[Antrag der Gruppe REGENBOGEN – für eine neue Linke: Ausweitung der Sozialberichterstattung – Drucksache 16/4536 –]
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! 531.01 – hierhinter verbirgt sich der Haushaltstitel „Aufwendungen für Sozialberichterstattungen“, in dem sich noch eine erhebliche Summe Geld befindet, das ich nun langsam ausgeben möchte. Hinter diesem Titel verbirgt sich folgende Geschichte:
1993 erschien im Rahmen der Beiträge zur Sozialberichterstattung der erste Hamburger Armutsbericht. 1997 folgte der zweite Bericht, der sich schwerpunktmäßig mit Hilfen zur Arbeit befaßte. 1998 brachte die SPD-Fraktion einen Antrag ein, diese Berichterstattung fortzuschreiben, allerdings ohne inhaltliche Vorgaben zu machen. Mittlerweile wurde in der BAGS eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die fleißig an einem Konzept für den dritten Bericht arbeitet. Es wird also langsam Zeit, sich Gedanken über die Ausrichtung des Berichts zu machen.
Die beiden bisher vorgelegten Armutsberichte haben ihren Blick lediglich auf die Empfänger und Empfängerinnen von Sozialhilfe gerichtet. Das lag im wesentlichen daran, daß die Berichte auf der Auswertung der mit PROSA erfaßten Sozialhilfedaten basierten. Es reicht nicht aus, alle paar Jahre einen etwas dickeren Sozialhilfereport zu erstellen, sondern aus Sicht der GAL muß auf Dauer die Sozialberichterstattung qualitativ verbessert werden, so wie es auch die Wohlfahrtsverbände fordern.
Unbeachtet blieben bisher diejenigen Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen ihre Ansprüche auf Sozialhilfe nicht eingefordert haben, das heißt, in sogenannter verdeckter Armut leben. Wir wissen zu wenig darüber, wie viele Menschen in Hamburg von verdeckter Armut betroffen sind, warum berechtigte Ansprüche nicht geltend gemacht werden und wie man diesen Mißstand verbessern kann. Auch fehlen noch aussagekräftige Daten, ob und wie sich ein Zusammenhang zwischen verdeckter Armut und der wachsenden Zahl ungesicherter und geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse ergibt.
Jetzt komme ich an dieser Stelle zum REGENBOGEN-Antrag, der gefordert hat, wir sollten uns noch mehr damit beschäftigen, das Thema Armut trotz Arbeit in die Sozialberichterstattung aufzunehmen. Mir scheint, ihr habt unseren Antrag nicht richtig gelesen, denn hinter dem ersten Spiegelstrich steht, daß modellhaft Untersuchungen über Umfang, soziale Struktur, räumliche Verteilung und Beschäftigungsstatus der Menschen entwickelt werden sollen. Außerdem werden wir demnächst Daten erhalten, weil ihr sicherlich noch in Erinnerung haben müßtet, daß die GAL einen Antrag gestellt hat.
Zumindest gibt es einen GAL-Antrag, sich auch noch einmal dem Bereich Armut trotz Arbeit zu widmen. Der wird vom Senat noch beantwortet werden, und dann wird in dem Bereich auf jeden Fall auch der Datenstand besser sein.
Weil wir hier völlig neue Wege beschreiten, ist es auch für die GAL sehr wichtig, daß dieser Bericht zusammen mit den Wohlfahrtsverbänden, mit kompetenten Armutsforschern und Armutsforscherinnen erarbeitet wird, weil wir einen verdeckten Teil einer gesellschaftlichen Realität erhellen müssen.
Ich sehe nicht, was der REGENBOGEN verlangt, daß die Federführung bei den Wohlfahrtsverbänden liegen sollte.
sich der Armut in Hamburg zu widmen. Die Behörde ist das ausführende Organ, sie ist auch schon bei der Arbeit, und wir sollten uns da auch selbst in die Pflicht nehmen und die Ressourcen der Behörde nutzen.Die Behörde wird mit den Wohlfahrtsverbänden zusammenarbeiten.
Was den Armutsbericht angeht, wird das langfristige Ziel der GAL sein zu versuchen, diese ungerechtfertigten Zugangsbarrieren bei der Sozialhilfe abzubauen, da alle in wirtschaftliche Not geratenen Menschen ein Recht auf Sozialhilfe haben.
Doch der Blick der GAL ist nicht nur auf die verdeckte Armut ausgerichtet, sondern auch auf den Reichtum dieser Stadt. Deutschland ist eines der reichsten Länder dieser Welt. 1998 verfügten rund 44 Millionen Privathaushalte über ein Geldvermögen von 5 Billionen DM. Weil Rotgrün sich einer Politik der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet fühlt, brauchen wir nicht nur einen Armutsbericht, sondern auch einen Reichtumsbericht, wie er auf Bundesebene gerade geplant wird.
Der zweite Hamburger Armutsbericht widmete sich bereits der ungleichen Verteilung von Einkommen, allerdings auf der Grundlage der Lohn- und Einkommensstatistik von 1992. Die derzeitigen Daten über die sich immer mehr spreizende Schere zwischen Armut und Reichtum reichen zur Zeit nicht aus.
Wir müssen noch einmal neue Daten erheben. Bei einem Reichtumsbericht geht es um die Frage der Verteilungsgerechtigkeit, der Chancengerechtigkeit, aber letztendlich auch um die Leistungsgerechtigkeit. Die rotgrüne Regierung in Berlin, aber auch in Hamburg wird sich durch den Armuts- und Reichtumsbericht dieser Fragen annehmen. Dieser Bericht wird eine unverzichtbare Grundlage für die zukünftige Sozialpolitik werden. – Danke.
Franken schon betont – klafft die Schere zwischen Armut und Reichtum in unserer Gesellschaft immer weiter auseinander.Das Anwachsen von Armut, Obdachlosigkeit und Sozialhilfebedürftigkeit ist ein großes Problem für alle Bundesländer.In Stadtstaaten wie Hamburg kann man die Probleme wie unter einem Brennglas gebündelt sehen, denn die großen Städte haben eine hohe Anziehungskraft für Personen, die von Armut und Obdachlosigkeit bedroht sind. Viele hoffen, daß sie in einer Großstadt bessere Aussichten auf eine Anstellung oder ein Auskommen haben.
Die ehemalige Bundesregierung unter dem damaligen Kanzler Kohl hat sich mit den Erscheinungsformen der Armut bundesweit nie ernsthaft befaßt; das Ergebnis wäre ihr wohl zu unangenehm gewesen. Die Daten der Sozialerhebungen hätten kaum mit den beschworenen Entwicklungen zu mehr Arbeitsplätzen und Wohlstand zusammengepaßt. Also hat sie gar nichts getan, lieber nicht hingesehen und weggeguckt.
Die derzeitige rotgrüne Bundesregierung ist Gott sei Dank willens und bereit, sich mit den Realitäten auseinanderzusetzen.Im Januar dieses Jahres hat der Bundestag auf Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen beschlossen, daß nunmehr eine nationale Armuts- und Reichtumsberichterstattung erfolgen solle. Es ist auch für Kommunen und Städte wenig erfreulich, wenn sie sich mit ihren dunklen Seiten befassen müssen. Wegsehen hat allerdings noch nie geholfen, Probleme zu lösen.
Hamburg kann sich zugute halten, daß es nach wie vor vor diesen Problemen die Augen nicht verschließt, sondern immer bemüht war, sie aktiv anzugehen. Um Armut und Obdachlosigkeit bekämpfen zu können, muß man aber erst einmal wissen, wie viele Menschen von ihr denn tatsächlich betroffen sind. Hamburg verfügt schon über eine umfangreiche Sozialberichterstattung. Zu nennen wären der regelmäßig erscheinende Sozialhilfereport der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales oder die Berichte zur Lebenssituation von Behinderten und von Migrantinnen und Migranten mit dem Titel „Alter in der Fremde“. Außerdem gibt es den von Hamburg mitinitiierten Städtevergleich über die Entwicklung von Sozialhilfe. Bereits 1993 und 1997 legte die Hansestadt Hamburg zwei umfassende Armutsberichte über die Situation in unserer Stadt vor. Wir beabsichtigen, die Grundlagen dieser Armutsberichterstattung kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu verbessern. Grundlage für die beiden bisher vorgelegten Armutsberichte waren im wesentlichen die Daten aus der Sozialhilfe, die über das System PROSA erhoben werden; das hat auch Frau Franken schon erwähnt.
Das Problem der verdeckten Armut konnte mit dieser Systematik bisher naturgemäß nicht erfaßt werden. Wenn man von verdeckter Armut spricht, meint man genau die Menschen, die trotz ihres Rechtsanspruchs auf Sozialhilfe diese nicht in Anspruch nehmen oder aus Unwissenheit oder vielleicht auch aus Scham nicht in Anspruch nehmen. Die Nichtberücksichtigung derjenigen, die in verdeckter Armut leben, mindert die Aussagefähigkeit der bisherigen Armutsberichte. Die Erhebung einer aussagefähigen Datensammlung über das Problem der verdeckten Armut wäre also wünschenswert, und zwar selbst dann, wenn diese Datensammlung dadurch umfangreicher würde und komplexer ausfiele als ursprünglich geplant und die Vorlage des dritten Armutsberichts sich auch zeitlich hinauszögern würde. Gleichwohl sind wir bereit, auch diese Verzögerung in Kauf zu nehmen.
In einem 1998 veröffentlichten Forschungsbericht des Instituts für Sozialberichterstattung und Lebenslagenforschung wurden zum ersten Mal konkrete Zahlen zur verdeckten Armut für die Jahre 1991 bis 1995 erhoben. Der Forschungsbericht kommt für das Jahr 1995 zu dem Ergebnis, daß knapp 2,8 Millionen Menschen in der Bundesrepublik in verdeckter Armut leben. Die Quote der verdeckten Armut in der Bevölkerung in Westdeutschland wurde mit 3,2 Prozent der Bevölkerung angegeben. Dieses ist ein guter Grund, die Berichterstattung um diese Datensammlung zu erweitern.
Meine Damen und Herren! Ich bin ziemlich zuversichtlich, daß sich durch die erfreuliche Entwicklung der Konjunktur und die Abnahme der Arbeitslosigkeit herausstellen wird, daß die verdeckte Armut in der Gesellschaft rückläufig ist. Dennoch finde ich den Forschungsbericht von 1995 so beunruhigend, daß die Untersuchung der verdeckten Armut in der Hansestadt Hamburg aufgenommen und Bestandteil des nächsten Armutsberichts werden sollte.Ich bitte daher, dem gemeinsamen Antrag von SPD und GAL zuzustimmen.
Jetzt möchte ich mich noch einmal dem Antrag der Gruppe REGENBOGEN zuwenden. Da habe ich ebenso wie Frau Franken geforscht, was es denn schon an vergleichbaren Anträgen gab, und mir ist ein SPD-Antrag vom 8. Juni 1999 aufgefallen, der sagt: Sozialhilfe trotz Erwerbstätigkeit. Genau diese Dinge, die Sie im ersten Spiegelstrich in Ihrem Petitum wünschen, sind in diesem SPD-Antrag abgefragt. Insofern ist Ihr Antrag damit überflüssig geworden.
Zum zweiten Spiegelstrich Ihres Petitums hat sich Frau Franken geäußert. Ich habe dem eigentlich nur noch hinzuzufügen, daß es ja wohl ein dolles Ding wäre, wenn sich das Parlament hier die Handlungsfähigkeit von den freien Wohlfahrtsverbänden aus der Hand nehmen lassen würde.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Erfreulich ist, daß man immer wieder bei jeder Sitzung der Bürgerschaft etwas lernen kann. So habe ich auch heute bei den Vorrednern gelernt, daß fehlende Kreativität für politische Initiativen und politisches Handeln immer etwas auch mit den schlechten Berichten und fehlenden Angaben zu tun hat, so daß dies oftmals schon als Entschuldigung ausreicht.
Nichtsdestotrotz sind detaillierte Datenerhebungen und Berichterstattungen zur Prävention, Umsetzung und Steuerung effizienter wirkungsvoller Politik wichtige, unverzichtbare und ergänzende Begleitinstrumente. So ist auch das Anliegen einer erweiterten Sozialberichterstattung, insbesondere den Komplex der verdeckten Armut sowie mögliche Wechselbeziehungen, die sich aus einer zunehmenden Zahl ungesicherter und geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse ergeben können, transparenter zu machen,
sicherlich sinnvoll. Aber Datenerhebungen und die Beschreibungen von Problemstellungen und Zusammenhängen sind das eine. Das andere ist sicherlich das, was wir täglich in unserem Lebensumfeld wahrnehmen, und beides gemeinsam bildet die Einheit und die Grundlage des politisch notwendigen Handelns.
Betroffenheitsdebatten, in denen Sie auch heute die Problemstellungen beklagen, und die Forderung einer erweiterten Berichterstattung reichen alleine nicht aus. Parlamentsinitiativen, politisches Handeln sowie zeitnahe Entscheidungen sind gefragt und notwendig. Das aber geht weder mit diesem Senat, den ihn tragenden Koalitionsfraktionen, noch mit der derzeitigen Bundesregierung. Sie haben in diesem Plenum Arm in Arm, Schulter an Schulter bei jeder Debatte zum Sozialbericht Betroffenheitstränen vergossen und die damalige Bundesregierung in die politische Verantwortung genommen. Auch heute hat uns Frau Mandel dies in ihrem wohlgeübten Parlamentsritual wieder lebendig vorgeführt.
Wenig gefragt haben Sie sich aber auch, was Sie selbst in und aus Ihrer Regierungsverantwortung heraus schon längst hätten ändern können, um einer wachsenden und verdeckten Armut in Hamburg wirkungsvoll und präventiv mit entsprechenden Initiativen zu begegnen. Da ist es einfach zu wenig, sich hinzustellen und mit dem Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit erweiterte Analysen und Berichterstattungen zu fordern, aber Senats- sowie Parlamentsinitiativen in der Sache, die etwas bewegen, verkümmern zu lassen. Dennoch sind erweiterte Untersuchungskomplexe wichtige unverzichtbare Ergänzungen, und darum wollen wir auch in diesem Falle nicht darauf verzichten.
Wichtig ist aber auch das, was wir täglich in unserem Lebensumfeld und im Dialog mit Nachbarn, Kollegen, Initiativen, Verbänden und Organisationen wahrnehmen, denn darin liegen die wesentlichen Impulse unseres politischen Handelns und nicht erst in Berichten.Darum lassen Sie uns diese Impulse des Dialogs im Einklang mit den Ergebnissen der Sozialforschung aufgreifen und im gemeinsamen Handeln dafür sorgen, zu einem Mehr an sozialer Gerechtigkeit zu kommen und im Rahmen der Prävention mit gezielten Maßnahmen insbesondere der verdeckten Armut wirkungsvoll zu begegnen. – Schönen Dank.