Teilen Sie die Auffassung des Staatsministers der Justiz, für Integration und Europa, Herrn Hahn, dass die Bundesregierung gegen die Anleihekäufe der EZB Klage erheben soll? Ist das eine Position, die Sie als Koalition formulieren, oder ist es eine FDP-Position? Das würde mich interessieren.
Frau Osterburg, möchten Sie antworten, oder soll ich in der Reihenfolge fortfahren? – Dann fahren wir fort. Der nächste Redner ist Herr Kollege van Ooyen für die Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, verehrte Damen und Herren! Als ich gesehen habe, dass die FDP das Thema europäische Finanzpolitik zum Setzpunkt machen will, dachte ich zuerst, dass hier wieder der Europaminister vorgeführt werden soll. Aber als ich am Montag lesen durfte, dass Herr Hahn Großbritannien einen EU-Austritt nahelegt, war mir klar, dass es keiner Hilfe bedarf, um diesen Minister vorzuführen. Das schafft er ganz allein.
Worum geht es überhaupt? – Da hat mal wieder ein Regierungsgipfel stattgefunden, der angeblich den Euro vor einer angeblichen Staatsschuldenkrise retten soll. Und das Ergebnis dieses Gipfels ist, dass sich die Regierungschefs von 26 Staaten darauf verständigt haben, für die Aufstellung der Haushalte strenge Regeln festzulegen und bei Verstößen gegen diese Regeln Sanktionen auszusprechen.
Nur um das klarzustellen: Die Regierungen Europas haben sich unter deutscher Führung darauf verständigt, das Haushaltsrecht der Parlamente in Europa zu beschränken. Ich glaube nicht, dass dies den Grundsätzen der Demokratie entspricht, wenn Regierungen festlegen, wie Parlamente ihr Königsrecht ausüben dürfen. Eine solche Regelung wird sicher vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Der Bundestagspräsident Lammert hat bereits angekündigt, dass auch er verfassungsrechtliche Probleme sieht.
Außerdem kann kurzfristig die Schuldenbremse gar keine Lösung sein, allein schon deshalb nicht, weil sie gar nicht
kurzfristig in Kraft treten kann. Und auch langfristig wird die Schuldenbremse für Europa keine Lösung sein, weil die Staatsverschuldung überhaupt nicht der Kern des Problems ist.
Kern des Problems ist ein völlig aufgeblähtes Finanzsystem, in dem der Kapitalverkehr faktisch ohne Schranken stattfindet und Spekulationsblasen produziert.
Es gibt eine Krise der Finanzmärkte und ein zunehmendes ökonomisches Auseinanderdriften der Eurozone. Dass wir es gar nicht mit einer Staatsschuldenkrise zu tun haben, sieht man doch allein schon daran, dass Irland und Spanien bis 2008 Haushalte hatten, die als mustergültige Beispiele für Stabilität galten.
Zum Explodieren der Schulden dieser Staaten kam es erst, nachdem die Finanzmarktkrise das Bankensystem getroffen hat. In Irland wurden sogar massiv tief verschuldete Banken verstaatlicht und sind deshalb der wichtigste Grund für die Schuldenkrise in Irland.
In anderen Staaten, etwa in Griechenland, haben wir es mit einer massiven Konjunkturkrise zu tun. Die griechische Wirtschaft ist schlicht am Boden. Und sie wird auch nicht wieder auf die Beine kommen, wenn die Regierung dort immer weiter in die Krise hineinspart. Genau das fordert aber die Bundesregierung – auch Sie mit Ihrem Antrag –, wenn jetzt eine Schuldenbremse für ganz Europa gelten soll.
Stattdessen müsste Griechenland wieder wettbewerbsfähig werden. Das bedeutet aber eben gerade nicht, dass die Griechen jetzt auch mit 67 in Rente gehen sollen und genau wie in Deutschland der Sozialstaat geschliffen wird.
Die Wettbewerbsfähigkeit hat immer zwei Seiten. Die Wettbewerbsfähigkeit der Eurostaaten hat sich in den letzten Jahren vor allem gegenüber Deutschland verschlechtert. Rot-grüne, schwarz-rote und schwarz-gelbe Regierungen haben hier Maßstäbe für Europa gesetzt – Maßstäbe in Sachen Wettbewerbsfähigkeit, die erkauft wurden mit Sozialabbau, Rentenkürzungen und stagnierenden Löhnen. Frau Osterburg, nicht prosperierende, sondern stagnierende Löhne haben wir in dem Land.
Dadurch ist Deutschland zwar mehrfacher Exportweltmeister. Nur ist leider das Übergewicht Deutschlands in Europa so groß, dass die Konkurrenz in anderen Euroländern gar nicht mehr mithalten kann. Wenn jetzt Schuldenbremsen und Sozialabbau noch exportiert werden sollen, so wird das vielleicht den Interessen der Banken und Konzerne gerecht. Die Krise wird es aber ganz sicher nicht lösen.
Um diese Krise zu lösen, müssten endlich die strukturellen Probleme gelöst werden. Das Finanzsystem muss deutlich reguliert werden. Dazu gehört für uns auch die Verstaatlichung von Banken – und das nicht erst, wenn sie kurz vor der Pleite stehen.
Die Neuausrichtung des Bankensystems muss durch demokratische Kontrolle und Steuerung erfolgen. Außerdem wird man auch nicht umhinkommen, deutsche Ex
Dazu muss die Zinslast der Krisenstaaten verringert werden. Ob dies durch den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB oder durch Eurobonds geschieht, ist dabei erst einmal völlig egal. Aber dies muss dann von Maßnahmen flankiert werden, die den Krisenstaaten wieder auf die Beine helfen, sprich: wir brauchen einen Marshallplan für die Eurozone, damit in Ländern wie Griechenland eine funktionierende Wirtschaft wieder die Basis einer gemeinsamen Währung werden kann.
(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der war schon einmal General, wissen Sie das? – Demonstrativer Beifall bei der LINKEN)
Dennoch war die Idee, Deutschland wieder auf die Beine zu bringen, durchaus richtig. Vielleicht ist er dann zum Pazifisten geworden; das kann ja sein.
Es muss klar sein: Nur in einem einigermaßen ausgeglichenen Wirtschaftsraum kann eine gemeinsame Währung existieren. Diese Lehre sollten wir eigentlich schon gezogen haben, nachdem das EWS 1992 zerfiel. Aber wenn wir diese Konsequenzen jetzt nicht ziehen, werden der Euro und wahrscheinlich auch die EU zerfallen. Wir wollen ein Europa der Menschen und nicht des Kapitals. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst eine Erklärung für die Zuschauerinnen und Zuschauer, warum wir im Hessischen Landtag über dieses wichtige europäische Thema reden. Wir sind an Diskussionsprozessen, an Willensbildungsprozessen mittelbar beteiligt. Aber wir wollen auch den Bürgerinnen und Bürgern von Hessen eine Stimme in Europa geben. Deshalb ist dieses Forum natürlich ein wichtiges, um mitzuteilen, wir kümmern uns um – Frau Osterburg, wie Sie gesagt haben – die Probleme, die Sorgen machen, die Ängste verbreiten. Wir wollen unsere Stimme erheben und sagen – Herr Rentsch, da bin ich nicht mit Ihnen einig –, wo die wirklichen Ursachen und Wurzeln der Probleme liegen. Das ist unser Job. Dem müssen wir heute nachkommen.
Meine Damen und Herren, deshalb werde ich auch keine Zeit verschwenden, obwohl es natürlich wichtig wäre, auf die historischen Verdienste der EU hinzuweisen, zu der es wirklich keine Alternative gibt. Gerade weil Europa in einer der schlimmsten Krisen – nicht nur in der Eurokrise – ist, ist es notwendig, in diesen Stunden zu sagen: Das sind die Ursachen, das sind die Wurzeln, und die müssen tatsächlich mit Reformen, mit strukturellen Änderungen, mit neuen Lösungsmöglichkeiten im Grundsatz angegangen werden.
Wir nehmen die Sorgen und Ängste der Menschen um ihr Erspartes, um ihr Einkommen und Vermögen, um die wirtschaftliche Entwicklung ernst. Natürlich sind wir vom
EU-Raum besonders abhängig – aber nicht nur. Deshalb entdecke ich, dass wir viel mehr Fragen als Antworten haben.
Ich will Ihnen einige auflisten. Ich bin sicher, die Zuschauerinnen und Zuschauer werden das ähnlich empfinden. Wie gehen wir mit diesen Fragen um?
Sind wir in der Lage, ist es gerecht, dass Deutschland große finanzielle Verantwortung für die Stabilisierung der gemeinsamen Währung und des europäischen Bankensystems übernimmt? Wir Experten sagen Ja. Aber können wir es erklären? Ist es genügend verbreitet? Ist da wirklich Aufklärung betrieben worden?
Ist Vorsorge getroffen, damit sich die Ursachen der aktuellen und der vorangegangenen Finanz- und Wirtschaftskrisen nicht weiter wiederholen?
Hat die deutsche, die europäische Politik überhaupt den Überblick und die Kraft, um die Krise richtig zu beurteilen und zu beherrschen? Was bedeuten denn überhaupt diese Kürzel EFSF und ESM? Was steckt dahinter? Welche Konsequenzen haben sie?
Wie hoch ist der Bürgschaftsrahmen? Er wurde durch die Brüsseler Beschlüsse erneut erweitert. Wissen wir alle, um welchen Betrag? Wissen wir alle um die Konsequenzen, wenn Bürgschaften gezogen werden?
Dann immer das Vorurteil, Deutschland sei der Zahlmeister der Union. Wer es besser weiß, der muss zugeben: Wir sind die größten Profiteure der EU, des Euroraums und der europäischen Vereinigung insgesamt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Warum haben die Ratingagenturen solchen Einfluss, nicht nur auf Banken, sondern auch auf Staaten? Welche Interessen vertreten sie? Wer steckt hinter ihnen? Warum ist es noch längst nicht gelungen, eine europäische Ratingagentur in Kraft zu setzen, die an dieser Stelle zumindest ein Gegengewicht gegen amerikanische Interessen setzen könnte?
Herr Rentsch, ich teile Ihren Optimismus nicht. Wer jetzt erklärt: „Jetzt haben wir es aber geschafft, ein neuer Meilenstein“, dem sage ich: Ich fürchte eher, dass die Halbwertszeit auch dieser Beschlüsse dem Schnee in der Frühlingssonne ähnelt. Ich fürchte, es wird noch großer Anstrengungen bedürfen, um das in Kraft zu setzen, was in Brüssel beschlossen worden ist.
Jetzt geht es um Stabilität. Deshalb ist es notwendig, auf die Hürden hinzuweisen, die noch bestehen.
In Brüssel wurde festgelegt: die Schuldenbremse in die Verfassung. – Ja, das war für uns ein wichtiger Schritt, und es ist auch vorbildlich. Aber welche Hürden, das umzusetzen, bestehen jetzt bei den anderen Staaten, bei den Parlamenten – angesichts einer europäischen Skepsis, die nicht weniger wurde, sondern stärker?
Dritter Punkt: eigener Vertrag. Das muss ratifiziert werden. In bestimmten Staaten ist dafür ein Referendum notwendig. Glauben Sie, das geht so einfach? Und das müssen natürlich alle 17 durchführen.
Haushaltskontrolle ist das originäre Recht eines Parlaments. Natürlich hat Bundestagspräsident Lammert recht, wenn er das Parlament an dieser Stelle in die erste Reihe bringt und sagt: Da sind wir als Gesetzgeber natürlich besonders gefordert. – Die Haushaltskontrolle der Staaten soll aber jetzt übertragen werden an den Europäischen Gerichtshof. Glauben Sie, dass das überhaupt verfassungsrechtlich hält?