Protocol of the Session on November 21, 2007

"Die GAL-Fraktionsvorsitzende Christa Goetsch reagiert darauf mit scharfer Kritik: 'Es ist eine maßlose Schlamperei, dass die Schulbehörde schlichtweg vergessen hat, eine Ausnahmeverordnung für Integrationsklassen zu erlassen.'"

(Beifall bei der SPD und der GAL - Christa Goetsch GAL: Das ist Ihre Aufgabe!)

Liebe Frau Goetsch, wenn hier einer maßlos geschlampt hat, dann waren Sie das. Es ist doch unglaublich, dass jemand Schulsenatorin werden will, die noch nicht einmal Gesetze lesen kann. Denn hätten Sie das gekonnt, Frau Goetsch, dann hätten Sie auch feststellen müssen, dass die Bildungsbehörde gar keine Ausnahmeverordnung erlassen darf; das haben wir hier so beschlossen. Von daher konnte es die Bildungsbehörde nie vorgehabt haben und man kann es ihr auch nicht als Schlamperei vorwerfen, eine solche Ausnahmeverordnung nicht erlassen zu haben.

Wir hatten Ihnen das im Ausschuss erklärt und Sie haben dann vor zwei Monaten einen Antrag zur Änderung des Schulgesetzes eingebracht, damals zunächst von der SPD, in dem die Peinlichkeiten weiter gingen. Der eingereichte Antrag, Herr Buss, war inhaltlich und rechtlich falsch und hätte auch noch katastrophale Folgen gehabt. Inhaltlich war er falsch, weil Sie die integrativen Regelklassen von der Benotung ausnehmen wollten, obwohl diese ohnehin von der Benotung ausgenommen sind; da gab es also gar keinen Regelungsbedarf. Rechtlich war er falsch, weil Sie die integrativen Regelklassen ins Schulgesetz hineinschreiben wollten, obwohl das bekanntermaßen bei einem Schulversuch nicht geht. Und Ihr Gesetzesentwurf hätte katastrophale Folgen gehabt, weil er dazu geführt hätte, dass alle Schülerinnen und Schüler in Sonderschulen und alle Kinder mit Förderbedarf in Regelklassen plötzlich zwangsweise hätten benotet werden müssen. Ihr vorgelegter Antrag war eigentlich das Gegenteil von dem, was Sie bezwecken wollten.

Die GAL hat das Gott sei Dank noch rechtzeitig gemerkt und einen Tag vor der Septembersitzung flatterte uns eine Neufassung ins Haus. Aber auch da haben Sie es in gemeinsamer Anstrengung leider nicht geschafft, …

(Zuruf von Wilfried Buss SPD)

- das möchten Sie nicht hören, Herr Buss, das verstehe ich, aber es ist leider die Historie -, einen einwandfreien Antrag zu formulieren. Von daher haben wir ihn abgelehnt.

Gerne hätte ich das mit Ihnen im September diskutiert, aber Sie waren nicht da, Herr Buss.

(Michael Neumann SPD: Oh, oh, Sie hätten sich ja zu Wort melden können! - Wilfried Buss SPD: Ja, ja, ja!)

Anstatt nun heute mit einer korrigierten Neufassung zur Änderung des Schulgesetzes zu kommen - die hätten Sie heute vorlegen können, das wäre auch richtig gewesen -, hatten Sie einen juristisch sehr originellen Einfall. Die Bürgerschaft möge beschließen, dass der Senat doch bitte ein Gesetz nicht anwende. Ich habe immer gedacht,

unsere Aufgabe im Parlament sei es, Gesetze zu machen und dann den Senat zu kontrollieren, dass er sie auch einhält. So haben mir das zumindest meine sozialdemokratischen Politiklehrer einmal erklärt, Herr Piske zum Beispiel, Sie kennen ihn sicherlich.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Oh Gott, den hattest du als Lehrer! - Michael Neumann SPD: Gesamt- schule bestimmt!)

- Der hat mir das erklärt -. Wir machen die Gesetze und kontrollieren, dass der Senat sie einhält und fordern den Senat nicht auf, Gesetze nicht einzuhalten; das halte ich für geradezu absurd.

(Beifall bei der CDU)

Kommen wir zum eigentlichen Punkt, wie wir inhaltlich mit der Frage umgehen. Manche von Ihnen behaupten ja, unterschiedliche Zeugnisse würden die Integration zerstören. Ich habe viele Gespräche mit Eltern geführt und die machen sich zum Beispiel sehr viele Sorgen über Klassenreisen zum Surfen, über gemeinsame Crossläufe, die aus ihrer Sicht die Integration zerstören, wenn ihre Kinder am Rand stehen und nicht mitmachen können. Es zerstört die Integration nachhaltig - das kann ich mir auch sehr lebhaft vorstellen -, wenn Kinder bei gemeinsamen Erlebnissen nicht mitmachen können.

Bei den Zeugnissen wird auch gerne etwas Falsches behauptet. Da steht zum Beispiel auf einer Homepage, wir würden den Eltern der nicht behinderten Kinder die differenzierten Lernentwicklungsberichte vorenthalten; das ist natürlich Unsinn. Wir haben die Lernentwicklungsberichte nicht abgeschafft, sondern sie in den Klassen 3 und 4 um Noten ergänzt. Diese Noten können, auch das wird gerne falsch dargestellt, von den Schulen selbstverständlich auch den behinderten Schülerinnen und Schülern gegeben werden, sodass es dann gar nicht zu Unterschieden kommen würde, und das ist in vielen Bereichen auch möglich. Aber es gibt selbstverständlich Fälle, in denen eine Notenvergabe im individuellen Fall nicht sinnvoll ist oder wo sie nicht in allen Fächern sinnvoll und möglich ist.

Die Frage der Integration, der wir uns heute stellen, scheitert daran jedenfalls nicht. So wurden etwa in den Integrationsklassen der weiterführenden Schulen in Hamburg in der Vergangenheit durchaus Noten gegeben. Ich habe auf der Homepage der Gesamtschule Eppendorf dazu eine interessante Begründung gefunden:

"Eine Leistungsbewertung in einer Integrationsklasse [muss] auf das entsprechende Kind bezogen sein. Das erfordert individuell formulierte Rückmeldungen bei Klassenarbeiten und in Berichtszeugnissen. Doch in einer Gesellschaft, in der der Leistungsgedanke heute wieder stärker in den Mittelpunkt rückt, ist das eine Gradwanderung zwischen verschiedenen wichtigen Prinzipien. Daher haben wir an der GSE uns dafür entschieden, in der 5. und 6. Klasse klare Berichtszeugnisse zu erteilen, ab Klasse 7 aber Notenzeugnisse auszugeben. Für Kinder mit Förderstatus können wir aber bis zum Schluss Berichtszeugnisse ohne Noten erteilen."

Herr Buss, über den Zeitpunkt für Notenzeugnisse in Integrationsklassen kann man gerne unterschiedlicher Meinung sein, weil man bei dieser Gratwanderung, die dort beschrieben wurde, unterschiedliche Schwerpunkte

setzt. Aber Notenzeugnisse stehen offensichtlich nicht im Gegensatz zum Integrationsgedanken, denn sonst dürfte man auch in den Klassen 7 und 8 keine Noten geben, auch nicht an der Gesamtschule in Eppendorf.

Ich bin der Meinung - und das ist der Grund, warum wir immer für Noten plädiert haben -, dass Noten auch zur Einordnung von Lernentwicklungsberichten sehr hilfreich sein können, gerade auch für Eltern, die der deutschen Sprache oder auch nur der deutschen Zeugnissprache nicht so mächtig sind, damit sie die Berichte der Lehrer entsprechend einordnen können.

Das gilt natürlich um so mehr, als Sie, die Sie immer für mehr Berichtszeugnisse und gegen Noten plädiert haben, in Hamburg niemals irgendeine Qualitätsoffensive gestartet und dafür gesorgt haben, dass Hamburgs Lehrer irgendwann einmal einheitlich nach Standards ausgebildet werden, wie man eigentlich Lernentwicklungsberichte schreibt. Von daher haben wir eine unglaublich heterogene Qualität, was die Lernentwicklungsberichte in Hamburg anbelangt, und das ist natürlich eines der Probleme.

(Beifall bei der CDU)

Trotzdem wissen wir, obwohl wir Noten als notwendige Ergänzung zu den Lernentwicklungsberichten haben wollen, dass natürlich auch die Noten ihre Schwächen haben neben ihren Stärken. Deshalb liegt die Zukunft in einer anderen Form von Leistungsbeschreibung, in der genauen Messung oder Darstellung von Kompetenzen; diese Entwicklung beobachten wir bundesweit. Mit der Einführung von Bildungsstandards durch die Kultusministerkonferenz werden erreichte Kompetenzen künftig der zentrale Bezugspunkt von Leistungseinschätzungen. In den Schulen sind hierzu Kompetenzraster zu entwickeln, die für Eltern, Lehrer und Schüler transparent machen, welche Kompetenzen zu erwerben sind, welche Kompetenzen ein Kind bereits erworben hat und was die nächsten Kompetenzen sind, die ein Kind erwerben kann.

In Hamburg haben sich einige Schulen schon auf diesen Weg gemacht, ein sehr mühevoller Weg, der mit hohem Engagement und im Moment noch mit viel Suchen verbunden ist, der überall in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt. Ich habe aber den Eindruck, dass in Hamburg in vielen Schulen und gerade auch in den Schulen mit Integrationsklassen eine hohe Bereitschaft besteht, über Kompetenzraster zu innovativen Formen der Leistungseinschätzung zu kommen. So weit waren wir vor zwei, drei Jahren noch nicht, aber auch die bundesdeutsche Diskussion ist weiter gegangen. Wir haben in Hamburg inzwischen erste Erfahrungen gemacht, aber wir hätten unter normalen Gesichtspunkten dieses Thema heute noch nicht gestartet. Dieses Thema hätte aus meiner Sicht stattdessen mit etwas mehr Vorlauf in der nächsten Legislaturperiode gestartet werden sollen. Aber aufgrund der Wünsche der Eltern und der Schulen haben wir uns entschieden, schon jetzt mit Schulversuchen zu Kompetenzrastern zu starten, was natürlich für die Schulen mit einem entsprechenden Aufwand verbunden ist, weil diese entsprechend entwickelt werden müssen.

Wir wollen daher den Senat heute bitten, einen solchen Schulversuch zu starten, der es Schulen auf freiwilliger Basis und unter wissenschaftlicher Begleitung ermöglicht, statt auf Noten auf innovative Formen der Kompetenzmessung und der Kompetenzbeschreibung zu setzen. Es ist klar, dass diese Kompetenzbeschreibungen so gestaltet sein müssen, dass sie eine Entscheidung über die

weitere Schullaufbahn begründen. Es ist kein Zurück zum Larifari, sondern es sind klare Rückmeldungen, viel klarere, als sie heute durch Noten gemacht werden können, und damit können wir in Hamburg auch Vorreiter für Deutschland werden.

Trotzdem wollen wir bei dieser Gelegenheit den Schulen noch an einer weiteren Stelle größere Freiheiten einräumen. Sie wissen, dass wir im Jahr 2006 den Schulen bereits die Möglichkeit gegeben haben, in der Sekundarstufe I Halbjahreszeugnisse durch Zielklärungsgespräche, durch Lernentwicklungsberichte und durch Lernvereinbarungen mit Schülern und Eltern zu ersetzen. Wir haben das in der Grundschule nicht gemacht, weil es für die Klassen 1 und 2 kein Thema ist und wir in Klasse 4 diese Halbjahreszeugnisse mit Noten für die weitere Schullaufbahn für sehr relevant halten. Aber in Klasse 3 besteht natürlich dieser Zusammenhang nicht und von daher wollen wir in Klasse 3 diese zusätzliche Freiheit einräumen.

Man sieht, dass die Diskussion um Notenzeugnisse und Lernentwicklungsberichte eigentlich eine Diskussion der Vergangenheit ist. Sie wird sich spätestens dann erledigt haben, wenn wir auf dem noch vor uns liegenden Weg zu Kompetenzmessungen und -beschreibungen ein deutliches Stück vorangekommen sind. Ich stehe in engem Kontakt mit der Elternkammer, auch mit dem Vorsitzenden der Elternkammer zu diesem Thema. Die sehen auch, dass dieser Schritt, den wir heute gehen, ein Schritt in die richtige Richtung ist.

Die Diskussion um die Frage, ob man wirklich Leistung will, ob man auch zu Leistung steht, werde ich Ihnen hingegen nie ersparen und die werden wir immer wieder mit Ihnen führen. Ich fand es in der gesamten Debatte rund um Integrationsklassen sehr kontraproduktiv, wenn mich Briefe erreichen, in denen wenig zum Thema Integration gesagt wird, aber gegen das "ideologisch festgefahrene Leistungsdenken" der Bildungsbehörde gewettert wird oder wenn es heißt, Zensuren seien Quatsch und das sei alles Unsinn.

(Thomas Böwer SPD: Das ist auch Quatsch!)

Das hat nichts mehr mit Sorge um eine bestmögliche Integration von Kindern zu tun, sondern ist genau der Rückfall in eine kuschelpädagogische Rhetorik, die wir in Hamburg über Jahrzehnte gehabt haben und die uns genau dahin gebracht hat, wo Sie uns 2001 die Schulen hinterlassen haben. - Danke.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Buss.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Heinemann, ich bleibe ganz bewusst nicht bei Ihrem Stil und weiß auch, dass es Ihnen schwerfällt, sich in einer fachlichen Debatte zu all den Punkten zu bekennen, auch wenn es Ihnen heute, das will ich anerkennen, gelungen ist, diskutable Argumente für Ihren Zusatzantrag vorzubringen.

(Harald Krüger CDU: Sehr großzügig!)

Herr Heinemann, es macht sich immer gut, grinsend auf dem Podium zu stehen und zu wissen, dass man den gesamten Sachverstand der Behörde hinter sich hat und jederzeit auf irgendwelche Schulrechtler zurückgreifen

kann, die sagen, da und da ist ein Kinken in der entsprechenden Vorlage. Wenn man in der Sache wirklich ein Interesse an einer Änderung des Schulgesetzes hat, dann ist es doch kein Problem, einen Antrag der Opposition, der in der Sache zwar richtig, in einigen Punkten aber für die Schulrechtler diskutabel ist,

(Bernd Reinert CDU: Indiskutabel war das! - Robert Heinemann CDU: Unsinnig!)

an den Schulausschuss zu überweisen, Herr Reinert, und es entsprechend zu korrigieren. Dann kommt es aus dem Ausschuss zurück und es erfolgt bei einer Gesetzesänderung normalerweise eine Lesung im Parlament.

Das eigentliche Thema ist in der Tat, warum plötzlich in den Integrationsklassen Noten erteilt werden sollen. Diejenigen, die schon länger dabei sind, wissen, dass es seit 1984, also seit fast 25 Jahren, zahlreiche Elterninitiativen gegeben hat, die erreicht haben, dass behinderte Kinder nicht mehr an einer Sonderschule eingeschult werden, sondern zumindest ihre Grundschulzeit gemeinsam mit nicht behinderten Kindern in einer Grundschule ihrer Region absolvieren können. Das ist ein großer Fortschritt und Hamburg ist bundesweit dafür gelobt worden, dass man unter der SPD-Regierung diese Möglichkeit eingeräumt hat.

(Beifall bei der SPD)

In der weiteren Arbeit dieser Integrationsklassen, wie sie dann genannt wurden, führte die allgemeine Diskussion über die Zensierung zu der Erkenntnis, dass eine erfolgreiche integrative Arbeit nur dann möglich ist, wenn man die notwendige Beurteilung der schulischen Leistung nicht in Noten, sondern in Berichtszeugnissen vornimmt. Seit über 20 Jahren wird nun so verfahren und Hamburg wurde wiederum bundesweit als Beispiel genommen, diesen neuen Weg so zu gehen. Niemand von den Eltern ist gezwungen, sein Kind in einer Integrationsklasse anzumelden. Deshalb war es auch, Herr Heinemann, unter den Eltern dieser Klassen immer ein Konsens, dass das Prinzip der Berichtszeugnisse einen wesentlichen Gesichtspunkt der wirklichen Integrationspädagogik ausmacht. Niemand wird ausgegrenzt, alle Kinder sind als Menschen gleichwertig und deshalb bekommen alle ein in der Form gleiches Zeugnis, das selbstverständlich aber in der Beschreibung der individuellen Leistungen höchst unterschiedlich ausfällt. Das ist der wahre Kern von Integrationspädagogik.

(Beifall bei der SPD und bei Christiane Blömeke GAL)

Nun kam Herr Heinemann und wollte dieses seit über 20 Jahren bewährte Prinzip der Integrationspädagogik aus - Herr Heinemann, ich sage es so deutlich, wie es ist - ideologischen Gründen abschaffen. Sie wollten aus Prinzip eine Leistungsbewertung durch Noten durchsetzen, obwohl Sie wissen, wie wenig objektiv eine Notenvergabe sein kann; das haben Sie gerade noch einmal dargestellt und ich habe es als Lehrer selbst erlebt. Sie wollen aus Prinzip, dass in Integrationsklassen unterschiedliche Zeugnisse ausgegeben werden, eines mit Noten für die nicht behinderten Kinder und ein Berichtszeugnis für die behinderten Kinder. Sie beschämen damit die behinderten Kinder, indem Sie ihnen durch diese unterschiedlichen Zeugnisse eindringlich vor Augen führen: du bist behindert, du bist anders. So kann es doch nicht gehen, denn damit, meine Damen und Herren von der CDU, untergraben Sie aufs Deutlichste den Integrationsgedan

ken, Sie führen ihn ad absurdum.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Mit dieser geplanten Vorgehensweise machen Sie alle Arbeit zugunsten der Eingliederung Behinderter in der Schule zunichte. Dies hat schließlich auch dazu geführt, dass sogar die Bundesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen Ihr Vorgehen scharf kritisiert hat.

(Robert Heinemann CDU: Welcher Partei gehört sie an?)