Protocol of the Session on June 21, 2000

die man nicht wegdiskutieren sollte. Da muß ich Frau Sudmann in vielen Bereichen recht geben.

Kritik habe ich am Senat, der von der Bürgerschaft aufgefordert worden ist, zu arbeiten. Er hat es bislang erfolgreich geschafft, sich darüber hinwegzusetzen.

Wir werden den Antrag der SPD und der GAL annehmen und den Antrag der Gruppe REGENBOGEN ablehnen. Alles Weitere werden wir morgen unter dem Punkt „Kinderbetreuung“ diskutieren.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Frau Deuter.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seit Jahren wird das starre Angebot der Stadt in puncto Kinderbetreuung moniert. Ich habe seinerzeit einen Kindergarten mitgegründet. Wir haben uns damals die Hacken abgelaufen, wenn es darum ging, den Vorgaben der Behörden nachzukommen. Nicht das, was die Kinder und die Familien brauchten, gab den Ausschlag, sondern die Versorgungsrichtwerte eines Stadtteils. Ebenso ergeht es vielen Familien in Hamburg, die mir durch meine ehrenamtliche Gremienarbeit bekannt sind.

Endlich gibt es ein Reformvorhaben, das zu beweglicheren Richtlinien führt. Nichts anderes bedeutet die Flexibilisierung der Kinderbetreuung. Nun können wir viel versprechen. Solange wir den Eltern kein Instrument an die Hand geben, sich das Angebot herauszusuchen, das ihrer individuellen Situation am gerechtesten wird, sind das alles nur Worthülsen.

Es ist aber hochinteressant, genau dieser Ausbau der Elternmacht bringt im Schulterschluß Gegner verschiedenster Couleur auf die Barrikaden. Alle eint das gleiche Ziel, wir wollen weiter bestimmen, was für Eltern und Kinder richtig zu sein hat. Wir machen dabei nicht mit, daß wir bestimmen, liebe Frau Sudmann, was für Kinder und Eltern richtig ist, sondern wir wollen das die Familien bestimmen lassen. Wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie den feinen Unterschied mitbekommen.

(Thomas Böwer SPD)

Man kann hier wirklich den Glauben an Machbarkeit eines Fortschritts verlieren, denn plötzlich wird das von allen verteufelte alte System wieder aus der Mottenkiste geholt: Eltern werden teilweise mit groben Lügen und Panikmache gegen die geplanten Verbesserungen aufgehetzt. Jedes Mittel scheint hier recht zu sein. Hauptsache, man braucht sich nicht zu bewegen, muß nicht umdenken und darf in den gewohnten ausgelatschten Schuhen weiterlatschen.

Bisher wurde der Regierung vorgeworfen, sie habe durch ewiges Prüfen, unzählige Gutachten und so weiter jegliche Veränderungen hinausgezögert. Nun versucht man, durch ein nachgeschobenes pädagogisches Gutachten die Umsetzung der Nachfragemacht von Eltern aufzuschieben; ich finde das heuchlerisch.

Wir touren gerade durch sämtliche Kindergärten, holen die Träger an den Tisch – da habe ich mich eben versprochen, sämtliche werden wir gar nicht schaffen, aber viele Hamburger Kindergärten – und berücksichtigen jedes an uns gerichtete Schreiben und feilen, wann immer es nötig ist, an den betreffenden Richtlinien. Wir erarbeiten zur Zeit Qualitätsstandards, die eine Absicherung nach oben und nach unten enthalten müssen, und sie müssen dabei trotzdem so flexibel anzuwenden sein, daß sie auch noch den Anforderungen, die Familien in den folgenden Jahren haben, Rechnung tragen können. Jeder Träger, jede Einrichtung sind dazu aufgerufen mitzuwirken, und viele tun das auch. Zum jetzigen Zeitpunkt ein pädagogisches Gutachten nachzuschieben und unter dem heutigen Blickwinkel festzuzurren, was Familien von morgen brauchen, ist kein Instrument für ein zeitgemäßes Vorhaben wie das der Flexibilisierung.

(Beifall bei Sabine Steffen GAL und Dr. Monika Schaal SPD)

Es geht darum, die Situationen in den Familien zu erkennen und Handlungsfähigkeiten zu entwickeln, das heißt, Situationen mit Kindern und Eltern zu gestalten und zusammen über die geleistete Arbeit nachzudenken. Erzieherinnen, Eltern und Verwaltung sollen sich auf das Leben von Familien einlassen lernen und verstehen, was in Kindern und ihren Eltern vorgeht, statt immer schon im vorhinein glauben zu wissen, was für sie besser sei.

Nun werden Stimmen laut, Eltern nicht zu viel Gestaltungsspielraum einzuräumen. Sie würden ihre Bedürfnisse vor die der Kinder stellen, wenn sie zum Beispiel Einfluß auf die Öffnungszeiten der Einrichtungen nehmen könnten. Das Bundesland Hamburg würde seinen Bildungsauftrag gar versäumen, wenn Eltern ihre Kinder nicht mehr um neun Uhr morgens in die Kitas bringen. Ich bitte Sie, Eltern sind Partner.Sie sind es, die die Lebensgeschichte von Kindern in erster Linie prägen, ihre Fragen und Antworten sind entscheidend.Wir haben heute keine starren Arbeitszeiten mehr. Eltern, die bis zum frühen Abend arbeiten, aber erst vormittags mit der Arbeit beginnen, wollen auch Zeit mit ihren Kindern verbringen. Sie wollen beispielsweise in Ruhe mit ihnen frühstücken, weil der Tag sonst kein gemeinsames Essen mehr ermöglicht. Es ist zynisch zu behaupten, den Kindern würde damit Bildung versagt werden. Denken Sie einmal darüber nach, welche Werte ein Sozialstaat für Bildung überhaupt präferieren sollte.

(Beifall bei Sabine Steffen GAL)

Erziehung und Bildung unserer Kinder funktioniert nur als Zusammenarbeit von Eltern, Betreuungs- und Bildungseinrichtungen. Sollte einer der Partner seinen Auftrag nicht erfüllen, dann greifen unsere Instrumente. Das heißt, wenn

Eltern, aus welchen Gründen auch immer, ihren Auftrag nicht im erforderlichen Maße erfüllen können, greift der quasi Anspruch der nun bedarfsorientierten Kinderbetreuung. Das kann Berufstätigkeit ebenso sein wie der sogenannte pädagogische Bedarf in einem individuell erforderlichen Umfang. Hinzu kommen Berufssuche, Studium und Ausbildung. Das heißt aber ebenso, wenn die Einrichtungen dem für diese Familie erforderlichen Betreuungsauftrag nicht nachkommen, kann fristgemäß gewechselt werden.

Wir haben den Eltern im Vorwege die Pilotprojekte, die es dazu braucht, nämlich die stadtteilorientierten Familienhilfen, an die Hand gegeben. Diese Kooperationspartner arbeiten vernetzt mit den anderen Einrichtungen des Stadtteils zusammen, so daß Eltern sich an einem Ort Hilfe für ihre individuelle Situation holen können, statt wie bisher zu zig verschiedenen Beratungsstellen und Ämtern laufen zu müssen. Auch in diesen Projekten kann unter anderem die Nachfrage an Betreuung eines Stadtteils gebündelt werden.Die Kitas werden also nicht alle eingehen, nur weil jetzt der Elternwille mehr zählt.Sie werden durch Befragung der Eltern, Vernetzung mit anderen Einrichtungen und Kooperation mit diesen Schaltstellen ihr Angebot auf den Bedarf von Familien einstellen. Etwas Besseres kann Familien nicht geboten werden.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Der evangelische Theologe Friedrich Christoph Oetinger hat um folgendes gebeten:

„Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann.Gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann.“

Meine Damen und Herren! Hamburg muß sparsam haushalten, wenn wir den Schuldenberg nicht unseren Kindern hinterlassen wollen; daran können wir nichts ändern. Aber die rotgrüne Regierung hat den Mut, auch in solchen Zeiten für einen effektiveren Einsatz der rund 595 Millionen DM zu sorgen, die Hamburg jährlich für die Kinderbetreuung aufwendet. Und diese Effektivität haben wir nicht an den Vorgaben der Verwaltung gemessen, dann wären wir bei der alten Angebotsorientierung geblieben.Wir messen sie an den Wünschen und Bedürfnissen von Familien, und das ermöglicht die Nachfrageorientierung mit dem Betreuungsschecksystem.

Das Zitat des Herrn Oetinger geht weiter:

„Und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Das wünsche ich besonders der REGENBOGEN-Gruppe und den Gegnern der Reform im Kita-Bereich, und uns wünsche ich, daß diese Unterscheidungskraft uns auch weiterhin führt. Um dafür Sorge zu tragen, und zwar über diese Legislaturperiode hinaus, haben wir unseren gemeinsamen Antrag für eine Begleitforschung heute eingebracht, auf daß auch weiterhin zu jeder Zeit flexibel eingegriffen werden kann, wenn sich weitere Verbesserungsmöglichkeiten abzeichnen, wie Sie das auch morgen in einem unserer Anträge sehen werden. Stimmen Sie also bitte heute zu.– Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Frau Sudmann erhält das Wort.

(Sonja Deuter GAL)

Ich könnte jetzt das Amen sprechen, das tue ich aber nicht.

Ehrlich gesagt kann ich verstehen, daß es GAL und SPD weh tut, diesen Antrag heute behandeln zu müssen, daß es ihnen weh tut, daß nicht nur ich, sondern auch Fachleute diese Kritik formuliert haben.

(Heino Vahldieck CDU: Starker Beitrag!)

Nun haben Sie beide eindrucksvoll versucht darzustellen, daß Sie durch ganz viele Kindertageseinrichtungen laufen, daß Sie mit ganz vielen Trägern sprechen. Erstaunlich daran ist, daß gerade diese Einrichtungen und auch die Träger trotzdem nicht überzeugt sind und gerade auch die Träger gemeinsam mit uns auf einer Pressekonferenz fordern, das pädagogische Gutachten zu erstellen.

Nichtsdestotrotz sollten Sie auf die Inhalte achten. Herr Böwer hat uns in seiner Pressemitteilung Blockadepolitik vorgeworfen, Frau Deuter sagt, heute mit diesem Gutachten zu kommen, wäre sehr spät. Diese Forderung ist über ein Jahr alt, die Träger haben es immer wieder auch mit Ihnen diskutiert. Sie können das nachlesen, wenn Sie sich die erste Anhörung in der Bürgerschaft vor gut einem Jahr im Juli angucken.Sie werden in den Protokollen finden, daß die Träger genau das gefordert haben. Wenn Sie das nicht mitbekommen haben, tut es mir leid. Jedenfalls haben die Träger Ihnen das oft genug gesagt, aber Sie haben es nicht gemacht; das soll Ihr Problem sein.

Aber eines will ich mir nicht entgehen lassen. Sie selbst scheinen arge Zweifel zu haben, ob Ihr System nicht doch für die Qualität der pädagogischen Angebote einen Rückschritt bedeuten kann, denn wenn Sie so sicher wären, daß es keine Auswirkungen hat, dann bräuchten Sie jetzt nicht mit Ihrer Begleitforschung zu kommen.

(Sonja Deuter GAL: Ein Quatsch! Sie können ja nicht einmal Begleitforschung von einem Gutachten unterscheiden! – Mehrere Zurufe von der GAL)

Aber wenn Sie, Frau Hajduk, den Antrag lesen, dann werden Sie feststellen, daß SPD und GAL sich wohl doch sicher sind, daß es Auswirkungen haben wird, und von daher sollten Sie das Kind nicht erst in den Brunnen fallen lassen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Noch ein Wort zur Berufstätigkeit. Herr Böwer glaubt selbst nicht daran, daß wir berufstätige Frauen ausgleichen wollen. Aber immer, wenn wir irgend etwas an Ihren beiden Teilbudgets kritisieren, heißt es, daran arbeiten Sie noch. Die neueste Botschaft, die durchgesickert ist, ist die, daß mittlerweile die Berufstätigkeit so definiert wird, daß beide Elternteile voll berufstätig sein müssen.Wenn das nicht der Fall ist und die Frau zum Beispiel nur halbtags arbeitet, weil sie sich um die Kinder kümmern will, kommt sie nicht mehr in den Rechtsanspruchstopf, sondern in den kleineren Topf. Ich weiß, daß Sie gleich wieder sagen werden, das sei noch nicht ausgegoren. Bei allem, was wir genau hinterfragen, sagen Sie: Daran arbeiten wir, regen Sie sich doch nicht auf. Sie bekommen so keine Reform hin, da alle Kritikerinnen oder auch alle wohlmeinenden Leute überhaupt nicht wissen, was Sie machen wollen.Sie müssen schon mal die Karten auf den Tisch legen und nicht immer sagen, das kommt nach der Sommerpause.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort erhält Herr Böwer.

Frau Sudmann, doch Erich Ribbeck.

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke: Die deutsche Nationalmannschaft, Herr Böwer! Geben Sie’s auf!)

Man muß schon aufpassen, wen man in eine Pressekonferenz einlädt und mit welchem Titel man ihn versieht. Der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege war am Montag ziemlich überrascht, bei Ihnen auf einer Pressekonferenz zitiert worden zu sein, denn das war Herr Keßler. Er führt als Vorsitzender des Fachausschusses Jugendhilfe auch Gespräche mit der SPD-, aber auch mit der GAL-Fraktion über die Fragen von Kita-Card.

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke: Frau Salecker war auch da!)

Frau Salecker ist nicht Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.Auch innerhalb der Wohlfahrtsverbände gibt es bestimmte demokratische Gepflogenheiten und Absprachen.

(Glocke)

Gestatten Sie Frau Sudmann eine Zwischenfrage?

(Thomas Böwer: Ja, klar.)