Protocol of the Session on April 5, 2000

Deshalb mache ich noch eine weitere Vorbemerkung, Frau Koop.Jeder, der in den letzten Jahren in der Hamburger Jugendpolitik Einrichtungen besuchte, dem wird ein Satz – neben den vielen anderen Punkten der Kritik und der Anregung – immer wieder begegnen: Ihr da in der Politik – mindestens in der veröffentlichten Diskussion – bekommt

das hin – und das ist eine mittlere Katastrophe –, daß über Jugendpolitik nur und ausschließlich im Zusammenhang von „Jugend und Gewalt“, „Jugend und Aggression“ und „Jugend und Kriminalität“ geredet wird. Das geht erst einmal an uns alle.

Bei Ihnen habe ich die Hoffnung, daß Ihnen, wenn Sie sich die gesamten Anträge Ihrer Fraktion aus den letzten drei, vier Jahren ansehen, auffällt, welch eigenartiges Schwergewicht Ihre Fraktion gewählt hat. Ist das der Situation der Jugendlichen und der Jugendpolitik in Hamburg eigentlich angemessen?

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das als Vorbemerkung.

Manches von dem, was im Vorspann Ihres Antrags steht, ist absolut richtig. Das Problem, über das wir reden, ist in erster Linie ein Problem von Jungen. Hier sind die Jungen Täter und in aller Regel auch die Opfer. Unstreitig hat sich in der Situation etwas verändert und ist nicht mehr mit 1980 oder mit 1970 zu vergleichen. Gleichwohl äußern die Praktiker in den Einrichtungen, daß die manchmal verdeckte, manchmal aber auch deutlich geäußerte Vermutung, wir hätten es hier mit einem kontinuierlich steigenden und permanenten Problem zu tun, die Situation so nicht richtig beschreibe. Es gäbe nichts zu beschönigen, aber in aller Regel sagen diese Praktiker, sie hätten es mit episodenhaftem Auftreten zu tun.

In den Auswirkungen hat es trotzdem ganz unangenehme Konsequenzen, wenn Kinder und Jugendliche zum Beispiel Einrichtungen meiden, weil sie Angst haben. Wenn – in Einzelfällen ist das passiert – Mitarbeiter von Einrichtungen kündigen, Einrichtungen vielleicht sogar für vierzehn Tage oder drei Wochen geschlossen werden müssen, dann sind das schlimme Konsequenzen, die aus diesen Vorfällen resultieren, und bedürfen einer Reaktion.

Nun sind Sie der falsche Ansprechpartner, aber alle Ihre Kollegen im Jugend- und Sportausschuß haben permanent die Möglichkeit, Frau Dr. Birtsch, die Leiterin des Amtes für Jugend, zu befragen oder auch nur anzurufen. Dann hätten Sie folgendes erfahren: Im Amt für Jugend wird seit Monaten zusammen mit dem Referat Gewaltprävention des Amtes für Schule gearbeitet, zusammen mit dem Institut für Konfliktaustragung in Hamburg, zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz in Hamburg und noch einigen anderen mehr. Ziel ist, das von Ihnen geforderte Konzept zu erarbeiten. Im Mai werden sie zu den Einrichtungen in die Bezirke gehen, um ihr Konzept vorzustellen.

Das Konzept hat folgende Ziele:Konfliktlösungskompetenz der Mitarbeiter zu verbessern, zum Beispiel durch Fortbildung, durch Praxisberatungen. Bei auftretenden Konflikten in einer Einrichtung soll all das, was in unmittelbarer Umgebung dieser Einrichtung an Fachkompetenz vorhanden ist – in Schule, Kirche, Sportverein, Jugendverbänden, beim Jugendschutz, bei den Eltern –, aufgegriffen und versucht werden, diese zur Lösung des Konflikts nutzbar zu machen. In der Fachdiskussion läuft das immer unter dem Begriff „sozialräumliche Vernetzung“.

Das Konzept enthält auf Landesebene Kooperationsmöglichkeiten. Es ist wichtig, daß die Mitarbeiter der Einrichtungen die Möglichkeit haben, mit anderen über ihre Erfahrungen – beispielsweise mit erfolgreichen Lösungsansätzen, aber auch mit denen sie gescheitert sind – zu reden und sich auszutauschen. Das ist Teil des Konzepts.

(Karen Koop CDU)

Ein für mich sehr wichtiger Teil des Konzepts ist, daß im konkreten Konfliktfall externe Fachkräfte abgerufen werden können und langfristige Perspektiven angeboten werden.Anders als in Ihrem Vorschlag mit Modellversuchen für ein halbes Jahr soll eine langfristige Perspektive gegeben werden. Es sind Geldmittel im Landesjugendplan vorhanden. Evaluation und Veröffentlichungen sind geplant. Das ist in kurzen Worten das, von dem ich weiß, daß es vorbereitet und im Mai – wenn ich richtig informiert bin – in die Bezirke und an die Träger herangetragen wird.

Wenn ich dieses Konzept mit Ihrem Vorschlag vergleiche, dann verengt Ihr Vorschlag den konzeptionellen Ansatz.Wir würden zum Beispiel bei Ausschreibungen Gefahr laufen, Zeit zu verlieren.Deshalb teile ich die Ansicht, daß Ihre Vorschläge keinen Fortschritt, sondern im Vergleich zu dem, was in der Behörde erarbeitet wird, eher einen Rückschritt darstellen. Deshalb werden wir diesem Antrag nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Steffen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch ich war zuerst etwas verwirrt, als ich diesen Antrag gelesen habe und feststellte, daß Frau Koop die Antragstellerin ist. Während ihrer Ausführungen fühlte ich mich einige Male an die Reden von Herrn Harlinghausen erinnert. Trotzdem möchte ich noch einmal konkret auf einige Punkte ihres Antrages eingehen.

Erstens: Die Jugendpolitik in Hamburg ist kein totes Pferd.

Zweitens: Die Einleitung Ihres Antrages halte ich schlichtweg für eine Unterstellung, die ich – wie Herr Schulz zuvor schon gesagt hat – für den Ansatz der Hamburger Jugendpolitik auch insgesamt nicht für dienlich halte.Den Ansatz sollte das Parlament in seiner Gänze jedoch weiter befördern, denn der Zusammenhang zwischen Gewalt und Jugend ist nicht so zutreffend, wie es immer dargestellt wird. Darauf haben Sie in Ihrer Rede bezüglich der Darstellung in den Medien auch hingewiesen.

Ich fühlte mich in diesem Zusammenhang an die Medienanalyse der Enquete-Kommission „Jugendkriminalität“ erinnert.Ich hätte mir gewünscht, daß Sie sich mit Ihren Fraktionskollegen dahin gehend abgestimmt hätten, dann würde Ihr Antrag im Hinblick auf diese Aspekte etwas anders ausgesehen haben.

Es sind natürlich Ansätze darin, die den Aspekt Fortbildung beinhalten, die ich teile und befürworte. Aber es kann nicht nur um Fortbildung an Einrichtungen gehen; wir brauchen vielmehr in der Ausbildung von pädagogischen Fachkräften, die das Thema Gewalt behandeln, eine kontinuierliche Fortbildung. Ich halte es für wesentlich wichtiger – wenn man das Problem langfristig angehen will –, dieses Thema in der Ausbildung zu verankern.

Wenn man bestimmte Voraussetzungen schaffen und Erkenntnisse gewinnen will, sind ab und zu Modellprojekte erforderlich.Wir wissen hier aber auch, worum es geht. Deshalb kommen wir – Herr Schulz hat das schon ausgeführt – mit einem sechsmonatigen Modellprojekt in diesem Zusammenhang nicht sehr viel weiter.Wir brauchen vielmehr – das haben Sie in Ihrem Vortrag angesprochen – die Unterstützung der Eltern. Bei Ihren Ausführungen über die Wirkung von Gewalthandeln haben Sie zum Teil einen Abriß zu Gewalt überhaupt und über die die Gewalt beinhal

tenden unterschiedlichen Aspekte gegeben; Sie haben sogar von struktureller Gewalt in der Gesellschaft gesprochen. Sie wollten eine wissenschaftliche Abhandlung über Gewalt machen.

Aus Ihren heutigen Aussagen kann ich etwas ganz anderes ableiten als das, was Sie in Ihrem Antrag letztendlich aufgeführt haben. Die Unterstützung der Eltern bei ihren Erziehungsaufgaben im Umgang mit den Kindern mindert Gewalthandeln. Das ist ein Jugendhilfeauftrag, der in unterschiedlichen Ansätzen vorhanden ist und insgesamt auch erfüllt wird, wobei ich zugeben muß, daß es immer Dinge gibt, die zu verbessern sind; das will ich nicht bestreiten.

Ich kann mich den Ausführungen von Herrn Schulz nur anschließen. Wir werden diesen Antrag ablehnen. Frau Koop, für Sie wünsche ich mir, daß Sie sich dem Zeitgeistsurfen im populistischen Flachmeer, das ab und zu von der CDU-Fraktion betrieben wird, nicht anschließen.

(Beifall bei der GAL und bei Norbert Hackbusch – REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort erhält der Abgeordnete Jobs.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Koop, Sie haben das Lied von Herrn Harlinghausen von der bösen Jugend erfrischend und erfreulich anders gesungen. Die Melodie war eine andere, aber der Text war – wenn man genau hingehört hat – doch der gleiche.Vor allem ist der Text mit dem Antrag identisch, der offensichtlich und unverkennbar wieder die Handschrift von Herrn Harlinghausen mitträgt.

(Karen Koop CDU: Ne, ich kann das auch alleine!)

Auch hierin wird wieder der Focus auf die gewalttätige Jugend gesetzt.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Wo ist eigentlich Herr Harlinghausen? – Vizepräsidentin Sonja Deu- ter übernimmt den Vorsitz.)

Ich möchte zwei Punkte dieses Antrages herausnehmen. Woher haben Sie die Informationen, daß die Kids nicht mehr die Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit aufsuchen, weil sie dort bedroht werden und sich unsicher fühlen? Woher kommt diese Einschätzung? Nach allem bisher Gehörten stimmt das nicht. Auch die von Ihnen zitierte Pfeiffer-Studie sagt eher aus, daß die offene Kinderund Jugendarbeit gerade die Kids in schwierigen Lebenssituationen erreicht und daß diese Einrichtungen keine Brutstätten der Gewalt seien.

Über Ihr anderes Argument, den Anstieg der Jugendkriminalität mit polizeilicher Kriminalstatistik belegen zu wollen, haben wir schon öfter diskutiert. Dieses Argument ist schlicht unseriös, denn die Statistik sagt viel mehr über das Anzeigeverhalten der Bevölkerung als über die stattfindende Realität aus. Wenn die CDU in diese Richtung weiter eine so populistische Politik macht, werden sich das Anzeigeverhalten und die Zahlen in die von Ihnen so herbeigebetete Richtung verändern.

Ich weiß auch nicht, woher die Behauptung kommt, daß Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Einrichtungen mit den Problemen nicht qualifiziert pädagogisch umgehen können. So pauschal, wie es im Antrag steht, haben Sie es zwar in Ihrer Rede nicht gesagt, aber die in Ihrem Antrag

(Rüdiger Schulz SPD)

genannte pauschale Abqualifizierung der Arbeit der Menschen in diesen Einrichtungen möchte ich zumindest zurückweisen; das haben sie nicht verdient.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Sabine Steffen GAL)

Das von Ihnen geforderte Modellprojekt – das hörten wir schon – ist auch aus meiner Sicht nicht notwendig. Ein hilfreicher Umgang mit gewaltbereitem Handeln von Jugendlichen wird nicht entwickelt, indem man sich auf „abweichendes“ Gewalthandeln konzentriert und den Kids auch noch in der offenen Jugendarbeit eine Sonderbehandlung verpaßt, sondern indem man ihre gesamte Lebenssituation betrachtet und diese in der Arbeit berücksichtigt. Bei unterschiedlichen freien Trägern in der Jugendhilfe und im Amt für Jugend gibt es das Wissen über die Lebenslagen der Kinder und Jugendlichen in der Stadt. Es gibt Konzepte – auch geschlechtsspezifische Konzepte über Jungen- und Mädchenarbeit –, die diesen Problemen entgegenwirken. Das Wissen ist in dieser Stadt vorhanden, Fortbildungsangebote – das haben wir gerade gehört – gibt es auch. Ich habe den Eindruck, daß das geforderte Modellprojekt dafür ein viel zu kurz gegriffenes Programm ist.

Eher sind viele der möglichen Ursachen von schwierigen Situationen in den Jugendeinrichtungen darin begründet, daß diese Einrichtungen in der Vergangenheit überproportional von Kürzungen betroffen waren. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in kommunalen Einrichtungen haben nicht mehr die Zeit, an Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Bei den nächsten Haushaltsberatungen ist dieser Aspekt ganz wichtig, um dafür zu sorgen, daß in diesem Bereich nicht weiter gekürzt wird, sondern die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weiter dafür sorgen können, daß es in dieser Stadt ein vernünftiges Angebot für alle Kinder und Jugendlichen gibt. – Danke.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Weitere Wortmeldungen zu diesem Thema liegen nicht vor. Wer möchte den CDUAntrag annehmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit wurde der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.

Bevor wir zum Tagesordnungspunkt 53 kommen, möchte ich die Ergebnisse der Wahl der beiden Deputierten bekanntgeben. Herr Dr. Michael Herschel wurde mit 75 JaStimmen bei 6 Nein-Stimmen und 7 Enthaltungen gewählt. Frau Sabine Klemt wurde mit 86 Ja-Stimmen bei 1 NeinStimme und 3 Enthaltungen gewählt.

Kommen wir zum Tagesordnungspunkt 53: Gemeinsamer Antrag der SPD und GAL zum betreuten Wohnen.

[Antrag der Fraktionen der SPD und der GAL: Das „Betreute Wohnen“ und die Novellierung des Heimgesetzes – Drucksache 16/4018 –]

Wer wünscht hierzu das Wort? – Das Wort hat Herr Baar.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Novellierung des neuen Heimgesetzes steht bevor. Sie ist notwendig geworden, um die Interessen der Heimbewohner und deren Schutz zu stärken, die Kontrollmöglichkeiten zu verbessern und die Vernetzung mit der Pflegeversicherung herzustellen. Es liegt dazu ein Referentenentwurf vor, und die Beratung im Bundesrat steht demnächst an.

In diesem Referentenentwurf wird das erste Mal der Begriff „Betreutes Wohnen“ differenziert dargestellt; bisher fiel alles unter diesen Begriff. In Verbindung mit Heimen, selbständigem Wohnen und einem zusätzlichen Service spricht diese Differenzierung zum ersten Mal von „Betreutem Wohnen“. Diese Differenzierungen sind sehr positiv zu beurteilen. Weil wir aber der Meinung sind, daß sie nicht ausführlich genug dargestellt wurden, haben wir diesen Antrag gestellt. Und da diese Vorlage im übrigen noch kein Gesetzesentwurf ist, sollten wir uns für klare Definitionen des „Betreuten Wohnens“ einsetzen.

Der Begriff „Betreutes Wohnen“ wurde in der Bundesrepublik zuerst vor etwa zehn Jahren verwendet. Man fing an, Wohnen und Betreuung zusammenzubringen und zu versuchen, Mietwohnungen mit einem Kooperationsvertrag zu koppeln. Dieses Thema ist inzwischen sehr komplex geworden, da es in allen Bundesländern nicht mehr homogen ist. Sie werden es sicher auch daran merken, daß für uns die Begründung des Antrages – das sage ich einmal ganz ehrlich – etwas schwierig war.

Die neue Heimverordnung will bei den Leistungen der Servicebetriebe in den öffentlich geförderten Einrichtungen eingreifen. Sie sind auf Bundesebene sehr unterschiedlich und ziehen oftmals gerichtliche Streitpunkte nach sich. Es ist schwierig, hierüber Recht zu sprechen;hier will die neue Heimverordnung eingreifen. Auf dem freien Markt gibt es weniger Schwierigkeiten, denn die Residenzen und größeren Seniorenwohnheime sind nicht gemeint. Dort, wo es eine Koppelung mit den öffentlich geförderten Mietwohnungen gibt, in denen die Mehrzahl der älteren Menschen lebt, ist die neue Heimverordnung wichtig. Hier gibt es sicher zu wenig Investoren. Meiner Meinung nach müßten viel mehr Wohnungen gebaut werden, in denen „Betreutes Wohnen“ stattfinden kann. Aber dazu brauchen die Investoren Sicherheit, auf die ich noch zurückkomme.

Lassen Sie mich den Begriff „Betreutes Wohnen“ darstellen.Ich habe viele Gespräche geführt und dabei immer wieder festgestellt, daß viele Menschen diesen Begriff kennen, sich aber nichts Genaueres darunter vorstellen können.Ich schilderte am Anfang einerseits die Koppelung zwischen Heim und Wohnung als Parallele zum Heim; hier ist sicher das Heimgesetz angebracht. Andererseits gibt es eine seniorengerechte Wohnanlage, in der sich jemand eine Wohnung sucht, für die gleichzeitig ein Betreuungsvertrag angeboten wird. Dieser Vertrag bietet bestimmte Leistungen an und ist mit einem Mietvertrag gekoppelt; alle zusätzlichen Leistungen müssen später dazugekauft werden.