Protocol of the Session on November 17, 2011

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeord- neten der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Greilich. – Das Wort hat Herr Kollege Rudolph für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir seit wenigen Tagen erleben, erfüllt uns alle mit Ohnmacht und Wut. Wenn man sich die Bilder anschaut, das, was wir auch in den Nachrichten sehen – wie verzweifelt die Eltern des ermordeten türkischen Mitbürgers sind –, kann man auch schon resignieren.

Dass eine Demokratie derart bedroht werden kann, dass es möglich ist, dass in einer Demokratie in menschenverachtender Weise andere ermordet werden, weil sie eine andere Auffassung haben und aus einem anderen Kulturkreis stammen, weil sie vielleicht anders gekleidet sind – all das, was wir glaubten, in Deutschland nach 1945 und den Erfahrungen der Nazidiktatur hinter uns zu haben glaubten – nie wieder dürfen Menschen ermordet werden, weil sie anders sind als andere –, holt uns ein.

Deswegen muss ein Signal des heutigen Tages sein: Trauer um die Ermordeten. Ein zweites Signal – das wünsche ich mir sehr, auch für unsere Fraktion –: Die Demokratie, der Rechtsstaat, muss wehrhaft sein. Extremismus muss bekämpft werden. Hier reden wir über die aktuellen Auswüchse des Rechtsextremismus. Da darf es kein Pardon geben – der demokratische Rechtsstaat muss sich wehren, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln, ohne parteipolitisches Klein-Klein.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeord- neten der LINKEN)

Wenn wir über die Folgen reden, dann müssen wir uns auch fragen, wie eine solche Entwicklung möglich ist. Dann müssen wir uns auch selbstkritisch fragen: Haben wir vielleicht auch mit versagt? Haben wir Hinweise, Signale nicht ernst genommen? Da werden Menschen mit der gleichen Waffe an unterschiedlichen Orten ermordet. Muss das nicht ein Hinweis sein, dass dahinter möglicherweise ein System steckt? Haben die dafür zuständigen Organe des Bundes und der Länder ihre Aufgabe nicht wahrgenommen, nicht richtig erfüllt? Gab es Mängel, Defizite, Fehler, Fehlverhalten?

Das müssen wir in den nächsten Wochen gemeinsam aufarbeiten und auch notwendige Konsequenzen ziehen. Es kann nicht sein, weil behördliche Strukturen nicht funktionieren, weil Menschen nicht ordentlich zusammenarbeiten, dass andere darunter leiden und die Demokratie möglicherweise gefährdet wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass diese Morde in einem Zusammenhang stehen, dass eine Polizistin brutal ermordet wird. Deswegen drängen sich viele Fragen auf. Die können wir heute nicht lösen; aber sie müssen gestellt werden. Natürlich wird es am Schluss um Fragen der Verantwortlichkeit gehen. Das ist in einer Demokratie nun einmal so. Für uns sind es Fragen, ob es im Jahr 2006 nicht

Hinweise auf möglicherweise rechtsextremes Gedankengut gab.

Ich sage sehr deutlich und glaube, darin sind wir uns in diesem Hause einig: Personen, die extremistisches Gedankengut haben, haben in der hessischen Landesverwaltung nichts zu suchen. Aufgabe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung ist es, die Demokratie zu schützen und sie nicht zu bekämpfen. Das muss eine zentrale Botschaft auch von diesem Landtag sein.

(Allgemeiner Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen die Kontrollmechanismen? Ich will das sehr kritisch und deutlich sagen. Wir haben Vertrauen zu den Kollegen, die in der Kontrollkommission sind. Aber müssen wir nicht auch über Veränderungen nachdenken? Ich kündige für die sozialdemokratische Fraktion an, dass wir entsprechende gesetzliche Initiativen ergreifen werden.

Wir wollen die Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission zur Kontrolle des Verfassungsschutzes gestärkt sehen, damit es möglich wird, was bisher nur sehr eingeschränkt möglich ist, Akteneinsicht zu nehmen, Mitarbeiter zu befragen. Das ist auf Bundesebene möglich. Das ist im Bundesland Bayern möglich.

Zu einer effektiven Wahrnehmung unserer Aufgaben gehören auch die entsprechenden Instrumente. Deswegen hoffte ich, da es uns gemeinsam um die Sache geht – diese brutalen, menschenverachtenden Ereignisse müssen uns eigentlich dazu auch verpflichten –, dass wir heute gemeinsam die Initiative ergriffen hätten. Das hat so nicht funktioniert, aber das kann man beim Abstimmungsverhalten deutlich machen.

Heute können wir nur gedenken und innehalten. Wir können das nicht ungeschehen machen. Aber wir müssen aus solchen Ereignissen auch die richtigen Konsequenzen ziehen, sonst gehen sie morgen im Tagesgeschäft unter.

Wir haben eine Verantwortung für das, was wir tun. Wir haben aber auch eine Verantwortung für das, was wir möglicherweise nicht tun. Deswegen müssen wir finanzielle und personelle Ressourcen bereitstellen, um die Feinde der Demokratie auch bekämpfen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen Aufklärung betreiben. Wir müssen die Köpfe der Menschen erreichen: Nie wieder dürfen in Deutschland und der Welt Menschen umgebracht oder traktiert werden, nur weil sie eine andere Auffassung, eine andere Lebensphilosophie haben.

Diejenigen, die das nicht verstehen und nicht akzeptieren wollen – ich sage das sehr deutlich –, müssen die Härte des Rechtsstaates zu erkennen bekommen. Aber wir müssen auch die Instrumente dafür bereitstellen. Die Diskussionen dieser Tage und danach werden es zeigen, ob wir die Kraft und den Willen dazu aufbringen. Ich sage: Wir müssen es. Wir haben auch als Politiker eine gemeinsame Verantwortung. – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Innenminister Rhein.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass das Thema heute vom Hessischen Landtag auf diese Art und Weise, in diesem Stil und auch so einmütig aufgerufen wird und dass alle Fraktionen in einem engen Schulterschluss agieren. Das, was ich gestern gesagt habe, sage ich auch heute. Das war mir sehr wichtig, und ich meine das sehr ernst. Deswegen ist es für mich auch der erste Punkt, zu dem ich heute hier spreche.

Wir haben uns bei den Hinterbliebenen der Opfer ausdrücklich zu entschuldigen. Das tue ich hiermit für die Hessische Landesregierung. Es ist eine Schande für unser gesamtes Land, dass Menschen, die hier in Deutschland, die auch hier in Hessen ihre Heimat gefunden haben, von Rechtsextremen umgebracht werden können. Es ist eine Schande für unser Land, und dafür haben wir uns zu entschuldigen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich tue das auch und greife das auf, Herr Schaus, was Sie gesagt haben: vor allem deswegen, weil sie nicht nur einen Angehörigen verloren haben – das allein ist schlimm genug –, sondern weil sie danach einer Diskussion ausgesetzt gewesen sind. Sie mussten danach eine Diskussion ertragen. Herr Schaus, ich füge in Klammern hinzu: nicht ausgelöst von den Sicherheitsbehörden. Das waren die allgemeinen Spekulationen, die man immer zu ertragen hat, in denen der Verdacht geäußert wurde, sie seien in irgendwelche kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen. Es ist mindestens genauso beschämend gewesen, dass eine solche Diskussion stattgefunden hat, wie das Wort „Dönermorde“ ein beschämendes Wort ist.

All das sollte nicht mehr stattfinden. Insoweit glaube ich, dass es angemessen ist, als Erstes eine Entschuldigung für diese Vorgänge zu sagen, was ich hiermit tue.

Zweitens. Das gehört auch dazu: Die Hintergründe dieser abscheulichen Taten müssen restlos aufgeklärt werden. Exakt das tun wir. In diesem Prozess sind wir. Wir tun das transparent. Wir tun das sehr akribisch, und wir tun es auch mit Hochdruck.

Den ersten Teil dieser Zusage gegenüber dem Hessischen Landtag habe ich gestern umgesetzt und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Verfassungsschutz und aus der hessischen Polizei eingelöst. Wir haben in der PKV sehr umfassend informiert. Wir haben die Dinge sehr ausführlich erörtert und Punkt für Punkt aufgeklärt und aufgearbeitet. Ich füge hinzu und gestehe damit zu, was heute gesagt worden ist: Wir sind damit noch lange nicht am Ende. Wir sind damit an einem Anfang. Deswegen wird es genauso weitergehen. Ich sichere Ihnen zu, das gilt natürlich auch für den Innenausschuss. Das gilt für das parlamentarische Kontrollgremium. Das gilt auch hier im Plenum des Hessischen Landtags.

Lassen Sie mich noch eines hinzufügen. Was nicht gehen wird, ich bitte dafür sehr um Verständnis, ist, dass wir quasi auf öffentlicher Bühne Sachverhalte erörtern, die Teile eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwaltes sind, und zwar wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Das hat nichts damit zu tun, dass wir mauern wollen oder irgendwie Heimlichtuerei begehen. Jeder, der gestern im Kontrollgremium gewesen ist, hat gesehen, dass das nicht unsere Strategie ist, ganz im Gegenteil. Das hat einfach damit zu tun, dass der größte Fehler, den wir jetzt machen können, derjenige ist, dass durch Geschwät

zigkeit exakt dieses Verfahren, das ich eben genannt habe, gefährdet wird.

Wir wollen – das ist und muss unser Ziel sein, und diese Einigkeit sehe ich auch in diesem Hause –, dass diese abscheulichen, diese ekelerregenden Taten lückenlos aufgeklärt werden. Sie können nur dann lückenlos aufgeklärt werden, wenn wir den Generalbundesanwalt seine Arbeit machen lassen. Dass sie aufgeklärt werden, ist das Mindeste, was wir den Opfern und auch deren Hinterbliebenen schuldig sind.

Deswegen bitte ich um Verständnis, dass wir in diesem Stadium nicht jeder Ente, nicht jeder Zeitungsente und nicht jedem Gerücht hinterherlaufen, das aufgetan wird. Wir müssen vorsichtig sein, was wir öffentlich sagen können und was öffentlich nicht gesagt werden kann.

Ich schließe an diese Bitte auch eines an. Auch Medien und Journalisten tragen Verantwortung für das, was sie sagen und schreiben. Zu dem, was wir in den letzten Tagen gelesen und teilweise über den Äther gesendet gehört haben, muss man schon sagen: Auch hier muss man Verantwortung als Teil dieser Gesellschaft übernehmen. Manchmal schadet es eben nicht, auf die schnelle Schlagzeile zu verzichten, auch wenn die Auflage nicht so schnell gesteigert werden kann.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- ordneten der SPD)

Mein dritter Punkt ist der, dass ich hier sehr deutlich hinterlegen will, dass wir weiterhin intensiv und entschlossen gegen rechtsextremistische Gewalt vorgehen, dass nichts unter den Teppich gekehrt werden darf, aber – das muss hinzugefügt werden – ohne dass dabei das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Wir brauchen den Verfassungsschutz bei dieser Arbeit. Wir können auf den Verfassungsschutz bei dieser Arbeit nicht verzichten. Wir brauchen auch V-Männer. Vielleicht müssen wir darüber reden, dass wir V-Männer anders qualifizieren müssen. Die Innenminister tun das in diesen Tagen.

Es gibt das eine oder andere, was möglicherweise durchaus überdacht werden muss. Aber wir brauchen auch Quellen – auch das füge ich hinzu –, um vieles aus dem internen Bereich zu erfahren, was wir möglicherweise sonst nicht erfahren würden. Auch hier muss das eine oder andere überarbeitet und überdacht werden. Ich habe noch nicht die letztendliche Antwort, wie es Al-Wazir heute gesagt hat. Ich glaube, die kann man im Augenblick auch nicht haben. Wir müssen uns davor hüten, irgendetwas reflexhaft zu machen.

Natürlich gehört dazu auch die Diskussion über das Verbot der NPD. Ich glaube, man muss sehr vorsichtig sein, dass man das nicht übers Knie bricht. Ich will überhaupt nichts beschönigen. Auch ich halte diese Partei für eine abstoßende und beschämende Partei. Ich halte sie auch für eine Partei, die aktiv gegen unsere Verfassung agitiert. Aber jeder von uns, die wir in diesem Hessischen Landtag sitzen und uns mit den Dingen befasst haben, weiß aus sehr schlechter Erfahrung, welche Risiken mit diesem Verbot verbunden sind. Jeder von uns weiß, dass wir bei einem neuerlichen Verfahren von einer Zeitdauer von mindestens zwei Jahren ausgehen müssen. Keiner weiß, wie das Bundesverfassungsgericht am Ende entscheidet.

Ich habe gehört, das Bundesverfassungsgericht solle andere Maßstäbe anlegen. – Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 das Recht angewendet und Maßstäbe aufgestellt. Ich glaube nicht, dass die sich verändern werden. Meine

sehr geehrten Damen und Herren, ein solches Parteiverbot ist keine einfache Sache. Das liegt auf der Hand.

Aber wir wissen: Bei einem solchen Verfahren müssen alle V-Leute aus den Führungsgremien abgezogen werden. Sie müssen zumindest abgeschaltet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 auch betont, dass es problematisch sei, wenn abgeschaltete V-Leute nach wie vor aktiv seien.

Auch da muss man hinzufügen, ohne Schaum vor dem Mund: Abgesehen davon, wie es überhaupt möglich sein soll, all diese ehemaligen V-Leute dazu zu bewegen, auf die Wiederwahl zu verzichten, würde auch das einen Zeitraum von mehreren Jahren in Anspruch nehmen.

Eines darf man bei alldem auch nicht vergessen: Für einen solchen Antrag braucht man eine Zweidrittelmehrheit beim Bundesverfassungsgericht. Das sind sechs von acht Richtern. Auch das ist keine geringe Hürde. Deswegen glaube ich, dass wir gut fahren mit der Kraft des Arguments gegen rechts und gegen Rechtsradikale und dass wir auch gut fahren mit Informationen. Das tun wir – damit greife ich das auf, was hier schon angesprochen worden ist –, und zwar mit vielen, vielen Maßnahmen und mit vielen, vielen Initiativen. Ich gestehe zu: Da kann bestimmt noch das eine oder andere draufgelegt werden, muss wahrscheinlich auch noch draufgelegt werden, muss noch mehr gemacht werden, muss noch an die aktuelle Lage angepasst werden.

Aber das, was heute von dieser Debatte ausgeht, finde ich sehr wichtig. Wir müssen insbesondere als Sicherheitsbehörden und als Landesregierung die klare Ansage ausstrahlen: Es darf in unserem Land keinen Spaltbreit für Rechtsextreme geben. Das zu garantieren ist unsere Pflicht und unsere Aufgabe. Wir stellen uns dieser Aufgabe selbstverständlich.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ganz herzlichen Dank, Herr Innenminister.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Anträge. Zunächst lasse ich über den Dringlichen Entschließungsantrag von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN abstimmen. Wer diesem die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist das gesamte Haus.

Nun lasse ich über den Entschließungsantrag der LINKEN abstimmen. Wer diesem die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist dieser abgelehnt.

Meine Damen und Herren, wir wollen der Opfer gedenken und unserem Schrecken über die Taten Ausdruck verleihen. Ich darf Sie daher bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich von den Plätzen.)