Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Als erster Redner hat sich Herr Kollege Greilich von der FDP-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schön, wenn man schon mit Applaus begrüßt wird. Ich bin gespannt, wie sich das im Laufe der Debatte entwickelt.
Meine Damen und Herren, die Belastungssituation der Lehrkräfte steigt stetig durch zunehmende Heterogenität, aber auch durch die Erwartungen, Ansprüche und Anforderungen, etwa durch die Übertragung weiterer Erziehungsaufgaben an die Schulen durch Eltern, potenzielle Arbeitgeber und weiterführende Bildungseinrichtungen – und auch durch Politik und Gesellschaft, das wollen wir nicht vergessen.
Vielen Dank, Herr Kollege Klein. – Diese Veränderungen wurden bereits mehrfach im Landtag thematisiert. Die Heterogenität ist aber nicht auf die Frage der besonderen Bedürfnisse von Schülern beschränkt. Die Frage nach Inklusion bezieht kulturelle, religiöse und soziale Unterschiede und solche der Bildungsnähe ebenfalls mit ein. Diese Erkenntnis ist unmittelbar mit der Forderung nach bestmöglicher individueller Förderung aller Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Begabungen und Fähigkeiten verknüpft. Dieser Analyse und Situationsbeschreibung wird wohl kaum einer widersprechen.
Meine Damen und Herren, die Diskussion beginnt aber bei der Beantwortung der Frage, wie wir mit der veränderten Situation umgehen und wie wir die Fragen lösen, die aufgeworfen sind. Es geht dabei insbesondere darum, Verantwortung für die Kinder und Jugendlichen genauso wie für die Lehrkräfte zu übernehmen und keinen der Beteiligten gegeneinander auszuspielen. Hier müssen wir den Weckruf aus den Schulen, insbesondere aus den Frankfurter Grundschulen, und von immer mehr Lehrerinnen und Lehrern der letzten Wochen ernst nehmen. Die Zeitungsveröffentlichungen zur Situationsbeschreibung nehmen kein Ende, das haben Sie selbst verfolgt.
Dabei geht es um die permanente Überlastung, die kaum noch Raum für die notwendige individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler lässt. Grund dafür ist, dass von den vorhandenen Lehrerinnen und Lehrern abgefordert wird, ohne ausreichende Ressourcen alles zu leisten, was sich Schwarz-Grün so auf den Wunschzettel geschrieben hat.
Die Forsa-Umfrage, die der Verband Bildung und Erziehung vor wenigen Tagen, am 22. Mai, vorgestellt hat, ist ein weiteres Warnsignal, wenn die Schlussfolgerung darin lautet, dass die Politik das Vertrauen der Lehrkräfte in die Inklusion zurückgewinnen muss. Es muss uns doch mehr als nachdenklich machen, wenn nur gut die Hälfte der Lehrkräfte, 54 % im Jahr 2017 gegenüber 57 % im Jahr 2015, die gemeinsame Unterrichtung von allen Kindern mit und ohne Behinderungen für grundsätzlich sinnvoll hält. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das zeigt, unser gemeinsames Ziel der bestmöglichen Förderung jedes einzelnen Kindes erreichen wir nur, wenn wir auch die ausreichende Hinterlegung mit Ressourcen schaffen. Die haben wir momentan nicht, wie mehrere Anfragen der Opposition im Landtag herausgearbeitet haben und durch die Landesregierung unter anderem mit dem Konzept bzw. dem Maßnahmenpaket zur Gewinnung von Lehrkräften bestätigt wurde.
Wir müssen konsequent eingestehen, dass die zur Umsetzung der Inklusion notwendigen Ressourcen derzeit weder vorhanden sind noch kurzfristig geschaffen werden können.
Es gilt, keine Luftschlösser zu bauen. Momentan stehen schlicht die Lehrkräfte nicht zur Verfügung, um die Bedarfe abzudecken. Damit stellt sich im Übrigen auch die Frage, wie die 210 eingeplanten neuen Stellen für die Inklusionsbündnisse, die erst einmal sehr erfreulich klingen, in der Praxis realisiert werden sollen, wenn heute schon über 70 Förderschullehrkräfte fehlen und die Situation sich nicht entspannt, sondern der Bedarf steigt.
Ich wiederhole deshalb: Wer sich nicht an der Zukunft unserer Kinder versündigen will, darf nicht an der Qualität der Bildung sparen.
Verlierer sind sonst alle Schüler, wenn die notwendigen Ressourcen nicht zur Verfügung gestellt werden. Von daher muss der Ressourcenvorbehalt weiter und uneingeschränkt gelten. Auch Sie müssen sich und den Menschen in Hessen eingestehen: Solange die Ressourcen in Hessen
Wir sind für eine Bildungspolitik, die sich klar am Kindeswohl orientiert. Deshalb gilt: Kein Schüler darf unter halbherzig mit der Brechstange umgesetzter Inklusion leiden.
Die schon zitierte Umfrage im Auftrag des VBE ergab bezüglich der Frage nach Erhalt der Förderschulen – das hängt ganz eng damit zusammen –:
Die überwältigende Mehrheit der Lehrer, 97 %, spricht sich dafür aus, auch bei Einrichtung eines inklusiven Schulsystems die bisherigen Förder- und Sonderschulen alle oder mindestens teilweise zu erhalten. Nur 2 % halten Förder- und Sonderschulen perspektivisch für entbehrlich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Schulen gehören zu unserem Schulsystem, und sie müssen auch als Wahlmöglichkeit, orientiert am Bedarf, unbedingt erhalten bleiben.
Wer sich dieser zwingenden Schlussfolgerung noch entziehen will, den darf ich mit ein paar Zitaten aus einem Leitartikel der „FAZ“ von Frau Schmoll vom 23. Mai 2017 in die Realität zurückholen. Es heißt dort:
In vielen Ländern … gilt noch immer der ideologische Kurzschluss, dass sich behinderte Kinder nur unter Regelschülern gut entwickeln. Häufig genug aber bewahrheitet sich das Gegenteil davon. Ausgrenzung, Hohn und Spott, mangelnde Förderung und eine unlösbare Überforderung der Lehrer machen die Schule für viele Betroffene zur Hölle. … Doch die Gruppe derer, die am meisten Aufmerksamkeit braucht, wird immer größer. Es sind Kinder mit emotional-sozialer Entwicklungsstörung, die man früher als schwer erziehbar bezeichnet hätte. Zwischen 2005 und 2015 ist diese Gruppe um 86 % auf 85.500 gewachsen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das bedeutet schlichtweg, dass die befragten Lehrer recht haben.
Mindestens auf absehbare Zeit gilt: Förderschulen müssen erhalten werden, um eine bestmögliche Förderung eines jeden Kindes gewährleisten zu können. Das ist die erste wichtige Feststellung, die wir im Interesse aller Kinder in Hessen gemeinsam treffen sollten.
Zum Zweiten gilt: Mit Blick auf die Situation der Schulen vor Ort ist es dringend notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, die die Über- bzw. Belastung aufgreifen und beheben. Wenn sich die grundlegend richtige Zielsetzung ins Negative verkehrt und es zur Ablehnung durch Lehrkräfte, aber auch durch Schülerinnen und Schüler und Eltern kommt, dann haben wir unseren Kindern und dem Thema Inklusion einen Bärendienst erwiesen. Deshalb muss gelten, ich wiederhole es: Solange die Ressourcen nicht ausreichen, kann Inklusion nicht vollständig umgesetzt werden und erfährt ihre Grenzen. – Dies darf auch die Politik der Landesregierung nicht leugnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition, Inklusion ist ein sehr wichtiges politisches Thema, wie man auch an der Diskussion in anderen Bundesländern, z. B. in Nordrhein-Westfalen, sehen konnte. Wenn Sie die Bemühungen um inklusiven Unterricht nicht bewusst scheitern lassen wollen, dann räumen Sie endlich ein, dass es so wie jetzt nicht geht. Inklusion ist viel zu wichtig, als dass man sie mit der Brechstange umsetzen und damit zum Scheitern bringen dürfte.
Vor diesem Hintergrund haben wir konkrete Forderungen aufgegriffen und fordern ihre Umsetzung: erhöhte Ressourcen und verstärkte Zusammenarbeit der unterschiedlichen Professionen, wie z. B. Schulsozialarbeiter, Schulpsychologen, Integrationshelfer und Therapeuten, mit den Lehrerinnen und Lehrern; keine Aushöhlung des Ressourcenvorbehalts und keine Reduzierung der Entscheidungsspielräume der Kommunen durch die mit der Schulgesetznovelle erfolgte Neuregelung der Grundlagen für die Inklusion, auch wenn in Einzelfällen dann eine inklusive Beschulung in der Regelschule derzeit noch nicht möglich ist; eine umfassende neutrale wissenschaftliche Evaluation der Erfahrungen der Modellregionen Inklusion und entsprechender Vergleiche; und nicht zuletzt die Ausbildung von Lehrkräften im Umgang mit der Heterogenität, denn auch dort liegt noch vieles im Argen.
Ich will, da sich meine Redezeit langsam dem Ende zuneigt, zum Schluss nur noch zwei Punkte in aller Kürze ansprechen.
Erstens. Auch die Klagen bezüglich der zunehmenden Bürokratisierung und Kontrollwut durch die hessische Kultusverwaltung und das Ministerium müssen ernst genommen werden. Dazu ist es notwendig, die Lehrerinnen und Lehrer von bürokratischen Lasten zu befreien. Das ist am einfachsten durch die Reduzierung der aktuell übersteigerten Kontrollbedürfnisse des Kultusministeriums zu erreichen. Aber wenn Sie sich davon nicht freimachen können, dann müssen Sie halt in den sauren Apfel beißen und zusätzliche Personalkapazitäten zur Bewältigung des bürokratischen Zusatzaufwandes schaffen.
Zweitens. Auch die Beschulung in den Intensivklassen und -kursen sowie in den Alphabetisierungsklassen für junge Flüchtlinge erfordert besondere Kompetenzen und Vorbereitungen. Sie erfordert vor allen Dingen aber auch Flexibilität und den Willen, sich mit Themen wie z. B. Analphabetismus ernsthaft auseinanderzusetzen. Solange das Ministerium hier an starren und von den Schulen teilweise als willkürlich und ausschließlich fiskalisch zu erklärenden zahlenmäßigen Grenzen festhält, kann dies nicht gelingen. Das erzeugt vielmehr Probleme und behindert den Erfolg der Schulen.
Es reicht nicht, wohlfeil die ohne Frage zutreffende Aussage zu treffen, dass die Lehrerinnen und Lehrer die wahren Helden unserer Zeit sind. Wichtig ist, dass diesen Worten auch Taten folgen. Machen Sie den Schulen den Weg frei, und zeigen Sie so echte Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer und ihrer Schulleitungen in der pädagogischen Arbeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Greilich. – Als nächster Redner spricht nun Kollege Schwarz von der CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der FDP sehr dankbar für diesen Setzpunkt. Das bietet Gelegenheit, ein paar Dinge geradezurücken. Deswegen will ich voranstellen: Die Landesregierung und SchwarzGrün gewährleisten durch die kontinuierlichen Bildungsoffensiven bestmögliche Rahmenbedingungen für die hessischen Schulen und die hessischen Lehrkräfte.
Es ist richtig: Mit den gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten gehen Veränderungen einher – natürlich auch Herausforderungen für die Schulen und die Lehrkräfte. Da sind wir uns völlig einig. Richtig ist: Wir haben mit großer Entschlossenheit und großer Konsequenz genau auf diese Veränderungen reagiert. Wichtiger noch ist: Wir agieren, und wir sind vor der Lage und nicht, wie Sie, Herr Kollege Greilich, eben versucht haben zu beschreiben, hinter der Lage.
Tatsache ist: Von den von Ihnen erwähnten Sparansätzen dieser Landesregierung und der schwarz-grünen Koalition kann keinerlei Rede sein. Die Erhöhung der Ressourcen, die Sie einfordern, praktizieren wir. Deswegen will ich einmal die Gelegenheit nutzen, zu skizzieren, was alles geschieht.
Innerhalb der letzten dreieinhalb Jahre haben wir 2.500 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen. Das sind so viele Lehrer bei so wenigen Schülern wie nie zuvor. Darauf können wir stolz sein.
Wir haben den Bildungsetat im Haushaltsjahr 2017 um 75 Millionen € erhöht, sodass in Summe knapp 5 Milliarden € zur Verfügung stehen. Das ist so viel Geld wie nie zuvor.