Protocol of the Session on May 26, 2015

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Es gab auch eine Arbeitsgruppe zur Bekämpfung illegaler Graffiti, hinsichtlich der Gewalterfahrungen im öffentlichen Raum bei Kindern und Jugendlichen, hinsichtlich der Vernachlässigung der Kinder und des Sportes und der Prävention.

Ich will jetzt noch einmal auf die Arbeitsgruppe „Vernachlässigung der Kinder‘“ eingehen, weil das ein aktuelles Thema ist. Wir haben es gehört. Wir haben auch die letzte Kriminalstatistik präsentiert bekommen, die sehr erschreckend war. Da musste man zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der missbrauchten Jungen und Mädchen gestiegen ist. Täglich werden 50 Jungen und Mädchen misshandelt oder sexuell missbraucht.

Das sind nur die bekannt gewordenen Fälle. Da gibt es eine sehr hohe Dunkelziffer. Jeder Lehrer und jede Lehrerin hat, statistisch gesehen, zwei Jungen oder Mädchen in der Klasse, die Erfahrung mit sexuellem Missbrauch haben. Es sind also zwei in jeder Klasse. Das ist schon enorm. Allein im letzten Jahr wurden 6.600 Fälle bekannt, in denen kinderpornografisches Material beschafft oder verbreitet wurde.

Frau Kühne-Hörmann hat bereits gesagt, dass hierzu von Hessen aus eine Initiative gestartet wurde, um die Lücken im Gesetz zu schließen und den Menschen mit pädophilen Neigungen zu helfen und sie nicht zu Tätern werden zu lassen.

Aufgrund der Empfehlungen dieser Arbeitsgruppe hat das Kabinett im Jahr 2012 einem Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt in Institutionen zugestimmt. Seitdem unterstützt die Arbeitsgruppe auch die Umsetzung des Aktionsplans. Beteiligt an dem Aktionsplan waren außer der Arbeitsgruppe das Hessische Ministerium der Justiz, das Innenministerium, das Kultusund das Sozialministerium.

Im Aktionsplan werden die verschiedenen Ebenen dargestellt und Handlungsempfehlungen gegeben. Das geht von der Beratung, von Hilfsangeboten für Missbrauchsopfer zur Beratung und Hilfsangeboten für potenzielle Täter über zur Bekanntmachung von Hilfsangeboten durch Öffentlichkeitsarbeit und institutionelle Maßnahmen. Aber auch der Opferschutz bei Strafverfahren ist Thema – wir haben das gehört –, genauso wie Maßnahmen bei der Aus- und Fortbildung in kindernahen Berufen.

Zum Schluss des Aktionsplans wird eine Evaluation der neu eingeführten Maßnahmen empfohlen. Wir sind gespannt, was bei der Evaluierung herauskommen wird.

Außerdem wird empfohlen, das Dunkelfeld näher zu beleuchten und mit repräsentativen Befragungen den Fällen näherzukommen, die sich im Moment im Dunkeln befinden, damit das sichtbar gemacht wird und auch mehr Straftaten zur Anzeige gebracht werden können.

Mit diesem Aktionsplan wurde also von der Arbeitsgruppe ein großer Beitrag geleistet, um Voraussetzungen zu schaffen, dem sexuellen Missbrauch zu begegnen. Bei konsequenter Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen kann Hessen sicher einen Beitrag dazu leisten, diese Zahlen in der Kriminalstatistik – hinter der immer Menschen und Opfer stehen – zu senken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Diese Arbeitsgruppe beschäftigt sich nicht ausschließlich mit sexueller Gewalt, sondern ganz aktuell auch mit der drängenden Problematik der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Auch das ist ein aktuelles Thema, dem wir uns widmen müssen.

Jetzt wissen wir, wie der Landespräventionsrat arbeitet. Durch den hohen Sachverstand, der dort gebündelt zu finden ist, können die Landesregierung und die einzelnen Fachministerien gar nicht anders, als diese Empfehlungen anzunehmen und umzusetzen. Je besser die Umsetzung der Empfehlungen zur Kriminalprävention erfolgt, desto weniger Straftaten und weniger Opfer werden wir zu verzeichnen haben. Das ist ein Ziel, an dem wir alle gemeinsam arbeiten müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Was die kriminalpräventive Arbeit bewirkt, wurde schon einmal am Beispiel der Häuser des Jugendrechts deutlich gemacht. Die Zahlen sind zurückgegangen – ich will das nicht alles noch einmal ausführen. Aber ich will mit einer Legende aufräumen. Frau Hofmann, Sie haben hier ein paarmal gesagt, dass Sie oder die SPD die Erfinder der Häuser des Jugendrechts sind. Das stimmt nicht. Denn die Häuser des Jugendrechts gehen auf eine Empfehlung der Expertenkommission zur Verbesserung der rechtlichen und tatsächlichen Instrumentarien zur Bekämpfung der Jugendkriminalität zurück. Wenn dort nur SPD-Mitglieder drin säßen, würde mich das wundern. Auch Sachverständige des Landespräventionsrats waren daran beteiligt, und Sachverständige haben sich auch bei der Implementierung der Häuser und an deren Weiterentwicklung beteiligt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Die einzelnen Ministerien mit ihren unterschiedlichen Angeboten leisten in unterschiedlichen Feldern ihren Beitrag dazu: das Kultusministerium nicht nur mit seiner klassischen Aufgabe der guten Schulbildung durch gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch durch Fortbildungs- und Beratungsangebote zur Gewaltprävention und zum Demokratielernen; oder das interministerielle Netzwerk gegen Gewalt, dessen Geschäftsstelle beim Ministerium des Innern angesiedelt ist. Im Rahmen dieses Netzwerks gibt es z. B. das Gewaltpräventionsprogramm „PiT Hessen“, „Prävention im Team“, das mittlerweile in allen Sekundarstufen I in Hessen angeboten wird. Initiiert wurde dieses Projekt vom Hessischen Ministerium des Innern und für Sport, vom Kultusministerium und vom Ministerium für Soziales und Integration. Evaluiert wird dieses Projekt von der Universität Marburg.

Ich selbst war einmal bei einer solchen Trainingsmaßnahme dabei. Jugendliche lernen auf spielerische Weise, sich selbst vor Gewalt zu schützen und dadurch erst gar keine Taten entstehen zu lassen. Dieses Programm setzt ganz klar auf Gewaltlosigkeit und Deeskalation.

Ich hoffe also, ich konnte Ihnen deutlich machen, dass sich Prävention rechnet und dass wir eine breite gesellschaftliche Verankerung des Präventionsgedankens auf allen Ebenen brauchen und dabei auch jeden Haupt- und Ehrenamtlichen auf seinem Platz. Diese Arbeit zu unterstützen und zu vernetzen durch die Verleihung des Präventionspreises, diese Arbeit sichtbar zu machen durch gemeinsame Veranstaltungen vor Ort, ist Aufgabe des Landespräventionsrates. Aber auch und gerade die Empfehlungen der Sachverständigen an die Landesregierung in den einzelnen Handlungsfeldern sind eine Daueraufgabe, die dazu beiträgt, Straftaten zu vermeiden und dadurch die Opfer zu schützen, indem keiner Täter wird.

In diesem Sinne freuen wir uns auf den 20. Deutschen Präventionstag in Frankfurt. Ich gehe davon aus, dass nicht nur der hessische Finanzminister daran teilnimmt, um die Schuldenbremse durch Prävention erfolgreich zu meistern. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Als Nächster hat Herr Abg. Wilken, Fraktion DIE LINKE, das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Prävention, auch Kriminalprävention, ist wichtig. Das finden auch wir. Frau Ministerin, deswegen ist es schade, dass Sie sich in weiten Teilen Ihrer Rede mit anderem beschäftigt haben.

Sie begannen Ihre Rede mit dem Verweis – ich zitiere Sie – zuallererst auf „islamistischen Terrorismus“, „die Gräuel- und Gewalttaten des sogenannten Islamischen Staats“. Ja, Sie haben recht, das sind Gräueltaten. Aber diese dämmen Sie nur bedingt durch Präventionsdienste in Hessen ein. Dazu müssten die gute Zusammenarbeit und die freundlichen Beziehungen mit denen – Königshäusern und anderen korrupten Systemen – beendet werden, die den IS unterstützten, finanzieren, und Sie müssten endlich aufhören, auf denen herumzuhacken, die den IS bekämpfen, teilweise bereits erfolgreich bekämpft haben, in Deutschland aber immer noch als verbotene Organisation gelten und selbst auf Ihrer Terroristenliste stehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist bigott und unglaubwürdig,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja!)

und das entwertet leider durch die Überhöhung der Bedrohung eines Anschlags außerdem die alltägliche Arbeit der Präventionsnetzwerke und -initiativen.

Sie befürchten – wahrscheinlich zu Recht – die steigende Anzahl radikalisierter Straftäter in den Vollzugsanstalten. Dem entgegenzuhalten ist wichtig, richtig – aber nicht unbedingt Prävention, sondern wird „Resozialisierung“ genannt und schon jetzt von Ihnen als „misslungene Resozialisierung“ beurteilt. Das heißt, Sie müssen im Justizvollzug tätig werden, um eine härtere, eine weiter gehende Kriminalisierung und die Bereitschaft, schwere Straftaten zu begehen, eben weil sie inhaftiert waren, zu verhindern. Da ist viel Luft nach oben. Frau Hofmann hat bereits darauf hingewiesen.

In Ihrer Regierungserklärung sagen Sie – ich zitiere Sie:

Deshalb wird die Landesregierung die Resozialisierung auch explizit als Vollzugsziel in die hessischen Vollzugsgesetze aufnehmen.

Oh Wunder, Hessen kehrt in die Gemeinschaft der Zivilisation zurück. Was haben wir eigentlich bisher im Strafvollzug gemacht, wenn nicht Resozialisierung?

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Ministerin, es reicht auch nicht, so etwas ins Gesetz zu schreiben. Das muss auch umgesetzt werden, und zwar durch Verbesserungen in den Justizvollzugsanstalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Ministerin, dann sprechen Sie ganz schnell davon, das Strafrecht zu verschärfen, um das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu steigern. Alle Experten aber sagen Ihnen, dass das so nicht geht. Auch Sie behaupten, dass ein zunehmend härteres Vorgehen gegen Straftäter vonseiten

staatlicher Kontrollinstanzen wie Polizei und Justiz nützlich bzw. erforderlich sei, um eine vermeintliche oder tatsächliche Gefährdung der inneren Sicherheit zu bekämpfen. Kriminologen sagen etwas ganz anderes. Sie weisen auf der Basis inzwischen zahlreich vorliegender Untersuchungsergebnisse immer wieder auf die fragwürdige Wirkung härterer Sanktionen hin. Aufgrund empirischer Studien werden vor allem immer auch deren schädliche Nebeneffekte betont. Ich zitiere aus dem vom Bundesministerium des Innern und vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebenen Zweiten periodischen Sicherheitsbericht:

Entgegen einer weit verbreiteten Alltagsmeinung erscheinen nach dem gegenwärtigen Stand der kriminologischen Forschung die Abschreckungswirkungen … von Androhung, Verhängung oder Vollzug von Strafen eher gering. Für den Bereich der leichten bis mittelschweren Kriminalität jedenfalls gilt grundsätzlich, dass Höhe und Schwere der Strafe keine messbare Bedeutung haben … Lediglich das wahrgenommene Entdeckungsrisiko ist – allerdings nur bei einer Reihe leichterer Delikte – etwas relevant. Bislang wurden auch keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass eine Verschärfung des Strafrechts das Normbewusstsein positiv beeinflussen würde.

Das war ein Zitat aus einem gemeinsamen Bericht des Bundesministeriums des Innern und des Bundesministeriums der Justiz.

Prof. Winfried Hassemer, ehemaliger Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, sprach in diesem Zusammenhang von einer Entwicklung hin zu einem Sicherheitsstrafrecht. Er betonte 2009 – ich zitiere –:

Das Strafrecht bewegt sich, wie andere Bereiche unseres Lebens auch, im Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit seit geraumer Zeit hin zum Pol der Sicherheit. In dieser Bewegung verschärft sich das Strafrecht, es verbessert sich nicht.

Meine Damen und Herren, diese politische Entwicklung hat nicht unbedingt etwas mit den Einstellungen in der Bevölkerung zu tun. Nahm die Angst vor Straftaten etwa zu Beginn entsprechender Befragungen 1991 noch einen prominenten Platz unter den Ängsten ein, so rangiert sie seit Jahren an vorletzter Stelle und wird nur noch von der Angst um ein Zerbrechen der Partnerschaft unterboten. Die Umfrage aus dem letzten Jahr zeigte insgesamt ein ausgesprochen niedriges Angstniveau. So gab etwa ein Viertel der Befragten an, Angst zu haben, Opfer einer Straftat zu werden. An vorderster Front liegen aber schon seit Jahren Ängste vor steigenden Lebenshaltungskosten – 58 % –, Naturkatastrophen – 51 % –, im Alter zu einem Pflegefall zu werden – 51 % –, oder vor schwerer Krankheit, 47 %. Das sind die Probleme, die die Bevölkerung hat. Da müssen wir präventiv tätig werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, außerdem spielt bei der Wahrnehmung von Kriminalität die Medienberichterstattung eine ganz entscheidende Rolle. Durch die Medienberichterstattung wird das Bild eines Bedrohungsszenarios geschaffen, werden Lösungsvorschläge gemacht, die, wie die empirische Forschung einhellig zeigt, nicht bzw. kaum Wirkung zeigen, die allerdings der Aufmerksamkeit für die Medien und damit deren Absatz dienen. Wir alle kennen das. Es genügt ein Blick in den Bücherschrank – bei mir durchaus auch –, um zu wissen, dass Kriminalität in der

Bevölkerung seit alters her offensichtlich auf großes Interesse stößt. Es gibt eine erhebliche Zahl von Kriminalromanen. Zu den Hauptsendezeiten werden heutzutage auf allen Kanälen Kriminalfilme bereitgehalten. Hierbei wird allerdings in der Regel nicht über die Kriminalität generell berichtet, sondern lediglich über ausgefallene schwere Straftaten, die einer Nachricht wert sind. So sind Sexualmorde für die Fernsehmedien am interessantesten. Während die glücklicherweise wenigen Fälle in der Polizeilichen Kriminalstatistik lediglich ca. 0,001 % ausmachen, wird in der Berichterstattung im Fernsehen über solche Fälle von Gewalt 27.000-mal häufiger berichtet, als sie statistisch vorkommen. Bei den übrigen Tötungsdelikten ergibt sich immerhin noch ein Faktor von über 300 – im Gegensatz etwa zu Körperverletzungen oder Raubdelikten, die mit einem Faktor von 0,2 kaum noch interessant sind. Damit verschiebt sich – auch diesem Problem müssen wir als Politik durchaus begegnen – die Wahrnehmung in der Bevölkerung über die Gefahren und Gefährdungen, denen sie ausgesetzt ist.

Hierbei dürfen wir natürlich auch nicht vergessen, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik ein weitgehend verzerrtes Bild von Kriminalität liefert. Begründet muss davon ausgegangen werden, dass das Dunkelfeld der nicht erfassten Straftaten bei mindestens 90 % liegt, selbst bei Fällen schwerster Kriminalität noch enorm hoch ist. Straftaten im Wirtschafts- und Finanzbereich, die teilweise enorme finanzielle Schäden verursachen, werden vielfach nicht verfolgt, da entsprechende Fachleute bei der Strafverfolgungsbehörde fehlen bzw. ein politisches Verfolgungsinteresse fehlt. Wer z. B. Steuerhinterziehungen ahnden und damit die Zahl derartiger Fälle verringern will, muss präventiv Steuerfahnder und Betriebsprüfer einstellen und darf Steuerfahnder nicht entlassen oder zwangspsychiatrisieren, nur weil sie sich trauen, auch einmal in einer Chefetage nach Kriminellen zu fahnden.

(Beifall bei der LINKEN)

Prof. Dr. Groenemeyer, Experte für Kriminalprävention in Bielefeld, sieht als Hintergrund für die Sicherheitsgesellschaft zu Recht mehrere gesamtgesellschaftliche Faktoren: neben dem Eindringen eines generellen Gefühls von Bedrohung durch Gewalt und Kriminalität in das Alltagsleben vor allem eine politische Instrumentalisierung der Bedrohung und im Zusammenhang damit eine wachsende Privatisierung der Herstellung von Sicherheit, was letztlich dazu führt, dass man sich diese leisten können muss. Verstärkte Strafandrohungen sind in diesem Zusammenhang strategisch umgeleitete Reaktionen, vor allem auch auf gestiegene soziale Ängste. Damit verändert sich die Kriminalpolitik zu einem billigen Ersatz für fehlende oder brüchig werdende Sozialleistungen. Da müssen wir ansetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, Sie wollen doch nicht wirklich den US-amerikanischen Weg gehen, der in der Kriminologie wie folgt zusammengefasst wird.

Erste Phase: Eine angebliche Nachsicht gegenüber Kriminalität wird zugunsten von mehr Härte abgelöst, nicht jedoch von Härte gegenüber den Ursachen.