Abschließend will ich auch von unserer Seite aus betonen, dass Hamburg mit dem Projekt W.I.R den richtigen Weg eingeschlagen hat und dass nur ein auf die Zielgruppe ausgerichtetes Angebot – denn so ist diese Idee entstanden – es überhaupt mit dieser Mammutaufgabe aufnehmen kann. Auch wenn wir sicherlich erst am Anfang der Arbeitsmarktintegration stehen und auch erst am Anfang der Herausforderung, die wir hier meistern müssen, will ich doch an dieser Stelle noch einmal dem W.I.R-Team für das Engagement danken und auch die Kooperationspartner mit ihrem Engagement würdigen. Wir danken Ihnen, dass das zumindest so weit auf den Weg gebracht wurde und wir hier erste Schritte sehen, aber man kann einfach nicht so tun, als wenn wir dieser großen Aufgabe jetzt schon gerecht würden; das ist leider nicht so. Deswegen freuen wir uns auf eine Debatte im Ausschuss, weil dies in der Tat eine sehr komplexe, umfangreiche Drucksache ist, die man dort in der Tiefe diskutieren sollte und dann vielleicht auch mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit und Konzentration.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Thema heute Abend ist, wie der rot-grüne Senat Asylsuchende in Beschäftigung bringen will. Das Thema wird uns – das prognostiziere ich einmal – die nächsten Jahre, wahrscheinlich Jahrzehnte noch öfter beschäftigen. Besonders geht es auch um das Hamburger Programm work and integration for refugees, W.I.R abgekürzt; beginnen wir deshalb einmal mit diesem. Es sind, so war in der Drucksache zu lesen, 2 500 Vorscreenings durchgeführt worden und 3 600 berufsbezogene Beratungen haben
stattgefunden. Wie sind denn die Ergebnisse? Immer noch, so müssen wir feststellen, beruhen alle Aussagen zur Qualifikation, aus denen hier Folgerungen gezogen werden, auf bloßen Angaben der Asylsuchenden, also darauf, was sie selbst bekunden, was sie gelernt und an Ausbildung erlebt haben. Nachprüfungen – das müssen wir sagen nach gut einem Jahr, in dem wir diese Institution haben und jetzt heute diskutieren – sind noch kaum vorgekommen. Über 60 Prozent haben angegeben, sie hätten einen Schulbesuch von elf und mehr Jahren hinter sich. Das wäre ein gutes Ergebnis, aber es ist nicht nachgeprüft. Knapp die Hälfte hat angegeben, berufliche und akademische Qualifikation zu haben. Auch das ist nicht nachgeprüft. Ein Jahr wäre Zeit gewesen. Es widerspricht im Übrigen vielen anderen Erfahrungen und Erhebungen, so zum Beispiel denen von Professor Ludger Wößmann vom ifo Zentrum für Bildungsökonomik in München. Er befürchtet nach Studien in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, dass wohl zwei Drittel funktionale Analphabeten sein könnten. Dass diese Gefahr besteht, steht zumindest den Aussagen in den Erhebungen der W.I.R-Truppe entgegen, die sie von den Flüchtlingen selbst entgegengenommen haben.
Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre- chend): Herr Dr. Baumann, entschuldigen Sie. – Es ist ein bisschen sehr unruhig, deshalb bitte ich darum, wenn Sie sprechen und sich unterhalten wollen, dass Sie hinausgehen, und sonst hören Sie dem Redner zu. Danke.
Daher ist es schon erstaunlich und fraglich, wie der Senat auf sein Gesamturteil kommt – ich zitiere einmal –,
Das ist so nicht der Fall angesichts immer noch ungeprüfter Fakten seit über einem Jahr, wie wir hier feststellen müssen. Wir müssen also leider zu dem Ergebnis kommen, dass Sie immer noch bei dieser für die Stadt so wichtigen Frage im Nebel stochern. Die Frage ist: Können oder wollen Sie nicht näher überprüfen und evaluieren, was wirklich vorhanden ist und was nicht? Beides wäre fatal.
Schauen wir uns einmal die konkreten Vermittlungen in Ausbildung und Arbeit an, die neusten Zahlen, die wir haben. Von den Tausenden Menschen im W.I.R-Programm sind in einer Stadt von 1,8 Millionen wie viele Flüchtlinge in Ausbildung? Es sind fünf. Wie viele von den Tausenden im W.I.R-Programm in einer Stadt von 1,8 Millionen Menschen sind nach einem Jahr in Arbeit? Es sind 32, und die noch, wie in der Drucksache angedeutet, eher mit gering qualifizierter, schlecht bezahlter Arbeit.
Aber schauen wir noch etwas weiter. Was können wir da entdecken? In der letzten Woche ist es deutlich geworden: Die 30 großen DAX-Konzerne zusammen, Weltkonzerne mit Millionen Angestellten, haben wie viele der großen Flüchtlingswelle der Jahre 2014, 2015 und 2016 – über 1,5 Millionen Menschen – eingestellt? 125. 125 Menschen haben sie bisher einstellen können. Die Kanzlerin rief zu einem Krisengipfel ins Kanzleramt. Deutlich wurde auch noch, dass die Deutsche Post, das Unternehmen mit großem Staatsanteil und Staatsund Politikereinfluss, allein 102 dieser 125 Menschen eingestellt hat. Das heißt, es bleiben noch 23 Flüchtlinge für die 29 restlichen großen DAXKonzerne von Weltruf mit Millionen Arbeitsplätzen, nicht einmal einer pro Konzern. Das sind niederschmetternde Ergebnisse, die sich in der Drucksache nicht wiederfinden, in den Planungen nicht wiederfinden und überhaupt keine Erwähnung in den Ausschüssen oder in diesem Plenum finden. Es geht relativ an der Sache vorbei, was Sie hier tun.
Auch die Arbeitslosenzahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen diese Probleme – eine dritte Flanke, die ich Ihnen kurz zeigen will. Ich zitiere die Statistik zum Bestand an Arbeitslosen nach Staatsangehörigkeit, und zwar vom Jahresbeginn 2016. Also schon vor der großen Flüchtlingswelle ist die Masse dieser Leute zu uns gekommen, schon so lange, dass sie in der Arbeitslosenstatistik sind. Das Ergebnis ist beispielsweise für die Syrer bundesweit, dass 70 Prozent der 30 000 arbeitslos sind. Das ist schon eine valide Fallzahl, die zeigt, dass die Statistik signifikant ist. In Hamburg sind es 71,3 Prozent der Syrer. Für Afghanen, Iraker, Iraner, Ghanaer verhält es sich ähnlich. Trotz all dieser Fakten, Hinweise und Warnungen von Experten verkündet Hamburgs rot-grüne Regierung nach wie vor in der Drucksache – ich zitiere –:
"Der Senat sieht in der Zuwanderung von Geflüchteten Chancen für eine Sicherung des Fachkräftebedarfs."
Aber es geht noch etwas weiter. Der Senat will jetzt auch Migranten ohne gute Bleibeperspektive, nach Definition des Innenministeriums und des BAMF, sichere Aufenthaltsperspektiven für Hamburg eröffnen. Deswegen wird der Kreis für Integrationskurse zum Beispiel auch auf Afghanen erweitert, die nach Definition des BAMF und des Innenministeriums keine gute Bleibeperspektive haben. Die Vorrangprüfung wird ausgesetzt und neue Finanzierungsbeihilfen für diese Gruppen sollen
entwickelt werden. Solche Wege, freut sich der Senat in der Drucksache, brächten – ich zitiere noch einmal –
"für Personen mit aufenthaltsrechtlich unklarer Perspektive eine große Chance auf einen sicheren Aufenthaltsstatus."
Es sei eine Verbesserung. Das zeigt die wahren Ziele, die Sie verfolgen, das hat mit Facharbeiterinnen und Facharbeitern und Arbeitsplätzen gar nichts zu tun. Statt Menschen, die nach bisheriger Rechtslage kein Bleiberecht bei uns haben, zurückzuführen, wie es rechtsstaatlich sein müsste, will der Senat das Bleiben verfestigen. Und damit geschieht etwas, was auf keinen Fall passieren sollte: Sie vermengen nämlich Flüchtlingspolitik mit Arbeitsmarktpolitik. Das ist keine arbeitsmarktpolitische Vernunft. Sie überschreiten da einen Rubikon, über den schon lange diskutiert wurde und von dem versprochen war, dass er nicht überschritten wird, und das machen Sie hier mit Verve.
Wenn man es zusammenfasst, ist es insgesamt ein weiterer Irrweg mitten hinein in die schon in Ihrer Koalitionsvereinbarung ausgerufenen Begriffe wie bunte Republik und immer buntere Republik, die Sie aus ideologischen Gründen wohl so sehr herbeisehnen. Aber das machen Sie ohne uns und einen immer größeren Teil der Bevölkerung.
Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will nur kurz wenige Dinge sagen, damit wir im Ausschuss unbelastet von Missverständnissen in die wahrscheinlich sehr konstruktive Debatte über die Drucksache einsteigen können.
Zunächst einmal herzlichen Dank all denjenigen, die hier das Engagement der Beschäftigten und Kooperationspartner bei W.I.R wertgeschätzt haben. Das bedeutet den Menschen, die dort arbeiten und die in der Tat Neuland betreten haben, die in ungewohnten Arbeitsformen zusammenarbeiten, nicht nur rechtskreisübergreifend, sondern auch über alle anderen Regelsysteme hinweg, nämlich gemeinschaftlich mit Kammern, Trägern der Arbeitsmarktpolitik und anderen, sehr viel. Sie werden inzwischen bundesweit beachtet und die Ergebnisse sind sehr vielversprechend und auch sehr viel besser und weit von den Zahlen entfernt, die hier zum Teil zitiert worden sind.
Drei Dinge sind mir noch einmal wichtig zu sagen, denn ich glaube, wir werden alle sehr vorsichtig sein müssen, da keinen Missinterpretationen zu er
Frau Prien, Sie haben recht, wenn Sie sagen, wir müssten noch sehr viel mehr Modelle erproben – Teilzeitausbildung, geförderte Ausbildung, mit Sprachförderung kombinierte duale Berufsausbildungen –, weil die Wahrheit ist, dass die größte Hürde für die Zugewanderten nicht die betriebspraktische Erfahrung, sondern die Berufsschule ist. Da haben wir uns auf den Weg gemacht. Da gibt es in Hamburg – insbesondere dank des großen Engagements der Handwerkskammer vor allen Dingen, aber auch die Handelskammer hat sich jetzt auf den Weg gemacht für einige Berufe – vieles, was wir angefangen haben, einiges sehr vielversprechend und auch einiges, wo wir jetzt auf die ersten Jahrgänge zusteuern. Wir sind sehr interessiert daran, Ihnen das im Ausschuss auch vorzustellen, und ich kann mir vorstellen, dass man darauf aufsetzen kann und dass wir das auch weiterentwickeln. Es ist völlig richtig, dass wir da nicht am Ende angekommen sind, das muss man klar sagen.
Des Weiteren ist richtig, was hier von einigen gesagt worden ist, dass die Rahmenbedingungen des Integrationsgesetzes uns ermöglichen, besser zu fördern, zielgerichteter zu qualifizieren und Menschen Chancen zu ermöglichen, dass aber auch gewisse Forderungsaspekte darin vermacht sind. Das geht Hand in Hand. Das sehen wir als selbstverständlich an, denn wir gehen keinesfalls naiv an diese vielen Fragen und Herausforderungen heran. Das ist schlicht falsch. Fakt ist aber auch, dass wir in den Jobcentern eher damit konfrontiert sind, dass die Menschen lieber gestern als heute arbeiten möchten, und unser Problem in der Regel nicht ist, sie dazu zu motivieren, eine Maßnahme anzunehmen oder selbst zu arbeiten, sondern unsere Frage eher lauten muss, wie es gelingt, dies auch nachhaltig zu gestalten, damit sie nicht sechs Wochen später wieder im Leistungsbezug auftauchen. Das ist die entscheidende Frage an dieser Stelle.
Und das Dritte, was ich gern sagen möchte, weil es wirklich wichtig ist und weil der Vorwurf an die Bundesregierung wirklich fehlgeht an dieser Stelle – das darf ich ausnahmsweise für beide in der Bundesregierung vertretenen Parteien sagen –: Wer will, dass die Integration dieser Flüchtlingszuwanderung in den Arbeitsmarkt gelingt und wer gesamtgesellschaftlich Akzeptanz dafür will, der darf auf keinen Fall weitere Deregulierungen für den Arbeitsmarkt fordern. Das endet nämlich in der Konsequenz in Debatten, die wir in den 1990er-Jahren hatten, wo die Leute dann mit Recht zum Teil gesagt haben: Welche Chance habe ich als Arbeitslose oder Arbeitsloser am Arbeitsmarkt denn noch,
wenn jemand anders geringer als tariflich entlohnt den Job haben kann und ich nicht? Deswegen werden wir darauf bestehen müssen, dass der Mindestlohn, bestimmte ortsgültige Tarife und die Arbeitsbedingungsprüfung alle weiterhin eingehalten werden, um gesellschaftliche Akzeptanz dafür zu schaffen, und nicht andersherum.
Auf viele weitere Details, die aufgeworfen worden sind, will ich gar nicht weiter eingehen. Nur zwei Missverständnisse, die auch in vielen Pressemitteilungen bemüht worden sind, möchte ich doch vor der Debatte im Ausschuss ausräumen. Dort werden wir uns auch in der gebotenen Ernsthaftigkeit und überhaupt nicht naiv und nicht geprägt von irgendeiner kulturellen Vorstellung austauschen, denn wir müssen doch diese Zuwanderung als Chance für unseren Fachkräftebedarf sehen, als Chance für unsere Gesellschaft und als Chance für unseren Arbeitsmarkt. Eine andere Alternative haben wir nicht, als den Wandel vernünftig und klug zu gestalten.
Es ist nämlich die Frage, was mit diesen Zehntausend anscheinend gescheiterten arbeitssuchenden Asylbewerbern ist. Arbeitssuchende sind Menschen, die zurzeit konkret im Integrations- oder Sprachkurs sind oder in einer Berufsqualifizierungsmaßnahme. Es ist ein Erfolg, dass in Hamburg zu diesem Zeitpunkt bereits Zehntausend in Maßnahmen sind, und kein Misserfolg.
Darüber hinaus sind seit Anfang des Jahres, das hat der Chef des Jobcenters Hamburg jüngst berichtet, 1 020 Flüchtlinge in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gekommen. Das ist auch eine gute Zahl gemessen daran, vor welchen Herausforderungen diese Menschen stehen.
Das zweite Missverständnis ist die Frage: Ginge all das schneller, wenn wir nicht an bestimmten Regularien festhalten? Und ist das nicht die Klammerung der Menschen an den SGB-II-Leistungsbezug, wenn wir sie nicht für wenig Geld oder dereguliert arbeiten lassen? Das ist doch eine Milchmädchenrechnung. Am Ende des Tages kommt nämlich der Staat für diese deregulierten, minderbezahlten Arbeitsverhältnisse auf, indem wir Aufstockungsleistungen bezahlen müssen. Die Menschen kommen keineswegs aus dem Leistungsbezug heraus, sondern sie werden da lange hängen bleiben wie viele andere auch, die für geringes Geld arbeiten müssen. Der Staat wird auf diese Weise nicht entlastet, insofern macht es Sinn, hier langen Atem zu haben und jetzt nicht kurzfristig einem falsch verstandenen Wirtschaftsliberalismus