Protocol of the Session on December 1, 2016

(Beifall bei der LINKEN)

Besonders bösartig ist das Ganze, wenn wir uns die Geschichte dieses Paragrafen und die momentane Situation in der Bundesrepublik in Bezug auf die steigende Anzahl der Übergriffe auf Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten einmal anschauen. Den Ursprung hat Paragraf 130 Strafgesetzbuch in seiner heutigen Gestalt 1960. Die Neufassung beruhte auf der historischen Erfahrung, dass der Nationalsozialismus auch durch rechtliches Dulden von Hetzpropaganda ermöglicht wurde und eine rechtliche Regelung notwendig ist, um so etwas künftig zu verhindern. Der gesellschaftliche Hintergrund war, dass es viele Straftaten gab, insbesondere Brandanschläge auf Synagogen und antisemitische Straftaten. Dass Sie das jetzt wenden wollen, um die Mehrheitsbevölkerung, die durch nichts in der Art bedroht ist, vermeintlich zu schützen – sie wird schon geschützt, das hat Herr Seelmaecker dargestellt –, entbehrt jeglicher vernünftiger Erklärung. Ich finde das einfach niederträchtig.

(Beifall bei der LINKEN und bei Mareike En- gels GRÜNE)

Die geschützten Rechtsgüter sind im Falle des Paragrafen 130 Absatz 1 und 2 nach allgemeiner Auffassung – da können Sie jegliche Literatur lesen, und das müssten Sie eigentlich können mit Ihrer Qualifikation – der öffentliche Friede und die Menschenwürde der Betroffenen. Durch die Strafandro

hung soll bereits im Vorfeld das Entstehen eines Meinungsklimas verhindert werden, in dem bestimmte Menschen aggressiv ausgegrenzt werden und dadurch die Gefahr geschaffen wird, dass sie auch zu Opfern physischer Gewaltanwendung werden könnten.

Schauen wir uns einmal die Situation an, sehen wir einmal auf die Statistiken: 2016 ist das Jahr, in dem rechte Straftaten extrem angestiegen sind. Im ersten Halbjahr hat die Polizei bereits 6 548 Straftaten von Neonazis und anderen Rechten, über 1 000 mehr als im Vorjahreszeitraum …

(Dr. Bernd Baumann AfD: Das ist nicht das Thema hier, Herr Dolzer!)

Doch, das ist das Thema.

(Dr. Bernd Baumann AfD: Nein, der Antrag!)

Davon waren 520 Gewaltdelikte. Bei den rechten Übergriffen wurden demzufolge 399 Menschen verletzt. 3 227 Tatverdächtige wurden ermittelt. Dass Sie in Anbetracht dessen nun davon sprechen wollen, dass das deutsche Volk von Gewalt bedroht wäre – denn das ist die Voraussetzung, der Angriff auf die Menschenwürde und nicht nur auf die Ehre; keine Beleidigung, sondern die Gefahr für das Leben ist eine Voraussetzung, um diesen Paragrafen anzuwenden –, ist bösartig und richtet sich wieder nur gegen die Migrantinnen und Migranten, und das finde ich einfach eklig.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihr Handwerk ist juristisch schlicht falsch und zeigt deutlich eine völkisch-nationalistische Ausrichtung. Das wollen wir so nicht.

Ich finde den Vorschlag von Herrn Seelmaecker eigentlich richtig gut. Man sollte wirklich zeigen, was Sie machen, was Sie im Parlament machen und mit welchen Methoden und Mitteln Sie vorgehen, um Diskurse zu bedienen, die von den Rechtsextremen gesetzt werden. Das sollten wir so nicht hinnehmen. Das sollten wir aber auch so offenlegen, dass die Menschen davor gewarnt sind und nicht mehr darauf hereinfallen, gerade in Anbetracht der Reden, die Sie hier schon gehalten haben, in denen die muslimische Bevölkerung oder andere Flüchtlingsgruppen per se diffamiert und stigmatisiert wurden. Wenn man das zusammenbringt: Durch Ihre Herangehensweise fühlen sich sicherlich Menschen in unserer Gesellschaft darin bestärkt, gegen Flüchtlinge vorzugehen. Das sieht man, denn die steigenden Zahlen sind auch ein Resultat Ihrer Arbeit. Wenn wir das sehen, dann ist das, was Sie machen, richtig gefährlich und gefährdet den gesellschaftlichen Frieden. Ich denke, davor müssten wir gewahr sein und nicht vor dem rechtspopulistischen Popanz, den Sie hier zelebrieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau von Treuenfels-Frowein von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich erspare uns, dass auch ich noch einmal den Paragrafen 130 juristisch herleite. Ich glaube, alle, auch Nichtjuristen, haben verstanden, dass die Klarstellungsfunktion, die die AfD so freundlich vorgeführt hat, überhaupt nicht notwendig ist, weil sie schon enthalten ist.

Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben, es gäbe so unfassbar viel Rechtsprechung dazu, die dieser Klarstellung bedürfe. Wir alle haben gesucht und gesucht, denn wir wollen uns inhaltlich mit Ihnen auseinandersetzen – keiner hat diese Rechtsprechung gefunden. Das ist das, was ich, wie Herr Seelmaecker, etwas schwierig finde: Sie berufen sich auf Rechtsprechung, die wir alle nicht gefunden haben. Das ist das Erste.

Das Zweite: Der Vorschlag von Herrn Seelmaecker, so etwas in die Schulen zu bringen, hat etwas Charmantes. Dann würde vielleicht enttarnt werden, auf welche Art und Weise die AfD uns – ohne das persönlich auf den Namen bezogen zu meinen – wie der Wolf im Schafspelz ihre Anträge verkauft. Ich habe nicht gedacht: Das ist ein guter Antrag, dem könnte man folgen. Man fühlt geradezu, was dahintersteht. Geben Sie es doch einfach einmal zu. Sie stellen Ihre Reden immer fein ins Internet und lassen sich dort bejubeln; geben Sie doch zu, was der wirkliche Grund ist, warum Sie solche Anträge eigentlich stellen. Nicht nur die Schulen, sondern auch wir haben immer das gleiche Problem mit Ihren Anträgen: Entweder befassen wir uns wirklich mit ihnen, dann gibt es einen Argumente-Abklatsch wie gerade eben, oder wir sagen, lasst sie Anträge stellen, wir lehnen sie einfach ab und Schluss. So soll es auch nicht sein. Kommen Sie einmal nach vorn und beantworten Sie uns die Fragen, die aufgetaucht sind,

(Beifall bei Jörg Hamann CDU)

erstens, zweitens, drittens, und zwar ordentlich und ohne immer auszuweichen und irgendwie darum herumzulavieren. Sagen Sie einmal genau, was Sie denken.

Ich bin Herrn Tabbert dankbar; ich hätte meine Rede auch damit begonnen. Es gibt aus Ihren Reihen genügend Personen, die den Straftatbestand des Paragrafen 130 eigentlich abschaffen wollten oder selbst halb darunterfallen. Darüber will ich jetzt nicht reden, weil ich diese Diskussion nicht noch befeuern möchte.

Ich bin nicht nur erstaunt, sondern auch ein wenig erschrocken darüber, mit welcher fast salonfähigen Art und Weise Sie Sachen rüberbringen, von denen wir alle uns nicht nur distanzieren wollen, son

dern mit denen wir uns, glaube ich, auch gar nicht weiter beschäftigen wollen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Das Wort bekommt Herr Dr. Flocken.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Volksvertreter! Einige der Vorredner benutzen das Wort "Hetze" oder "hetzen". Ich will daran erinnern, dass vor zehn Jahren dieses Wort in diesem Sinne in Hamburg noch völlig unbekannt war. "Nur keine Hetze", hat man gesagt, das hieß "Nur keine übertriebene Eile" oder "Hetz mich nicht so". Das waren völlig unbefangene Begriffe. Nur in der DDR gab es das als den Begriff "staatsfeindliche Hetze". In ähnlicher Weise benutzt man heute in Ihrer Blase den Begriff der Hetze im Sinne von etwas, das der politisch korrekten Ideologie widerspricht. Die Karriere dieses Wortes illustriert eigentlich recht gut unseren Weg in Richtung einer DDR 2.0. Der Satz "Merkel muss weg" ist dann Hetze, aber wenn zum Beispiel ein Bundesminister ähnliche Begriffe benutzt – ich nenne sie jetzt nicht, der Herr Bachmann hat sie benutzt –, ist das erlaubt. Der Bundespräsident sagt, dass das Volk das Problem sei. Das ist natürlich auch keine Hetze.

Der Volksverhetzungsparagraf wäre ein bisschen überflüssig, wenn nur individuell genährte Wahnideen entsprechende Äußerungen hervorbrächten.

(Jörg Hamann CDU: Da sind Sie ja Experte!)

Die könnte man ignorieren oder, falls der Wahn eine Schuldfähigkeit nicht ausschließt, als Beleidigung aburteilen. Meist aber liegt einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ein von einem prophetisch-charismatischen Führer übernommenes geschlossenes Wahngebäude zugrunde, das in der Öffentlichkeit nicht als Krankheit erkannt wird, oft genug das Wahngebäude des Faschismus.

Nun zum Rassisten Murat Karabulut – nein, Malik, der Königliche. Die von ihm verwendete Bezeichnung benutze ich jetzt natürlich nicht; jeder von Ihnen kennt sie. Sie ist untypisch für einen ordinären übersteigerten Nationalchauvinismus. Als verdächtigere Quelle müsste dienen – ich zitiere –:

"Wahrlich, schlimmer als das Vieh sind bei Allah jene, die ungläubig sind […]"

Oder übler:

"[…] tötet die Götzendiener, wo immer ihr sie findet […]"

Volksverhetzung, Gewaltfantasien, Mordaufrufe. Und so geht es immer weiter.

(Joachim Lenders CDU: Zum Thema!)

Ich rede von Volksverhetzung. Das ist Volksverhetzung.

Die AfD will jetzt die Einzeltäter bestrafen.

(Glocke)

Herr Dr. Flocken, bevor Sie uns mit weiteren Beispielen behelligen: Bitte beachten auch Sie den parlamentarischen Sprachgebrauch. Das wäre der Debatte nicht unangemessen. Vielen Dank.

Okay. – Der Großmufti von Jerusalem selbst sagte, dass der Nationalsozialismus dem Faschismus weitgehend parallel geht, und Hitler und Himmler gaben die Komplimente artig zurück.

Wer ernsthaft gegen Volksverhetzung vorgehen will, muss natürlich den Faschismus den gleichen Regelungen unterwerfen wie den Nationalsozialismus. Dazu bräuchte man aber ein bisschen Mut, und der ist natürlich zurzeit nicht vorhanden, das weiß ich auch. Aber wenn Sie diesem Antrag zustimmten, wäre das eine Gelegenheit, ein bisschen Mut einzuüben. Wenn nicht, dann entscheiden Sie eben gegen Ihr Volk. Dann unterwerfen Sie sich den Fachkräften im Beleidigt-Spielen. Dann verkennen Sie den vergiftenden Einfluss des Faschismus,

(Zuruf: Was?)

eines Produkts einer chronisch verlaufenden, paranoid-halluzinatorischen Psychose

(Heiterkeit bei der CDU)

mit ausgeprägtem Größenwahn und Wahngewissheit. Wenn Sie gegen den Antrag stimmen, dann lassen Sie sich – immer im Bilde gesprochen natürlich, nicht wörtlich gemeint – an den Eiern durch die Manege führen. – Vielen Dank.

(Katja Suding FDP: Widerlich!)

Herr Dr. Flocken, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.

Wir setzen die Debatte fort. – Herr Dr. Wolf von der AfD-Fraktion, Sie haben das Wort.

Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kollegen! Ich möchte auf eine ganze Reihe von unsachlichen Angriffen in aller Kürze sachlich zwei, drei Dinge richtigstellen.

Zu Herrn Tabbert: Pegida und Herr Bachmann sind nicht die AfD. Bitte werfen Sie uns nicht in einen Topf.

(Katja Suding FDP: Machen Sie ja schon selbst!)