Protocol of the Session on May 17, 2016

An dieser Stelle ist das Problem, dass Sie kein Angebot für die jungen Geflüchteten machen, sondern für alle bis 27Jährigen. Jetzt stellt sich aber die Frage – und darauf sind Sie bisher noch nicht eingegangen –, warum die Maßnahmen, die bisher für alle diejenigen, die in diese Altersgruppe fallen, schlecht sein sollen, sodass man diese neue Maßnahme braucht. Darauf sind Sie nicht eingegangen. Daher müssen wir das schon einmal näher betrachten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Gerhard Merz (SPD): Das ist nicht das Problem! – Gegenruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Kollege Merz, ich glaube, dass Schlussfolgerungen hier schon frei gezogen werden dürfen. Ich möchte Ihnen einfach einmal die Schlussfolgerungen darlegen,

(Unruhe bei der SPD – Glockenzeichen des Präsi- denten)

die nicht von mir, sondern von Anzuhörenden stammen. Dann können Sie das denen vorhalten.

Frau Birgit Groß, Geschäftsführerin des DGB Bildungswerkes,

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

fragt:

Was passiert, wenn tatsächlich für alle die Berufsschulmöglichkeit bis 27 geöffnet wird? – Darin sehe ich auch eine sehr große Konkurrenz für das duale System auf uns zukommen, und ich bitte Sie, zu bedenken, natürlich gibt es Jugendliche mit einem besonderen Förderungsbedarf, und sie brauchen so etwas wie eine vollzeitschulische Ausbildung mit all den Rahmenbedingungen und Betreuungsmöglichkeiten, die es gibt. Aber ich warne auch davor, den Blick dafür zu verlieren, was dies für die duale Ausbildung bedeuten könnte und ob wir damit nicht eine Konkurrenzsituation schaffen, die wir so eigentlich alle nicht wollen.

Ich glaube, dass die Kollegin vom DGB Bildungswerk den Finger in die Wunde gelegt hat. Sie schaffen damit natürlich ein weiteres vollschulisches Angebot, das an die Stelle der bisher funktionierenden Förderangebote treten wird und das natürlich ein Konkurrenzangebot zur dualen Ausbildung ist. Dass es dort jetzt schon bei der Altersgruppe der bis 18-Jährigen eine Konkurrenzsituation und einen einseitigen Zug in Richtung vollschulischer Ausbildung gibt, haben wir heute Morgen bei dem Setzpunkt der CDU zur Situation der Ausbildung im Handwerk schon beklagt. Wenn man diese Möglichkeit für die jungen Erwachsenen eröffnet, ist doch zu erwarten, dass dadurch das Problem nicht kleiner, sondern größer wird. Daher ist das ein richtiger Schluss, der dort gezogen wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb sage ich: Ja, wir müssen etwas für die jungen Geflüchteten tun. Ja, wir müssen etwas für all diejenigen jun

gen Erwachsenen tun, die keinen direkten Zugang zum dualen Ausbildungssystem haben. Aber es gibt andere Instrumente und Möglichkeiten, um das zu erreichen.

Diese anderen Instrumente und Möglichkeiten hat die Landesregierung auch schon aufgelegt. Es ist eine ganze Reihe von Maßnahmen in diesem Bereich aufgegriffen worden. Die werden vom Sozial- und Wirtschaftsministerium, von der Bundesagentur für Arbeit, den Kammern sowie im Bereich der akademischen Bildung vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst, aber auch vom Kultusministerium verantwortet, weil im Programm InteA eine Öffnung nach oben stattgefunden hat.

Ihr Ansatz geht an dem Ziel, etwas für junge Geflüchtete zu tun, vorbei – einerseits, weil in diesem Bereich schon etwas geleistet wird, und andererseits, weil Sie damit eine Konkurrenzsituation zu anderen Maßnahmen schaffen, die wir nicht wollen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher komme ich zu der abschließenden Bewertung, dass die SPD seinerzeit durchaus auf einen schwierigen Sachverhalt aufmerksam gemacht hat. Das will ich Ihnen zugestehen. Der Gesetzentwurf hat nämlich dazu geführt, dass wir uns noch einmal intensiv darüber beraten haben, was junge Geflüchtete in diesem Land brauchen.

Die Landesregierung hat, auch in Kooperation mit der SPD-Fraktion, ein ganzes Maßnahmenpaket zur Integration von Flüchtlingen auf den Weg gebracht. Darauf haben Sie eben per Zwischenruf hingewiesen. Ich glaube, dass dieses Maßnahmenbündel, das wir jetzt auf den Weg gebracht haben, wesentlich besser ist, als wenn wir den Berufsschulzugang für alle bis 27-Jährigen öffnen würden. Denn wir haben zur Förderung von jungen Erwachsenen bereits viele gute Instrumente entwickelt, zu denen wir dann in Konkurrenz treten würden. Das würde Risiken und Nebenwirkungen erzeugen, die wir nicht haben wollen. Daher lehnen wir den Gesetzentwurf heute ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege May. – Herr Abg. Greilich, FDPFraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute über einen Gesetzentwurf der SPD, den es nicht gebraucht hätte, wenn diese Koalition ihre Hausaufgaben gemacht und die Probleme, die wir haben, gelöst hätte.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Insofern legt dieser Gesetzentwurf den Finger genau in die Wunde, die diese Koalition mit ihrer Landesregierung dummerweise verursacht hat.

Ich darf an die Vorgeschichte erinnern. Wir haben es vor der Landtagswahl geschafft – als sich das Flüchtlingsproblem erst in seiner Dimension abzeichnete, als es entstand und die erste Welle ankam –, mit der damaligen Kultusministerin Nicola Beer und ihrem Staatssekretär Lorz ein Programm aufzulegen bzw. Unterrichtsmodelle zu erproben, wie man junge Flüchtlinge auch über die Volljährigkeit

hinaus vernünftig beschulen kann. Das ist dann mit dem InteA-Programm teilweise, aber eben nur halbherzig, umgesetzt worden. Das ist das Grundproblem, warum wir heute diesen Gesetzentwurf auf dem Tisch haben und ihn auch brauchen – herzlichen Dank an die SPD.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

InteA ist ein Rückschritt gegenüber dem, was wir schon vorher auf den Weg gebracht hatten und in Modellschulen implementiert haben, in denen es dann möglich war, junge Flüchtlinge über das Alter von 18 und auch 21 Jahren hinaus zu beschulen und zu unterrichten. Sie haben das reduziert. Zunächst einmal war sehr früh Schluss mit der Schulpflicht; es sollte überhaupt nicht jenseits der normalen Schulpflicht beschult werden. Sie haben die Schulen dann für die Aufnahme von bis zu 21-Jährigen geöffnet. Das war sehr halbherzig, weil Sie die dafür erforderlichen Ressourcen nicht zur Verfügung stellen. Schulen, die davon Gebrauch machen, müssen das zulasten des Unterrichts für andere tun. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist genau der falsche Weg.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen eine andere Altersgrenze. Wir brauchen vielleicht nicht unbedingt die Altersgrenze von 27 Jahren. Aber dazu will ich mich heute gar nicht mehr äußern. Herr Merz hat von Anfang an in der Diskussion deutlich gemacht, dass man das locker auf das aus meiner Sicht richtige Alter von 25 Jahren hätte ändern können – wenn denn diese Koalition überhaupt bereit gewesen wäre, den Weg der Vernunft ein Stück mitzugehen.

Aber diese Bereitschaft war nicht vorhanden. Wenn ich heute höre, es sei ein Problem, wenn plötzlich 27-Jährige auf der einen Seite neben pubertierenden Schülern auf der anderen Seite sitzen – Herr Kollege Schwarz, Sie haben das vorgetragen. Herr Kollege Schwarz, gehen Sie einmal in die Berufsschulen. Dort werden Sie sehen, dass Sie diese Situation schon heute haben. Die haben Sie schon immer gehabt. Die haben Sie natürlich auch bei solchen, die mit 21 Jahren aufgenommen werden.

Herr Kollege Schwarz, das Entscheidende ist – und das ist offensichtlich noch nicht in allen Köpfen angekommen –, dass diese Jugendlichen, die dort zu beschulen sind, gebrochene Laufbahnen, Lebensläufe und Bildungslaufbahnen haben. Diese Jugendlichen haben teilweise ein- bis dreijährige Fluchterfahrungen mit traumatischen Erlebnissen hinter sich. Das sind völlig andere Menschen als diejenigen, die hier behütet aufgewachsen sind und in den Berufsschulen landen. Das können Sie sich vor Ort anschauen. Insofern ist es ganz hilfreich, auf die Praxis zu hören. Deswegen war die Anhörung auch so wichtig.

Da muss ich sagen: Das ist schon ein bisschen ein Stück aus dem Tollhaus, wie hier diskutiert wird. Die Anzuhörenden aus der Praxis haben durchgängig gesagt: Na ja, wenn es keinen anderen Weg gibt, dann machen wir es halt mit dem Gesetzentwurf der SPD, das ist dann jedenfalls ein Schritt auf dem richtigen Weg. – Sehr deutlich will ich dazu noch Folgendes sagen: Es geht doch nicht darum, eine Berufsschulpflicht bis zum Alter von 27 Jahren zu implementieren, sondern es geht um das Recht, eine Schule zu besuchen, wenn man noch keinen Abschluss erlangt hat.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Dieses Recht wollen Sie jungen Menschen verwehren, die eine solch gebrochene Lebenslaufbahn hinter sich haben und gerade auf unsere Hilfe angewiesen sind? Dazu sage ich noch eines: Sie versündigen sich nicht nur gegenüber diesen jungen Menschen, sondern Sie versündigen sich damit gegen unsere Gesellschaft. Wir reden hier immer über Integration. Der beste Schlüssel zur Integration ist eine vernünftige Bildung, eine vernünftige Ausbildung. Das ist der Weg zur Integration in die Gesamtgesellschaft. Dazu aber brauchen wir die schulische Bildung, die Sie an dieser Stelle verweigern.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Herr Kollege May, das ist in der Anhörung auch mehr als deutlich geworden. Da ist es schon ein bisschen bemerkenswert, wie hier zitiert wird. Es gab Stellungnahmen aus der Wirtschaft, die waren nicht vollständig unkritisch – aber im Grundtenor waren die positiv,

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

und zwar dahin gehend: Wir brauchen hier eine Verbesserung des Angebots. – Dazu hat man manche Bedenken geäußert. Das darf aber nicht dazu führen, dass insgesamt die Schulen als Ausweichsystem für die duale Ausbildung gewählt werden. Diese Diskussion kennen wir aus anderen Zusammenhängen, und die führen wir auch konkret. Das ist nicht das Thema. Wenn aber jetzt diese Fußnote der Wirtschaft von Ihnen als schlagkräftiges Argument gewählt wird, um das abzulehnen, oder auch wenn man die Vertreterin des DGB Bildungswerkes – nicht des DGB – zitiert, die aus relativ durchsichtigen Interessen – ich will das hier jetzt nicht näher ausführen – eine etwas abweichende Auffassung vertreten hat – – Ich hätte nie gedacht, dass das so zitiert wird.

Herr Kollege May, als ich Sie heute früh hier gesehen habe, haben Sie mich an Arturo Vidal gestern erinnert – keine Angst, nicht etwa von der Eleganz her, das war nicht der Punkt,

(Heiterkeit)

aber in der Art und Weise einer so offensichtlichen Schwalbe, wie Sie das hier mit Ihrer Interpretation des Anhörungsprotokolls versuchen.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) – Zuruf des Abg. Armin Schwarz (CDU))

Herr Kollege Schwarz oder Herr Kollege May, so etwas sollten Sie uns zukünftig hier ersparen.

(Holger Bellino (CDU): Auch aus fußballtechnischen Gründen!)

Herr Kollege Bellino, eigentlich wollte ich es nicht erwähnen, aber was mir aufgefallen ist, das ist, erstens, wie leer die Reihen der CDU-Fraktion bei diesem Tagesordnungspunkt sind; und zweitens vor allem, wer da fehlt. Da fehlt z. B. derjenige, dessen Reaktionen bei der Anhörung sehr deutlich waren und an dessen Gesicht man ablesen konnte, dass er gesagt hat: Genau, die haben doch alle recht. – Hugo Klein ist jetzt nicht da. Fragen Sie ihn einmal. Der versteht etwas von der Sache. Der wird Ihnen dann erklären, wie es geht und was das Entscheidende – –

(Holger Bellino (CDU): Der hat zurzeit ein Fachgespräch!)

Das kann ich gut verstehen. An seiner Stelle wäre mir da auch ein Fachgespräch lieber, als dieser Debatte folgen zu müssen, in dieser Position der Koalitionsmehrheit.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Wie Sie schon sagten, ist das ein Fachgespräch. Er ist da nämlich der Fachmann. Also hätte man ihn vielleicht auch einmal dazu fragen sollen.

(Holger Bellino (CDU): Sie kennen das doch alles!)

Herr Kollege Bellino, ich wiederhole: Das, was wir brauchen, ist eine flexible Vorbereitung der jungen Menschen auf die duale Ausbildung. Wir müssen sie ausbildungsfähig machen. Sie müssen die Menschen zu einer geeigneten Ausbildungsqualifikation hinführen, damit die Ausbildung überhaupt gelingen kann.