Protocol of the Session on November 30, 2000

Selbstverständlich muß es belastbares Zahlenmaterial geben, aber wir sollten uns nicht in den Streit zwischen GAL und Behörde einmischen, wieviel Neuerkrankungen es in den vergangenen Jahren gegeben hat.

Es ist klar, daß aufgeklärt werden muß, aber es ist genauso klar, daß diese Auseinandersetzung angesichts der Problematik – gerade vor dem 1. Dezember – nicht im Zentrum der Debatte stehen darf. Im Zentrum der Debatte, das haben wir gerade von Herrn Kretschmann gehört, muß stehen, daß kein Grund für eine Entwarnung besteht, egal wieviel Neuerkrankungen es gibt. Uns muß wesentlich mehr warnen und beschäftigen, daß in der Gesellschaft ein Gewöhnungseffekt einsetzt. Dies scheint nicht nur international der Fall zu sein, sondern dies trifft auch in Hamburg für die Kids, die Jugendlichen, aber auch für die Erwachsenen und vor allen Dingen für die Männer zu. Das ist besonders bitter, weil die zum einen sehr gefährdet sind, aber auch die Ansteckungsgefahr weitergeben. Deshalb ist es an der Zeit, über Kampagnen nachzudenken, wie vermehrt an die Männer heranzukommen ist, damit dieser Gewöhnungseffekt sich nicht weiter durchsetzen kann. Hier muß etwas nach vorne gehen, damit diese Zahlen, wie hoch sie auch immer sein mögen, in Zukunft weiter verringert werden können.

An dieser Stelle ist es richtig, einen Appell an die Medien zu richten, Herr Wersich. Es gibt vielleicht Abnutzungserscheinungen, aber trotzdem sollten Multiplikatoren immer wieder darauf hingewiesen werden. Dafür sind Medien nach wie vor ein wichtiges Instrument, und dafür ist es auch notwendig, diese Debatte anhand der tatsächlichen Problematik zu führen, und die ist weit entfernt davon, im Zentrum keine Zahlen stehen zu haben. Im Zentrum muß stehen: Es gibt keine Entwarnung in dieser Stadt, es gibt einen Gewöhnungseffekt, der ganz fürchterlich ist und gegen den wir alle gemeinsam angehen müssen, auch von diesem Haus aus.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt Senatorin Roth.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Unabhängig davon, wie hoch die Zahl der Aidskranken und der HIV-Infizierten in unserer Stadt ist, es gibt keine Entwarnung und keinen Anlaß dafür, daß wir um Zahlen streiten. Es geht darum, die Dimension dieses Themas richtig im Blick zu haben.

Herr Kretschmann hat darauf hingewiesen, daß Aids und HIV-Infektion zuallererst ein Problem der afrikanischen und asiatischen Staaten ist, die in einer ganz anderen Größenordnung, und zwar mit 10 Prozent der Bevölkerung, von dieser Krankheit betroffen sind. Das ist eine weitaus höhere Zahl, als wir sie hier haben. Es ist gut, daß es bei uns besser ist, aber die Dimension der Krankheit ist bedrückend.

33,6 Millionen Menschen – eine unglaubliche Zahl – sind auf dieser Welt an Aids erkrankt oder tragen den Virus in sich, und wir streiten über die Ziffer hinter dem Komma. Dazu kann ich gleich noch etwas sagen.

Mir geht es aber zunächst um die politische und die gesundheitspolitische Dimension. Während die Menschen in diesen Ländern keine Chancen haben, eine Therapie zu erhalten, ist es uns aufgrund aktiver Forschung Gott sei dank gelungen, daß Aidserkrankte durch Therapien größere Überlebenschancen als noch vor einigen Jahren haben.

Herr Wersich und Herr Kretschmann, ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, Information und Prävention sind außerordentlich wichtig, und wir müssen uns überlegen, wie wir das in Hamburg modernisieren, um diese Zielgruppen weiter zu erreichen.

Wir haben in den letzten zwei Jahren eine aus meiner Sicht sehr erfolgreiche Kampagne für die Zielgruppe Jugendliche gemacht. Sie trug den provokanten Titel „Besser drauf“, nämlich besser ein Kondom „drauf“ und auch noch besser in der Liebe „drauf“. Wir haben diese Aktion an Schulen mit Schülern und Lehrern erfolgreich durchgeführt.

Es ist bedauerlich, wenn diese Aktion in der Stadt nicht ausreichend wahrgenommen wird, weil sie dazu führen soll, genau diese Zielgruppe zu erreichen, die mehr als andere gefährdet ist. Es besteht bei Jugendlichen und insbesondere bei Männern die Tendenz, in der Prävention nachzulassen, weil sie glauben, das Thema wäre überwunden.

Ich stimme Ihnen zu, Herr Wersich, wenn Sie sagen, der Tourismus sei eine neue Infektionsquelle, die von den Männern auf die Frauen überspringt. Wir können aus den neuesten Berichten zu Aids und HIV-Infektion entnehmen, daß viele Ansteckungen von Frauen dadurch geschehen, daß die Krankheiten über den Tourismus eingeführt werden.

Deshalb haben wir im Bernhard-Nocht-Institut, Zentrum für Reisemedizin, einen besonderen Schwerpunkt gebildet, um über die Aidsgefahren beim Tourismus aufzuklären. Das hören manche Leute nicht gerne, aber das ist sehr wichtig und notwendig.

Nun noch eine kleine Anmerkung zu den Zahlen. Herr Müller, ich habe versucht – ich weiß nicht, ob es Sie erreicht hat –, deutlich zu machen, daß Sie in der Pressekonferenz Zahlen genannt haben, ohne offensichtlich das Kleingedruckte gelesen zu haben. Aber bei Statistiken gilt immer, daß man nicht nur die Statistik liest – nämlich die großen Balken und die kleinen Zahlen –, sondern auch die Anmerkungen, die etwas ganz Wichtiges mitteilen. Wenn beispielsweise auf der einen Seite die Zahl von 1422 gemeldeten Fälle steht, die nach Ländern registriert sind, und weiter unten die Zahl von 2560 Fällen genannt wird, die nicht zugeordnet werden konnten, weil die Postleitzahlen nicht bekannt waren, müßte jedem kleinen Mathematiker klar sein, daß am Ende eine andere Zahl herauskommt, wenn er diese Zahlen addiert. Das nur zu dem Thema Statistik.

Ich will mich damit nicht länger aufhalten, mir kommt es darauf an zu sagen, was wir im Rahmen unseres Landesprogramms 2001 für Aidsprävention und HIV-Prävention tun. An erster Stelle ist zu nennen, daß wir in der Versorgung einen großen Fortschritt gemacht haben. Wir haben die HIV-Ambulanzen stabilisiert und die Qualität der Versorgung verbessert, so daß diejenigen, die bereits an Aids

erkrankt sind, besser mit ihrer Krankheit umgehen können. Außerdem haben wir die Präventions- und Aufklärungsarbeit zielgruppenspezifischer gemacht. Wir haben in Hamburg durch unsere Forschungstätigkeit weltweit dazu beigetragen, daß das Thema Aids nicht nur diskutiert, sondern die Bekämpfung der Krankheit realistisch möglich wird. Es ist uns zum Beispiel im Bernhard-Nocht-Institut gelungen – es gab internationale Preise und Auszeichnungen –, die Viruskrankheit genauer zu spezifizieren und darüber hinaus auch beim UKE Therapieformen zu entwickeln.

Weiterhin gibt es eine Reihe von Informationsstellen, wie beispielsweise das Magnus-Hirschfeld-Zentrum, das für bestimmte Zielgruppen tätig ist, aber auch andere Organisationen in Hamburg, bis hin zur Sterbebegleitung im Hospizbereich.

Darüber hinaus werden wir in der dritten Welt helfen, insbesondere in Ghana, wo diese Krankheit sehr ausgebreitet ist. Aufgrund unserer Kooperation wurde durch das Bernhard-Nocht-Institut in Kumasi eine Forschungsstation eingerichtet. Wir werden gemeinsam mit der ghanaischen Regierung dazu beitragen, daß wenigstens in einem afrikanischen Land geholfen wird, so daß es beispielhaft für andere afrikanische Länder sein kann. Wir werden auf jeden Fall im Rahmen unseres Landesprogramms 2001 weitermachen.

Es geht darum, gemeinsam die Verantwortung dafür zu übernehmen, was hier im Land geschieht, nämlich mehr Prävention, mehr Aufklärung, mehr Information und darüber hinaus auch mehr internationale Solidarität durch Kooperation im Rahmen der Wissenschaft. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Müller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist unverantwortlich, wenn man nicht zur Kenntnis nimmt, daß der Senat selbst gesagt hat, daß die Zahlen des Robert-Koch-Instituts nicht stimmen. Das RobertKoch-Institut sagt das übrigens selbst.

Es ist verantwortlich, wenn wir uns Gedanken über die Hamburger Situation machen.

(Uwe Grund SPD: Das war einfache Effekthasche- rei!)

Das ist keine Effekthascherei, es geht darum, eine gute Politik zu machen. Wenn Herr Wersich sagt, daß wir die Aufklärungsarbeit optimieren wollen, müssen wir wissen, was in dieser Stadt los ist.

Frau Roth, es stimmt nicht, daß ich angeblich keine Statistiken lesen kann. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Tabellen, die Sie an die Bürgerschaft gegeben haben, gar keine Fußnoten enthalten. Aus diesem Grunde haben sie zu vielen Interpretationen geführt. Ich wäre an Ihrer Stelle in Zukunft vorsichtig. Die Fußzahl auf der Tabelle des Robert-Koch-Instituts habe ich sehr wohl gelesen, aber weder die eine noch die andere Zahl stimmt für Hamburg. Ich wünsche mir, daß wir daraus lernen und in Hamburg die Laborberichtspflicht besser durchsetzen. So könnten wir bald eine gesicherte Erkenntnis darüber haben, was in der Stadt wirklich los ist, damit wir uns nicht in Schätzungen und reinen Vermutungen erschöpfen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Dann lasse ich über den Überweisungsantrag abstimmen. Wer die Drucksache 16/4962 an den Gesundheitsausschuß überweisen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Dann ist dieses einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: Drucksache 16/4736: Große Anfrage der CDU-Fraktion zur Wettbewerbsverzerrung durch öffentliche Unternehmen.

[Große Anfrage der Fraktion der CDU: Wettbewerbsverzerrungen durch öffentliche Unternehmen – Drucksache 16/4736 –]

Wird das Wort gewünscht? – Das ist der Fall. Die Abgeordnete Ahrons bekommt es.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Hamburg verfügt insgesamt über 374 unmittelbare und mittelbare Unternehmensbeteiligungen, beschäftigt 46 000 Arbeitnehmer und subventioniert seine öffentlichen Unternehmen trotz der katastrophalen Haushaltslage – allein in diesem Haushaltsjahr – mit rund 500 Millionen DM.

Stolz hat der Senat im Frühjahr sich in seinem 4. Beteiligungsbericht präsentiert und darin eine Erfolgsbilanz gezogen. Vor dem Hintergrund der eingangs genannten Zahlen hätten aber vielmehr die Rathausglocken Alarm schlagen müssen.

Während bundesweit die Zeichen auf Privatisierung und schlanker Staat stehen, unterhält der Senat auf Kosten des Steuerzahlers ein unflexibles, kostenintensives staatliches Firmenimperium, das in Deutschland ohne Beispiel ist.

In der Antwort auf unsere Große Anfrage lesen wir wiederum von einem Erfolg der öffentlichen Unternehmen und davon, daß sie ausschließlich staatlichem Interesse dienen und der Privatwirtschaft keineswegs Konkurrenz machen.

Die Realität allerdings sieht anders aus. Bundesregierung, Europäische Kommissionen, Wirtschaftsminister der Länder sind sich grundsätzlich einig. Sie alle kritisieren die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand als ordnungspolitisch verfehlt und wettbewerbsverzerrend.

Die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder hat auf ihrer Frühjahrstagung – bei Enthaltung Hamburgs, weil Hamburg meint, es treffe auf unsere Stadt nicht zu – in einem Beschluß festgehalten, daß in Kommunen – und Hamburg ist sowohl Kommune als auch Bundesland – kommunale Unternehmen vermehrt in Konkurrenz zu wirtschaftlichen Privatunternehmen treten und dadurch vor allem kleine und mittlere Unternehmen verdrängen und Arbeitsplätze gefährden. Generell soll nach dem Willen der Wirtschaftsminister der Länder die Privatwirtschaft stets Vorrang haben. Nur für Hamburg soll dies alles nicht gelten, wie uns der Senat in seiner Antwort zu erklären versucht. Hamburg hätte kein mit einem Flächenstaat vergleichbares kommunales Wirtschaftsrecht, lautet die lapidare Antwort des Senats. Leider, denn in Hamburg ist alles noch viel schlimmer. Der Handlungsbedarf ist um ein Vielfaches größer.

Die hamburgischen öffentlichen Unternehmen sind nicht so leistungsstark, wie der Senat es immer behauptet. Ein Paradebeispiel dafür ist die vorhin schon erwähnte STEG. Für die Existenz der STEG fehlt nicht nur die haushaltsrechtliche Voraussetzung, sondern die Leistungen der

(Senatorin Karin Roth)

STEG sind auch noch teurer als die der privaten Anbieter – letztendlich wieder auf Kosten des Steuerzahlers.

Außerdem stünden die Hamburger öffentlichen Unternehmen mit ihrer Aufgabenstellung generell nicht in Konkurrenz zu Unternehmen der Privatwirtschaft. Aber was tut die STEG, wenn wir bei diesem Beispiel bleiben wollen? Die STEG arbeitet als Projektmanager, als Stadtteilsanierer, als Gebäudemanager, wie viele andere Stadtplanungsingenieur- und Immobilienverwaltungsbüros auch.

Fast alle öffentlichen Unternehmen sind – abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen – in privatwirtschaftlich orientierten Geschäftsfeldern tätig. Wenn die öffentlichen Unternehmen in privatwirtschaftlich orientierten Geschäftsfeldern tätig sind, dann stehen sie automatisch im Wettbewerb zur Privatwirtschaft. Hier widerspricht sich der Senat in seiner Antwort, wenn er später einräumt, daß es doch eine Konkurrenzsituation zum Handwerk und zu mittelständischen Gewerbetreibenden gibt. Von dieser Konkurrenz sind in Hamburg zahlreiche mittelständische Unternehmen direkt betroffen.

Der Konkurrenzdruck nimmt zu, da die öffentlichen Unternehmen sich auf den politischen Druck hin zur Verbesserung der Ertragslage immer neue Geschäftsfelder erschließen, um dort zusätzliche Umsätze zu erlangen.

Aus ordnungspolitischen Erwägungen lehnt die CDU diese Wirtschafts- und Beteiligungspolitik des Senats grundsätzlich ab.

(Beifall bei der CDU)

Die überwiegenden Teile der öffentlichen Unternehmen übertragenen Aufgaben sind in der Mehrheit vollständig zu privatisieren, wobei wir, wenn wir von Privatisierung sprechen, die echte, materielle Privatisierung vor Augen haben.

Anstatt konsequent Aufgaben zu privatisieren und Beteiligungen zu verkaufen, schädigt der Senat mit seinen öffentlichen Unternehmen durch Wettbewerbsverzerrungen die private Hamburger Wirtschaft. Immer wenn ein öffentliches Unternehmen privatwirtschaftlich tätig wird, führt dies zwangsläufig zu einem unfairen Wettbewerb zu Lasten der Privatwirtschaft.

Über diesen unfairen Wettbewerb hat die Monopolkommission in ihrem 11. Hauptgutachten 1995 berichtet: