Protocol of the Session on April 11, 2018

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben jetzt die Chance, durch sehr konkrete Politik und nicht nur durch Ankündigungen und Absichtserklärungen das Leben vieler Hamburgerinnen und Hamburger lebenswert zu machen. Offen gesagt, Herr Bürgermeister: Ihre Ausführungen in der Regierungserklärung haben hier vieles noch unbeantwortet gelassen.

Nun haben Sie ja Mehrausgaben in Aussicht gestellt. Abzüglich der 300 Millionen Euro für Pensionsrückstellungen sollen zusätzliche 400 Millionen Euro investiert werden. Wir begrüßen das ausdrücklich als einen ersten kleinen Schritt in die richtige Richtung. Wir sagen dazu sehr selbstbewusst: Opposition wirkt. Zweimal haben wir in der

Vergangenheit bereits ein entsprechendes Sofortprogramm für einen Ausbau der sozialen Infrastruktur vorgelegt. Ideen und Bedarfe gibt es also genug. Wir können gern auch noch einmal gemeinsam darüber schauen. Leider bleiben Sie im Moment noch sehr im Ungefähren. Wir können nicht abschätzen, was es eigentlich konkret bedeutet. Wir befürchten im Moment, dass dieses Plus eher nur dazu ausreicht, dem Bevölkerungszuwachs mit seinen Anforderungen überhaupt gerecht zu werden, und dass es leider weiter so sein wird, dass die Menschen und die Einrichtungen weiter sehr knapp bemessen bleiben und deren Bedarfe von Ihnen noch nicht in den Blick genommen werden. Der neue Senat bekennt sich nämlich leider weiter zur Schuldenbremse und weiter zum "Pay as you go"-Prinzip

(Beifall bei Michael Kruse FDP)

und das ist wirklich sehr schlecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Als ehemaligem Finanzsenator, Herr Tschentscher, müsste Ihnen aber doch eigentlich folgende Rechnung nachvollziehbar sein: Wenn die Kosten um 2 bis 3 Prozent, die Einnahmen aber nur um 0,88 Prozent steigen, dann bedeutet das nicht Fortschritt. Es bedeutet noch nicht einmal Stillstand, sondern es bedeutet Rückbau. Diese Politik führt zu Kürzungen, zu Einschnitten und damit zu zunehmender sozialer Spaltung und eben nicht zu mehr Zusammenhalt. Da können Sie das noch so sehr beschreien und mit warmen Worten herbeiwünschen, aber der Fakt ist ein anderer. Sie haben im "Hamburger Abendblatt"-Interview, Herr Bürgermeister, das Kunststück fertiggebracht, auf die Frage, ob Hamburg eine sozial gespaltene Stadt sei, zu antworten – Zitat –:

"Nein. Das war sie nie."

Da bleibt einem ja erst mal die Spucke weg. Hamburg ist Weltmeister im Datensammeln über die unterschiedlichen Lebenslagen in unseren Stadtteilen und alle Daten zeigen deutlich, dass Hamburg in seinen Stadtteilen sozial sehr weit auseinandergeht. Ich finde, wenn Sie jetzt, Herr Bürgermeister, nicht in der Lage sind, aus dieser Datensammlung eine klare Analyse abzuleiten, dann gehen Sie an der Lebenswirklichkeit sehr, sehr vieler Menschen sehr, sehr ignorant vorbei.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich frage mich da wirklich ernsthaft, ob Sie Ihrem Job eigentlich gewachsen sein werden. Sie haben auch in Ihrer Regierungserklärung kein Wort zu dieser Frage der sozialen Segregation in den Stadtteilen gesagt. Ich finde das sehr, sehr beklagenswert.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie gut, dass die "Hamburger Morgenpost" anlässlich Ihrer Wahl, Herr Bürgermeister, einigen Expertinnen und Experten die Gelegenheit gegeben hat, ihre eigenen Erwartungen an die Senatspolitik zu formulieren. So sind wir uns mit der DGBVorsitzenden Katja Karger einig, wenn sie von Ihnen neue Impulse erwartet und sagt, dass für sie ganz oben auf der Agenda Maßnahmen gegen Armut in der Stadt und die steigenden Mieten stehen. Wir sind uns auch einig mit Manfred Braasch vom BUND, wenn er von Ihnen fordert, die Lärm- und Luftschadstoffbelastungen merklich zu senken, der Naherholung und dem Naturschutz Raum zu geben und Klimaschutz ernst zu nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir erwarten nun vom Ersten Bürgermeister ein klares Bekenntnis zum Kohleausstieg und eine konsequente Umsetzung des Volksentscheids zum Rückkauf des Fernwärmenetzes.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Hier scheint ja die erste politische Nagelprobe für den Ersten Bürgermeister anzustehen. Wir sind uns einig mit der Geschäftsführerin von "Mieter helfen Mietern", wenn sie sagt, dass Hamburg angesichts der Wohnungsnot nicht weiter den Bau hochpreisiger Eigentumswohnungen fördern dürfe.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu gehöre, dass städtische Grundstücke künftig nur in Erbpacht an Investoren vergeben werden dürfen, die Sozialwohnungen errichten und sich dem Gemeinwohl verpflichten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sind uns ebenfalls einig mit Henning Vogel, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes, wenn er zu bedenken gibt, ob der Hafen noch allein der Wachstumsmotor der Stadt sein kann und vermehrt wichtige Politikfelder in den Blick genommen werden sollten, wie Wohnungsbau und die Stärkung der Wissenschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun hat ja der rot-grüne Senat in der Tat die Wissenschaft als einen Markenkern seiner Politik entdeckt. Dazu haben wir heute sehr, sehr viel gehört. Aber deren Herzkammern, die Universitäten und Hochschule, sind chronisch unterfinanziert

(Kazim Abaci SPD: Immer alles schlechtre- den!)

und leiden ebenso wie viele andere Einrichtungen unter der strengen Deckelung der Ausgaben. Bunte Bänder zu durchschneiden und das Hohelied auf die Wissenschaft zu singen, Frau Senatorin Fegebank, ohne eine bedarfsgerechte und angemessene Ausfinanzierung der Universitäten und

Hochschulen zu gewährleisten, ist wirklich wenig überzeugend.

(Beifall bei der LINKEN)

Angesichts dieser Missstände erweist sich auch die große Rede der Zweiten Bürgermeisterin von der Wissenschaftsstadt Hamburg wirklich als eine reine PR-Dunstwolke. Sie legen doch immer so immensen Wert darauf, im Länderranking gut abzuschneiden. Das haben wir ja heute auch an vielen Beispielen gehört. Sie nennen natürlich immer die, wo Sie vermeintlich die Leiter hochklettern. Dann entwickeln Sie aber doch einmal den Ehrgeiz, zum Beispiel mit der TU München gleichzuziehen,

(Sören Schumacher SPD: Das können Sie nicht vergleichen!)

die ein Vielfaches in ihre Lehrstühle investiert, als Sie der TU Hamburg jemals zur Verfügung stellen werden.

Für Dirk Ahrens, Landespastor und Leiter des Diakonischen Werkes, ist es das Wichtigste für Hamburgs Zukunft, den Zusammenhalt zu stärken. Die Stadt muss mit aller Kraft die Integration der Flüchtlinge unterstützen, sagt er.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Dem können wir nur beipflichten und ergänzen, dass gerade in Zeiten vermehrt aufkeimender rechtspopulistischer und fremdenfeindlicher Tonalitäten alles dafür getan werden muss, dass benachteiligte gesellschaftliche Gruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden und sie die Verantwortung für ihre Lebenssituation nicht bei den vermeintlich Schwächeren suchen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Wir stehen da an einem Scheideweg; das muss uns allen klar sein. Deswegen reichen auch Bekenntnisse und Beteuerungen schon lange nicht mehr aus. An dieser Stelle haben Sie mich sehr enttäuscht, Herr Bürgermeister, weil Sie dazu in Ihrer Rede überhaupt kein Wort verloren haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie, Herr Bürgermeister Tschentscher, nun ankündigen, dass Sie zukünftig verstärkt Wert auf Dialog und Zuhören legen wollen, dann werden Sie erfahren, dass die Bedarfe und Erwartungen an Sie hoch sind und dass die Menschen sich nicht mehr mit Plattitüden und den immer selben Phrasen zufriedengeben wollen. Das zeigen auch Ihre jüngsten Umfragewerte; Sie sollten sie wirklich ernst nehmen. Wir erwarten vom neuen Bürgermeister mehr Entschlossenheit und Engagement für die Stärkung des Sozialen. Dafür muss er von seinem Vorgänger eingetretene Pfade unbedingt verlassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Leider ist das heute nicht sehr deutlich geworden. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Der eigenen Ankündigung eines notwendigen Mindestlohns von 12 Euro müssen nun konkrete Taten folgen, damit die Menschen von ihrer Arbeit leben können und nicht im Alter verarmen. Ich habe Ihrer Rede entnommen, dass Sie dies wirklich ernst meinen und auch ernst nehmen. Das werden wir unterstützend begleiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Fragt man die Bürgerinnen und Bürger oder schaut sich Umfragen an, dann hat die Angst vor dem Verlust der Wohnung, die Sorge um eine bezahlbare Bleibe in diesen sieben Jahren Ihrer Regierungszeit deutlich zugenommen. Sieben von zehn Hamburgern, so hat "Die Zeit" in ihrer Umfrage herausgefunden, fürchten, die Stadt könne für sie zu teuer werden. Das ist auch nicht verwunderlich, hat sich die Lage doch real verschärft. 6 000 neue Wohneinheiten pro Jahr, ja, 10 000 anvisierte neue Wohneinheiten seit 2017 reichen eben nicht annähernd aus, um den Zuzug von jährlich rund 10 000 Menschen und den über etliche Jahre aufgestauten Mangel von mehreren 10 000 Wohnungen wettzumachen. Das große Versprechen von Olaf Scholz, den Wohnungsmarkt zu entlasten, wurde für Hunderttausende Mieterhaushalte in Hamburg eben nicht eingelöst. Dieser Problematik müssen Sie sich stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Wohnraum ist noch knapper, noch teurer geworden und allen Senatsbeteuerungen zum Trotz haben die Wohnungsnot und der Mietenwahnsinn in den vergangenen sieben Jahren nicht ab-, sondern vielmehr zugenommen. Hamburg kann hier umsteuern, Hamburg kann eine mieterorientiertere Wohnungspolitik machen. Aber hier müssen die Weichen natürlich deutlich anders gestellt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sagen: Der einschneidende Kurswechsel erfordert vor allem eine nachhaltige Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus, mehr neue Wohnungen über den 1. Förderweg, Verlängerung der Bindungsfristen auf mindestens 30 Jahre. Sie können das auf den Weg bringen, Herr Erster Bürgermeister. Wir und viele, viele Menschen in dieser Stadt erwarten das von Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hamburg ist die Stadt der Altersarmut. Die Anzahl der Grundsicherungsempfängerinnen und -empfänger im Alter hat sich seit 2004 nahezu verdoppelt. Weit über 60 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind in Hamburg arm. Das heißt, auch ihre Eltern sind arm. Sie leben ausgegrenzt und meist ohne Perspektive auf Besserung.

Alle vom Senat bisher ergriffenen Maßnahmen haben die Armutsquote lediglich stabil auf hohem Niveau gehalten; in manchen Bereichen steigt sie sogar. Das kann Sie aber doch in allem Ernst nicht zufriedenstellen, liebe SPD, lieber Senat. Zeigen Sie Biss, Herr Bürgermeister, und machen Sie die Armutsbekämpfung zur Chefsache.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)