Protocol of the Session on November 29, 2000

BSE – Wie schützen wir die Verbraucher in Hamburg?

Von wem wird das Wort gewünscht? – Herr Schmidt hat es.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bis zur letzten Woche war kein einziger BSEFall an deutschen Rindern bekannt. Die Nachrichten aus Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt haben über Nacht die Republik bestürzt gemacht und aufgeschreckt. Deutsches Rindfleisch ist nicht mehr sicher, und es kann nicht ausgeschlossen werden, daß wir noch weitere BSE-Fälle finden werden. Über das Ausmaß des Problems kann man heute noch keine seriöse Prognose abgeben.

BSE-verseuchtes Fleisch wird für die Infektion von Menschen mit einer tödlich verlaufenden neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit verantwortlich gemacht. Am stärksten verbreitet ist BSE in Großbritannien, wo die Krankheitserreger wegen nicht ausreichender Desinfektion bei der Herstellung von Tiermehl aus den Abfällen erkrankter Schafe entstanden sein sollen. Es ist schon eine Perversion, Wiederkäuern tierische Nahrung zukommen zu lassen und dann noch entsprechenden Abfall,

(Beifall bei Antje Möller GAL)

dies nicht nur aus gesundheitlichen Aspekten, wie wir schon länger wissen, sondern auch aus ethischen Gründen.

Mehr Klarheit über die Situation in Deutschland werden wir erst dann haben, wenn die Länder über mehrere Monate hinweg getestet haben.Letzte Sicherheit bedeutet das aber auch nicht, denn wir wissen immer noch zu wenig über die möglichen Übertragungswege.

Alles hat seinen Preis – früher oder später. Manchmal ist billig langfristig doch zu teuer. Das erleben wir gerade im Fall BSE, wo Landwirte und Verbraucher jetzt die Zeche auch dafür zahlen, daß um jeden Preis die Produktionskosten für Rindfleisch sinken sollten. Tiermehl wurde verfüttert, weil es billiger als andere Futterarten ist. Dafür wurde das BSE-Risiko in Kauf genommen. Jetzt wird es teurer für alle.

Am billigsten aber ist die Reaktion der Union. Statt gemeinsam zu lernen, gibt es jetzt primitive Schuldzuweisungen von Laurenz Meyer, ihrem neuen General mit seinen

(Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit)

Profilierungsversuchen, sowie von Stoiber, als wäre die bayerische Landesregierung in der Vergangenheit in Sachen BSE nie an einer Entscheidung beteiligt gewesen. Das ist wirklich zu simpel, um nicht gemerkt zu werden.

(Zuruf von der CDU)

Dazu antworte ich Ihnen gern. Betrachten Sie die Vergangenheit aus den neunziger Jahren, als die alte Kohl-Regierung die BSE-Gefahr permanent verharmlost hat. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, meine Damen und Herren, als es in England epidemische Auswüchse gegeben hat. Deswegen sollte sich die CDU lieber mit ihrer Polemik zurückhalten.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der GAL)

Fakt ist, daß die rotgrüne Bundesregierung das Heft des Handelns unter den schwierigen Gegebenheiten in der Hand hat, denn die Tiermehlverfütterung wird es ab kommendem Wochenende nicht mehr geben. Die Schnelltests werden ausgeweitet, und die Forderungen auf EU-Ebene nach einheitlichem Vorgehen werden forciert. Auf der Regierungskonferenz in Nizza wird es sicherlich Gelegenheit für zunächst informelle Gespräche geben. Aber – auch das gehört zur Wahrheit – auf absehbare Zeit wird keine hundertprozentige Sicherheit garantiert werden können.

Wir, meine Damen und Herren, von der SPD-Fraktion, nehmen die Forderung der Verbraucher-Zentrale in Hamburg sehr ernst. Die SPD-Fraktion ist mit ihr in folgenden Punkten einig: vollständiges Verbot der Verfütterung von Tiermehl in ganz Europa sowie verpflichtende BSE-Schnelltests für alle geschlachteten Rinder in ganz Europa.Bei dieser Gelegenheit begrüßen wir ausdrücklich die schnelle Reaktion der BAGS, daß das Hygiene-Institut in Hamburg in kürzester Zeit in der Lage sein wird, ebenfalls Schnelltests durchzuführen.Des weiteren wird der BSE-Forschung eine höhere Priorität eingeräumt, und es werden für sie sicherlich mehr Mittel bereitgestellt werden, denn allein mit Tests ist es nicht getan.

Die Hamburger SPD steht ausdrücklich zur gestrigen Einigung in Berlin zum Verbot des Tiermehls. Im übrigen hatte dies der Kanzler bereits am Ende des EU-Balkan-Gipfels in Zagreb am 24.November – darauf lege ich sehr viel Wert –, also vor dem Bekanntwerden der beiden BSE-Fälle in Deutschland, angekündigt. Danach wird das Verbot der Verfütterung von Tiermehl jetzt per Gesetz geregelt.

Lassen Sie mich die Position der SPD soweit zusammenfassen:

Erstens: Wir müssen alles tun, um die Menschen vor der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu schützen. Die Verwendung von Tiermehl zur Ernährung von Nutztieren, die sich normalerweise von Pflanzen ernähren, bringt generell Probleme mit sich.

Zweitens: Die Gesundheitsvorsorge steht bei der Abwägung dieses schwierigen Probleme ohne Einschränkung ganz obenan. Die damit verbundenen ökonomischen und entsorgungstechnischen Probleme müssen wir so rasch wie möglich lösen.

(Glocke)

Drittens, und damit komme ich zum Schluß: Die langfristig erfolgversprechendste Maßnahme wäre eine Wende in der Agrarpolitik, also eine stärkere Förderung artgerechter und ökologisch orientierter Tierhaltung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Frau Jürs.

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Das Horrorszenario des BSE greift um sich, jeden Tag gibt es neue Schreckensmeldungen. Seit Jahren fühle ich mich wie der einsame Rufer in der Wüste.Ich bin tief betroffen, daß wir uns erst heute – 14 Jahre zu spät – Gedanken über den Schutz der Verbraucher vor BSE machen.

Man erinnert sich, daß noch am vergangenen Mittwoch Landwirtschaftsminister Funke, SPD, behauptete, „unser Fleisch ist sicher“.

(Ole von Beust CDU: Wie die Renten!)

Er sprach im Zusammenhang mit BSE von politischem Aktivismus und dem ökonomischen Schaden für die Landwirte und Tiermehlproduzenten.

(Mehrere Zurufe von der SPD und der GAL)

Darüber macht man keine Witze.

(Beifall bei der CDU – Dr. Monika Schaal SPD: Was hat denn Herr Seehofer gemacht?)

Am Montag dieser Woche setzte er sich noch dafür ein, daß die Bauern ihr vorhandenes Tiermehl verfüttern sollten. Ihm danken wir es, daß die Tiermehlverfütterung nicht sofort gestoppt wurde, sondern erst ein Gesetz in Kraft treten muß, das frühestens am Montag umgesetzt werden kann. Dieser Minister ist untragbar.

(Beifall bei der CDU)

An dieser Stelle sei auch noch einmal der ethische Gesichtspunkt eingebracht.

(Antje Möller GAL: Wo war der denn vor 14 Jah- ren?)

Ist es nicht Kannibalismus, wenn wir unseren Wiederkäuern Tiermehl vorsetzen? Greift da die Ansicht von Wissenschaftlern, daß die Verfütterung von Tieren an Tiere Erreger überhaupt erst so aggressiv machen und daß bedingt durch die nicht artgerechte Massentierhaltung beispielsweise BSE-Erreger sich explosionsartig unter allen Nutztieren ausbreiten?

Als im Juni dieses Jahres das Ergebnis einer Risikostudie vorlag, die die EU in Auftrag gegeben hatte, daß Deutschland ebenso wie Frankreich in die Risikogruppe 3 einzustufen sei, wurde dies von Deutschlands oberstem Veterinärbeamten, Dr. Werner Zwingmann, als rein spekulativ abgetan. Aber nicht nur im Bund, auch in Hamburg wurde die Gefahr weggeredet.

Als ich im Januar 2000 in die Bürgerschaft nachrückte, stand ich noch unter dem Schock, da ich 1995 eine Bekannte durch die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit verloren hatte. Außer ihr sollen damals in Hamburg noch weitere sechs CJK-Kranke verstorben sein.Eine meiner ersten Anfragen im Februar als Bürgerschaftsabgeordnete bezog sich darauf, wieviel CJK-Todesfälle in Hamburg in den vergangenen Jahren gemeldet wurden;CJK ist meldepflichtig. Die Antwort war erschütternd, weil schlicht unwahr.Im Zeitraum von 1994 bis 1999 gab es angeblich nur zehn Todesfälle, 1998 sollte an dieser Krankheit in Hamburg sogar niemand verstorben sein.Ich arbeite bei meinem Mann im Bestattungsinstitut;wir hatten 1998 drei Tote zu beerdigen, die an der CJK-Krankheit verstorben waren.Wie reimt sich das zusammen?

(Jürgen Schmidt SPD)

Nun kommt also die Wahrheit ans Licht, wie es schon der französische Premierminister Lionel Jospin vermutete. Wenn man in Deutschland die Schlachtrinder mit dem Schnelltest auf BSE untersuchte, würde man auch fündig werden.

Der Schock ist perfekt. Schon unter den ersten 2000 untersuchten Rindern gab es einen positiven Befund.Und der Bauer aus Schleswig-Holstein schwört natürlich Stein und Bein, er habe als Futter nur Gras und Silage und kein Tiermehl verfüttert.

Endlich macht es sich explosionsartig in den Köpfen der SPD-Politiker breit.

(Oh-Rufe bei der SPD)

Was seit 1986 nicht nur in Großbritannien schwelte und lokal vorhanden sein sollte, gibt es auch in Deutschland.

(Dr. Monika Schaal SPD: Wissen Sie denn, wer da an der Regierung war? – Gegenruf von Ole von Beust CDU: Das war vor 14 Jahren! Das hat sie doch gesagt!)

Wer war denn hier von 1988 bis 1993 Gesundheitssenator? Wer hat etwas für Hamburg getan? Wo ist Herr Runde? Das würde mich einmal interessieren?

(Zuruf:Der tut etwas für Hamburg! Und Oh-Rufe bei der SPD)

Wieviel BSE-kranke Tiere in Deutschland unerkannt in die Nahrungskette gelangt sind, kann man sich gar nicht ausdenken. Schockierenderweise hat bereits 1992 die Amtstierärztin Margit Herbst am Schlachthof Bad Bramstedt bei 21 Rindern BSE diagnostiziert, was sie auch durch Aufnahmen belegen kann. Man möge sich das vorstellen. Die Veterinärin, die den Fall an die Öffentlichkeit bringen wollte und für die Verbraucher votierte, wurde vom Dienst suspendiert. Das Thema wurde totgeschwiegen.

(Glocke)