Protocol of the Session on August 25, 2011

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Europa ist ein Jahrhundertprojekt.

(Anhaltende Unruhe)

Ich weiß gar nicht, was Sie so beunruhigt. – Wenn Sie der Debatte aufmerksam gefolgt sind, dann werden Sie doch feststellen, dass es eine ganze Menge Dinge gibt, wo die Beteiligten gar nicht so unterschiedliche Beurteilungen vornehmen. Es gibt eine Reihe von unterschiedlichen Empfehlungen. Herr Kollege Wagner, zunächst einmal an Sie und an das ganze Haus: Europa ist ein Jahrhundertprojekt, Europa ist ein Friedensprojekt. Wir dürfen nie zulassen, dass dieses Europa, dieses Jahrhundert- und Friedensprojekt auf die Probleme von Finanzmarktkrisen und -techniken reduziert wird; und es gilt das Primat der Politik.

(Allgemeiner Beifall – Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Meine Damen und Herren, wenn wir es jetzt schon diskutieren – –

(Anhaltende Zurufe von der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen Sie, Lautstärke ersetzt kein Argument. – Herr Kollege, wir haben von Ihnen Ihre persönlichen Erfahrungen, als Europa noch getrennt und geteilt war, gehört. Hier sitzt die erste Generation seit Jahrhunderten, die ohne Krieg in diesem Europa gelebt hat.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Fast, was ist mit Jugoslawien?)

Das verpflichtet uns, das gibt uns auch Chancen, und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass es das Primat der Politik ist. Die spannende Frage ist nur, was das konkret heißt. Wenn wir uns jetzt einmal ein bisschen tiefer damit beschäftigen, dann spüren wir doch alle, dass viele Menschen in unserem Lande berechtigte Sorgen haben und dass sie nicht verstehen – ich füge gelegentlich hinzu: auch kaum verstehen können –, was im politischen Orbit und Olymp hin- und hergerufen wird. Die meisten Begriffe sind für den normalen und auch den engagierten Bürger kaum verständlich. Die einen rufen: „Tut etwas“, die anderen rufen: „Wir tun etwas“, und dann kommt zurück: „Ihr tut zu wenig oder zu spät“.

Wenn wir dieses übliche Klein-Klein also einmal beiseitelegen und es nicht so billig machen, dass die einen immer recht haben und die anderen immer unrecht, dann sollten wir die Debatte dieses Tages nutzen, zumindest einmal ein Grundproblem herauszuarbeiten. Wenn es gilt, dass der europäische Friedensprozess nach den Regeln dessen gesteuert werden muss, was Europa zusammenhält, all unsere Grundüberzeugungen und Grundwerte wie die par

lamentarische Demokratie, dann stehen Sie unmittelbar vor folgendem Problem: Was wünschen sich eigentlich alle? Was müsste man tun? – Ja, man müsste rasch und entschlossen handeln und zur Beruhigung der anonymen Märkte beitragen. Da kriegen Sie von jedem einen Haken drunter, und das können Sie in unzähligen halbklugen bis gelegentlich nicht sehr klugen Kommentaren lesen. Nun handeln Sie einmal schnell, entschlossen und sofort in einer Zeit, in der im Computerhandel innerhalb von wenigen Sekunden Billionen Euro hin- und hergeschoben werden.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist die große Herausforderung!)

In einem Europa von 27 Ländern, in einer Eurozone von 17 Ländern müssen Sie sagen: Okay, wir geben irgendjemandem ein Mandat, der sofort wie auch immer handelt. – Das wäre hoffentlich klug. Es wäre jedenfalls schnell und entschlossen, und wenn wir Glück hätten, würde es sogar die Märkte beruhigen. Es hätte aber einen großen Nachteil: Wir könnten nicht mitwirken. Damit haben Sie das Grunddilemma, und es gibt in dieser Debatte keinen Königsweg. Das, worum die Kollegen, gerade die der Fraktionen von CDU/CSU und FDP im Deutschen Bundestag, die die Bundesregierung tragen, die politisch die gleichen Grundlagen hat wie diese Landesregierung, miteinander ringen, ist doch Folgendes: in einer völlig veränderten Welt rasch und schnell zu handeln, aber eben nicht unverantwortlich.

Wenn ein Bundestagsabgeordneter kommt und sagt: „Ich übersehe das alles nicht mehr; ich will nicht über Nacht plötzlich mitgeteilt bekommen, wir hätten für 100 Milliarden € irgendetwas gemacht; ich möchte mein parlamentarisches Mandat in Verantwortung vor meinen Wählern auch ausüben können“, dann sagen wir: „Jawohl, du hast recht“. Und genau in diesem Dilemma befinden wir uns. Wer dann nach Schnelligkeit, Tatkraft oder so etwas ruft, der muss einräumen, dass er an anderer Stelle ein großes Problem hat.

Für diese Landesregierung hat Herr Kollege Hahn gesprochen, und ich habe vorhin unseren europäischen Kompass dargelegt. Da befinden wir uns in der Tradition aller unserer Vorgänger. Wir sind engagierte Europäer, aber wir sehen dieses Problem, und ich füge noch eines hinzu: Warum mühen wir uns, dass der Bundesrat dabei sein kann? – Weil wir davon überzeugt sind, dass es auch auf uns ganz große Auswirkungen hat, egal, was konkret beschlossen wird. Die Bundesrepublik Deutschland ist der Zusammenschluss der Länder, das muss man gelegentlich sagen, und nicht irgendwo im Orbit.

Wir haben eine besondere Situation – das gibt es in Europa so nicht mehr –: ein föderativer Staat mit eigener staatlicher Verfasstheit. Ich komme bei dem Thema Eurobonds noch einmal darauf zurück. Dass darum gerungen wird, dies richtig auszuwiegen, verstehe ich wohl. Ich werfe auch niemandem vor, dass er sich dabei schwertut. Ich bin übrigens ungemein beeindruckt, wie viele Fachkenner wir haben. Ich bin immer tief beeindruckt, wer gelegentlich welche Begrifflichkeiten quer durch den Raum streut. Dazu muss ich sagen: alle Achtung.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Ich bin nicht immer ganz sicher, ob die Tiefe der Kenntnis mit der Schnelligkeit der Äußerungen übereinstimmt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und der FDP – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seien Sie nicht so hart mit Ihrem Koalitionspartner!)

Nein, jetzt komme ich einmal zu den GRÜNEN und zur SPD.

(Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Hat aber auch lange gedauert!)

Schauen Sie, ich muss gelegentlich lesen, und manche arbeiten sich an mir ab, ich sei irgendwie anders geworden und bemühte mich, zusammenzuführen, und früher hätte ich doch immer die große Faust genommen. Trauen Sie mir zu, dass ich jederzeit in der Lage bin, ziemlich deutlich zu sagen, wo die einen und wo die anderen sind. Aber wenn wir hier über ein Jahrhundertprojekt reden – ich stimme zu, dass wir an einer Wegmarke sind, die die Zukunft Europas wesentlich mitbestimmt –, dann sollten wir jetzt einen kleinen Moment lang den Versuch machen, diese klassische Teilung wegzulassen: „Die kloppen die, und die kloppen jene; und die machen gar nichts; und die anderen gehen raus.“ Das lassen wir jetzt einmal weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann kommen wir zum Primat der Politik. Herr Kollege Reif hat, wie ich finde, zu Recht darauf hingewiesen, dass weite Teile Ihres Antrags die Zustimmung dieses Hauses finden. In den letzten Wochen ist in der politischen Debatte die Frage zugespitzt worden: Eurobonds ja, Eurobonds nein?

Meine Damen und Herren, ich habe aus tiefer Überzeugung mehrfach öffentlich Stellung genommen und gesagt, ich halte die Lösung Eurobonds für den falschen Weg. Ich will das aus Zeitgründen nicht alles herbeten, und es ist auch schon einiges gesagt worden. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf ein, wie ich finde, ausgesprochen interessantes und lesenswertes Interview des Direktoriumsmitglieds der Europäischen Zentralbank, nämlich unseres dortigen deutschen Vertreters, Jürgen Stark, der lange Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank war: „Eurobonds sind nur eine Scheinlösung.“

Die Debatte darüber kann und muss man engagiert führen. Wenn wir dann hier gleichzeitig den Vorwurf vorgetragen bekommen, es gebe doch ganz praktische und prachtvolle Lösungen, man müsse sie nur endlich einmal tun, und die Kanzlerin möge sich doch nur endlich entscheiden, dann will ich Sie nicht langweilen, aber an zwei, drei Beispielen deutlich machen, wie sehr leichtfertig – um nicht zu sagen: ungeeignet – diese Vorschläge, mit Verlaub, sind.

Es gibt einen sehr interessanten Kommentar in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 22. August 2011. Er trägt die Überschrift: „Auf schlankem Fuß“. Darin beschäftigt sich diese Zeitung mit den Vorschlägen der Herren Steinmeier, Gabriel und Cem Özdemir. Da kommt man auf die Frage: „Wie sehen Sie denn das Problem, dass wir, wenn wir in Europa Schulden vergemeinschaften, aber auf der anderen Seite keine gemeinschaftliche Finanzpolitik haben – das ist eine der großen Herausforderungen –, in eine Schieflage geraten“,

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

zu einem fabelhaften Ergebnis.

Wenn Sie dieser Tage einmal italienische Zeitungen lesen, werden Sie feststellen, dass die mit Feuer, Schwert und Eifer schreiben, die Eurobonds müssten her. Warum tun sie das? Sie tun das, weil sie sagen: Wenn es die Eurobonds

gibt, dann müssen wir weniger Zinsen bezahlen, weil es dann zu einer gewichteten Durchschnittsverzinsung in ganz Europa kommen wird. Dann machen wir ein besseres Geschäft, als wenn wir alleine antreten würden.

Das ist auf den ersten Blick richtig. Auf den zweiten Blick bedeutet das aber: Dort, wo es vermeintliche Gewinner gibt, gibt es auch vermeintliche Verlierer. Das haben die Kollegen hier deutlich gemacht. Für uns in Deutschland würde das zu schlechteren Bedingungen führen.

Herr Dr. Reuter, ich weiß nicht, ob das im ersten Jahr 2,5 Milliarden € oder 3 Milliarden € und nach zehn Jahren 50 Milliarden € sein würden. Es wird aber niemand ernsthaft bestreiten, dass wir in Deutschland die besten Refinanzierungsmöglichkeiten in der Eurozone haben. Wenn wir das zu unserem Nachteil aufgeben, dann muss es überragende Gründe des Gemeinwohls geben. Die gibt es aber nicht.

Dann höre ich den Vorschlag des Herr Cem Özdemir oder z. B. des Herrn Steinmeier. Sie sagen: Ja, das sehen wir ein, das kann natürlich nicht so sein. – Denn die Grundbedingung einer vernünftigen wirtschaftlichen Entwicklung muss doch sein, dass der, der besonders viele Schulden gemacht hat, am Schluss nicht noch belohnt wird, während derjenige, der versucht hat, seinen Haushalt im Rahmen zu halten, am Schluss der Dumme ist. Das ist eine Grundbedingung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Diese Grundbedingung auf die Europäische Union übersetzt bedeutet jenseits jeglichen Nationalismus Folgendes: Dieses Europa lebt ganz stark von zwei Staaten, nämlich von Deutschland und Frankreich. Diese beiden Staaten bringen 50 % des Bruttosozialprodukts in der Europäischen Union auf die Waage.

Herr van Ooyen sagte den Satz: „Am deutschen Wesen soll alles genesen.“ Wir haben hinreichend Erfahrung, um zu wissen, dass das falsch ist.

Aber wer das Schwergewicht ist, hat eine Führungsverantwortung. Diese Führungsverantwortung versucht Angela Merkel zurzeit wahrzunehmen. Dazu sage ich am Schluss meiner Rede auch noch ein paar Sätze.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt komme ich auf den Finanzexperten, den parlamentarischen Geschäftsführer der SPD, Herrn Rudolph, zu sprechen. Man kann die Debatte so führen, dass man versucht, die Kanzlerin nach dem Motto anzugreifen, sie sage den üblichen Kram. Ich will es einmal anders versuchen.

(Lachen des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ich will auf Ihre Argumente eingehen. Herr Rudolph, ich sage das, damit Sie, wenn Sie den nächsten Vortrag hören, darüber nachdenken können.

Herr Steinmeier ist dazu befragt worden, dass der Vorschlag der SPD, Eurobonds auszugeben, dazu führen würde, dass die stark verschuldeten Länder entlastet und die starken Länder über Gebühr belastet würden. Ich glaube, wir brauchen nicht darüber zu streiten, dass das jedenfalls auf den ersten Blick nicht klug erscheint. Was sagt Herr Steinmeier dazu? Das sagt übrigens unter anderem auch Herr Özdemir:

Ja, das ist richtig. Deshalb müssen wir dort Vorkehrungen treffen.

Jetzt hören Sie einmal zu, welche Vorkehrungen uns diese beiden Großökonomen anbieten.

(Günter Rudolph (SPD): Nicht so überheblich!)

Das wurde heute in der Debatte auch wieder genannt. Bei Herrn Steinmeier heißt es, 60 % des Bruttosozialprodukts sei die Grenze, bis zu der Eurobonds erlaubt seien. Alles, was darüber sei, könne man natürlich nicht mit Eurobonds machen.

(Nancy Faeser (SPD): Wenn Sie Herrn Steinmeier zitieren, dann schon richtig!)

Frau Kollegin, in welcher Lage befinden wir uns in der Europäischen Union? Ich nenne jetzt die Länder, über die hier am meisten diskutiert wurde. Griechenland liegt z. B. bei einer Verschuldung von 150 %. Italien liegt bei einer Verschuldung von 120 %.

Wenn Sie jetzt mit Ihrem genialen Mittel Eurobond kommen, dabei aber selbst sagen, nur 60 % seien in Ordnung, dann müssen Sie eine Antwort auf die Frage geben, wie Sie den nächsten Sommer ohne die weiteren 60 % oder im Falle von Griechenland ohne die weiteren 90 % Verschuldung erreichen wollen.