Protocol of the Session on May 10, 2000

Das ist genau die Art und Weise, in der „mitgeschossen“ wird. Vielleicht sind es zunächst nur Steine, aber diese Hetze ist unsäglich und gehört von allen Demokraten in diesem Land verurteilt.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei der GAL)

Herr Ehlers, Sie wollen auch noch, daß die Adressen veröffentlicht werden sollen. Das ist unverschämt; ich möchte, daß ein Vertreter der CDU dazu Stellung nimmt.

(Manfred Mahr GAL)

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Die Adresse nicht raus- rücken, aber die Kontonummer; das haben wir gern!)

Mir ist eine Aussage von Herrn Mahr sehr wichtig; sie ist aber etwas untergegangen. Er hat über die Rolle der Polizei gesprochen; darüber haben wir diskutiert. Aber ich bin der Meinung, daß die Polizei hätte deutlich machen können, daß – nach meinen Informationen – die sogenannten Randaleschäden mehrere hundert Meter weit von der Roten Flora entfernt, in einem anderen Stadtteil – zum Beispiel in der Glashüttenstraße und im Karolinenviertel – entstanden sind.

(Glocke)

Sie haben das Zeichen gehört: Auch Ihre Redezeit ist abgelaufen, Herr Hackbusch.

Ich möchte nur kurz zu dem Stellung nehmen, was Herr Mahr gesagt hat. In der Presseerklärung der Polizei wurde gesagt, daß eine Person festgenommen worden sei. Das stimmt ausdrücklich nicht, denn ich war die ganze Zeit dabei.

(Glocke)

Herr Hackbusch, Ihre Redezeit ist seit 30 Sekunden überschritten.

Es wurde gesagt, daß 120 Randalierer festgenommen worden seien; das stimmt eindeutig auch nicht.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Axel Bühler GAL)

Das Wort hat Herr Senator Maier.

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Stellen Sie sich eine Debatte über das Schanzenviertel vor einem Monat vor. Es würde hier große Einigkeit über die Entwicklung dieses Viertels bestehen: Das Schanzenviertel hätte sich bestens entwickelt, sei lebhaft, Unternehmen würden sich dort ansiedeln, es gebe zwar Konflikte, aber man reibt sich, und man verträgt sich. Wir hätten von links bis rechts – unter Einschluß der Gruppe REGENBOGEN –, zwar mit einigen mahnenden Worten eine ruhige Debatte erlebt.

Nun hat es sozusagen vom 30. April auf den 1. Mai die Walpurgisnacht gegeben. Daraufhin kommt

(Zurufe von der CDU)

ein Drittel des Hauses zu der Meinung, daß die Katastrophe in der Stadt ausgebrochen sei. Hier muß irgend etwas in der Verhältnismäßigkeit des Urteils nicht ganz richtig sein.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich gehe noch einen Schritt weiter. Herr von Beust sagt, daß Unrecht geschähe, wenn Straftäter auch noch belohnt würden. Noch bis vor vier Wochen waren auch Sie der Mei

nung, wir sollten eine vertragliche Lösung zur Flora machen. Was haben Sie sich denn unter „vertraglicher Lösung“ vorgestellt?

(Vizepräsidentin Sonja Deuter übernimmt den Vor- sitz.)

Haben Sie einmal darüber nachgedacht, was das bedeuten würde? Das würde doch bedeuten, eine Regelung über die Nutzung zu machen, und die Stadt gibt Geld zur Sanierung. Was haben Sie sich denn anderes vorgestellt? Hatten Sie die Vorstellung, man sollte irgendwie verlangen, daß die „Floristen“ einer nach dem anderen vortreten, niederknien und sagen „wir wollen es auch nie wieder tun“, und das ist dann sozusagen die vertragliche Lösung? Natürlich läuft jede vertragliche Lösung darauf hinaus zu sagen, wir machen ein bestimmtes Nutzungskonzept für ein Stadtteilkulturzentrum, und dieses Konzept setzen wir dann um wie andere Stadtteilkulturzentren auch, und das kostet Geld.Dann kommt natürlich Herr Tants und sagt, das sei zu teuer.

Wir hatten das gleiche schon mal beim Laue-Komplex. Da ist eine schwierige Situation dadurch geregelt worden, daß für die Stadt eine insgesamt sehr günstige Lösung geschaffen worden ist, um mehr als 270 neue Wohnungen und neues Gewerbe in das Schanzenviertel zu bekommen. In einem schmalen Stückchen ist für 44 Bewohnerinnen und Bewohner ein ABB-Projekt gestartet worden, wo die jetzt arbeiten können, um sich eine Wohnung zu schaffen.

(Volker Okun CDU: Das war nicht das erste!)

Nein, es ist Gott sei Dank nicht das erste ABB-Projekt, es ist ja eine bewährte Maßnahme.

Nun sagen Sie, nachdem Sie vorher im Stadtplanungsausschuß diese Lösung mitgetragen haben, das ist uns zu teuer. Sie lassen sich nicht hinter einer Pressekampagne treiben, sondern segeln im Wind davor.

(Beifall bei der GAL, der SPD und bei REGEN- BOGEN – für eine neue Linke)

Was die Frage Recht, Unrecht, Straftäter, Flora angeht, bin ich sehr dafür, daß Straftäter ihre Strafe auch bekommen, aber wir haben die Regelung, wonach Schuld ein individueller Sachverhalt ist und nicht einer von Gruppen. Wenn einzelne aus der Flora oder nicht aus der Flora dies oder das getan haben, dann ist es völlig okay, daß sie für das, was sie getan haben, auch vor Gericht kommen. Aber es ist nicht in Ordnung, wenn eine Straftat verrichtet worden ist, daß dann ein ganzes Stadtviertel oder eine ganze Institution unter Anklage gestellt wird, wo doch erkennbar viele andere Menschen herumturnen.

Ich will Ihnen eine kleine Anekdote erzählen.

(Jürgen Klimke CDU: Ja, aber nur fünf Minuten! – Karl-Heinz Ehlers CDU: Wenn der Senator erzählt!)

Vor einigen Jahren hat die „Bild“-Zeitung eine extrem unangenehme Kampagne gegen einen Mitarbeiter unserer Fraktion gestartet, der heute nicht mehr lebt, und zwar die Kampagne, er hätte kleine Jungs verführt – eine völlig unhaltbare Kampagne. Wir waren in heller Wut, und die „Bild“-Zeitung korrigierte diese Kampagne nicht, sondern führte sie immer weiter. Damals gab es in der Fraktion die starke Meinung, mit dieser Redaktion kein Wort mehr zu reden. Wir haben dann aber durchgesetzt, daß es auch für solche Sachen individuelle Verantwortlichkeiten gibt und Redaktionen nicht kollektiv schuld sind.

(Norbert Hackbusch REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das sollten sich auch die Redaktionen umgekehrt einmal sagen, wenn sie in bezug auf kulturelle oder politische Einrichtungen in der Stadt losschreiben. Es kann nicht sein, daß kollektiv unter Verschiß gestellt wird. Wir sind ein Rechtsstaat.Zwar hat jedes politische Argumentieren auch damit zu tun, daß wir so etwas wie sittliche Neigungen und sittliche Orientierungen innerhalb der Gesellschaft ansprechen. Aber das Sittlichkeitsgefühl unterschiedlicher Volksschichten ist nicht identisch mit dem, was als Recht in den Gesetzbüchern steht. Und es kann nicht angehen, sozusagen das gesunde Volksempfinden eines Teils der Bevölkerung gegen einen anderen Teil der Bevölkerung zu hetzen.Was würde denn dann passieren? Das Schanzenviertel würde doch explodieren, wenn wir uns so verhalten würden, wie Sie es jetzt vorschlagen.

(Michael Fuchs CDU: Das haben wir bei der Ha- fenstraße gesehen!)

Diejenigen, die als Autonome durch den Stadtteil kaspern, sind doch nicht ohne jede Sympathie bei anderen Leuten in dem Stadtteil. Bei den einen haben sie keine Sympathien, aber bei den anderen haben sie auch Sympathien im Stadtteil. Und wenn wir da draufhauen würden, hätten wir den Stadtteil in heftigstem Konflikt, und es wäre nichts mehr von wegen blühender Schanze zu sehen. Darum müssen wir uns mit Geduld um eine vertragliche Lösung bemühen und nicht bei jeder Gelegenheit, wenn irgend etwas schiefgeht, sofort Katastrophe, Untergang und Titanic schreien, wobei Sie noch nicht einmal Rettungsboote haben.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Ich möchte aber noch etwas zu Frau Sudmann sagen.Frau Sudmann sagte eben in ihrem Beitrag, wir seien uns doch einig, daß wir keine Gewalt gegen Menschen wollen.Ich bin ein bißchen weitergehender der Meinung, es geht um keine Gewalt.

(Beifall bei der GAL, der SPD und der CDU – Dr. Stefan Schulz CDU: Richtig!)

Eines akzeptiere ich nicht: daß Leuten, die in der Schanze eine andere Meinung haben als bestimmte Teile der politischen Aktivisten, Scheiben eingeworfen werden.

(Heino Vahldieck CDU: So ist es!)

Das ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und eine genauso große Niederträchtigkeit, als wenn von anderer Seite Angriffe auf die Meinungsfreiheit gefahren werden.

(Beifall bei der GAL, der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Es geht auch nicht, wenn im „Zeck“, also der Zeitschrift, die von einigen „Floristen“ gemacht wird, zum Beispiel anläßlich einer Aussage eines Gaststättenbesitzers, der sich zu Drogendealern äußerte und sagte, es sei ihm alles zu viel, mit einem etwas ironisierenden Tonfall gesagt wird, „sprengt das Café ohne Namen“.Das ist eine hyperbolische Redeweise, das weiß ich auch, es ist zum guten Teil metaphorisch, aber nicht alle Leute können da zwischen metaphorischem Reden und realer Aufforderung unterscheiden.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Es wurden tatsächlich eine oder zwei Nächte vor den Demonstrationen am 30. April bei dem Café Scheiben eingeschmissen. Es ist nicht bekannt geworden, wer das war, aber – das ist auch ein bißchen ein Appell an das Schanzenviertel – es ist angebracht, so einem Händler gegenüber dann Solidarität zu bekunden. Vielleicht überreichen

die „Floristen“ dem mal einen Blumenstrauß. Das geht nämlich einfach nicht, auch der hat das Recht zu sprechen. – Danke schön.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat Herr von Beust.