Protocol of the Session on September 5, 2001

(Rolf Kruse CDU: Was heißt hier dankenswerter- weise?)

Wenn Sie nicht dazwischenschreien würden, könnten Sie zuhören. Wenn Sie die Personalkosten, also laufende Ausgaben im Betriebshaushalt, wie Sie selbst sagen, um 110 Millionen DM Jahr für Jahr erhöhen wollen, dann müssen Sie sehen, wie Sie das decken.

Wenn Sie darüber hinaus das, was gemäß Wahlprogramm weiter hinzukommt, nämlich keine 450 Stellen, sondern zusätzliche 200 Stellen Jahr für Jahr bei den Lehrern einbringen wollen, und man das alles wegläßt und nur die 110 Millionen DM rechnet – wobei Sie bei den Einnahmen auch die Gewerbesteuern reduzieren wollen, was weitere 100 Millionen DM ausmacht –, dann haben Sie ein Defizit

(Norbert Hackbusch REGENBOGEN – für eine neue Linke)

von 200 Millionen DM im Betriebshaushalt. Das wollen Sie durch den Verkauf der öffentlichen Unternehmen bezahlen?

(Dr. Michael Freytag CDU: Sie hören gar nicht zu!)

Mit Verlaub, Herr Freytag, das war ziemlich viel Quallenfett, was Sie hier erzählt haben.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Sie haben zu den Beteiligungen gesagt, die Anzahl der Beteiligungen sei ein Aufblähen des Staates. Sie wissen doch wie ich, daß sich die Anzahl der Beteiligungen seit 1990 zwar verdoppelt hat, das ist richtig. Wir haben damit aber genau das gemacht, was in der Privatwirtschaft immer gemacht wird, nämlich bestehende Betriebsteile im Interesse wirksamer Steuerung auszugliedern. Die Binnendifferenzierung und die Steigerung von Effizienz und Flexibilität ist der Grund für die Erhöhung der Beteiligungen. Insofern gehen Sie daran vorbei.

(Zuruf von Dr. Michael Freytag CDU)

Seien Sie doch nicht so aufgeregt und hören Sie zu; Sie können sich doch noch mal melden, oder bitten Sie jemand anderen, ob er noch Redezeit hat. Es ist relativ schwierig, wenn Sie reden und ich rede; ich habe das Mikrofon, insofern hört man mich besser.

(Rolf Kruse CDU: Ja, das glauben Sie. Man hört Sie, aber man versteht Sie nicht!)

Sie haben außerdem gesagt – das finde ich auch ganz vernünftig –, die Hochbahn sei eine richtige Erfolgsstory. Ja, das ist sie auch. Aber dann kommt etwas, was ich überhaupt nicht verstanden habe, worauf auch schon Frau Hajduk hingewiesen hat: Ich habe den Eindruck, Sie haben die Seite 94 des Finanzberichts nicht richtig verstanden. Da geht es nämlich um Zahlungen des Haushalts, also Entgelte für Leistungen und Zuschüsse im öffentlichen Interesse – das hat Frau Hajduk schon genannt –: für Theater 74 Millionen DM, für Betriebszuschüsse der HAB, Kostenerstattung für Auswanderer und Zuwanderer, Zinsausgleichszahlungen an die WK, Ausgleichszahlungen für Ausbildungsverkehre und Kapitaleinlage für die Projektierungsgesellschaft Finkenwerder. Das sind die Summen, die sich dahinter verbergen.

Zu den öffentlichen Unternehmen sagen Sie – darauf komme ich noch einmal zurück –, relativ quallig, Sie wollen alles Mögliche machen und wollen gucken, wie Sie das alles packen können. Frau Hajduk hat mit Recht schon darauf hingewiesen, was immer Sie verkaufen, fehlt Ihnen. Sie haben vergessen, es gegenzurechnen.

(Dr. Michael Freytag CDU: Sie haben keine Gegen- werte geschaffen!)

Wenn Sie jährlich 200 Millionen DM im Betriebshaushalt mehr ausgeben wollen, dann müssen Sie verkaufen und schaffen keine Gegenwerte. Die Lehrer kosten Jahr für Jahr, und anschließend müssen Sie Pensionen zahlen. So ist es, und da können Sie nicht sagen, daß Sie dadurch Gegenwerte schaffen. Das ist wirklich eine Milchmädchenrechnung, es tut mir leid.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das ist völlig daneben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Dann ist die Aussprache beendet. Ich lasse

über den Überweisungsantrag an den Haushaltsausschuß abstimmen. Wer möchte so beschließen? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Dann ist dieses einstimmig so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf, Drucksache 16/6427, Große Anfrage der Gruppe REGENBOGEN zum Thema Ritalin: Kinder mit Medikamenten ruhigstellen?

[Große Anfrage der Gruppe REGENBOGEN – für eine neue Linke: Ritalin: Kinder mit Medikamenten ruhig stellen? – Drucksache 16/6427 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 16/6639 ein Antrag der Gruppe REGENBOGEN vor.

[Antrag der Gruppe REGENBOGEN – für eine neue Linke: ADS-Diagnostik und Ritalin-Vergabe in Hamburg – Drucksache 16/6639 –]

Diesen möchte die CDU-Fraktion federführend an den Gesundheitsausschuß und mitberatend an den Schulausschuß überweisen. Wird das Wort gewünscht? – Das ist der Fall. Der Abgeordnete Jobs hat es.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach langer Zeit müssen wir uns wieder einmal mit einem Psychomedikament beschäftigen. In den letzten Monaten und Jahren ist immer öfter das Medikament Ritalin an Kinder abgegeben worden, ein Medikament, das unter das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Beipackzettel eine Reihe von Neben- und Wechselwirkungen aufweist, die schon beim Lesen Kopfschmerzen bereiten.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Reden Sie als Betroffe- ner?)

Es ist ein Medikament, das kein Heilmittel ist, sondern allenfalls für einzelne Kinder ein Hilfsmittel sein kann, wenn sie von der sogenannten Zappelphilipp-Krankheit betroffen sind.

Seit dem Frühjahr mehren sich die Stimmen, die darauf hinweisen und vor allem darauf aufmerksam machen, daß diese Tendenz kritisch zu betrachten ist. Wir haben deshalb auch im Juni/Juli eine Große Anfrage zu dem Thema vorgelegt, um zu erfahren, ob und, wenn ja, wie sich der Senat mit diesem Problem auseinandergesetzt hat und welche Lösungen er möglicherweise aufzeigen kann.

Die Antwort des Senats auf die Große Anfrage provoziert aber in der Tat mehr Fragen, als sie Antworten gibt. Allein die Frage, ob es ein Problem gibt, bejaht der Senat, wenn er feststellt, daß die Verabreichung von Ritalin ein zunehmendes Problem in den Schulen und Beratungsdiensten darstellt, und wenn er sagt, daß pädagogische und therapeutische Maßnahmen Vorrang vor einer medikamentösen Behandlung der sogenannten Zappelphilipp-Krankheit haben sollen.

Daß es zunehmend Hinweise darauf gibt, daß Ritalin nicht nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft verabreicht wird, sagt inzwischen sogar die Bundesdrogenbeauftragte. Hamburger Beratungslehrer schätzen nach einem Bericht im „Hamburger Abendblatt“, daß nur jedes zehnte Kind dieses Medikament zu Recht bekommt. Es gibt damit also ein Problem in dieser Stadt. Nur das Ausmaß dieses Problems bleibt in der Antwort des Senats völlig unklar.

(Senatorin Dr. Ingrid Nümann-Seidewinkel)

A C

B D

Der Senat nennt in seiner Antwort verschiedene Datenquellen mit sehr widersprüchlichen Aussagen zum Umfang der Verschreibung von Ritalin bundesweit beziehungsweise in Hamburg. Deutlich wird aber, daß es mit erheblichen Steigerungsraten zu tun hat.

Deutlich wird auch, daß bisher offensichtlich kein belastbares Zahlenmaterial vorliegt, schon gar nicht für Hamburg. Es gibt aber wohl ernstzunehmende Hinweise, daß in Hamburg besonders viel und häufig verordnet wird. Berechnungen der Betriebskrankenkassen haben ergeben, daß ungefähr jedes dritte Rezept in Deutschland in Hamburg ausgestellt wird. Trotzdem will der Senat auf eine Bundesstudie zur Arzneimittelverschreibung im nächsten Jahr warten und sieht in Hamburg keinen eigenen Untersuchungsbedarf vor. Wir finden, das reicht nicht.

Bei derartigen Steigerungsraten ist es wichtig, schnell zu reagieren, und deshalb wollen wir eine Hamburger Untersuchung, die klärt, wie die Diagnose und, vor allem, wie die Verordnungspraxis der Ärzte in Hamburg in bezug auf das ADS-Syndrom aussieht und wie häufig Kindern dieser Stadt Ritalin verschrieben wird.

Überlegungen der Kinderärzte, einen eigenen Qualitätsleitfaden zu erarbeiten, lösen das Problem nicht. Dabei fehlen die Kompetenzen anderer wichtiger Berufsgruppen wie Psychologinnen, Therapeutinnen, Lehrerinnen und anderer Pädagoginnen.

Ein Runder Tisch unter Federführung der Pharmaindustrie ist schon gar nicht dazu geeignet, sich kritisch mit der Problematik auseinanderzusetzen. Wer einmal die Unterlagen von Gianni & Meissner, dieser veranstaltenden Firma, angeschaut hat, merkt schnell, daß die Informationen auf medikamentöse Behandlung fokussieren und therapeutischen und pädagogischen Aspekten keinerlei Bedeutung beimessen. Um so erstaunlicher ist es, daß sich die BSJB erst vor wenigen Tagen aus dieser Runde verabschiedet hat.

Wir meinen, daß es auch wichtig ist, kritisch zu betrachten, unter welchem Einfluß und welchen Bedingungen Kinder heute aufwachsen und in der Schule lernen müssen. Daraus können sich dann Veränderungsnotwendigkeiten für Kitas, Schulen und pädagogische Einrichtungen dieser Stadt ergeben.

Deshalb ist es angesichts des vielstimmigen und widersprüchlichen Expertinnenchores, der jetzt mehr zur allgemeinen Verunsicherung vieler als zur Aufklärung beigetragen hat, notwendig, daß die Jugendbehörde einen Runden Tisch initiiert, in dem die Erkenntnisse der unterschiedlichsten Berufsgruppen gebündelt werden und vor allem die Empfehlungen für den Umgang mit dem ZappelphilippPhänomen in Kindertagesstätten, in Schulen, in der Jugendhilfe und im Gesundheitswesen erarbeitet werden.

Wir meinen, daß aus der sich abzeichnenden Situation rund um das Medikament auch in Hamburg Konsequenzen gezogen werden müssen. Nach Rücksprache mit Fachleuten haben wir jetzt noch einen Antrag zum Thema eingereicht, der Maßnahmen vorsieht, die eine schwierige Debatte versachlichen können. Wir wollen eine Hamburger Studie und daß dieser Runde Tisch eingerichtet wird. Das wäre ein guter erster Schritt, um einer Problemlösung in dieser Stadt näherzukommen. – Vielen Dank.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Woisin.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Jobs, das Problem ist nicht neu, aber es ist sehr ernst. Es beschäftigt uns in der SPD-Fraktion schon lange. Bereits im Februar 1996 haben wir uns mit der Problematik der hyperaktiven Kinder befaßt. Damals fand unter dem Motto „Warum zappelt Philipp?“ eine Fachtagung unserer Fraktion statt, auf der wir gemeinsam mit Experten nach Wegen gesucht haben, wie den Kindern, die durch Konzentrationsmangel und permanente Unruhe sich selbst, ihren Mitschülern, den Lehrern und den Eltern das Leben schwermachen, geholfen werden kann.

Schon damals, vor fünf Jahren, wurde festgestellt, daß es das hypergenetische Syndrom schon früher gab,

(Barbara Duden SPD: Natürlich, das fällt ja nicht vom Himmel!)

heute nur öfter diagnostiziert wird.

Das Problem ist nicht neu. Dennoch hat sich die Situation offensichtlich verändert. Wenn ich aus der Presse entnehmen muß, daß in Hamburg bis zu 10 000 Kinder an dem Aufmerksamkeitssyndrom leiden und davon circa 4000 Kinder Psychopharmaka bekommen, läuten doch bei vielen Menschen die Alarmglocken.

Es stellt sich natürlich die Frage, was sich in den letzten Jahren verändert hat. Haben sich die Kinder verändert, weil die Welt immer hektischer, die Ablenkungen immer verführerischer, die Eltern immer beschäftigter und die Schule immer leistungsorientierter wird,