Protocol of the Session on December 12, 2013

Allein die aktuelle Rechtsprechung, auch in Hamburg, sollte uns zu denken geben. Aber die Antragsteller haben das Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts auch in anderer Hinsicht missverstanden. Es wurde keine Gefahr einer Funktionsbeeinträchtigung nach einem Wegfall der Sperrklausel durch das Verfassungsgericht gesehen. Die Antragsteller konnten bisher nicht überzeugend darlegen, worin diese Gefahr begründet liegen soll. Die FDP ist überzeugt, dass diese Gefahr auch nicht existiert.

(Arno Münster SPD: Die haben die 3 Pro- zent ja nicht geschafft!)

Wir haben mit zahlreichen Mitgliedern der Bezirksversammlungen gesprochen, auch mit einigen, die als Einzelabgeordnete aktiv sind oder die eine gewisse Vielfalt in der jeweiligen Versammlung gewohnt sind. Ich kann Ihnen sagen, dass es dort keinerlei Probleme mit oder Ängste vor einer Funktionsbeeinträchtigung gibt. Ein ganz beeindruckendes Beispiel ist Frankfurt. Selbst in Frankfurt, wo sage und schreibe elf Parteien seit nunmehr zwei Jahren in der Stadtverordnetenversammlung vertreten sind, gibt es keinerlei Funktionsbeeinträchtigungen. Warum also sollen die gemalten Horrorszenarien gerade nun in Hamburg eintreten?

Ein weiterer schwerwiegender Punkt, der uns in unserer Ablehnung bestärkt, ist die Änderung in Bezug auf die 3 Prozent zu den Bezirksversammlungswahlen. Die erfolgt nun schon innerhalb der Listenaufstellungen zu den Bezirksversammlungswahlen. Es scheint Ihnen nicht klar zu sein, dass Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Wahl ist, dass keine Wahlrechtsgrundsätze verletzt werden. Diese Grundsätze beziehen sich aber nicht nur auf den Wahlakt selbst, sondern auch auf die Wahlvorbereitung. Und dazu gehören die Listenaufstellungen, die derzeit schon am Laufen sind, ein Punkt, der unsere Situation ganz wesentlich von der in Berlin unterscheidet. Dort wurde die Verfassungsverankerung der 3-Prozent-Hürde zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen nicht im Schweinsgalopp und nicht während der laufenden Wahlvorbereitung vorgenommen, ein wesentlicher Unterschied, der im Fall einer Klage gegen die angestrebte Verfassungsänderung ins Gewicht fallen wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Befürchtung, es könne zu chaotischen Verhältnissen innerhalb der Bezirksversammlungen kommen, ist aus einem weiteren Grund merkwürdig. Sie sprechen mit Ihren Befürchtungen den gewählten Abgeordneten damit Vernunft, Sachverstand und Gesprächsbereitschaft ab. Das finden wir nicht nur merkwürdig, das finden wir auch ungehörig.

(Beifall bei der FDP)

Wir glauben, dass die Wählerinnen und Wähler Menschen in die Bezirksversammlungen wählen, die sich ihrer Aufgabe bewusst sind und dementsprechend auch verantwortlich handeln werden. Wir werden der Verfassungsänderung aufgrund dessen nicht zustimmen. Das überstürzte Verfahren, die rechtlichen Bedenken, aber auch aufgrund des Vertrauens in die gewählten Abgeordneten der Bezirksversammlungen ist es für uns nicht tragbar, so vorzugehen, wie Sie es jetzt tun.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort bekommt Herr Golke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Bläsing, auch auf die Gefahr hin, dass ich Sie falsch verstanden habe – ich hoffe, das habe ich, ich war bei der Anhörung krankheitsbedingt nicht anwesend –,

(Dennis Gladiator CDU: Herr Bläsing auch nicht!)

aber ich habe dem Wortprotokoll nicht entnommen, dass einer der Experten vertreten hat, die allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze und das Demokratieprinzip würden bei Bezirksversammlungswahlen nicht gelten. Das wäre mir auch persönlich sehr unrecht, denn Bezirksversammlungswahlen sollen, auch nach Meinung der LINKEN, allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim sein.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Das hat nun wirklich niemand beantragt.

(Heiterkeit bei der LINKEN – Zuruf aus dem Plenum)

Nein, das tue ich nicht.

Ein paar Worte muss es geben zum Thema, ob hier ein Wahlrechtsänderungsgesetz vorliegt. Natürlich gibt es den Anknüpfungspunkt der Frage der verfassunggebenden Mehrheit, die in der Tat eine andere ist als die der wahlrechtsgebenden Mehrheit, die wir in diesem Hause in den Status eines verfassungsähnlichen Ranges gesetzt haben. Aber es gibt eben auch die Frage des Anknüpfungspunktes an den konkreten Regelungsgegenstand. Und da kann man nun wirklich nicht verhehlen, dass es sich in der Frage der Wiedereinfüh

(Robert Bläsing)

rung der 3-Prozent-Hürde und der Überschreibung der 5-Prozent-Hürde für die Bürgerschaft dann nicht um eine Regelung des Wahlrechts handeln würde. Deswegen ist auch das ein Problem, das am Ende unser Verfassungsgericht wird lösen können, jedenfalls stehen diese beiden Ansätze durchaus im Raum.

Im Ausschuss wurde auch über die Frage debattiert, ob denn nun ein mögliches Referendum während der Zeit ruhen könnte, in der das Verfassungsgericht berät und entscheidet. Da gibt uns zumindest unser Volksabstimmungsgesetz, das wir gemeinsam mit allen Fraktionen und mit "Mehr Demokratie" gemacht haben, den kleinen Hinweis, dass nach Artikel 28 Volksabstimmungsgesetz Volksbegehren, Volksentscheid und Referendum während des Verfahrens vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht ruhen und mit dem Verweis auf Artikel 50 Absatz 6 Satz 2 der Verfassung das dort auslegt.

Ich kann mich auch erinnern, dass wir das in der in diesem Gremium geführten Debatte bewusst hineingeschrieben haben, um auch dieses Ruhen beim Referendum herbeizuführen, aber gleichwohl auf eine Regelung in der Verfassung verzichtet haben, um – und das war eigentlich der Konsens – nicht den Artikel 50 der Verfassung noch einmal anfassen zu müssen. Das war quasi die Ouvertüre.

(Heiterkeit bei den Fraktionen)

Jetzt kommt der erste Akt. Herr Müller hat bereits gesagt, es gibt die Befürchtung der Gefährdung einer Funktionsstörung der Bezirksversammlungen, wenn man das jetzt nicht tut.

(Finn-Ole Ritter FDP: Das ist eine sichere Begründung! Das ist wie Vorratsdatenspei- cherung!)

Das ist in der Tat eine doppelt schwammige Begründung.

(Finn-Ole Ritter FDP: Das sind nur Befürch- tungen!)

Der Beweis, dass es zu solchen Funktionsstörungen kommt, wenn es keine Sperrklauseln in Kommunalparlamenten gibt, wurde bisher bundesweit nicht erbracht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt noch eine weitere Frage, die ich in diesem Zusammenhang gern etwas beleuchten möchte, nämlich die Frage, was uns unsere Verfassung an dieser Stelle bedeutet. Es ist das allererste Mal, dass diese Bürgerschaft einen konkreten, regelnden Gegenstand des Wahlrechts, nämlich die Sperrklausel, in die Verfassung schreibt. Bisher war seit 1952 die Frage der Wahlrechtsgrundsätze, die ich eben schon genannt habe, der Wahlperiode und der Rechte und Pflichten der Abgeordneten niedergelegt,

(Farid Müller GRÜNE: Das Wahlrecht wurde geändert!)

etwas, was in die Verfassung gehört, und ebenso das Wahlalter. Da kann man sich schon fragen, ob denn die Sperrklausel zu diesen Regelungsgegenständen, die wir üblicherweise in der Tradition der Hamburgischen Verfassung haben, gehört.

Es gibt noch einen dritten Punkt. Da ist die Hamburgische Verfassung ein Stück weit die Verfassung der verpassten Gelegenheiten, eingeführt nach der vorläufigen Verfassung 1952 nach einem ewig langen Diskussionsprozess mit mehreren Änderungsvorschlägen und Debatten im damaligen Verfassungsausschuss, gewissermaßen als ein rudimentäres, Verwaltung und Staat regelndes Instrument ohne Grundrechte und ohne einen wirtschaftsordnenden Teil.

(Glocke)

(unterbrechend) : Entschuldigen Sie, Herr Golke. Ich möchte einfach noch einmal um mehr Aufmerksamkeit für den Redner bitten. Seitliche Gespräche, zum Beispiel bei der Senatsbank oder in vielen anderen Reihen, bitte ich doch zu unterlassen. – Herr Golke, Sie haben das Wort.

– Vielen Dank.

Das war der erste Akt, bei dem es eben nicht verstanden wurde – vielleicht auch, weil es dann zu spät war –, aus dem Groß-Hamburg-Gesetz die Konsequenz zu ziehen, nicht nur richtigerweise die Einheitsgemeinde wieder einzuführen, sondern auch dafür zu sorgen, dass die Bezirke oder damals noch Verwaltungseinheiten wieder eine Art von kommunalem Parlament wurden.

Wir haben wieder eine Situation der verpassten Gelegenheit. Wir haben ein Verfassungsgerichtsurteil, das uns sagt, die 3-Prozent-Klausel im Wahlgesetz sei verfassungswidrig. Niemand von uns LINKEN hat gesagt, es sei verfassungswidrig, diese 3-Prozent-Klausel in die Verfassung zu schreiben.

(Beifall bei Dr. Andreas Dressel SPD)

Aber wir hätten die Chance gehabt, anhand dieses Urteils einmal grundsätzlich in diesem Haus darüber zu diskutieren, wie wir Demokratie und Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger – die Beteiligungsquote sinkt immer weiter, je größer die Einheit wird, in einem kleinen Dorf mit 600 Einwohnern ist der Gemeinderat logischerweise anders verfasst – in Zukunft für Hamburg regeln können. Das ist die Frage des Versäumnisses des Parlaments, und das ist nicht gewollt. Die Links-Fraktion wird der Verfassungsänderung auch in der zweiten Lesung nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr Dr. Dressel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich weiß, dass es einige wahrscheinlich langweilt,

(Finn-Ole Ritter FDP: Ja!)

aber da sich vermutlich irgendwann Richter darüber beugen werden, sollen sie auch Gelegenheit haben, alles noch einmal nachzulesen, was verschiedene Redner hier gesagt haben. Deshalb möchte ich zu den Argumenten, die hier ins Feld geführt worden sind, vor allem zu den Argumenten, die nicht stichhaltig sind, noch einmal kurz etwas sagen.

Ich möchte deutlich etwas der These entgegensetzen, dass wir eine bloße Vermutung geäußert hätten, was die Frage von Funktionsstörungen angeht. Das ist sehr klug gerade an der Stelle begründet, und es ist auch in der Anhörung vom Fraktionsvorsitzenden der CDU aus Harburg ausgeführt worden, an welchen Stellen genau Funktionsstörungen eintreten können und mit ziemlicher Sicherheit – das ergibt sich allein aus der Frage der Strukturierung von Tagesordnungen oder der Strukturierung von Geschäftsordnungen – auch eintreten werden.

(Finn-Ole Ritter FDP: Gefahr und Risiko!)

Es geht erst einmal darum, das mit konkreten Punkten zu belegen, und dann ist die Frage, welche Nachweisschwelle man für erforderlich hält. Das Hamburgische Verfassungsgericht hat für das einfache Gesetz gesagt, wir müssten da den Nachweis bringen. Was wir jetzt machen, ist eine Verfassungsänderung, und warum wir sie jetzt machen, hat auch damit zu tun, Kollege Bläsing, dass wir auf das Urteil des Verfassungsgerichts in Berlin gewartet haben. Das hatte nämlich schon mal die Gelegenheit, sich mit dem Hamburger Urteil auseinanderzusetzen und zu sagen, dass es da richtig war, weil es sich um das einfache Gesetz handelte.

Aber der Verfassungsgesetzgeber kann mehr und er darf auch mehr. Ich finde es in einem parlamentarischen System auch richtig, dass er, wenn es eine verfassungsändernde Mehrheit gibt, gewissen anderen Restriktionen unterworfen ist und die Anforderungen an den Nachweis etwas geringer sind. Dazu hat das Verfassungsgericht in Berlin gesagt, es mache sich dies ausdrücklich zu eigen und die abstrakte Gefahr reiche. Das haben die Kollegen Müller und Trepoll ausgeführt und alle Rechtswissenschaftler in der Anhörung.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Nee!)