier in Hamburg und irgendwann auch im Bundestag.
"Wahlgeschenke", unbezahlbar, und vor allem "Freibier für alle" – was für eine ausfallende, polemische Reaktion und was für ein Zynismus gegenüber den Menschen mit Niedriglöhnen und der Perspektive von Armutsrenten in unserer Stadt. Ich finde, für dieses soziale Armutszeugnis einer Partei mit dem großen C im Namen wäre eine Entschuldigung angebracht.
Ich will noch auf zwei Argumente von Kritikern unseres Antrags eingehen. Zum einen erleben wir eine Wiederholung der Argumente wie bei der Einführung des Mindestlohns 2015. Und sie sind heute volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch genauso falsch wie damals. Ein existenzsichernder und armutsfester Mindestlohn gefährdet nicht unsere Wirtschaft, sondern ist umgekehrt ein Beitrag für mehr gesamtwirtschaftliche Stabilität, denn Mindestlöhne vernichten keine Arbeitsplätze, sondern schaffen durch mehr kaufkräftige Nachfrage mehr Beschäftigung und stärken zugleich unsere Sozialversicherungen, die wir dringend für die Bewältigung unserer Zukunftsaufgaben benötigen.
Deswegen ist es so: Was wir brauchen, ist nicht mehr neoliberale Politik, sondern mehr Soziales in unserer Marktwirtschaft. Dafür setzt unser Antrag ein klares Zeichen.
Zum anderen hören wir die Frage "Was kostet das und wer soll das bezahlen?" von Journalisten mit interessierter Neugier, aber auch von einigen Oppositionspolitikern mit dem erkennbaren Interesse, mit der Angst vor Gebührenerhöhungen Stimmung zu machen. Um es klar zu sagen: Diesen tariflichen Mindestlohn von 12 Euro für die betroffenen über 6 000 Menschen auf etwa 3 000 Vollzeitstellen gibt es nicht umsonst – nicht in der privaten Wirtschaft und auch nicht bei öffentlichen Arbeitgebern. Wir werden darauf achten, dass die Tarifverhandlungen zügig stattfinden. Wir wollen auch keine Taschenspielertricks, wo zum Beispiel die Gegenrechnung von Weihnachts- und Urlaubsgeld
in den jeweiligen Personalbudgets je nach Prüfung und Zuständigkeit finanzieren und im Zweifel auch refinanzieren.
Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Das war das untrügliche Zeichen, dass die Redezeit schon seit einiger Zeit abgelaufen ist; die fünf Minuten sind um.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Und dann kam da der neue Bürgermeister Tschentscher, dem man ja nicht gerade nachsagen kann, dass er ein großer Volkstribun ist,
und er dachte sich: Ich brauche unbedingt ein Thema, mit dem ich einmal punkten kann, ein Thema, das die Menschen bewegt. Also mal eben nebenbei 12 Euro Mindestlohn fordern. Diese Forderung, meine Damen und Herren, wie auch der Antrag von Rot-Grün heute ist nur eines: ein politischer Marketingtrick.
In der Sache sperrt sich die CDU nicht gegen eine angemessene Anhebung des Mindestlohns; gute Arbeit muss auch entsprechend bezahlt werden. Gerade im unteren Vergütungssegment leisten viele fleißige Menschen sehr wertvolle Arbeit, sie tun es für diese Stadt und sie tun es für die Menschen, die in ihr wohnen. Aber der hier vorliegende Antrag ist uns zu wenig durchdacht. Wahrscheinlich ist Herr Tschentscher deswegen auch rechtzeitig gegangen, weil er das selbst gemerkt hat. Er ist wie aus der Hüfte geschossen; er ist eben das, was ich sagte: ein politischer Marketingtrick. Man fordert pauschal 12 Euro, sagt aber nicht, wie das finanziert werden soll.
Für die direkt bei der Stadt Beschäftigten ist das kein Problem; das hat Herr Rose uns erläutert. Aber das Problem ist zum Beispiel: Was machen
wir mit den Beschäftigten an den Hochschulen und bei den öffentlichen Unternehmen? Knapp 1 000 studentische Hilfskräfte an den Hochschulen erhalten derzeit 9,90 Euro Stundenlohn. Sollen die Hochschulen jetzt das Geld für die Bezahlung der Hilfskräfte zusätzlich bekommen oder sollen Hilfskräfte entlassen oder gar nicht mehr eingestellt werden? Dazu sagt dieser Antrag nichts aus.
Bei der städtischen Gebäudereinigung – Herr Rose, Sie brachten dieses Beispiel – habe ich das einmal nachgeschaut: 930 Mitarbeiter verdienen dort weniger als 12 Euro. Bei der staatlichen TEREG Gebäudereinigung sind es knapp 1 400 Mitarbeiter, bei der Elbkinder Kita 700 Beschäftigte – alle unter 12 Euro. Erhalten jetzt diese Unternehmen mehr Geld von der Stadt oder müssen sie ihre Preise erhöhen oder sogar Mitarbeiter entlassen? Darüber haben Sie hier nichts gesagt, weil das natürlich für Sie nicht wichtig ist mit Ihrem politischen Marketingtrick.
Und was ist mit den Mitarbeitern der Zuwendungsempfänger, also zum Beispiel den Kinder- und Jugendeinrichtungen in den Bezirken? Die können doch schon mit dem derzeitigen Mindestlohn ihre Arbeit kaum noch machen. Sie haben doch als Senat in den letzten Jahren diese Zuwendungsempfänger systematisch ausbluten lassen. Da ist kein Geld mehr da, da kann kaum der jetzige Mindestlohn bezahlt werden. So sieht es doch aus. Und davon schreiben Sie im Antrag gar nichts. Wollen Sie die vielleicht mit dem Antrag gar nicht erfassen?
Warum, frage ich, sollen denn diese Beschäftigten, die vor Ort wertvolle Arbeit leisten, nicht erfasst werden und schlechter gestellt werden als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die direkt in den Betrieben und Unternehmen dieser Stadt arbeiten? Das ist einfach wenig durchdacht.
Marketingtricks, meine Damen und Herren, zeichnen sich auch dadurch aus, dass die Wirklichkeit zumeist anders aussieht. Während Herr Tschentscher jetzt durch die Lande zieht und überall die 12 Euro Mindestlohn fordert, hat er als Finanzsenator dafür gesorgt, dass der Senat bei den Neuausschreibungen für die Gebäude- und die Glasreinigung bei den Behörden jedes Jahr knapp eine halbe Million Euro einspart. Die Ausschreibung gewinnt der Anbieter, der die geringsten Löhne zahlt, und der Mindestlohn in dieser Branche liegt bei knapp über 10 Euro. So sieht es doch aus. Finden Sie das gerecht? Auf der einen Seite der städtische Mitarbeiter, der in der Behörde putzt und dafür 12 Euro bekommt, und auf der anderen Seite der Mitarbeiter einer Fremdfirma, die von der Stadt beauftragt wird, der die gleiche Arbeit leistet, aber nur 10 Euro dafür bekommt. Finden Sie das gerecht? Gleicher Lohn für gleiche Arbeit sieht anders aus.