Das war aber nur der staatliche Teil. Es gibt noch eine Reihe von Auseinandersetzungen, die gar nicht aus dem staatlichen Bereich kommen. Schauen wir uns einmal in den Vereinigten Staaten nach den sogenannten Think Tanks um, die aus gesellschaftspolitisch genehmen Wissenschaftlern zusammengesetzt werden. Schauen wir uns aber auch einmal die offene Korruption an. Schauen wir uns einmal Studien zum Tabakkonsum vor dem Hintergrund der in diesem Zusammenhang geflossenen Gelder an. Hierzu gibt es einen ordentlichen Bericht des amerikanischen Senats. Dadurch wird deutlich, dass Wissenschaft auch offen bezahlt werden kann. Auch an dieser Stelle wird Wissenschaftsfreiheit aufgegeben, sodass kritische Wissenschaft nicht möglich ist.
Außerdem gibt es die Frage der inneren Probleme. Ich beschreibe das einmal anhand eines klassischen Beispiels. Sie wissen alle, dass Veröffentlichungen im wissenschaftlichen Bereich einem Peer-Review unterliegen. Das heißt, dass Leute aus dem gleichen Bereich sagen müssen, ob das wissenschaftlich oder nicht wissenschaftlich ist. Wenn Sie genau hinschauen, stellen Sie fest, dass das dazu führt, dass sich eine herrschende Meinung in den Journalen abbildet, eine andere aber nicht.
Ob das unserem Bild einer Wissenschaftsfreiheit, in der Pluralität, Vielfalt und Widersprüchlichkeit öffentlich sichtbar werden, entspricht, ist ein Punkt, mit dem sich die Wissenschaft selbst auseinandersetzen muss. Ich glaube, das ist nicht ganz ohne.
Der nächste Punkt betrifft den internationalen Austausch. Ja, das ist ein zentrales Problem. Da die Debatte so schön in die heutige Zeit passt, möchte ich das anhand der historischen Entwicklung deutlich machen. Die Freiheit der europäischen Wissenschaft hat zwei Quellen. Die eine Quelle ist eine europäische Quelle, nämlich die Aufklärung. Die zweite Quelle ist die arabische Wissenschaft, die die Grundlagen der Naturwissenschaften durch Experimente, durch Forschung am Gegenstand und durch die praktische Auseinandersetzung mit dem lebenden Körper und dem lebenden Organismus eingeführt hat. Insofern baut die europäische Wissenschaft auf einer großen Tradition auf. Damit ist die europäische Wissenschaft aus der Gefangenschaft ideologischer Grenzen, nämlich theologischer Grenzen, herausgeholt worden. Ich finde, der internationale Austausch, der ideologische Grenzen nicht kennt bzw. durchbricht, ist eines der zentralen Elemente der Wissenschaftsfreiheit. Insofern stimmen wir auch diesem Teil zu, dass dieser internationale Austausch deutlich gefördert werden muss.
Das könnte man auch ein bisschen zuspitzen. Die Frage ist, ob Hessen seine Partnerschaft mit Wisconsin nicht nutzt, um diese unsinnigen Einreisebeschränkungen der Vereinigten Staaten als Bundesland zur Debatte zu stellen, und zwar im freundlichen Austausch mit denen, die schließlich zusammen mit uns Politik machen wollen. Sonst hätten sie diesen Freundschaftsvertrag mit uns ja nicht unterzeichnet.
Es gibt noch ein letztes Problem, das in die Redezeit passt. Das betrifft die Frage der modernen Medienwelt und den Umgang von Politik mit wissenschaftlichen Ergebnissen. Das betrifft auch den Umgang mit Zeitungen. Ich nenne das dann immer die Flatulenz des Monats. Das ist dann also die Studie, bei der mit fünf Befragten erklärt wird, dass Schokolade intelligenter macht, dass braune Augen darauf hindeuten, dass man – – Das lasse ich jetzt lieber.
Nein. Ich möchte das nachher nicht im Protokoll nachlesen. Die Studie ist so absurd. Das glauben Sie alles nicht.
Diese werden ganz locker gleichwertig zitiert wie die Erkenntnisse von renommierten Instituten, wie die Erkenntnisse der Klimaforschung und Ähnliches mehr. Ich glaube, wenn die Öffentlichkeit solchen Quatsch rezipiert, als sei es ernsthafte wissenschaftliche Arbeit, dann tragen wir ein Stück weit zur Entwertung und damit zur Entgrenzung der Wissenschaft bei.
Der allerletzte Punkt ist, dass nationale, fremdenfeindliche und autoritäre Bewegungen sehr bewusst sagen, dass sie bestimmte Wissenschaft nicht zur Kenntnis nehmen. Darüber müssen wir streiten; denn es geht nicht nur um die Frage der Freiheit einer Wissenschaft, sondern es geht um die Freiheit der Wissenschaft, aller Wissenschaftler und damit um Pluralität und um die Breite von Wissenschaft. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle in allen Ländern Nachholbedarf haben. Ich möchte nicht, dass irgendwann einmal ein Wissenschaftler völlig verzweifelt am Ende seines Lebens genauso wie Galileo sagt: Und sie bewegt sich doch. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist gut, dass sich der Landtag heute mit der Freiheit von Wissenschaft und Forschung sowie der Situation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Welt befasst. Denn es gibt, global betrachtet, leider allen Grund zur Sorge um die Freiheit von Wissenschaft und Forschung.
Hochschulen geraten als Orte kritischen Denkens zunehmend unter Druck. Weltweit schrumpfen die Budgets für die Wissenschaft, und vielerorts sind Strömungen auf dem Vormarsch, die Wissenschaftsfeindlichkeit offen propagieren. Ganze Wissenschaftsbereiche sind bedroht, wenn wissenschaftliche Faktenlagen und fundierte Erkenntnisse – wie beispielsweise über den Klimawandel oder aus der
Gender-Forschung – diskreditiert oder gar geleugnet werden, und zwar nicht von irgendjemandem anonym im Internet, sondern ganz offiziell durch Rechtsaußenparteien, durch Regierungsstellen und teilweise durch Behörden.
Deshalb ist es richtig, dass der Landtag all diesen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern seine Solidarität und Unterstützung ausspricht.
Wir erleben, wie auf politischer Ebene ganze Wissenschafts- und Bildungslandschaften eingerissen und zerstört werden – und zwar nicht nur in Ländern, die als Diktaturen gelten. In den USA geschieht dies in Form von massiven Streichungen bei der öffentlichen Finanzierung von Forschungs- und Bildungseinrichtungen. Jonathan Foley, Ökologe und Direktor einer betroffenen Einrichtung, spricht von einem „Krieg gegen die Wissenschaft“. In vielen Städten der USA und weltweit demonstrierten Zehntausende Menschen im Rahmen des March for Science gegen diese Angriffe. Wir unterstützen diese Bewegung für die Freiheit der Wissenschaft.
In Ungarn wurde gerade das Hochschulgesetz geändert, um gegen unliebsame Universitäten vorgehen zu können. Ich befürchte, dass es am Ende nicht nur um eine Universität gehen wird. Zehntausende Menschen sind dagegen auf die Straße gegangen, weil sie darin eine weitere Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten in Ungarn sehen. Am Ende wird es nicht um eine Hochschule gehen, sondern um die Freiheit der Wissenschaft insgesamt.
In dem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass die Fidesz-Partei von Viktor Orban nach wie vor der EVP angehört, in der auch CDU und CSU Mitglied sind. Ich finde, dass die Unionsparteien angesichts des dramatischen Demokratieabbaus, der in Ungarn gerade stattfindet, sehr deutliche Worte finden und vor allem Konsequenzen ziehen sollten.
In zahlreichen Ländern, wie Iran, Irak, China, Russland oder Ägypten, fürchten kritische Wissenschaftler um ihre Freiheit oder sogar um ihr Leben. Gerade die Sozial- und Geisteswissenschaften stehen unter Druck; denn Forschung, die soziale Zusammenhänge und gesellschaftliche Entwicklungsprozesse in den Blick nimmt und die Macht von Diktatoren und Nationalisten gefährdet, wird besonders stark unterdrückt und bekämpft.
Das sehen wir aktuell in der Türkei, wo im letzten Jahr 15.000 Beamtinnen und Beamte im Bildungsbereich suspendiert, 1.500 Dekane und Rektoren zum Rücktritt gezwungen und über 1.000 Privatschulen sowie 15 Universitäten vollständig geschlossen wurden. Wir reden hier über Maßnahmen, die hinsichtlich ihrer Größenordnung dem Einstampfen größerer Teile des hessischen Bildungsbereichs entsprechen.
Das heißt, die Lage ist absolut ernst. Deshalb war es ein wichtiges Zeichen der Solidarität, dass alle hessischen Hochschulen eine gemeinsame Erklärung verabschiedet haben, in der sie gefährdeten türkischen Wissenschaftlern Unterstützung und Zusammenarbeit angeboten haben.
Wir begrüßen, dass die Regierungsfraktionen heute einen Antrag eingebracht haben, der auf diese bedrohliche Entwicklung hinweist. Es ist richtig, dass der Hessische Land
tag hier ein Zeichen setzt und sich mit verfolgten und bedrohten Wissenschaftlern weltweit solidarisiert; denn die Freiheit in Forschung und Lehre ist ein unabdingbarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft.
Den Worten müssen aber auch Taten folgen. Ein sehr konkreter Schritt, um Solidarität mit verfolgten Wissenschaftlern zu zeigen, wäre, ihnen beispielsweise Schutz und Asyl zu gewähren. Die deutschen Wissenschaftsorganisationen haben gezielt Initiativen ergriffen, um bedrohten Wissenschaftlern zumindest vorübergehend eine neue Heimat zu bieten. 24 deutsche Hochschulen sind einem Netzwerk beigetreten, das sich für die Unterstützung verfolgter Wissenschaftler einsetzt. Solche Initiativen zum Wissenschaftsasyl könnte die Landesregierung rechtlich und finanziell unterstützen und fördern. Das hieße aber auch, mit einer Abschiebepolitik Schluss zu machen, die Menschen in ihrem Heimatland Verfolgung und Repressionen ausliefert.
Die Stipendien des Hessenfonds für hoch qualifizierte Geflüchtete, den Sie in Ihrem Antrag loben, müssen ausgebaut werden, damit sie in der Breite greifen. Der Hessenfonds muss nachhaltiger werden, um den Betroffenen langfristige Perspektiven zu eröffnen. Wir müssen weg von einem Fonds, der exklusiv für hoch qualifizierte Studierende und Wissenschaftler aufgelegt wird, hin zu einem Konzept, das eine breite und grundlegende Absicherung für geflüchtete Studierende und Wissenschaftler bietet.
Wenn wir darüber reden, wie wir es schaffen, die Hochschulen zu internationalisieren, mehr ausländische Studierende nach Hessen zu holen, müssen wir auch darüber reden, dass wir mehr bezahlbaren Wohnraum für Studierende aus dem Ausland brauchen und junge Flüchtlinge nicht mittels völlig sinnloser Wohnsitzauflagen an Orte binden dürfen, an denen es weit und breit keine Hochschule oder Institut gibt. Internationale Austauschprogramme, Forschungs- und Hochschulpartnerschaften sind wichtig und notwendig. Zudem müssen die Erkenntnisse zur Bedrohungslage von Studierenden und Forschenden gesammelt und öffentlich gemacht werden.
Für diese Maßnahmen müssen die notwendigen Gelder bereitgestellt werden. Nur so kann die Unterstützung des Landes und der Hochschulen konkret werden. Ihr Antrag geht zwar in die richtige Richtung, aber wir müssen vor allem darüber reden, welche konkreten Taten Ihren Worten folgen.
Ich will aber auch ein paar kritische Worte über die Freiheit der Wissenschaft in Deutschland sagen – auch wenn die Problemlagen hier natürlich andere sind.
Die Freiheit der Wissenschaft wird nicht nur durch staatliche Repressionen bedroht, sondern auch durch eine unzureichende Finanzierung, durch Kürzungen und durch eine zunehmende Ökonomisierung. Denn der Anspruch einer „freien Wissenschaft“, wie Sie es in Ihrem Antrag formulieren, kann sich nicht auf die Freiheit von Verfolgung und politischen Zwängen beschränken. Wenn Wissenschaftler keine politische Verfolgung oder staatliche Repressionen befürchten müssen, bedeutet das noch nicht, dass man dem Anspruch einer freien Wissenschaft gerecht wird.
Leider lassen sich auch in der deutschen Wissenschaftslandschaft Einschränkungen und Zwänge finden, die die freie Wissenschaft gefährden. Auch in Deutschland bangen Institute um ihr Überleben – aufgrund knapper Mittel, einer immer stärkeren Ökonomisierung der Hochschulen und zunehmenden Wettbewerbsdrucks. Forschende und Lehrende sind immer stärkeren Zwängen unterworfen, z. B. durch den Druck zur Einwerbung von Drittmitteln und dem Druck, immer mehr zu veröffentlichen, was selbstredend zulasten der wissenschaftlichen Qualität geht.
Wir erleben, dass öffentlich finanzierte wissenschaftliche Einrichtungen immer mehr zu Innovationsgebern und Zulieferern für die Wirtschaft werden. Das müssen wir verhindern. An den Bildungs- und Forschungseinrichtungen darf es keine Auftragsforschung geben; denn auch das gefährdet die Freiheit der Wissenschaft.
Herr Hahn, wenn ein Unternehmen einen Forschungsauftrag vergibt, dann verfolgt es eine Zielrichtung. Das heißt, das Unternehmen hat ein Problem und möchte eine Lösung haben.
Wissenschaft darf doch nicht stromlinienförmig an der Erforschung neuer Produkte arbeiten, sondern sie muss Risikoabschätzung betreiben, sie muss eine kritische Forschung sein. Genau das ist gefährdet, wenn die Hochschullandschaft zunehmend unter dem Druck einer wettbewerbs- und leistungsbasierten Finanzierung steht. Auch Unterfinanzierung und ökonomischen Zwänge sind eine Gefahr für freie und kritische Wissenschaften.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sie haben ein Trauma! So ist es hier in Deutschland nicht!)
Wir sollten deshalb selbstkritisch auch über die Lage der Wissenschaft in Deutschland reden. Wir würden uns freuen, wenn das heutige Plädoyer für die Wissenschaftsfreiheit auch zu einer Stärkung der freien Forschung und Wissenschaft in Hessen führen würde. Das heißt auch, dass wir eine stärkere Beteiligung bislang unterrepräsentierter gesellschaftlicher Gruppen am wissenschaftlichen Diskurs und am Abbau von Bildungshürden brauchen.
Wir hoffen, dass dieser Antrag kein Lippenbekenntnis ist, sondern dass er die Grundlage für praktische Solidarität bildet, damit bedrohte Studierende und Wissenschaftler in Hessen Schutz und Unterstützung finden. Das heißt aber, dass auch in Hessen das Recht auf freie Bildung und auf freie Forschung verteidigt werden muss.