Protocol of the Session on December 11, 2013

Genau das Gleiche gilt für einen weiteren Punkt, an dem die Zukunftsfähigkeit unseres Landes durch diese Koalition gefährdet wird, den Zusammenhalt der Generationen in diesem Land. Die Vereinbarungen zur Rente gehen allein zulasten der Jungen ohne jede Kompensation. Das unsinnige Kooperationsverbot in Sachen Bildung und Hochschulen bleibt bestehen, auch dies zulasten der jüngeren Menschen in unserem Land und ihrer Bildungschancen. Die Finanzierung der vielen Steuergeschenke der Großen Koalition ist völlig unklar und überhaupt nicht geregelt, aber eines ist klar: Sie wird zulasten einer nachhaltigen Haushalts- und Finanzpolitik gehen. Letztlich werden auch das die zukünftigen Generationen teuer bezahlen müssen. Hier gibt es nicht nur Stillstand, sondern Rückschritt für unser Land.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was steht dem gegenüber? Womit will die SPD ihrer Basis die Zustimmung beim Mitgliederentscheid schmackhaft machen? Fortschritte, die sich, wenn man genau hinschaut, als halbherzige Schritte entpuppen. Der Mindestlohn soll erst 2017 kommen, am Ende der Legislaturperiode.

(Finn-Ole Ritter FDP: Prüfauftrag!)

Der Optionszwang wird abgeschafft, aber die doppelte Staatsbürgerschaft für alle, die versprochen war, wird es mit dieser Koalition nicht geben. Die Gleichstellung der Homo-Ehe wird nicht vollendet, und das wird mit dieser Koalition auch nicht kommen. Das bedeutet, dass wichtige Schritte, um unsere Gesellschaft gerechter und offener zu machen, um mehr Teilhabe und Integration zu ermöglichen, unterbleiben. Für eine weltoffene, moderne Stadt wie Hamburg kann das nicht gut sein.

(Glocke)

Erster Vizepräsident Frank Schira (unterbre- chend): Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kerstan.

Ich komme zum Schluss.

Meine Damen und Herren! Das Schlimme an dem Ganzen ist: Es gibt viele Geschenke, aber die Jüngeren schauen zu, und die einzige Gewissheit, die

sie haben, ist, dass sie in Zukunft dafür werden bezahlen müssen. Das ist keine nachhaltige und zukunftsfähige Politik für unser Land. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Heyenn hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine Große Koalition sollte in einer Demokratie immer die Ausnahme sein. Was uns jetzt droht, ist eine Regierungsübermacht, wie es sie noch nie gegeben hat. Mit 504 zu 127 Sitzen wird die Opposition im Deutschen Bundestag es sehr, sehr schwer haben,

(André Trepoll CDU: Was können wir denn dafür, dass Sie so schwach sind?)

ihrem Verfassungsauftrag nachzukommen. Die Redezeitregelung, die jetzt aufgekommen ist, ist ein Signal – ob es ausreicht, ist ausgesprochen zweifelhaft.

Große Koalitionen sollten die großen Probleme unserer Gesellschaft aufgreifen und mutig zukunftsweisende Entscheidungen fällen. Aber genau das hat die Regierung aus CDU, CSU und SPD offenkundig nicht vor. Herr Wersich hat schon eine Erklärung geliefert: Die Sozialdemokraten sind für Frau Merkel dritte Wahl.

Drei Fraktionen haben heute die Frage in der Aktuellen Stunde angemeldet, welche Bedeutung die Große Koalition für Hamburg hat. Da muss man sich natürlich erst einmal fragen, was Hamburg eigentlich von allen anderen Bundesländern unterscheidet.

(Finn-Ole Ritter FDP: Die Elbe!)

Wir haben ein ganz wichtiges Unterscheidungsmerkmal, was noch gar nicht angesprochen wurde, nämlich Hamburg hat im Verhältnis zu allen anderen Bundesländern überproportional viele Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund. Das ist hamburgspezifisch. Bei den letzten Volksentscheiden in der Stadt ist immer wieder problematisiert worden, dass über 200 000 Hamburgerinnen und Hamburger, die teilweise schon über 30 Jahre in dieser Stadt wohnen, kein Wahlrecht haben. Das kommunale Wahlrecht war im SPD-Programm groß proklamiert. Es ist nicht umgesetzt. Das ist ein glatter Wortbruch.

(Beifall bei der LINKEN und bei Phyliss De- mirel GRÜNE)

Die SPD und insbesondere ihre Spitzenkandidatin in Hamburg hat im Wahlkampf vehement für die doppelte Staatsbürgerschaft geworben und versprochen, sie einzuführen; so auch Gabriel vor den Mitgliedern der SPD. Was jetzt im Koalitionsvertrag steht, ist wieder ein glatter Wortbruch.

(Beifall bei der LINKEN und bei Phyliss De- mirel GRÜNE)

So sieht es die türkische Gemeinde, so sehen es viele andere Communities. Die zahlenmäßig größte Gruppe der Migranten auch hier in Hamburg sind die Türken, aber wir haben auch Bosnier, Serben, Russen, Polen, Iraner und Afghanen. Und die Hamburger Spitzenkandidatin sagt dazu – ich zitiere –:

"Wir haben ein integrationsfeindliches Signal aufheben können. Allerdings hätte ich mir mehr gewünscht und deswegen trete ich auch in Zukunft für die doppelte Staatsangehörigkeit für alle ein."

Das ist zu wenig, man könnte auch sagen, das ist zynisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Künftig entfällt für in Deutschland geborene Kinder von Eltern mit ausländischem Pass der Optionszwang. Die Mehrstaatigkeit für diese jungen Menschen wird akzeptiert, aber die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft sieht anders aus.

(Zuruf von Arno Münster SPD)

In der Frage der knappen Kassen, beim leidigen Thema Schuldenbremse und Kürzungspolitik ist Hamburg mit den anderen Bundesländern vergleichbar.

(Arno Münster SPD: Wer hat Ihnen die Rede geschrieben?)

Gerade die SPD hat im Bundestagswahlkampf besonders betont, dass sie sich für Steuergerechtigkeit einsetzen wolle. Das hat sie gemeinsam mit uns, mit NGOs, den Sozialverbänden und den Gewerkschaften gemacht. Sie fragen sich, was davon jetzt im Koalitionsvertrag steht. Es steht nichts davon drin. Das ist ein glatter Wortbruch.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich frage mich, was die Sozialdemokraten in der Arbeitsgemeinschaft Finanzpolitik in der Koalitionsrunde gemacht haben. Auf jeden Fall haben sie das, was sie im Wahlkampf versprochen haben, nicht eingeführt, auch nicht ansatzweise. Eines ist klar: Die Zukunft können Sie sowohl im Bund als auch in Hamburg nur gestalten, wenn Steuergerechtigkeit hergestellt wird. Das Spiel ist wieder eröffnet. Die SPD redet sich mit dem Hinweis auf die Große Koalition heraus nach dem Motto, sie hätte einen Politikwechsel gern umgesetzt. Sie hätten es gekonnt, aber Sie haben es nicht getan.

Ich möchte noch ein paar Worte zu dem sagen, was Herr Dressel angesprochen hat. Fakt ist: Die Residenzpflicht bleibt. Da hat sich nichts geändert.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Die haben wir aber in Hamburg geändert!)

(Jens Kerstan)

Was das Bleiberecht betrifft, so ist es zwar richtig, dass Hamburg eine Bundesratsinitiative gestartet hat, aber diese Initiative ist im Koalitionsvertrag nicht 1:1 umgesetzt. Was drin ist – Sie haben es eben selber gesagt und ich finde es hoch problematisch –, ist das Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ja, und langjäh- rig Geduldete!)

Ich habe schon seit Langem ein Grausen davor, dass nur Jugendliche, die Abitur haben, gut integriert seien, und Jugendliche mit Hauptschulabschluss seien es nicht. So geht das überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN und bei Phyliss De- mirel GRÜNE – Zurufe aus dem Plenum)

Der letzte Punkt. Im Wahlkampf haben Sie immer gesagt, die Rente mit 67 sei ein Fehler gewesen und Sie müssten das ändern. Jetzt steht im Koalitionsvertrag, dass man das beibehalten will, dass man sogar große Chancen mit 67 habe. Nach 45 Jahren mit 63 ohne Abschläge in Rente gehen zu können, trifft nur auf einen ganz kleinen Teil der Bevölkerung zu. Insgesamt ist das also sehr enttäuschend und für Hamburg kein gutes Signal.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat der Erste Bürgermeister.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist etwas Besonderes, wenn in Deutschland das dritte Mal eine Große Koalition auf der Ebene des Gesamtstaats gebildet wird. Von 1966 bis 1969 gab es die erste Große Koalition – über die wurde hinterher und auch während ihres Bestehens gut berichtet – mit dem für die SPD sehr erfreulichen Ausgang, dass Willy Brandt später Kanzler geworden ist. Es gab eine zweite Große Koalition von 2005 bis 2009, von der auch berichtet wird, dass die Arbeit dort ganz gut gelaufen sei. Und jetzt wird es das dritte Mal eine Große Koalition geben, wenn die Mitglieder der SPD so entschieden haben sollten, was ich annehme und hoffe.

Natürlich sind solche Regierungsbildungen immer etwas ganz Besonderes, weil die SPD und die beiden Unionsparteien diejenigen sind, die um die Führung des Landes konkurrieren und letztendlich auch diejenigen sind, die bei einem Wahlerfolg den Anspruch erheben, den Kanzler oder die Kanzlerin zu stellen. Man muss es sich also schwer machen, wenn man eine solche Entscheidung trifft. Aber es gilt in der Demokratie und in dem parlamentarischen System, das wir in Deutschland haben, dass die Regierung nicht direkt, sondern vom Parlament gewählt wird, dass Kompromisse geschlossen und Koalitionen gebildet werden müssen – nicht überall

und nicht immer, aber insgesamt gehören Koalitionen in der Bundesrepublik oft zum Geschäft. Darum ist es richtig, jetzt zum dritten Mal diesen Versuch einer Großen Koalition in Deutschland zu unternehmen.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Ich habe sehr sorgfältig zugehört, was die GRÜNEN und die Partei DIE LINKE im Hinblick auf die noch nicht umgesetzten Forderungen der SPD vorgetragen haben. Ich habe das durchaus mit Interesse und auch mit ein klein wenig Freude gehört, denn das macht deutlich, dass es auch bei der Bundestagswahl 2017 gute Gründe geben wird, die SPD zu wählen.

(Beifall bei der SPD)

Kommen wir aber zu diesem Vertrag und zu dem, was in ihm vereinbart worden ist. Handelt es sich doch um eine ganze Reihe von Dingen, die für diese Stadt und auch für unser Land insgesamt von größter Bedeutung sind.

Eines der großen Themen, das wir in Hamburg mit großem Engagement vorangebracht haben, wird nun auch in Deutschland etwas leichter voranzubringen sein. Wir haben massiv in die Bildung, den Ausbau von Krippen und Betreuungseinrichtungen und die Universitäten investiert. Die Mittel, die die Stadt Hamburg dafür zur Verfügung stellt, sind enorm gesteigert worden; allein 1000 zusätzliche Lehrer sind eingestellt worden, um die Dimension einmal anhand eines Beispiels zu schildern. Das ist natürlich eine große Aufgabe, die nicht nur in Hamburg existiert, sondern in ganz Deutschland. Deshalb ist es richtig, wenn der Bund bei der Verteilung der Steuermittel den Ländern und Gemeinden für diese drei Aufgabenkomplexe etwas mehr Geld zur Verfügung stellt. Natürlich ist es nicht so viel, wie wir uns gewünscht hätten, aber 6 Milliarden Euro, die neu verteilt werden, zusätzliche Investitionen des Bundes in Bildungsaufgaben und für Forschungseinrichtungen in einer Größenordnung von 3 Milliarden Euro sind nicht wenig, und das wird sich positiv auf die Betreuungs-, Bildungsund Schullandschaft in Deutschland auswirken.